419
119/12
den 14.
Novbr
74.
13
Ich wollte nicht eher schreiben, lieber Freund
Telonarch.
bis die Proleg.
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ankamen:
u. die erschienen gestern den 24. n. Trinit., eben da ich zur Kirche ging.
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Dank Ihnen aus Herzensgrunde für Ihren guten Willen u. redliche That:
16
s
Sie
haben meinen Sinn u. Zweck nicht blos wohlgefaßt, sondern auch sehr
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gesäubert u. idealisirt, daß in der Folge mir Ihre Winke auf meiner Bahn zu
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Hülfe kommen werden, daß ich reineres u. sichereres Ziel nehme. Und das,
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glaub’ ich, wird Ihnen der thätlichste Dank seyn. Was das Blatt im
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Publikum würken werde, weiß ich so wenig, als Sie.
v
Vielleicht
so wenig als mein
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Buch; aber das schadet nichts: der Maulwurf gräbt in der Stille u. doch
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weiter. Claud. schreibt, daß mein Ex. nur als Correkturbogen anzusehen ist:
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u. das freut mich: denn es ist auch gewiß zu corrigiren: Drei oder Vier
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Druckfehler hab’ ich allein bemerkt. Mich freut sehr, daß insonderheit der
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Anfang so hell geworden: wer das nicht versteht, dem kann niemand helfen. Im
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2ten Theil haben Sie hin u. wieder eine böse Sache sehr gut vertheidigt, ob
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ich gleich noch nicht sehe, wie ich anders hätte verfahren können. Wären die
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Sachen des 2. u. 3. Th. meines Buchs lauter Fakta, die so vorgezeigt werden
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könnten: so
ist
wäre kein Mensch zufriedner als ich: hätte ich aber die
30
Lambeaux
des grauen Mantels des Altherthums als ein zierlich gesticktes
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Kleid aufzeigen sollen: so wäre das wohl für Narren des Jahrhunderts
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schön, aber für jeden klugen Menschen Betrug gewesen. Also bleibt nichts als
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der Streitton übrig, den ich eben so wie jemand, herzlich hinauswünsche, u.
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der in der Fortsetzung natürlich herausbleiben wird. Denn Th. 2. u.3. sind
S. 120
nichts als Chaos zu Th. 4.,
d
as
er
helles Licht enthalten soll, wie der erste
2
Theil u. s. w. Was kann ich
aber
also dafür, daß das Publ. u. die lieben
3
beredten Apollonii sich ein Ganzes denken, wo keins ist? Die Sache, wenn sie
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nicht äußerst klein hätte werden sollen, litt keinen andern Gang, u. ich sage,
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wie der Fuchs, das dickste
End’
ist noch hinten.
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Zwei Stellen verstehe ich nicht. S. 5. „Hier haben
Sie
zugleich – beurtheilen“
7
u. S.
12.
den
„
Mamamuschi.“
Erklären Sie mir doch die Veranlaßung zu
8
beiden. Auch den Ausdruck des
Velo veli Deo.
Bedeutets ein Räthsel? Und
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denn möchte ich gern das beigelegte Skelett des Apollon. sehen, wenn ichs
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sehen darf. Ich hoffe, mein lieber H., der Verfolg meines Werks wird Ihren
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Ausspruch:
in magnis voluisse
bekräftigen u. Ihr Segen, insonderheit aus
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den paar Stellen Moses
u.
der Richter sei auf mir!
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Ich weiß nicht, ob Sie meine andre 2. mit Druckfehlern übersäte Schriftchen
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schon haben. Ich hoffe u. bin gewiß, daß Sie Ihren Beifall haben müssen:
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wie Alles, was von Herzen geht u. Nothdurft erpreßet. Kann Zachäus
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Telonarcha von Aktien schreiben: so kann u. muß ich sagen, was meinen Stand
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u. meine Pflicht näher trift u. ohne welches alles andre Reden in die Luft ist.
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Die in Berlin wüten außerordentlich dagegen, u. ermangeln nicht, mir die
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niedrigsten Beweggründe dazu unterzuschieben: woraus ich mir aber, wenn
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der Erste Menschliche Stoß vorüber ist, nichts mache: es zeigt an, daß das
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Salz beißt u. das soll es. Zugleich muß ich freilich Nachwehen leiden, die auch
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eine geraume Zeit vom Julius fast an, mein Leben mitten unter Freuden
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meines Weibes u. Kindes zum Jammerthal gemacht haben, u. ich sehe noch viel
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mehrerm entgegen. Was kann ich aber dafür? unter solchen Wehen wird auch
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hoffe ich,
mein
beßerer Mensch
gebohren
, u. kein Feind soll mirs vorwerfen
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können, daß ich ihn nicht genutzet. Eine Probe davon muß ich mit Leid, Kosten
27
u. Mühe an einem Vorfall machen, den ich den Tag voraus erfuhr, eh
ich
28
mi
ch
r Ihr
Telonar.
(auch darüber zum Trost) kam: Sie sollens aber nicht
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eher erfahren, bis es geschehen. Die Menschen in Berl. drängen hart an: ich
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will den
διαβολος
aber mit
Vestigkeit,
u. Sanftmuth zu Schanden machen, u.
31
auch nur wi
ll
e Michael sagen:
επιτιμησαι
εν
σοι Κυριος!
Ihnen aber, m.
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lieber H., will u. hoffe ich, statt daß sonst bei allem Guten, was ich empfange, mich
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gleich der Gedanke anficht: dafür muß dir auch einst eben so viel Böses
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begegnen! Ihnen will u. hoffe ich mit jedem neuen Schritte mehr zu gnügen!
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je mehr ich mich von Ihnen zu entfernen scheine. Bald ein Mehreres! – –
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Der Ruf nach Mit. aber gehört auch darunter. Er war blos Hartmanns
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Einfall, zu dem ich gleich kein Fünkchen Zutrauen hatte: den ich auch, so bald ich
S. 121
den Wink ersah, mit allem Ernst
unterdrückte:
er giebt blos den Berlinschen
2
διαβολος
Gelegenheit zu lästern, ohne daß er mir hilft.
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Nun des Büchergeschwätzes gnug! Diese Seite soll wenigstens einem
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weitern Kreise von Leben heilig seyn, wenn gleich freilich auch Bücher leider
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darunter gehören. Mein Weib u. Kind befindet sich vortreflich, u. der Knabe
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hängt schon ganz an seines Vaters Stimm u. Sprache, wie an seiner Mutter
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Brust u. am Weiten, Offnen des blauen Himmels. Ich freue mich auf die
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Zeit, wenn ich mit ihm lalle u. krieche, u. hoffe, über Alles, was mich anficht,
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reichl. getröstet zu werden, durch u. in Ihm. Allerdings wünsche ich
bde
bald
eine
10
äußerliche Veränderung: denn die nehml.
corpora delicti,
von denen ich auf
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der vorigen Seite zu schwatzen Gelegenheit gehabt, haben auch hier um mich
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her alles so mürbe gemacht, daß ich wo nicht auf Flammenasche, so auf leicht
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bewachsnem Moor oder Morrast gehe. Da ich aber noch gar nicht weiß, wohin
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u. wozu beßers? so muß ich warten u. ruhn. Der Wechsel, den Ihnen die
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verrätherische Luna zeigte, gehörte mit in diese Dornhecke. Da an einem kleinen
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Orte, wo Juden die ersten Bettelnegocianten sind, es Sünd’ u.
Schand’
ist,
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mit Kleckschulden überhäuft
zu sein:
so war hier Berens, durch Hartknoch, so
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gut, mir einen Stab zu reichen, daß ich mit Ehren Einem schuldig seyn könne u.
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das ist das ganze Räthsel, über das Sie sich zu sehr den Kopf zerbrochen zu
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haben, scheinen. Kommen u. kukken Sie in die hiesige Verfassung u. Sie
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werden mich loben u. mir
meliora fata
wünschen.
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Und wie stehts mit Ihnen? Immer noch auf dem fahlen Pferde u. ist
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niemand, der Sie erlöse? Ich will ein Fest feiren, wenn ichs höre. Die Lust, Sie
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zu sehen, laße ich mir schon halb u. halb vergehen: es müßte ein Wunder seyn,
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wenn ich aufs Preuß. Gebiet gern reiste. Aber sammlet mich der Himmel
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Einmal
auf eine sicherere, beßere Städte – so hoffe ichs noch zu erleben, daß
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mich Hamann besucht, u.
Ein
Zwillingspaar der Seinen mit ihm. Jetzt singen
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wir noch alle:
Kyrie Eleison!
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Meine Bibliothek ist mit der schönen 4. Ausgabe von Bollinbr.
durch
als
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ein Geschenk vermehrt, u. ich freue mich sehr, auf die Muße,
d
sie
zu
geniessen
.
31
Daß ich Pope, Shakespear, Dodsley, die Reliks u. s. w. habe, wißen Sie glaub
32
ich schon, und nach den Resten
s
h
ehne
ich mich mit milder Eile. Gehe ich
aber
33
Einmal von hier weg, so stoße ich den
R
unnützen Theil meines Krams, der
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mir denn wenigstens unnütz seyn wird, weg u. hoffe einst ohne Bücher, deren
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Stank u. Dampf mich so sehr erstickt, freier zu athmen. Gott helfe. Denn denke
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ich Zeichnung durch
Bildnerkunst
auf einem neuen Wege zu treiben, u. mich
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nach Italien zu bereiten, ob ich einst noch dahin lange. Glaube aber schwerlich.
S. 122
Göthes Klavigo u. Leiden des jungen Werthers werden Sie nicht
2
übersehen: das letzte kenne ich noch nicht; so wenig als seine Anmerkungen übers
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Theater, nebst übersetztem Shakesp. Stücke. Im Götting.
Musenallm
4
sind 2. Stücke W. von ihm, die Sie lesen müssen, u. die den ganzen Allm
5
werth sind. Er hat einen Liefländer, Lenz, in Strasburg jetzo Hofmeister,
6
zum Nebenbuler seiner Laufbahn, den Verf. des
Hofmeisters
u.
neuen
7
Menoza
, welchen letzten ich auch noch nicht kenne. Dünkt Ihnen nicht
8
auch, daß die Stücke dieser Art tiefer als der ganze Berlin.
litterat.
Geschm.
9
reichen.
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Von Mendelsohn in Pyrmont hab ich Ihnen glaub ich schon geschrieben.
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Er ist jetzt das Idol meines Grafen, dem er sein Bild von Chodowiki geschickt
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hat mit der Unterschrift 2er lat. Verse, die eine Frau von Omteda,
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Oberhofmeister. der König. von Dännemark in Zelle,
stante pede
auf ihn
machte.
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Vir bonus et sapiens, quem vix ex millibus
unum
15
– – – –
tulit consultus Apollo.
16
Das fehlende weiß ich nicht. Ich weiß aber nicht, ob die Unterschrift selbst von
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Ihm herrühret.
Lavater
ist an der Physiogn. fleißig. Sulz. Wörterb. soll heraus
18
seyn: sonst seh u. höre ich nichts Neues, wozu mir auch von Tag zu Tag alle
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Lust vergeht, daß ich für jedem Posttage zittre.
Hennings
Gesch. der Seelen
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wird Sie eben so betrogen haben, wie mich. Wollen Sie einen jungen Michel
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Angelo der Deutschen kennen: so sehen
Sie
die Kupferzeichnungen von
Füßli
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zur Noachide. Er ist ein jetzt in Rom als Charaktermaler das Wunder, das
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Mengs als
Schönheitmaler
ist. Ich habe Eine Zeichnung von Ihm gesehen,
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die in die Seele reißt, u. nach einer andern hoffe ich. Er ist Shakespears Jünger
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mit jedem Striche der Feder. Klopst. ist in Karlsruh, ich hab ihn im
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Vorbeigehn nicht gesprochen, wie er auch in Göttingen, ohne Einen Menschen zu
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sehn, gewesen. Im Musenallm. ist ein Auftritt von Ihm, aber wie mich dünkt,
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schwach u. von W. darinn sehr übertroffen. Mich hats immer gedünkt, daß er
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mehr Lyrisches als Dramat. oder Episch Genie sei.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 111–112.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 103–107.
Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 87–90.
ZH III 119–122, Nr. 419.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
119/12 |
Novbr ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Novbr. |
119/13 |
Telonarch. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Telonarch. |
119/14 |
ankamen: ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ankamen, |
119/16 |
s Sie ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Sie |
119/20 |
v Vielleicht ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Vielleicht |
119/30 |
Lambeaux |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Lambeaux |
120/1 |
d as er |
Geändert nach der Handschrift; ZH: der |
120/5 |
End’ ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: End |
120/6 |
Sie ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: sie |
120/7 |
„ Mamamuschi.“ ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: „Mamamuschi.“ |
120/7 |
12. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: 12 |
120/12 |
u. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: und |
120/25 |
gebohren ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: geboren |
120/28 |
Telonar. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Telonar. |
120/30 |
Vestigkeit, ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Vestigkeit |
121/1 |
unterdrückte: ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: unterdrückte,: |
121/9 |
bde bald ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: bald |
121/16 |
Schand’ ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Schand |
121/26 |
Einmal ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: einmal |
121/27 |
Ein ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: ein |
121/30 |
geniessen ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: genießen |
121/30 |
d sie ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: sie |
121/32 |
s h ehne ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: sehne |
122/3 |
Musenallm ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Musenallman. |
122/8 |
litterat. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: litterar. |
122/13 |
machte. ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: machte |
122/15 |
– – – – ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: – – – – – – – |
122/17 |
Lavater ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Lavatter |
122/21 |
Sie ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: sie |
122/23 |
Schönheitmaler ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Schönheitsmaler |