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160/22
Kgsberg den 27 Februari 75.

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„Unser Hänschen hat das Fieber, und Sie haben 2 Briefe bekommen.“ Mit

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diesen Worten bewillkommte mich meine Hausmutter, als sie mir die

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Hausthür zu Mittag aufmachte. Nachdem ich mein Hänschen beklagt hatte, der

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mich nach den beyden Briefen auf dem Fenster zurück wies, fand ich einen

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dicken vom Herder; und einen im Verlegerformat an einen 12
o
Autor vom

28
Bode.

29
Der Herdersche verschwand in ein kaum halb beschriebenes 4 Blättchen

30
dati
rt den 11 Febr.
in tiefer Höle
die er Plato’s nennt ein paar Zeilen

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vorher, aber mir finsterer als
Plutons
vorkam. Die dicken Einlagen waren ein

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gefülltes Schreiben an se Schwester in Mohr. und gegenwärtige. Auf dem

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Couvert
meines
vehiculi
stand
Druck-Sachen
. Ich bediente mich also der

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mir einmal ertheilten
Concession
von meinem Freund und Verleger

S. 161
Hartknoch, theils aus Neugierde wegen der
Etiquette
von Drucksachen
, theils

2
um meine Unruhe über den
geheimnisvollen
und
verschwiegnen

3
Kummer
seines Briefchens.

4
Um meine
Relationem Happelianam
fortzusetzen: so fang ich an die

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erbrochene Einlage zu lesen, wie Apolls Rabe einen gestohlnen Quarkkäse. –

6
Ich glaube wahrlich, daß ich die Augen im Kopf verkehrte über den Anfang

7
und einige Flüche oder Schimpfwörter unter meinem geschornen Barte

8
krümelte. „Mit was für einer offenen heitern
galant
en Mine er an Bruder

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Hartknoch schreibt – und mit Dir stellt er sich so sauertöpfisch und heraklitisch, als

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wenn er Deiner gefurchten Stirn und tiefliegenden Äuglein Trotz bieten

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wollte. Ist ein verwünschter pr – – –
d’etc.

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Je weiter ich las; je mehr vergieng mir Gesicht und Gedult. Mir wurde so

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übel zu Muthe, als wenn Mittags der Tisch noch nicht gedeckt ist – oder als

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wenn man sich an etwas vergreift, wohin man nicht greifen soll, und eine

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Anwandelung von Unruhe darüber fühlt, als wenn einem was ahndet. Ich

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fieng auch an einen Unterscheid der Hand zu bemerken, die mir eben so

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verstellt als sein Ton und Styl vor kam; daß ich, wie bey solchen Gemüths

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Umständen gewöhnlich, das Blatt in der Hand zu wenden und umzukehren

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anfieng und darüber die Unterschrift von
Karoline
Herder eigentlich gewahr

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ward. Wenn es nicht ein Wechsel war, mein lieber Hartknoch, so war es doch

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ein
quid pro quo,
das mich abermal verdroß; denn uns arme Hypochondristen

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verdrüst jede Fliege die auf unserer und unsers Nachbarn Nase sitzt und wenn

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es auf uns ankäme, würde es im gantzen Jahr so leer von Fliegen und

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Brimsen seyn als beym gegenwärtigen Schluß des kleinen Hornungs und um

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Fastnacht.

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Nun weiß ich nicht, ob Ihre mir ertheilte
Concession
mich um ihre

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Bückeburgsche
Correspondentz
bekümmern zu können, sich auch bis auf die

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allerliebste Karoline
erstreckt, die wie eine Männin denkt und schreibt,

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unterdeßen der liebe Mann seiner Heerde die Rolle des Herkules bey der Spindel

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spielt. Weil Sie ein Freymäurer sind dem man ein wenig Verschwiegenheit

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zutrauen kann; so bitte der
Me Hartknochin
von diesem Vorfall nichts zu

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entdecken; damit Sie nicht auf den Argwohn verfiele, daß ich das offene

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Briefchen an Sie eher als Ihr lieber Mann gelesen hätte; welches eine unvergebl.

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Nasenweisheit mir ausgelegt werden könnte.

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Heute auf den Abend als ich zu Hause kam, erfuhr ich mit viel

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Zufriedenheit daß Hänschen von Mittage bis nach 5 in einem Schlafe gelegen hatte.

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Nun Gott Lob! sprach der Hausvater! und sah nach seinem Lehnstuhl, wo er

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ein Pack gewahr ward.
Kinderchen frug er, was ist das
– mit dem

2
Zeigefinger ausgestreckt.
Heute sind Sie recht glücklich, versetzte die Hausmutter.

3
Mad
e
Rappoltin
hat es hergeschickt nebst einem Fäßchen
Caviar.
„Ha!

4
ha! das ist gut.“ Nun, mein lieber Hartknoch! die Hälfte ist bereits beym

5
Schluß der ersten Seite statt eines
Intermezzo
verzehrt, und ich hatte alle Gewalt

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mir anzuthun nicht das morgende
Dessert
zu
anticipi
ren. Mein Hänschen,

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der den gantzen Tag gefastet, hat wie ein kleiner Mann mitgemacht und hat

8
mir nicht gnug zu
erzählen
– (ist er nicht seines Vaters Sohn? werden Sie

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mir ins Wort fallen) – und zu beschreiben gewust, wie leicht von Beinen und

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Gemüth er sich nach seinem heutigen Fieber befände, und daß er, wenn er

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gesund wäre, viel schwerfälliger und unlustiger sich fühlte.

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Nun, lieber Herr Verleger! Herders Einlage und Ihr
Caviar
kommt mir

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recht zu paß um mein Gelübde nicht mehr zu schreiben sondern Ihre Ankunft

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ruhig zu erwarten, mit Ehren und Anstand brechen zu können, weil ich

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bereits ein paar Tage im Sinne an Sie geschrieben.

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Ohngeachtet ich bereits vorige Woche den Anfang zu den hierophantischen

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Briefen gemacht und ich gern dieser Bürde meines Gehirns entledigt zu

18
werden wünsche: so haben doch gantz
neue Begebenheiten
auf dem Parnaß und

19
an unserm
politischen Horizont
, an dem ein paar
Gestirne eclipsirt
seyn

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sollen, eine gantz neue Reyhe von Gedanken in mir hervorgebracht. Weil ich

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von StaatsSachen lieber hören als reden mag: so will ich mich blos bey den

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ersteren aufhalten.

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Sie werden vermuthlich aus der neuen Hamb. Zeitung oder dem

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Wandsbecker Boten bereits erfahren haben, daß der deutsche oder Weiland – Wieland

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– Weimarsche Mercur mich zum Oberhaupt einer sehr ansehnlichen Secte und

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Schule unter den schönen Geistern des deutschen Parnaßes
crei
rt und

27
proclami
rt hatte; und daß Klopstock, Herder, der dänische Resident zu Lübeck,

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der große Bode zu Hamburg, der dramatische Thavmaturg an den Ufern

29
Mayns
ppp
als freiwillige Partheygänger meiner Standarte geschworen

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haben und leidige …
aner
geworden sind, so wenig auch diese Endungssylbe

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recht zu meinem ehrlichen Namen gefällt. Weil mit dem erhabenen Pindar

32
aber zu reden geschehene Dinge nicht mehr zu ändern sind und des einen Glück

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des andern Unglück seyn muß, so kommt es nunmehr ledigl. auf die Kunst

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an, daß die
respect
ive
Interessenten
sich in beydes gehörig zu schicken wißen;

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und meine Magie hat nunmehr eine größere Schaubühne bekommen, als ich

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es je hätte wünschen können.

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In Rücksicht dieser großen Staats
revolution
auf dem Parnaß, wobey es

S. 163
wie Sie leicht erachten können, an
Intriguen
und
Confoederationen
u

2
Insurgenten
und
Factionen
und Spaltungen nicht fehlen wird, und in

3
Rücksicht mancher andern Umstände, die ein kluger Autor keinem
Amanuensi,

4
wenn er auch sein Busen Freund, Gevatter
p
wäre, mit gutem Gewißen

5
anvertrauen kann, nehme ich mir die Freyheit, liebster Hartknoch! Sie an Ihre

6
geneigte Anerbietung zum Verlage einer französischen
Breloque
zu erinnern,

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mit der es jetzt Zeit wäre hervorzurücken, aber unter folgenden Bedingungen

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1.) daß sie so viel mögl. unter dem strengsten Siegel des Geheimnißes

9
abgedruckt würde, und kein einziges Exemplar als mir allein ausgeliefert

10
würde, wenigstens vor der Hand und bis zu meiner Bewilligung über

11
die Gränze käme.

12
2.) daß ich die
Correctur
vorher davon zum durchsehen bekäme und

13
3.)
höchstens
fix und fertig von Ihnen
mir
Selbst mir überbracht

14
werden könnte.

15
Ich erwarte hierüber Ihre Ehrenerklärung wo mögl. mit der nächsten Post,

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und werde mich alsdenn sogleich daran machen um Ihnen das kleine
Mst.

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ins reine zu bringen. Warum sollte es mir nicht vielleicht mit Gottes Hülfe

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gelingen ein wenig Einfluß in unsern politischen Horizont zu gewinnen, da

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ich so glückl. im Parnaß gewesen bin, und vielleicht hat mich der
Wahrsager

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in Bückeb. nicht umsonst seinen treuen, trauten Silen, Pan und Orpheus

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genannt. Antworten Sie ihm bald und stärken Sie seine laßen Autorhände.

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Ich werde es ihm übermachen. Ein
Couvert
und spanisch Lack können Sie

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ersparen. Antworten Sie Ihm bald, weil ich mit meiner Antwort auf die

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Ihrige warten werde. Und auf mein Gewerbe zum Verlag erwarte ein so

25
deutliches Ja! als
Me Hartknoch
damals verlautete, ohne leider! dabey

26
gewesen zu seyn; welches sich durch keine Familien Grundsätze entschuldigen

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läßt. Die Wehen dafür werden auch nicht ausbleiben! und daß sie sich bald

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aber dabey zu rechter Zeit einstellen und aufhören, damit das Mährchen mit

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dem zweyten Theil zu Ende käme, wünscht zur geruhsamen Nacht Ihre

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ergebene Dienerinn

31
Sibylla Adelgunda


32
Postscripte ob fugam vacui
.

33
Das durch
Me Rappolt
mitgebrachte
Paquet
war das
Supplement
des

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Sophrons nebst einem Dutzend Selbstgespräche und Nicolaischen Antworten.

35
Aber keine Zeile von dem Hintz.

36
Zu Ihrem Fäßchen
Caviar
erwarte auch noch ein
Postscript
zum
Proficiat

37
des genoßenen.

S. 164
Das
Dictionnair des Finances
müßen Sie noch nicht erhalten, noch
le

2
Christianisme devoilé. p
Sonst hätten Sie letztere bey Ihrer Durchreise mit

3
wieder nehmen können.

4
Herder schreibt mir, „ein Buch, mit Kleister und Scheere fertig den 11
huj.

5
abgesandt zu haben mit dem
Parthis mendaciore voto,
daß es das letzte

6
wäre, so er schriebe. Die
Volkslieder
nimmt er zurück. an Fortsetzung der

7
Prov. Blätter denkt er nicht. Er will und muß sch
reiben
weigen. Urkunde

8
ist etwa das einzige, das er liefern möchte. – – Um uns ist Nacht, schliest er,

9
lieber H. bittet Gott daß er die Nacht ende und was er gewiß thun wird in

10
Licht aufkläre. Wird mein Auge Licht seyn, wirds auch mein Styl werden:

11
er ist von Nichts als meiner ungelenken, unebnen trägen, handlungslosen

12
und bildervollen

13
velut aegri somnia
in Platos Höle

14
Denkart Zeuge. Helfe mir Gott! lebt wohl, treuer treuer
etcetera.

15
Dat.
den 11
Febr.
in tiefer Höle.

16
Sehen Sie, liebste
Madame
Hartknochin! so geht es allen jungen Frauen.

17
Unser liebe Verleger wird sich noch der Zeit erinnern, wo er den

18
kreutzziehenden Philologen kreißen hörte: Da es mir allso gehen sollte, warum bin ich

19
Autor geworden.

20
Unterdeßen Sie mit
Md
e
Carolina
Herdern in Briefwechsel gerathen sind;

21
hat die Sibylle Adelgunde das Vergnügen gehabt den 23
huj.
ein

22
Handbriefchen von der Frau Gevatterin
Anna Rebecca Claudius
zu Wandsbeck
ein

23
Handbriefchen
zu erhalten, das so zärtlich, schmeichelhaft und kützlich als

24
wenn’s von einer Sappho
geschrieben
oder an einen jungen Stutzer

25
geschrieben wäre.

26
Was Karolinchen mit dem Schlage auf die Schulter meynt, den Sie vom

27
bösen Hamann sich rühmt empfangen zu haben und mit was für

28
Wahrscheinlichkeit Sie sich mit einem
höltzernen
Gefäs vergleichen kann. Diese beyde

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Puncte sind für mich
poetische Wäldchen

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Küßen Sie Ihren Schatz so oft wie meine Gevatterin Anna Rebecca – und

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sorgen Sie wie unsre ehrwürdige Freundin Caroline, daß unser liebe Verleger

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nicht in einen zu starken Schweiß über
das
meine sibillinische Briefe und

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ihre Antworten geräth. Aber sorgen Sie dafür, daß ich mit nächster Post ein

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Dicat
Ja! auf meine französische
Breloque
erhalte.

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Schlafen Sie recht wol. Sela!

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.

Bisherige Drucke

Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, II 159–164.

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 76–79.

ZH III 160–164, Nr. 437.