447
180/10
den 21 May
Dom. Rogate
75.

11
Lieber Gevatter und Freund,

12
Ihren kleinen
Assmum
habe den 4ten
huj.
zu Mittag erhalten, fieng ihn

13
mit dem ersten Bißen an und war mit dem letzten Glase fertig. Während dem

14
Lesen, Eßen und Trinken schien sich der hypochondrische
Schmachtriemen

15
aufgelöst zu haben, mit dem ich seit dem Abend, wo ich den
heillosen

16
Hephästion
kennen gelernt hatte, gegürtet gewesen bin. – So leicht fällt es mir mich

17
krank und gesund zu
lesen
. – Beym Aufstehen vom Tisch und Pult schien ich

18
alle Knochen zu fühlen und glaubte in
Freund Hain
verwandelt zu seyn.

19
Hinc illae lacrymae –

20
Von dem am
dato
der Beyl. hier eräugneten Schaden werden Sie als

21
Bote
unterrichtet seyn. Wir sind bisher fast tägl. mit
Recidi
ven von Feuer

22
Schaden und Schrecken beunruhigt gewesen. – Hiezu kommen noch neuere

23
Gerüchte
, die ich nicht rügen mag, weil sie unsern Freund Hain zu nahe

24
angehen –

25
Sagt mir doch lieber Gevatter! aus welcher alten Legende habt ihr diesen

26
mystischen Namen her – Ich bin von andern auch schon darüber
inquir
irt

27
worden und Ihnen mit einem sokratischen
Non liquet
willkommen gewesen.

28
Ihr müst auch an mir euren
Andres
vorstellen
an mir
, der gern alles aus

29
dem Grunde wißen will.

30
Daß Ihr meine Schriften versteht, will ich Euch zu Gefallen glauben. Daß

31
Ihr meine Briefe nicht faßen könnt, hab ich leider! lang gewust und mich

32
darüber geärgert. Ob es an meiner Schalkshand oder an eurem Tauben Auge

33
liegt,
sub iudice lis est.
Hab Euch
wieder meine
Art und Weise so viel

34
Briefe geschrieben, weil Ihr
Mste
von mir verlangt habt.
Folio recto
liegt

S. 181
da, wo sie der seel. Abbt suchte, und
folio verso
ein paar Spannen tiefer, auf

2
des Momus Fensterkopf. Wollt Ihr nicht auch wißen Mystiker! wie ich meine

3
Mste pagini
re, hebräisch oder occidentalisch.

4
„Gestichelt!“ – „Verrathen und verkauft!“ –
Vergeben
, was
Dir

5
gewißermaaßen lieb war
– Gern wißen, obs
Ernst oder Kurzweil
, Dich zu

6
sehen – Freylich
Ernst
, wenn nichts unmöglich – Lauter
Kurzweil
, nach

7
dem natürlichen Lauf der Dinge.

8
Mire
sagacis
falleret hospites

9
Discrimen obscurum, solutis

10
Crinibus ambiguoque voltu.

11
Sie haben sehr klug gethan, lieber Gevatter, daß Sie meine Einladung

12
nicht verstanden haben – Ohngeachtet Sie hier zu Lande vielleicht nicht

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verrathen und verkaufft hätten seyn sollen u. so sehr mir auch daran gelegen war

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den 45sten Sommer meines Lebens hoch zu feyren: so wird den Leuten immer

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banger hier zu Lande vor Warten der Dinge, die dem ärmsten Philosophen

16
noch einfallen können sich unsterblich zu machen. – Weil ich nicht wie

17
Jonathan Swift sein Vaterland laut seegnen kann: so spiel ich die Rolle eines

18
Jean F‥ qui pleure et qui rit
– in der Wüsten.

19
Melden Sie mir doch, ob mein Gevatter K – – r von hier aus an Sie

20
geschrieben. Zu mir hat er Nein! und zu andern Ja! gesagt. Wenn er es gethan,

21
so wär es mir lieb, daß Sie ihm nach der Lage der Sachen, grob oder fein

22
geantwortet hätten.

23
Daß Hartknochs
Commission
Ernst gewesen, hab ich noch bey seiner

24
Durchreise erörtert. Ein
mercantili
sches aber von seiner Seite macht mir Ihre

25
Bedenklichkeit fast lieb; unterdeßen wünsche ich nur, daß Ihre Gleichgiltigkeit

26
oder Sprödigkeit weder Ihnen noch Bode zum Nachtheil gereiche.

27
Es sey der Mangel an belesenen und empfindsamen Persohnen – oder die

28
gegenwärtige Theurung baarer Thaler – oder die Unschicklichkeit der

29
P
roclamation
– oder ein Vorurtheil gegen Freund Hain – kurz in gantz Ost- und

30
West Preußen hat sich bis zum heutigen
dato
kein einziger
numerant

31
gefunden:
Vier grl. Thrl
liegen hier für 4
Exempl.
baar und sicher; die ich wohl

32
so bald als mögl. mir zu Schiff
expedi
rt zu sehen wünschte. Unser
Virtuose

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Reichard redte mir von 15 und übernahm sich 25 hier unterzubringen. Ein

34
Flußfieber hatte ihn bettlägericht gemacht. Er versprach mir so bald er genesen

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wäre zu mir zu kommen. Den andern Tag drauf nach meinem ersten Besuch

36
sprach ich bey ihm an aus Besorgnis für seine Gesundheit. Er war bereits zu

37
seinem Artzt ausgefahren. Ob er wieder eingefallen oder zu sehr durch die

S. 182
Gegenwart eines
Virtuosen
und sr. Tochter, die sich hier werden hören laßen,

2
zerstreut ist, weiß ich nicht, hab nichts von ihm gehört noch gesehen seit vorigen

3
Montag. Ich liebe diesen jungen Menschen wegen seiner glücklichen oder

4
vielleicht unglückl. Anlagen. Er hat sich aber eben so sehr hier in Miscredit gesetzt

5
als Ihr Freund Hain. Sein Talent zu dichten – und seit ungefehr 14 Tagen

6
hat er auch den Versuch gemacht einen Landsmann vom Dichter, Namens

7
Bock zu recensiren. – Sollten sich also die 15 oder 25
Subscribenten
bedacht

8
haben auf den kleinen
Assmum
der
5
/
6
tel mehr kostet als Bock, ihr baar Geld

9
zu wagen: so haben Sie dies niemanden als dem
odio publico
Ihres

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Schutzheiligen zu verdanken; wornach Sie sich zu achten und vor künftigen Schaden

11
zu hüten haben.

12
Weil Sie mir aus dem gantzen Handel ein Geheimnis gemacht, oder zu

13
cavalierement
ihn
tracti
rt haben und ich nicht weiß, wie sich der
Numerus

14
der Liebhaber zur Auflage verhält: so weiß ich nicht wie viel Sie zu den

15
4 baaren
Exempl.
auf allen Fall zulegen können und wollen. Ob nicht die

16
hiesigen Buchläden etwas erhalten werden? Im Vorschuß kann nicht stehen –

17
Das Ihrige, so Sie mir anvertrauen sollen Sie baar oder
in natura
erhalten;

18
aber den
Termin
müßen Sie den Umständen überlaßen. Befriedigen Sie mich

19
mit Antwort und
Expedition,
so bald Sie nur können. –

20
Bin über ein paar Stunden durch die Erscheinung eines armen aus Lübeck

21
kürzl. angekommenen Blutsfreundes unterbrochen worden, und werde die

22
Fortsetzung bis morgen aussetzen. Guten Abend! Bey Licht schreibe nicht mehr,

23
und lese kaum.


24
Den 22

25
Bin heute den ganzen Tag umher gelaufen um einen Fastbäckergesellen von

26
18 Jahren unterzubringen – und wo mögl. bey einem Zuckerbacker in die

27
Lehre zu geben – den
Catalogum uniuersalem
auf frischer That zu lesen und

28
mir die
Recensionen
Ihrer Amtsbrüder und Nachbarn zu verschaffen
No
68

29
und 75. Was Sie an Freund Hain Fehls finden, bitte mir treuherzig

30
anzuzeigen. Der gröste Fehler ist wohl der, daß er seine Absicht rein verfehlt, ihnen

31
50
à
100
dito
einzutreiben. Die 4 baar bey mir liegende sind vor der

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Ankündigung und
Recension
eingelaufen. Es ist daher eine große Beruhigung für

33
mich, daß auch nicht ein einziger sich gemeldet – Der
Factor
im Kanterschen

34
Laden
Wagner
hat mich heute um 3 Stück angesprochen, aber ohne baare

35
Münze, die er selbst erwarten muß wo ich nicht irre aus Liebau in Curl. und

36
anderswo. Wenn Sie mir einen Ueberschuß anvertrauen: so hab ich ihm den

S. 183
Vorzug versprochen gegen baare Bezahlung. Ich überlaße dies alles Ihrer

2
Willkühr. Die 4 Leute sind mein Freund
Kriegsrath Hennings, Hoffrath

3
(von) Ehrenreich
, den ich im Sinn ausgeschloßen hatte, weil er eine

4
außerordentliche Rolle hier und auch für mich gespielt, drung mir den ersten Thaler

5
auf, meine Freunde
Criminalrath
Hippel
und
KirchenRath
Lindner

6
sind die beyden letzten, welche mir Geld gegeben. Bin fest entschloßen keinem

7
ein gutes Wort hier zu geben – weil mir die Shandysche
Collecte
noch zu sehr

8
auf dem Herzen liegt. Habe an Niemanden als
Trescho
seit undenkl. Jahren

9
deshalb ein paar Zeilen geschrieben; war willens an unsern
Grecourt,
den

10
weiland Kriegsrath Scheffner, der sich den Plan gemacht hatte wie Sie ein

11
Dorflieger zu werden zum ersten mal zu schreiben – und an den Grafen

12
Anhalt, dem ich für erwiesene Ehre ein Gegencompliment schuldig bin – Hab

13
mich aber gantz in Ihre Denkungsart versetzt: „der Lust zum Büchel hat, mag

14
der an mich schreiben und ihm solls werden das Büchel“

15
Was macht Ihre Rebecca und Ihre kleine Tochter und mein kleiner Pathe

16
in spe
– unsere Lehnchen Käthe denkt schon auf Zähne, spielt gern mit Löffeln

17
und ärgert sich bisweilen wie es scheint daß sie noch nicht mitlöffeln kann. –

18
Meine seel. Mutter war schwindsüchtig und brauchte öfter Ziegenmilch, auf

19
die ich wie ein Kind gern zu Gast kam. Ich möchte eben sogern die einmal

20
schmecken, die Gevatter Matthes hält, u im Nothfall selbst zu melken versteht;

21
wenn der Scherz wahr ist: so muß ich die Freude erleben, auch auf der That

22
zu ertappen. Wenn ich auf meinem Sorg Stuhl im Geist lache, welches

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Gottlob! noch oft gnug geschieht und meine Leute glauben daß ich Engel sehe: so

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ist es wahrlich nichts als der kleine
Assmus in hoc opere operato

25
Unser Virtuose und Dichter hat Ihr Liedchen
auf die Mutter bey der

26
Wiege
gesetzt und es als eine künftige Beyl. der Zeitung zugedacht – Mir

27
auch die
Nachtigall
versprochen, als das erste Stück so ich von Ihrer

28
lastbaren Muse gesehen. Wär ich ein Musicus und Componist (da ich keine
Note

29
mehr verstehe und Kirchenmusik ausgenommen aller übrigen entwöhnt bin) –

30
und es fiel mir einen Abend ein, daß ich
Noch
ein
Dito
, zufolge Ihrem Ideal

31
von der Music in Noten setzen möchte um durch die Neuheit der Melodie das

32
Alterthum der Worte zu heben.

33
Es ist ein Heidenwerk in meinen Augen vom leidigen Brief
Porto
nicht den

34
höchst möglichen Nutzen zu ziehen und ein gantz Quartblatt umsonst zu

35
bezahlen. – Aus dem taumelnden Gang meiner Feder werden Sie sich leicht

36
meinen gantzen Gemüthszustand vorstellen können.

37
Ich habe den
Grenville
meines
Brooke
gelesen – die
voyages
des alten

S. 184
Montaigne
– Pfenningers Vorlesungen, unter denen mir die erste am besten

2
und die letzten am schlechtesten gefallen. Alles scheint mir auf einen

3
gesetzlichen Pharisäismum auszulaufen – im Müntz Till u. Kümmel zu gerecht

4
und zu weise, in der Hauptsache desto weniger. In
Bachii Opusculis
habe die

5
ersten Abhandl.
pro Mysteriis Eleusiniis
gelesen. Möchte der Adelgunde die

6
Ausarbeitung dieser Materie überlaßen. Ohngeachtet ich bloß Lust habe sie
à

7
priori
zu behandeln: so wünschte ich doch meine Schlüße und Muthmaßungen

8
a posteriori
berichtigen zu können. Wißen Sie mir darinn was zu empfehlen;

9
so erwarte Ihre Beyhülfe
ex officio mercuridi. Orpheus
und
Eschenbachii

10
Epigenes
liegt mir schon zur Hand und um die
Autores,
welche
Mosheim
in

11
sn
Commentariis
anführt, will ich mich auch bemühen. Was unser liebe

12
Bückeburger über das N. T. sagen will aus dem
Zendavest,
ist auch noch ein

13
Geheimnis für mich.

14
Bescheinigen Sie mir doch den Empfang meiner Blätter so genau, als mein

15
Aviso
davon war. Ob Bode das Geld richtig erhalten und nach meinem

16
Engagement
mit Hartknoch dem ich es baar ausgezahlt. Ob Hinz Ihnen

17
Lettres perdues
geschickt – und vorneml. ob Sie den
Vetium Epagathum

18
haben, von dem ich nichts weiß und den ich so herzlich
heraus
wünschte.

19
Mäcen Quintus Icilius
soll todt seyn und wird das Fragment von Recension

20
nicht zu lesen bekommen. Anstatt 2 Zeilen hab ich einen weitläuftigen,

21
langweiligen, ehrlich gemeinten aber übel angebrachten Brief auf meine
Billets

22
doux
erhalten.

23
Mit dem ersten Buch des
Tristrams
bin fertig. Die häslichen Druckfehler

24
für den Verstand des Lesers – besonders im
genere
der
relatiuorum
z. E.

25
S. 2. Z. 2.
welcher
an statt
welche
u. d. gl. Ich möchte gern die eigentl.

26
Bedeutung der Redens Art:
hey – go – mad
verstehen, wenn sie Ihnen oder

27
dem Uebersetzer bekannt ist
ad pag.
3.

28
Endlich hab ich 2 Freunde ausgeholt über die Sibylle – Der eine sagt mir

29
im Vertrauen, daß etwas
schmutziges
– Der andere, welcher jenen sehr

30
verdammte mit einem:
Naturalia non sunt turpia,
wollte es verbeßern und

31
wollte etwas
profan
es darinn entdeckt haben. – Ich gestand dem letztern, daß

32
mir diese Anklage harter und ärger als die vorige schiene. Erwarte auch Ihre

33
Meinung darüber weil ich gern Anlaß haben wollte mich darüber zu erklären –

34
und die Mysterien des Hymens mir ein bequemes Beyspiel zu seyn scheinen

35
allgemein über die Natur der Mysterien zu matagrabolisiren – Halten Sie

36
Wort und antworten Sie auf 3 die auf Ihrem Kerbholtz stehen u erklären Sie

37
mir einmal Ihr
in petto,
von dem Sie einmal schreiben. Grüßen und küßen

S. 185
Sie Ihr liebes Weib und sämtl. Schlafgesindel.
Promte
Antwort und

2
Expedition
auf meine 4
Praenumerant
en u den Anhang. Ueber ein Viertelhundert

3
kann ich nicht absehen u. s. m. Gott empfohlen.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Sammlung Warda (ohne Signatur).

Bisherige Drucke

Wolfgang Stammler, Matthias Claudius, der Wandbecker Bote. Ein Beitrag zur deutschen Literatur- und Geistesgeschichte. Halle an der Saale 1915, 87 f.

ZH III 180–185, Nr. 447.