452
193/15
Dom. V. p. Trin.
775.
16
Liebster Freund Herder und
Superintendent
,
17
Einlage bewegt mich zum Schreiben. Ich habe mich den gantzen Tag nicht
18
erholen können von der Bekanntschaft, die ich mit dem unglückl. Uebersetzer
19
des Strabo diesen Morgen gemacht, dem weyland
M. Paentzel
gegenwärtigen
20
Musquetier
beym Alt-Stutterheimschen Regiment. Jetzt geht er eben mit
21
meinem
Freunde
Krause
fort, der ihn zu mich geführt. Da ersterer sich
22
rühmt Ihr Correspondent gewesen zu seyn, hat er mir einen Gruß an Sie
23
aufgetragen. Ich habe ihm des ehrl.
Quintus
Antwort mitgetheilt und ihn
24
aufgemuntert sein Nachfolger zu werden, und von dem für mich verlornen
25
Rath
einigen Gebrauch zu machen. Ein unglücklicher Vorfall zu Würtzburg
26
hat ihn in die Arme unserer Werber geworfen, von denen er hintergangen
27
worden. Er soll Mitarbeiter an der Klotzischen und Lemgoschen Bibliothek
28
gewesen, und scheint mir ein Kopf von ungeheuren Fähigkeiten für einen
29
Jüngling von 25 Jahren. Eines reformirten Predigers zu Deßau Sohn, der
30
über seinen Vater sehr klagt, weil er ihn
excommunici
rt, und seine Schwester
31
ist die
Chloe
in den 7 kleinen Gedichten der
Venus Erycina
& gesungen Berlin
32
769. – – Wie sehr beklag ich meine eigene Dürftigkeit, um diesen unglückl. Mann
S. 194
nicht unterstützen zu können. Gott schickt ihn mir an statt des
Claudii,
den ich
2
eingeladen hatte, den 45sten Geburtstag meines mühseeligen Lebens im
3
Schooß der Freundschaft zu begehen. Ich bin durch ausgebliebene Zinsen und
4
anderer Noth so in
der
Enge, daß ich Ihnen das Postgeld aufbürden muß,
5
liebster Herder! Gottlob! keine Noth, aber so eingeschränkt wie im
6
Nasendrücker, und die halb kluge halb heidnische Sorge auch für den
morgenden
7
Tag – und der natürl. Wunsch mit dem zunehmenden Alter nach ein wenig
8
mehr
Genuß
der
Gemächlichkeit
und der
Gesellschaft
; denn ich lieb und
9
haße die Menschen wie mich selbst, allein und in schlechter Gesellschaft zu
10
seyn p.
11
Der Glaser hat aus heiliger Einfalt um Ihren kleinen Mohrenkopf einen
12
Rahmen wie ein Hertz von Marcipan gemacht. Ich ärgerte mich anfängl. über
13
das Misverständnis seines Geschmacks, der Einfall ist aber recht sinnreich und
14
gefällt mir je länger je mehr. Daß aber weder Caroline noch Sie den
Namen
15
und
Geburts
datum
des kleinen
homunculi
hinten oder irgend
16
aufgeschrieben, ist eine kleine Fahrläßigkeit, die ich ahnden muß. Er hängt über meinem
17
Eß- und Schreibtisch unter den Emauntischen Pilgern und Ihrem Gast, der
18
ihnen das Brodt brach.
19
Mein Hänschen, der den Globum studiret, und den Titel des Kantschen
20
Programms
von den Racen der Menschen zu
Ratzen
laß, frug mich mit einer
21
kleinen Unruhe, ob sein kleiner Freund wirklich so schwartz wie der
22
Mohrenkopf aussähe. Seine noch einfältigere Mutter aber sahe gar die starken
23
Augenwimpern für ein Horn an. Sie können aus dieser Probe sehen wie oft ich des
24
Tags Gelegenheit habe über die Tummheit meines großen und kleinen
25
Hausgesindels zu lachen, und daß wir hier auch ohne Haber kützlich gnug sind. –
26
Wenn mein Brief keine Antwort ist so entschuldigen Sie weil ich nicht den
27
Augenblick übrig gehabt den Ihrigen aufzusuchen.
28
Meine
Die hierophantische Briefe sind durch den lächerlichsten u mir
29
unbegreifl. Wiederspruch des Censors und
Druckers
so verhuntzt worden, daß
30
ich meinen eignen Verstand nicht wieder finden können.
p.
13. Z. 4:
lies
31
hab ich für wichtigen: poetischen gesetzt und Z. 9. mich umständlicher über
32
einige Stellen statt: so gut es seyn will hierüber
33
p.
15. Z. 9.
deleatur
und
und für
Ueberklugen
hatte ich
allenthalben
34
p.
49.
homunculi
geschrieben.
35
16. Z. 6. lies für als: oder Z. 11. anstatt des
Puncts
hinter
Nation
komt
36
ein
Comma,
der das
p
37
22. Z. 2.
Schweitzers.
S. 195
23. Z. 1. Sta
tt
nd: Das Mährchen statt: Die Lehre
2
27
Z. 4. Kephas statt: Kaiphas 31. Z. 17. Vocabelbücher. 33. Woods
3
topogr.
4
40 Z. 11. fehlt
acht
vor Abschnitte
5
48 Z. 13. lies
Wigande
i. e.
Riesen 22. lies: Wolkenbrüste
und
6
deleatur
u Milch
7
D. Starck
der mich in Jahren nicht besucht, seine
Dissertation
zu der ich
8
ihm Bücher geliehen nicht einmal zugeschickt hatte noch seine Heyrath mit
9
D. Schultz
Tochter gemeldet, machte mir den Peter und Paul Tag sehr
10
merkwürdig. Zum Glück war ein starker Posttag u. einer meiner Brüder krank.
11
Ich muste mich daher von meinem
Bureau
aus entschuldigen laßen, ließ ihn
12
aber ersuchen zu warten. Weil die Arbeiten sich häuften; so schickte ich den
13
Aufwärter noch einmal nach meinem Hause, meinen Verzug zu entschuldigen.
14
Siehe! Da kam der Mann vor die
Prov. Direction
angefahren, stieg aus der
15
Kutsche sich ein
Exemplar
der hier. Briefe auszubitten. Weil er mich unter
16
freyen Himmel wenigstens 3mal sein Kind nannte: so schickte ich ihm den
17
Sonntag darauf
Festo visit. Mariae
ein Exemplar zu und
crei
rte ihn zu
18
meinem Beichtvater; welches er auch vorige Woche gewesen ist – und durch ein
19
ander Spiel des Zufalls hielt er selbst an demselben Sonntag seine Andacht. –
20
Uebrige Kleinigkeiten will übergehen. Es ist mir aber eine ungemeine
21
Zufriedenheit gewesen einem so sonderbaren Misverständnis einen Beichtvater
22
nach Abgang Lindners als Kirchenraths am Löbenicht zu verdanken zu haben,
23
weil ich über die Wahl in der grösten Verlegenheit war.
24
Mitten in diesem Abschnitt meines Briefes trat Kanter herein, der gestern
25
Nacht erst von Leipzig über Marienwerder hereingekommen, voll von
26
Basedow, Semmler, Nicolai ppp wieß mir einen Kupferstich eines
27
schwindlichten Kopfs in der Kappe eines Schweißtuchs, erzählte mir eine Legende von
28
Zimmermann, Lavater u. s. w. aber traurige
Anecdoten
von
M. Paentzel,
29
der ihm von Semmler und in gantz Deßau als der lüderlichste Mensch,
30
Renegat
des calvinschen u römischen Glaubens bereits ausposaunt worden –
31
Manches kommt mir wahrscheinlich gnug vor, daß ich sehr ungedultig bin,
32
was Sie von dem Mann
wißen
und
vermuthen
zu erfahren – – Endl. um
33
seinen Besuch zu krönen rückte er mit einem Heiligtum seiner
Portefeuille
heraus
34
und wies mir Ihre
CAROLINE
eben so schwartz als Ihr kleiner Mohrenkopf.
35
Weil es
entre chien et loup
war und mir der Kopf von der Geschichte meines
36
eignen saubern Holtzschnitts ein wenig schwindelte, so will ich morgen früh –
37
Es ist freylich nicht recht erlaubt seines Nächsten Weib mit Lüsternheit anzusehen.
S. 196
Ich will aber auch nur wie Jonathan, ein wenig dieses Honigs kosten um meine
2
Augen, die Ihnen zu Gefallen bey anderthalb Lichtern schreiben, um meine
3
Augen, sag ich, wacker zu machen, daß sie diese Arbeit die Woche über
4
fortsetzen können.
5
Gott seegne Sie, mein lieber Herder! Ihre beste Hälfte und was unser
6
treue Schöpfer aus der Ribbe Ihrer Seite gebildet hat und noch ferner
7
zubereiten wird. Ich habe mich gefreuet und freue mich und werde mich freuen
8
über Ihre glückliche Wahl. Sie haben was Gutes gefunden und können guter
9
Dinge seyn im HErrn. Gute Nacht! – –
10
Des Morgens um 4 den 17
Jul.
11
Gar nicht geschlafen, wie den letzten May. Der gantze Einfall des saubern
12
Holtzschnitts betrift ein Esel Ohr; übrigens soll die
Copie
dem Original so
13
treu als möglich seyn. Was den schönen Rahmen anbetrift: so war dies die
14
Einfaßung. Nach einem herzl. Willkommen und bezeigten Verlangen mich
15
den ersten Tag der Ankunft zu sehen und einigen grimmigen
16
Aufschneidereyen über Basedow, seinen Zweykampf mit Lavater sich einander zu bekehren
17
und des letztern Niederlage, der Anzahl von eigenhändigen Königl.
18
Handschreiben, welche ein zur Ruhe eingegangener Minister erhielte, einer
19
Entschuldigung von Eberhard, der seit Jahr und Tag bettlägerich wäre und weder
20
lesen noch schreiben könnte
p
und bey einer großen Eilfertigkeit nach der
21
benachbarten Loge, aus der man kam, wieder zurückzukehren, fiel dem großen
22
Gönner und Freunde noch etwas aus seiner Brieftasche ein, das er von
23
Zimmermann erhalten hätte. Ich erschrack gleich vor den Anblick und dachte
24
an Stahlbaum, (wenn der zu Ihrer Zeit schon hier war,) sich mit
25
Kupferstechen viel abgab und eine Copey ohne mein Wißen von dem im Laden
26
hängenden Schlafbilde mitgenommen haben soll. Hierauf wurde mit
27
gewöhnl. Eidschwüren betheuert, daß es ein Versuch von Lavater wäre für den
28
2ten Theil seiner
Physiognomien
und eine Probe von der Stärke seiner
29
Ideale; daß Moser ihm das
Contour
gegeben und er diesen selbst besucht
30
hätte. Mit einem Mann der sich verschwört und flucht mag ich lieber
31
leichtgläubig als ungläubig thun und gleichgiltige Lügen zu wiederlegen ist eben
32
so unnütz als gleichgiltige Wahrheiten zu verfechten. Mein kleiner Johannes
33
hat sich wie ein Engel aufgeführt, er wollte das Bild gar nicht erkennen saß
34
und brummte vor sich indem er es ansah und schlug mit der Hand darauf,
35
daß mich seine Thorheit ungewöhnl. aufmerksam machte. Gnug von dem
36
Bettel, der mir vielleicht als der Mercur u die allg. Bibliothek, deren 2 letzte
S. 197
Stücke ich auch bereits gelesen. Den Reyhen der dritten
Dodecade
werden
2
Sie wohl anführen müßen. Machen Sie sich nur gefaßt.
3
Woher ihm der Innhalt des Tellerschen Briefes an Sie bekannt war, möcht
4
ich wol wißen und Ihr Stillschweigen auf selbigen. Von Ihrem Schreiben
5
an Sp. wußte er
auch
–
6
Sie thäten mir eine große Gefälligkeit mir dies vorzüglich
mitzutheilen,
um
7
den Gang dieser Leute kennen zu lernen, zu meinem
privat
Unterricht.
8
Unter dem –
strich
ist mit Bleystift mein Name geschrieben und dies ward
9
vom Ueberbringer für Lavaters Hand ausgegeben. Ich
glaube
eher
Nicolai
10
darinn zu erkennen und vermuthe daß Sie den Krieg
a
la Klotz
mit mir
11
führen werden.
12
Mein alter Verleger hat mir voriges Jahr einen
niederträchtigen
Streich
13
gespielt; aber diesen groben und tummen hätt ich ihm nicht zugetraut, er mag
14
Erfinder oder bloßer Unterhändler seyn, wie ich noch nicht entscheiden kann.
15
Er soll
Klatschereyen
in Ansehung des Göthe gemacht haben, an die ich nicht
16
gedacht habe. Windbeuteleyen sind in meinen Augen vergeblich; aber boßhafte
17
Lügen entfernen mich bis zum
non plus ultra.
–
18
Assmus
hat mir niemals eine Sylbe von seiner Unpäßlichkeit erwähnt. Ich
19
will ihm nicht eher antworten bis ich seine
Exemplaria
erhalten.
20
Vergeben Sie es meinem Zeit Mangel, lieber
Superintendent!
und
21
meinem zerstreuten Gemüth, wenn Sie weder lesen noch verstehen können.
Einl
.
22
zu befördern ist meine
HauptSache
gewesen, weil ich darum sehr ersucht
23
worden bin.
24
Sie und Asmus haben in unsern Zeitungen herhalten müßen. Beyde aus
25
Ihrer Vaterstadt. Laden und Zeitung soll forthin
le ventre de ma mere
seyn,
26
wohin ich nicht leicht wiederkommen werde. Heute frühe will ich meinen
27
Gegenbesuch machen u ein paar Kleinigkeiten abgeben.
28
Was macht Ihr kleiner Johann
Χ
stoph? Gott laße Ihnen so viel Freude
29
an diesem Zögling erleben. Grüßen Sie ihn von mir und seinem kleinen
30
Freunde. Moldenhawer soll einen Ruff nach Göttingen erhalten haben. Gestern
31
hieß es in Ansehung Ihrer von einer
Vocation
nach Hannover. Leben Sie
32
wohl, ruhig und glücklich mit Ihrer lieben HausEhre. Schreiben Sie doch,
33
was Sie von
Paentzler
wißen u. erfahren, und theilen Sie obiges mit unter
34
selbstbeliebigen Bedingungen, wie weit sich meine
Discretion
erstrecken soll.
35
Creutzfeld hat mich in 8 Tagen nicht besucht und versprach mir noch ein paar
36
Volkslieder. Gott empfohlen und Seiner allwaltenden Gnade!
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 130–131.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 148–152.
ZH III 193–197, Nr. 452.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
193/25 |
Rath ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Rath, |
193/31 |
Chloe ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Chloe |
194/4 |
der ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: die |
194/29 |
Druckers ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Drückers |
194/35 |
komt ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: kommt |
194/36 |
p ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: p. |
194/37 |
Schweitzers. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Schweitzers |
195/2 |
27 ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 27. |
195/4 |
acht |
Geändert nach der Handschrift; ZH: acht |
196/28 |
Physiognomien ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Physiognomien; |
197/5 |
auch ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: auch. |
197/6 |
mitzutheilen, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: mitzutheilen |
197/8 |
strich ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Strich |
197/9 |
glaube ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: glaube |
197/10 |
a |
Geändert nach der Handschrift; ZH: à |
197/15 |
Klatschereyen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Klatschereien |
197/21 |
Einl . ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Einl. |
197/22 |
HauptSache ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Haupt Sache |