421
124/24
Königsberg den letzten
Novbre
74.
25
Mein lieber Hartknoch,
um 11 Uhr Mittags.
26
Hier saß ich in voller Andacht und brachte 12 Zeilen ins reine in meinem
27
Sibyllen Versuch über die Ehe – als der Postbote mit Einlage erschien, die ich
28
wo mögl. gern mit heutiger Post
expedi
ren
s
wollte.
29
Ich hatte nur den 26
huj.
den Sonnabend vor dem 1. Adv. einen Brief von
30
ihm gehabt, worin er mir meldete daß ein
Correctur Exempla
r der
31
Zacchä
ischen
Prolegomenorum
über die älteste Urkunde ihn am 24
Dom. p. Trin
.
32
eben da er zur Kirche gegangen, überrascht hatte.
33
Gegenwärtige Einlage ist die Wirkung des von Ihnen mitgetheilten
34
Auszuges und hat mich sehr gerührt 1.) daß er in seinem Posten so fest als ihm
35
nöthig
und lieb ist, sitzt 2.) daß er den kleinen
abusum
Ihrer Freundschaft
S. 125
mir selbst nicht zur Last legt 3.) daß er immer sich und mich verwechselt bis
2
zum Lächerlichen. Ich wünschte eben so gern Ihren Brief erbrechen zu können
3
– und vielleicht thue ich es noch bey reiferer Ueberlegung – als Ihnen den
4
meinigen zu lesen zu geben.
5
Antworten Sie ihm doch mit ersterer Post, weil ich nicht eher schreiben will,
6
bis ich kann. Ich bin halb krank von Flüßen, halb krank von Ungedult; weil
7
ich alle Augenblicke einen jungen
Martin
oder eine kleine
Magdalena
8
erwarte. Der
Termin
ist vorbey, vielleicht bekomme ich gar ein paar Zwillinge,
9
je mehr desto beßer. Nach Art der Wilden muß ich
Couvade
halten, und hab
10
mir acht Tage
Permission
vom
Bureau
gebeten.
11
Die Lüsternheit kam mir wie einem schwanger Weibe an zu versuchen, ob
12
ich nicht etwas von dem Innhalte der Beyl. stehlen könnte; aber er hat ihn
13
inwendig verlackt und also nicht gewollt, daß ich
daran
zu viel Theil
14
nehmen soll, an dem w
orinn
as Sie als Heeler und Stehler, als Verleger und
15
Autor unter einer Decke spielen.
16
Herder hat also den kleinen
Zacchaeum
8 Tage eher als ich erhalten. Dies
17
ist freylich ein klein Vergehen von Bode und Claudius, das ich nicht
18
ermangeln werde Ihnen aufzumutzen, womit ich aber im Grunde sehr zufrieden
19
bin. Ersterer hat mir so freundschaftlich und demüthig geschrieben, daß es mir
20
nicht möglich gewesen ihn mit dem Stabe wehe! zu antworten. An
Claudius
21
habe ich noch garnicht schreiben können und weiß mich nicht anders an dem
22
armen
Dorfteufel
zu Wandsbek zu rächen, als daß ich ihn zu Gevatter bitten
23
will Ihn oder sein Bauer Mädchen – oder alle beyde, wenn das Glück gut ist.
24
Da ich den
Zacchaeum
schon aufgegeben hatte, da er den Beyfall meines
25
Herders wenigstens halb habe: so geht es mir wie den lieben Jungfern, die
26
wenns
Gottes Wille
ist, lieber einen Mann nehmen als nicht nehmen.
27
Erlauben Sie mir also ein Wörtchen von meiner kleinen Autorschaft mit Ihnen
28
zu reden. Es scheint, als wenn der
Versuch über die Ehe
wol noch mit diesem
29
alten Jahre zu stande kommen möchte. Ich habe den Anfang in Ihrer
30
Hochzeitwoche
gemacht und bisher sehr wenig
i. e.
ins Reine aber desto mehr
i. e.
31
ins Klade daran geschrieben, daß ich nach der Mühe die es mir gekostet und
32
noch kosten wird einen so kleinen
Embryon
zu liefern, nicht anders als etwas
33
eitel und zuverläßig von deßen Tugend und Krafft muthmaßen muß. Wünsche
34
daher, daß Sie auch das Ihrige dabey thäten es so
correct
und
niedlich
als
35
mögl. zu liefern. Um das erste zu erreichen, wären
Correctur
bogen
36
unumgängl. und daher wünschte ich, daß es dort gedruckt werden könnte. Nun ist
37
die Frage wegen des letzten Beywortes, ob es sich in Ihren Gegenden thun
S. 126
läßt. Meinen Sinn darüber will ich Ihnen mittheilen und erwarte darüber
2
Ihre Erklärung und Antwort.
3
Das Format und die gantze innere Einrichtung sollte nach dem beym Voß
4
gedruckten Versuch der Ehe seyn. Mit einem Randchen eingefast, der
simpler
5
seyn könnte; die Typen könnten auch allenfalls ein wenig größer und der
6
Druck weitläuftiger oder wie mans nennt gesperrter seyn. Aber ein wenig
7
Gold verlang ich schlechterdings auf dem Titelblatt. Daß es dergl. Titel
8
giebt, verweise auf des Königs Kriegeskunst im Deutschen wo im
9
Namenszuge Gold angebracht ist. Eben so wollte ich auf den Rand oder die Umfaßung
10
des Titelblattes einige Gold-aderchen angebracht wißen.
Quaeritur:
ob dies
11
practicable
ist? In Leipzig freylich; aber dort? Ueber 2 oder 2½ Bogen
12
möchte das Thierchen wol nicht laufen, und es ist auch nicht mögl. mehr in
13
einem so ebentheuerl. Ton zu bestreiten weder im Schreiben noch Lesen. Da
14
Sie einen
Quartanten
über das erste Kap. der
Genesis
ausgegeben; so gehört
15
Ihnen auch von Rechts wegen dieser kleine
Commentar
über das 2te Kap.
16
Urtheilen Sie selbst, ob Sie auf viel Leser Rechnung machen können, wenn
17
Sie es werden gelesen haben. Ohngeachtet mir Ihre Hochzeit die Idee dazu
18
gegeben: so würde Ihr Name doch schwerl. darauf stehen können; denn es ist
19
mehr als
Wilkes Essay on Woman.
20
Antworten Sie doch unserm Bückeburger so bald als mögl. und ich
21
wünschte, daß Sie es eben so als mit voriger Antwort an ihn machten, ihn durch
22
HE
Laval
an mich
addressi
ren ließen falls ich zugl. mit antworten kann.
23
Benehmen Sie ihm alle die Grillen von
Conspirationen
in Babel. Wenn Sie
24
nicht bey dem ersten Bande ss 4
to
Schaden gehabt haben, und
NB
selbst in
25
diesem Fall rath ich Ihnen, um sich schadlos zu machen, halten Sie ihn mit
26
Nachdruck zur baldigen Lieferung der letzten Hälfte an, doch unter der von
27
ihm selbst bereits entschloßenen Bedingung, sich des polemischen
Tons
28
so viel mögl. zu enthalten, mit mehr Fleiß zu schreiben und weniger Stärke
29
und
Singularität
im Ausdruck zu
affecti
ren, sich mit keinen Apologien und
30
Nebendingen aufzuhalten, sich seines ganzen Krams so gut er kann zu
31
entschütten und zu entledigen – und hierauf sich selbst auszuruhen und das
32
Publicum ausruhen zu laßen.
33
Ich habe seine Philosophie der Geschichte wider meinen Willen in
E
34
einem Abend zum zweyten mal gantz durchgelesen; ich habe vorigen
35
Sonnabend seinen
Torso
den ich vom Buchbinder zurück erhielt und als ich seinen
36
ersten Brief erhalten habe, von neuen gelesen.
37
Er gesteht mir gegenwärtig 3 Briefe an Spalding aus einem
egarement
S. 127
du coeur,
wie er selbst ziemlich glücklich nennt geschrieben zu haben und
2
meynt:
hinc illae lacrumae.
Dieser Schluß kommt mir als ein
egarement
3
de l’esprit
vor. Seine ProvinzialBlätter habe noch nicht vom Buchbinder
4
erhalten können; ich habe sie flüchtiger als das erste durchgelaufen. An einigen
5
Stellen schien er mir seinen Styl sehr glücklich verleugnet zu haben. Die
Idee
6
des Titels
gefällt mir eben so wenig als das Torso.
7
Er redt mir in seinem ersten Briefe vom 14. Nov. von einem Vorfall, der
8
ihn in Leid, Kosten und Mühe versetzt den heil. Abend des
XXIV. p Dom.
u
9
worüber ihn der kl.
Zacchaeus
durch seine Ankunft mitgetröstet.
Ich soll
10
aber nicht eher erfahren
,
biß es geschehen
. Dies sind se. eigene Worte.
11
Wenn es
geschehen
seyn wird; so mag es weder ihm noch mir helfen, daß ich
12
es
erfahre
. Es geht gegen die Poststunde und weil meine Botin nicht zu
13
HE
Laval
zu finden weiß, muß ich zu HE
Rappolt
meine Zuflucht nehmen.
14
Umarmen Sie Ihre liebe junge Frau und melden Sie Ihr, daß die Hexe
15
am alten Graben – und daß sie Ihr eine baldige und glückl. Nachfolge
16
wünscht. Und hiemit Gott befohlen. Es ist nicht Jedermanns Ding, sagt der
17
kleine Buchstabe h. wie eine Sibylle zu schreiben. Nun leben Sie wol lieber
18
Hartknoch und seyn Sie
in spe beatus.
Grüßen Sie Ihr gantzes Haus und
19
Ihre?
die gute Wittwe, und hiemit Gott empfohlen. Antworten Sie auch
20
und seyn Sie kein Fisch im Sande wie der kleine Buchstabe
q
in Mitau, den
21
sich ein Papiermüller in West Preußen zu seinem
Adiuncto
verschreiben wird.
22
Par nobile fratrum.
23
Adresse mit Mundlackrest:
24
Herrn / Herrn
Hartknoch
/ in
Riga
.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 110–112.
ZH III 124–127, Nr. 421.