441
169/26
Von Hamann:
Erhalten den 5 April


27
Sogleich antworte ich lieber H. den 25 Mz. da ich Ihren Brief
bekomme
. Er

28
ist völlig Abdruck Ihrer Seele, die sich, nicht eben auf die gründlichsten

29
Stützen, mit Herkuls Kraft und Freundes Herzen ein ungeheures Gothisches

30
System baut.

31
Die
Προλ.
an Darmst. sind nichts weniger, als versandt. Auch der Eine

32
Namen ist nicht Claudius, sondern mein Einfall, weil ich sonst nicht 2.

33
ausfindig machen konnte; vergeben Sie also dem läßigen Wansb. Jeder trägt

34
seinen Höcker. Die Ex. sollen gleich nach Darmst. u. Zürich hin, obgleich

35
Lavater
noch
viel zu plan ist, als daß er
Sie
faßen könnte.

36
Die Murmelung der Sibylle über die Ehe ist uns durch Rebekka Klaudius

S. 170
worden. Karoline Herder dankt der alten Mutter und hats sehr für, was sie

2
in Murmelung u. Hieroglyphen sagt, in That u. plane Wahrheit zu

3
verwandeln. Hier also hat Kl. nichts versäumet; züchtigen Sie ihn also nicht zu hart.

4
Auch Ihr Kummer über meinen Embryon unter der schwarzen Hebamme

5
Händen ist, lieber H., unnoth. Es hat weder mit Krethi noch Plethi zu schaffen,

6
sondern ist eine Theologische Schrift in meinem Beruffe, wo ich also

7
wenigstens ehrlich strebe. Was hätte ich Ihnen vorruffen sollen „neue Magier aus

8
Orient sind erschienen! Wir haben ihren Stern gesehen!“ ob ich gleich also

9
manchmal im Ersten Taumel meiner Freuden wähnte. Jetzt ist das

10
goldne Kalb so oft umgegossen u. steht so hölzern da, daß ich kein Wort zu

11
sagen vermochte, das
s
Sie nicht verführt hätte. Was konnte ich also thun,

12
als schweigen! –

13
Nicht Mißtrauen ists also, lieber Vor- u. Mitstreiter, daß ich Ihnen nicht

14
plauderte: sondern Scheu, Ihren Bucephalus zu verführen u. Demuth. Es

15
ist vielleicht das Erste Werk, wo Sie sich weder über Bilder noch Schnörkel,

16
noch unebne
αλλοτρια
zu beklagen haben werden. Ich reite auf
Einem

17
Eselsfüllen, oder dem Höcker meines Kameels auf seiner heiligen Wallfahrt: lockt

18
mich ein Irrlicht, so kommts doch zu stehen, wo
Er war
. Also
kann
wird

19
mich das Glück der Aufnahme nicht ärgern, und das Unglück derselben nicht

20
fre
uen
können. Ich ziehe
χρηματισϑεις
meine Wege wieder heim! –

21
Terror panicus
vor meinen Feinden? – auch ich muß Sie eben fragen: wer

22
sind sie? Ich gehe meinen Gang fort. Selbst das berüchtigte Stück Ihres

23
Merkurs habe noch nicht gelesen! Und meine Ruhe ist nicht Träge, sondern

24
Handlung
! so unsichtbar sie ihnen seyn mag.

25
Freilich ists abzusehen, daß der Sproße der todten Wurzel aus Berl. HE.

26
Fr. Nikol. mit der Weide an Waßerpfützen Weimars sich zusammen thun

27
werde; oder sie sinds vielmehr schon lange. Er zog ja schon mit seinem

28
Sebaldus unterm Arm hin, sich u. denselben in eigner Person zu empfehlen;

29
und was wird der
Freudenmacher
Werther nicht thun? Daran ist nicht zu

30
zweifeln; aber auch dünkt mich, nicht zu rügen. Das geht mit der Meße über

31
u. die Herrn richten sich selbst.

32
Mir kommts vor, lieber H., als wenn, was Sie mir, ich Ihnen viel eher

33
sagen könne: nehml. daß Sie dem Publikum
verrathen
. Wo habe ich mich

34
mit einer Zeile beklagt, daß
S
die Urkunde nicht wohl aufgenommen ist

35
(sie ists würklich viel über
Verdienst!
)
u. die Gegenrede muß ja dazu würken!)

36
thuts nicht aber
Zacchäus
? – Ich gehe auf meinem lastbaren Theologischen

37
Wege, aller Kritik- Merkur- u. Romanhelden unbekümmert, fort, u. der

S. 171
Himmel weiß, wie ich mit mir arbeite! (Daß sagen Sie bei Gelegenheit Vetter

2
Nabal, ohne daß ihm sein Herz ersterbe). Der gröste Theil Ihres Briefes ist

3
also für mich
fremde Sprache
, die mir als Spiel Ihres Geistes u. Herzens

4
gefällt, im Munde süß ist, aber im Bauche krümmet! oder
v
ice
v
ersa
.

5
Wie Sie
aber
Meiners mit Vergnügen haben lesen können! begreife ich

6
auch
nicht. Es ist doch lauter Schlötzerianismus histor. Kritik! d. i.

7
dummdreister Blindschleich- u. Maulwurfsgang auf- u. im Staube der Erde, damit

8
oben die grosse Sonne ja nicht leuchte! –

9
An meinem Weibe hab ich allerdings mehr
gefunden,
als ich werth bin:

10
sieht
Sie
aber nicht Ihre Sibylle des Ehestandes, daß
eben
deßhalb
die

11
Autorhosen in ihrer Hand weniger Wunder thun können? Wie, wenn sie mir

12
zu nahe steht, zu sehr an meinen Ausdruck etc. leider gewöhnt ist?
oder

13
vielmehr wenn ihrer
nicht
ist wie der Meinige, sinds doch immer meine Schriften.

14
Dank indeßen für guten Rath! Bei der letzten Schrift hat sie das
vidi

15
gegeben! – Zween
Andre
oben drein: der Eine, Franzose in allem Züchtigen des

16
Geschmacks! Der andre, Theologe mit allem Lahmen der Orthodoxie: was

17
konnte mehr geschehen? – – –

18
Ich freue mich, daß Hartkn. zu Ihren Geburten sich nahet, u. hoffe, daß

19
auch deßhalb seine Ankunft hieselbst mir
fruchtbar
seyn werde, an
dem,
was

20
er
mitbringt
. Laß er so denn Ihnen entgegen spediren was Er hat. Einen

21
langen Brief erwarte gewiß.

22
Unser Bube nimmt herrlich zu! Er ist
täglich
Uns Morgen u. Abendsegen! –

23
Htkn. wird sich sein freuen!

24
Allerdings freuten wir
Uns
auch
über
, wenn Sie kämen: aber das ist

25
doch nur ein mystischer Traum des W.Boten! – Gut auch noch, daß ers

26
bleibt: wir
werden
uns einst
beßer
finden
!!! –

27
Nun habe ich gnug gebrummet: laßet mir einen Spielmann kommen, daß

28
der Prophet freudiger schließe.

29
Ein Bauer in der Schweitz hat über meine
älteste
Makulatur des Mschl.

30
Geschl. einen Brief in
Sedez
geschrieben, der mir durch Lav. zu Händen

31
gekommen, u. mich über das
minimum
derselben, was jederzeit das
optimum
ist,

32
sehr gedemüthigt u. sehr erhoben hat. Htkn. solls in Orig. sehen u. Ihnen

33
sagen. – Die Provinzialbl. – hätten sie kein Glück u. kein Verdienst weiter, so

34
haben sie mir einen Sterbenden Nachbar Nabal zum Freunde gemacht, deß

35
letztes Wort es war, als ich ihn sah, mir dafür zu danken. Die Philos endlich –

36
hat die Leute wenigstens überzeigt (sagen sie), daß ich verständlich schreiben

37
kann – u. das ist gnug! Wer da glaubt, daß ich nach
Einer
Streichelung des

S. 172
Publikums lüste, der ist gerade mir entgegen. Je mehr Sie mich lieben, mein

2
Fr., desto mehr laßen Sie mich vertheidigend ruhn, bis ich Ihrer werther werde.

3
Bibel ist jetzt mein einziges Studium. Auch das Hebr. such ich aus
seiner
der

4
Asche hervor: und Sie werden bald davon Proben sehen. Ich arbeite aber

5
nicht für Proben, sondern für mich selbst.

6
„An Se. Durchl. den reg. Gr. zu Schaumb.“ hat „Deroselben

7
unterthänigster Diener Fr. Nikolai“ Die Freuden des jungen Werth. gesandt, die

8
auch sehr gnädig aufgenommen sind, obwohl HE. Fr. Nikol. seine nähere

9
Absicht damit nicht erreicht hat. Der Streich ist so wohl
abgemerkt
gewesen,

10
daß er ganz
unbemerkt
vorbei gegangen, was mich sehr dauret. Sie müßen

11
ja dies herrl. Erfindungsvolle Buch lesen.

12
Der Einzige, der mich, wohin er sich schlage? intereßirt, ist
Leßing
. Aber

13
auch bei dem ists, aus seinem neuen
Beitrage
abzusehn, daß er seine geliebten

14
Deisten
nicht verlaße. Auch er bleibt also, wo er ist. – Gott helf’ Uns allen!

15
Mein Weib ehret Sie herzlich u.
hat sehr u. völlig
nahm äußerst Ihre

16
Parthei, da mir eben der Brief, auf den ich jetzt antworte, zuerst fremd einging.

17
Sie ist mir jetzt, wie die Ihre,
Frau
,
Mutter
,
Köchin
,
Kinderwärterin
u.

18
– soll auch
Autorin
werden, wie Sies wollen. Tausendmahl wohl, mein

19
lieber
leidender
H. Gott setze Sie für Ihre Degradation hoch auf!!!

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 120–121.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 134–137.

Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 93–96.

ZH III 169–172, Nr. 441.

Zusätze fremder Hand

169/26
Johann Georg Hamann

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
169/27
bekomme
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
bekome
169/35
Sie
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
sie
170/16
Einem
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
einem
170/18
Er war
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Er war
170/20
fre
uen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
freuen
170/35
Verdienst!
)
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Verdienst!
171/9
gefunden,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gefunden
171/10
deßhalb
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
deshalb
171/15
Andre
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
andre
171/19
dem,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
dem
171/24
Uns
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
uns
171/26
beßer
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
beßer
171/26
werden
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
werden
171/29
älteste
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ältste
171/30
Sedez
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Sedez
171/37
Einer
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
einer
172/3
seiner
der
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
der