411
S. 102
Kgsberg den 26
Aug.
74

2
Liebster Herder,

3
Unser Freund Hartknoch weckte und klingelte mich heute des Morgens um

4
5 Uhr auf – und ich will mit ein paar Zeilen an Sie Feyerabend machen Zugl.

5
für mein 44 Jahr.

6
Ich bin diese Woche in halber Trauer gegangen um einen Mann, der sich

7
um mich verdient gemacht, unter anderm auch dadurch, daß ich ihm ohne ihn

8
zu kennen meinen Dienst bey der
Regie
zu verdanken habe. – Es ist der

9
Gh. R.
Jacobi
der heute begraben worden. Meinen morgenden Geburtstag

10
will ich in gantzer Trauer feyren, und mein kleiner Johann Michel hat den

11
130
ψ
auswendig gelernt und wird mir die Freude machen ihn aufzusagen

12
zum Frühstück.

13
Hartknoch holt sich ein Albertinchen, wie Sie bereits wißen. Er hat mir ein

14
ansehnl. Geschenk seines Verlages mitgebracht, das ich ohne Bedenken

15
angenommen –

16
Morgen vor 8 Tagen erhielt ich einen Brief, abermal
sine die et consule

17
aus Bückeburg nebst einem Stück Pompernickel. Ich lief noch denselben

18
Abend nach der Stadt um den Mann aufzusuchen, den ich unter einem

19
Platzregen begegnete und mit ihm bis ins 3te Stockwerk bey
Remus
stieg. Aber

20
der Pompernickel war verschimmelt und der Brief vom
Xbre
773 alt, wie ich

21
nachher aus
D. Pegelow
Reise
Journal
mir von seiner eignen Hand

22
bescheinigen laßen. Der ehrl. Mann hat mich 2mal besucht und wir haben als gute

23
Freunde den 17
huj.
Abends bey einer
Bouteille
Bier u einem Pfeiffchen nach

24
Nordischem Gebrauch uns einander empfohlen. Er hat auch unsern unartigen

25
Claudius
u sein Bauer Mädchen in Wandsbeck besucht. Bitte also künftig

26
immer ein Stück Pumpernickell durch beßere
Commissionairs
zu bestellen, die

27
nicht Jahr u Tag zur Kluft zwischen uns nöthig haben.

28
Sie sind also in Pyrmont gewesen, und haben da lange Weile gehabt – und

29
noch keine an mich zu schreiben oder mir zu antworten.

30
Hartknoch hat mir 2 kleine Neuigkeiten mitgebracht. Eine
Recension
Ihres

31
Bereschit
s vom Hamb.
Correspondenten,
der Ihnen einen Fehler vorwirft,

32
den ich auch erkannt in Ansehung der Herleitung des
רקיע
von
רקק
.
Ich

33
weiß nicht, womit Sie ein so augenscheinl. Versehen rechtfertigen
können

34
Das 2te war die Abschrift einer Kieler
Recension
des Buchstabens H, die

35
ich wegen ihrer Kürtze und
Naivetät
abschreiben will. „Erst ein Streit gegen

36
einen so genannten außerordentl. Religionslehrer C. T. D. über den

S. 103
Gebrauch des Buchstaben H in der Mitte u am Ende der Wörter. Dann eine

2
Apologie deßelben Buchstaben von ihm selbst. Der erste, voll von seichtem und

3
übel zusammenhängendem Geschwätz. Die andere wahrer Unsinn. Zum

4
Beweis des letztern dient folgende Stelle, da der Buchstabe also schreibt: „Mein

5
Daseyn u meine Erhaltung
pp
Kieler Gelehrte Zeitung im 29 Stück.
Sie

6
sollen in eben der Zeitung oder Ihr Buch, vermuthl. nach gl. Zuschnitt

7
beurtheilt seyn (u dies ist vielleicht die
Recension
worauf der liebe
Commissions

8
Rath
Asmus
zielt) und einige Stücke
d
nachher
meldet der gelehrte
Recensent,

9
daß er eben
erfahren
wie Herder über die Urkunde u Hamann über den

10
Buchstaben H geschrieben. Nun, lieber Freund, was Gott zusammenfügt – –

11
Ich habe Ihre älteste Urkunde vom 5
Junii
biß zum 10
Jul.
alle Sonntage

12
ein
Pensum
gelesen und damit in der Judittschen Mühle geschloßen, wo ich

13
die erste Sommerluft mit meiner gantzen Familie genoßen. Ich habe Ihrem

14
Wink mich an das erste Buch zu halten gefolgt, den ich mir in der Folge noch

15
beßer zu Nutze machen werde – aber fast gar keinen Vortheil von dieser

16
gantzen Lesung gehabt – Mein Kopf scheint nichts so gut als im Gantzen zu

17
faßen. Selbst die dunkeln Anspielungen, worüber ich Erklärung von Ihnen

18
bat, sind mir entwischt, ohngeachtet ich ein Blatt weiß Papier und Dint u

19
Feder beym Lesen zur Hand gehabt. Ich habe fast nichts als das
datum
jedes

20
Pensi
aufgezeichnet, und 2 Stellen. Sollen K. und W. in der note
a.)
p.
154.

21
doch nicht Kant u Wieland seyn Wer ist der
Meiners
?
a.)
p.
299 Ich habe

22
von einem eine heb. Sprachlehre. Ist das derselbe oder wodurch ist er sonst

23
bekannt.

24
Damit ichs nicht vergeße, liebster Freund, aus ihrer Beyl. bitte ich mir noch

25
eine kleine Erläuterung über den Ausleger der
7 Augen
im Stein. Wo findt

26
man das? Das Licht des Tages geht aus –


27
Den 28
Aug. XIII Dom. p. Tr.

28
Heute frühe habe Hartknoch und die gute Fr.
D. Hummius,
seine

29
Reisegefährtin bey
Rappolt
besucht. Ich kenne die Braut noch nicht, aber die Wahl

30
scheint mir glücklich zu seyn. Ich wünsch ihm alles Gutes; er hat mir ein

31
weidliches Geschenk von seinem Verlage mitgebracht ohne zu wißen warum

32
noch wozu? Ihr
Torso
auf Abbt ist auch darunter, und nun bin ich froh Ihre

33
Werke
complet
zu haben bis auf die neuesten, welche ich mit Ungedult

34
erwarte.

35
Haben Sie die
Hexe von Kadm
. erhalten; meine Uebersetzung und das

36
Mancherley und Etwas
von dem
heillosen
Bode, an dem ich Sie und mich

S. 104
werde rächen müßen. Der
Commißionsrath Aßmus
hat sich bey mir mit

2
Frau u Kind zum Besuch angemeldt. Wenn er aber sich nicht
ver
s
besert
; so soll

3
er schlechte Tage bey mir haben und ich will ihm den Brodtkorb hoch gnug

4
hängen und ihm Ihre
Assignation
auf den Pumpernickel, den der Schimmel

5
unter Weges geholt hat, vorsetzen.

6
Wenn Ihnen die
Lettre perdue
nicht zu Handen gekommen: so können Sie

7
die
zweyte
Auflage
mit zwey
Lettres perdues
vermehrte Ausgabe sich mit

8
der Meße versprechen. Ich habe davon die 2 ersten
Exempl.
vorigen Sonntag

9
erhalten. In meinem bisherigen
cursu patristico
bin durch eine Veränderung

10
auf dem
Bureau
gestört und unterbrochen worden und werde vermutl. mit

11
dem
Tertulliano,
den ich bald zu Ende gelaufen u
Lactantz,
der vor mir liegt,

12
aufhören müßen. Muß den gantzen Tag sitzen,
expedi
ren oder auf

13
Expedition
en warten.

14
Da aus der deutschen Ankündigung meiner gelehrten Zwillinge nichts

15
wird: so bin ich halb Willens sie im französischen anzumelden, wenn es mir

16
auch wie dem kreißenden Berge gehen sollte.

17
Sie haben vielleicht mehr von mir über Ihre Urkunde als ein paar kahle

18
Fragen in diesem Briefe erwartet; aber ich hoffe noch Ihren Wunsch näher

19
zu befriedigen, als mir vor der Hand mögl. ist.

20
Daß ich
Naber Flink
bin, werden Sie aus meinen
Prolegomenis
ersehen,

21
die schon den 9
May
von hier zum Druck abgegangen. Aber so bald ich zur

22
Sache komm, bin ich
Naber
mit Rath
.

23
Kein
Impromtu,
sondern ein Plan, vor deßen Umfang ich bis weilen

24
selbst erschrecke und ihm allen Antheil des
sensus communis
abspreche,

25
und was mir noch weniger ähnlich sieht, aber im Grunde immer mein

26
Geschmack gewesen, gantz
Drama,
kein
Επος.
Es kommt mir aber selbst

27
lächerlich vor, davon einmal zu reden; wie wol es das
punctum saliens

28
meiner gantzen Autorschaft von jeher gewesen; kein
Autor
zu seyn als
κατα

29
το ετυμον.

30
Es hat hier geheißen, daß
Starck
einen Ruf nach Mitau mit 1200 rth

31
bekommen hätte. Hartmann soll, ich weis nicht warum? gantz wieder ihn seyn

32
u
für Sie
. Sollte Ihnen so etwas nahe gelegt werden; so gehen Sie mit sich

33
zu Rath, ob Sie nicht wieder in unsre Gegenden und das glückl. Norden

34
verpflantzt seyn wollen.

35
Einen Gevatterbrief erwart ich von Ihnen, ohngeachtet ich Ihnen noch das

36
Hochzeit Geschenk schuldig geblieben bin. Was für eine neue Welt von

37
Empfindungen u Begriffen liegt in dem
Geheimniße der Vaterschaft
!

S. 105
Der ehrl. Urlsperger ist mir vorige Woche erst zu Gesicht gekommen. Es ist

2
ein artiger Beytrag zur Physiologie einer Schriftstellerseele. Sonst habe nichts

3
Neues gelesen außer der deutschen gelehrten
Republick
und den Staat der

4
Abderiten, die erste mit genauer Noth zum Ende bringen können und im

5
letzteren lieber fortfahren wollen.

6
Prof. Kopka
ist hier gleichfalls durchgegangen ohne daß wir uns einander

7
kennen gelernt, wie ich es wol gewünscht hätte. Er ist in meinem Hause gewesen

8
hat mich am dritten Ort aufsuchen
wollen,
aber seine Abreise ist vor der Thür

9
gewesen.

10
Des
Nicolai
Brief an Sie wünschte wol zu lesen – – Ich bin die beyde vorigen

11
Sonntage mit wunderl. Träumen aus
Potsdam
u Bückeburg aufgewacht und

12
heute wider alle meine Gewohnheit mit 3 Uhr schon wach gewesen; aber so

13
kopf- und herzsiech, daß ich kaum die Feder führen kann und mich alle

14
Augenblicke aufs Bett werfen muß, ohne Ruhe zu haben. Vergeßen Sie nicht, mich

15
mit der Lage meiner gegenwärtigen kümmerl. Amtsgeschäfte, im Nothfall,

16
gegen sich zu entschuldigen. Gott laße Ihre Freude mit dem nächsten
September

17
erfüllt werden; und umarmen Sie Ihre Männin von Ihrem alten

18
redlichen Freunde u Diener.

19
Mein gegenwärtiger Beichtvater
D. Lindner
läst Sie grüßen.

20
Hamann.


21
Adresse:

22
An / meinen
Freund,
/ Herrn
Consistorial-Rath
Herder / zu /
Bückeburg



S. 427
Handschriftliche Anmerkungen von Johann Gottfried Herder:

24
Über der Zeile HKB 411 (III 104/30–31):
das ist falsch, er ist nur

25
sondirt
worden, hat aber vielleicht übertriebne Forderungen gemacht

26
Bei HKB 411 (III 105/6) „Kopka“
(er heist
Koppe
u ist ein Danziger
)

27
Über der Zeile HKB 411 (III 105/10):
ich auch um der Ursache willen,

28
die der Narr vom Zaun bricht um ein Urtheil von sich zu geben

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 107–108.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 85–88.

ZH III 102–105, Nr. 411.

Zusätze fremder Hand

427/24
–25
Johann Gottfried Herder
427/26
Johann Gottfried Herder
427/27
–28
Johann Gottfried Herder

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
102/32
רקק
.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
רקק
.
102/33
können
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
können.
103/8
d
nachher
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
nachher
103/9
erfahren
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
erfahren,
104/2
ver
s
besert
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
verbeßert
104/7
zweyte
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
zweite
104/22
mit Rath
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
mit Rath
105/3
Republick
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Republik
105/8
wollen,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wollen
105/22
Freund,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Freund
105/22
Consistorial-Rath
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ConsistorialRath
105/22
Bückeburg
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Bückeburg
427/23
–28
Handschriftliche […] geben]
In ZH im Apparat.