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S. 167
Kgsberg den 14 März 75.
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Mein liebster Freund Herder,
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Ihr letztes vom 11
Febr.
den 27
ej.
richtig erhalten, Einlagen sogl. bestellt
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und gestern Antwort aus Riga bekommen, auf die ich mit Schmertzen
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gewartet um Ihnen antworten zu können, feige Memme!
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Ihr Glückwunsch in Ansehung des Mannes ist abermal zu Waßer
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geworden – und ich bin entschloßen zu
leiden
und meinen Plan fortzusetzen, so gut
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ich kann. Denn 7 Jahre Uebersetzer gewesen zu seyn und nun zum dritten mal
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Copista,
und zwar
bilinguis
– Ein solch Leben übertrift alle Hirngespinste
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Ihrer Höle.
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Ihre Karoline ist eine Männin und meine Freundin. Die nahe Freude über
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Ihren Buben mit dem Raben Scheitel sollte doch wol das Gleichgewicht mit
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dem Verdruß über entfernte Feinde halten können, wo nicht ein gutes
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Uebergewicht geben. Wer sind denn Ihre Feinde, und was ist
das
es eigentl. das
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Sie von Ihnen befürchten. Ist nicht alles ein Blendwerk eines inneren
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Feindes – und ein blauer Dunst gleich den Leiden des lieben Werthers.
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Halten Sie sich wenigstens an den pindarischen Spruch, daß geschehene
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Dinge nicht zu ändern – und künftige auch nicht in unserer Gewalt – aber
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vielleicht beyde durch die Gegenwart des Glaubens und Vertrauens auf den
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Stifter unsers gantzen Schicksals, welches immer ein Gewebe der höchsten
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Weisheit und Menschenliebe bleibt.
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Artzt
hilft
dir selber. – Freylich befind ich mich auch in dem Fall des
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Unternehmers der die Kosten zum Bau seines Thurms nicht immer genau
gnug
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überschlägt. Unterdeßen kommt man eher mit Ehren durch bey einem Gefühl
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dieses Grundfehlers, das um aufrichtig zu seyn, nicht eben laut seyn darf
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sondern sehr in der Stille geschehen kann und desto glücklicher seine
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Wirkung thut.
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Mir nicht einmal zu sagen, wovon das mit Kleister und Scheere fertige
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Buch handelt, das den 11
pass.
abgegangen? Ob es blos Drohungen sind –
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oder schon wirkl.
voyes de fait,
die Sie so in die Enge treiben. Wer zu seinen
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Freunden kein Vertrauen hat, ist ein Maulchrist. Wer sich vor seinem Freunde
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fürchtet, was für Hertz wird der haben, seinem Feinde zu begegnen. Sie haben
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also von allen Seiten Unrecht und verdienten von Rechts wegen aus dem
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Albo
der Hamannianer ausgestrichen und zu den Mystikern mit dem tummen
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T‥ zu Wandsbeck
classifici
rt zu werden, der als ein
Assmus omnia secum
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portans.
–
S. 168
Ich möchte ihm die Kolbe laufen mit seinen 2
Exempl.
an die Darmstädter:
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so rasend böse bin ich auf den
infamen
Streich. Dem Himmel sey Dank, daß
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er den geradesten Weg, nach seiner Art, über Bückeburg genommen. Kann es
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Ihnen wol einfallen, daß ich an den Layenbruder und
s
die Meerkatze, an
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die ich nicht mehr denken mag, mich zu gl. Zeit zu empfehlen suchen würde,
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welches gegen allen
Wohlstand
und noch mehr gegen den unsichtbaren Geist
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meiner politischen Kannengießerey oder Autorschaft unvergeblich gesündigt
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wäre. Sie werden doch wol nicht so dienstfertig für
Assmi Commission
bey
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Ihrer ungelenken, unebnen,
trägen,
handlungslosen und bildervollen
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Denkungs Art gewesen seyn – Auch selbst in dem Fall wär ich im Stande nach
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Darmstadt zu schreiben, daß er das
Exemplar
wieder ausspeyen sollte, wenn
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es auch von hinten wäre – – Nein,
Claudius
hat keinen andern Auftrag
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bekommen als an Layenbruder u Lavater und etwa an Leßing eins selbst zu
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befördern. Beruhigen Sie mich ja so bald Sie nur können über diesen Punct –
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und weil ich nicht anders vermuthe, als daß die Exempl. noch in Ihren
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Händen sind: so
expedi
ren Sie eins nach D. und das andere an den
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Physiognomisten um ihm Lust auch zu einem Schattenriß meines Kopfs zu machen.
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Ihr Vorsatz sich auf die Fortsetzung der Urkunde einzuschränken gefällt mir.
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Meiners habe auch gelesen mit viel Zufriedenheit. Er thut Ihnen mehr Ehre
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an, als Sie verdienen, sagt Vetter Nabal zu Böhmisch Breda. Und überhaupt
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haben Sie von klein auf bey Ihrer Autorschaft mehr
Glück
gehabt als
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Verstand, sagt abermal Vetter Nabal – Der Mann hat wahrlich nicht immer
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Unrecht, so wenig Sie immer Recht haben können. Blos Ihrem guten Glück
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haben Sie eine Karoline zu verdanken, die vor tausend Weibern werth ist eine
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Mutter von Menschenkindern zu seyn. Geben Sie Ihr die Hosen Ihrer
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Autorschaft, ich meyne die Censur Ihres Styls und ziehen Sie darüber Ihren
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Geschmack und Ihr Urtheil zu Rathe, das Ihnen beßere Dienste thun wird als
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alle Kunstrichter und Freunde, die Sie sich bisweilen wünschen mögen, weil
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Sie kein Duns sind.
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Commißions Rath
Assmus
hat den mystischen Traum gehabt, daß Sie
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mich nach Bückeburg eingeladen und ich die Einladung angenommen hätte.
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Er ist zugl. mir anmuthen ihn ich weiß nicht mehr in welchem Bade auf ein
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Nachtlager und kalte Küche zuzusprechen; weil er diesen Sommer eine Reise
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nach dem Bade thun will, und eine Schwemme vielleicht nöthig hätte.
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Unser Hartknoch will einen französischen Bogen
in petto
von mir
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annehmen über die
Cochenille du Nord ou Coccus polonicus,
weil ich dem Dinge
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gern ein Ende machen wollte und mir die Zeit gar zu lang zu werden anfängt.
S. 169
Wo es nur immer
mögl.
seyn wird bey meiner gegenwärtigen Verfaßung,
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wünsch ich die hierophantische Briefe auch zu Ende zu bringen gegen oder bey
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seiner Ankunft und Hierseyn. Und denn wollen wir sehen ob der preuß. Plan
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dem Deutschen Mercur Krieg oder Bündnis ankündigen wird. Im letzten Fall
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beklag ich die gantze Seite der Hamannianer. Ihre eigene Zurückhaltung ist
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der Grund der meinigen. Beten Sie für einen armen Teufel der keinen
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Augenblick Zeit und Muße übrig hat und heuer 45 schließen soll und endl. gleich
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Fürsten
Orlow Labore et virtute
zum
Chef
einer
Secte
oder Schule sich herauf
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geschwungen hatte, ohne zu wißen ob er wie
Theodor
oder
Paoli
seinen kleinen
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Staat aufgeben soll – und lieber den Plato zu Carlsruh nachahmen als an
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einem
Codex
und
Reformation
arbeiten.
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Anstatt Grillen zu machen, lieber Herder! schreiben Sie mir Ihre
Visiones
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über das
Phaenomenon
– ob ich aus dieser
Idee
des Mercurs
scamnum
oder
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ein Sopha zimmern soll. Sie sehen, daß Ihr Schicksal mehr in den Händen
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Ihres alten Freundes als Ihrer Feinde beruht. Seyn Sie allso gutes Muths.
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Ich werde Ihrem Rath folgen, wie Sie Karolinens Censur.
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Heben Sie Ihr Haupt empor, und halten Sie die beste Welt weder für
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Platons noch Plutons Höle – vielleicht ein Fegfeuer zu einer beßern
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Bestimmung. Küßen und grüßen Sie Ihre Frau und den kleinen Mohrkopf, und
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vergeßen Sie nicht Ihren geplagten, erschöpften, aber an seiner Erlösung und
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Palingenesie
niemals verzweifelnden Palmenfreund am alten Graben
No
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758
Gute Nacht!
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An / Herrn Consistorial-Rath Herder / zu / Bückeburg
franco
Minden
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 118–119.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 131–134.
ZH III 167–169, Nr. 440.
Zusätze fremder Hand
169/23 |
Unbekannt |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
167/22 |
hilft ]
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Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1957): lies hilf Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): hilf |
167/23 |
gnug ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: genug |
167/36 |
portans. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: portans |
168/9 |
trägen, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: trägen |
169/1 |
mögl. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: mögl |
169/23 |
franco Minden |
Geändert nach der Handschrift; ZH: franco mit anderer Tinte: Minden / 35 |