402
S. 74
Kgsberg den 2 April 74.

2
Sokrates Mainomene oder Maiomene
Anspielung auf
Wieland,
Sokrates mainomenos oder die Dialogen des Diogenes von Sinope
und dessen Herausgeberfiktion „Aus einer alten Handschrift“. In der
Ausgabe letzter Hand (1795), xxxix
erklärt Wieland den Titel: „Σοκρατης μαινομενος, Socrates delirans, ein aberwitzig gewordener Sokrates“, sei ein halb spöttischer Spitzname, welchen Platon
Diogenes von Sinope
gegeben habe; Sokrates Maiomene spielt auf dessen Hebammenkunst an.
Mein lieber Sokrates
Mainomene
oder
Maiomene

3
Freund Hartknoch
Johann Friedrich Hartknoch
Unser Freund Hartknoch hat mir eine große Freude mit Ihrem Commentar

4
älteste Urkunde des Menschengeschlechts
Herder,
Aelteste Urkunde
über die älteste Urkunde des Menschengeschlechts gemacht, die ich gestern

5
Ueberbringer Dieses
Johann Friedrich Hartknoch
Abend und Nacht durchgelaufen. Ueberbringer Dieses wird der beste

6
evangelischen Beseßenen
Joh 10,20f.
, gr. δαιμόνιον ἔχει καὶ μαίνεται (dt. von einem Dämon besessen und rasend)
Kommentar aller meiner Empfindungen
seyn,
die gleich jenes evangelischen

7
Beseßenen seinen so einander entgegengesetzt gewesen als Feuer und Waßer –

8
Aubergen Caffé
Herbergskaffee (wohl recht dünn), hier assoziiert mit Wasser
oder bey der Geschichte des heutigen Tages zu bleiben als der
Aubergen

9
Caffé,
den mir Hartknoch in seinem Gasthofe vorsetzen ließ und der

10
Caneelgeist
Zimtbranntwein, hier assoziiert mit Feuer
Reisegefährten
nicht ermittelt
abgezogene Caneelgeist seines Reisegefährten.

11
Monstrum horrendum
Herder,
Aelteste Urkunde
Ich habe das
Monstrum horrendum
heute sogl. dem
iudici competenti

12
iudici competenti alles Schönen u Erhabenen
Immanuel Kant
alles Schönen u Erhabenen in die Hände gegeben, damit er es zergliedern

13
Nachtvogel
die Eule der Minerva
soll. Die Göttin Minerva und ihr Nachtvogel stärke und bewaffne sein

14
Herren Polonii
nach dem geschwätzigen Opportunisten in
Shakespeare,
Hamlet
Gesicht und Gefühl! Die Herren
Polonii
unsers Jahrhunderts, die nichts als

15
philosophische und politische Giguen
nach dem lebhaften Tanz, im 18. Jh. bereits veraltet
philosophische und politische
Giguen
lieben, werden vielleicht sagen, daß

16
Herder den alten Hamann …
Herder wurde vielfältig die Nachahmung Hamanns vorgeworfen, bereits von
Klotz
.
aushamannisirt
Parallelbildung zu manieristischen Verbformen, etwa bei
Shakespeare,
Hamlet
, Akt 3, Sz. 2, V. 13: „it out-herods Herod“
Herder den alten Hamann aushamannisirt habe. Wir beyde verstehen aber das

17
Stallmeisterdienste
wie
Sancho Panza
dem Don Quijote
Ding beßer. Meine Stallmeisterdienste sollen Ihrem spanischen Rittergeiste

18
romantische animalcula
Animalcula ist eigentlich eine auf Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723) zurückgehende Bezeichnung für mikrospoisch kleine Organismen.
gegen alle Schlözer
und -aner
gewiedmet bleiben. Ihre romantische

19
animalcula
und die Räder meiner Sprichwörter scheinen für einander gemacht zu

20
seyn –

21
Die Galanterie Ihres Verlegers, liebster Herder, mir das Aushäng

22
Exemplar vermacht zu haben,
dispensi
rt Sie gar nicht von einem förmlichen

23
captum
dt. Fassungsvermögen
Geschenke eines sorgfältig durchgegangenen und für meinen
captum
durch

24
Qvellen und Stellen zubereiteten Exemplars
vgl.
HKB 407 ( III 90/33 )
Anführung der
Qvellen
und
Stellen
zubereiteten Exemplars – Dem Sie Ihre

25
Preisschrift
und die kleine
Samml
von
deutscher Art u Kunst
beyfügen

26
wollen.

27
Ihren drittehalb Beylagen zu Gefallen habe ich dies Jahr 3 Recensionen

28
gemacht. Erstere langten hier
medio Ianuarii
an. Ich habe mir einige kleine

29
Änderungen
erlaubt,
ein
Exordium
und
Exitum.
Unser Gesichtspunct u

30
Horizont ist zu entfernt und verschieden um sich vergleichen zu können über gewiße

31
Dinge. Beynahe möchte ich wünschen, daß Sie keinen einzigen Beytrag zu

32
keiner Zeitung noch irgend einem andern periodischen Blatt liefern möchten.

33
Sagen Sie mir doch ums Himmels willen, haben Sie Antheil an Knaut.

34
rothdeutschen Styls
Parallelbildung zu Rotwelsch, also verdorbenes Deutsch
So viel innere Merkmale und kein äußers Ihres verwünschten rothdeutschen

35
Styls. Ich möchte im Herzen darauf schwören und habe noch bisher kein

36
Herz gehabt es mit dem Munde zu bekennen; aber hier sagen es alle gute

S. 75
sceptischen Epoche
wohl im Sinne der Zurückhaltung im Urteilen
Freunde so laut und zuversichtlich, daß ich
mich
meiner sceptischen Epoche schäme.

2
Wenn Sie mir aufrichtig berichten so will ich allem Gerüchte laut

3
wiedersprechen.

4
Ich erwarte also Ihr vermehrtes und durch Marginalien erläutertes

5
Exemplar um mit rechter
application
den
Commentar
zu lesen – und mich darüber

6
so viel es mir mögl. ist, zu erklären.


7
den 3 April. Am Ostertage

8
Mein
gantzes Haus ist beynahe krank. Es wird sich also schlecht schreiben

9
Praedilection an Beattie
James Beattie
, vgl. Herders Rezension in
Frankfurter gelehrte Anzeigen
, SWS, V, S. 456–462
Unzerschen Physiologie
Unzer,
Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper
, von Herder zitiert nach der Rezension von
Albrecht v. Haller
in
Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen
, 65. St. vom 30.5.1772, S. 548–553
laßen. Im Knaut schimmert Ihre
Praedilection
an Beattie u der Unzerschen

10
Götze von Berchelingen
Goethe,
Götz von Berlichingen
Physiologie durch. Sollte es auch der Götze von Berchelingen seyn. Den

11
Billetchen sine die et consule
nicht überliefert
11
Ianuar.
brachte mir Kanter Ihr
Billet
chen
sine die et consule
.
Weiß

12
also nicht wie alt es geworden.

13
treuherzigen Layenbruder
Friedrich Carl von Moser
, vgl.
HKB 398 ( III 66/1 )
Den
treuherzigen Layenbruder
habe den 1. Advent kennen gelernt. Er

14
hat alle meine Erwartung erfüllt und bisher ist unsre Freundschaft gewesen

15
Feuer Probe
wohl die Deponierung des Doppelmanuskripts von
Hamann,
Philologische Einfälle
und
Hamann,
Au Salomon de Prusse
bei Moser, vgl.
HKB 400 ( III 70/32 )
wie zwischen Alcibiades u Sokrates. Gesetzt daß er gegenwärtige Feuer Probe

16
nicht aushalten sollte – um aus dem Grunde zu wißen, ob er die
Wahrheit

17
liebt und auf die Ehre oder den Ruhm eines
wohlthätigen Staatsmanns
,

18
treuherziger Layenbruder
nach
Moser,
Treuherziges Schreiben eines Layenbruders
Sonntag Reminiscere
27. Februar 1774, das Datum von
HKB 400 ( III 70/20 )
HKB 400
der zugl. ein
treuherziger Layenbruder
noch bis auf den Sonntag

19
Er mag für andere seyn was er will
vgl. Herders negative Charakterisierung in
HKB 394 ( III 61/10 )
Reminiscere
hat seyn wollen, mit Fug Anspruch machen kann. Er mag für andere

20
seyn was er will, wenn er nur für mich ist, was er bisher gewesen, und
für
auf

21
den
entstehenden
Fall würde ich auch gleichgiltig seyn und mich damit

22
alle Menschen Lügner sind
Ps 116,11
trösten, daß alle Menschen Lügner sind.

23
Aber Ihr Freund, was ist mir an seinem Namen gelegen, desto beßer für

24
wenn ich ihn auf immer vergeße
vgl.
HKB 407 ( III 92/32 )
ein paar Zeilen an Sie mitgegeben habe
wohl
HKB 396
ihn, wenn ich ihn auf immer vergeße – ich glaube daß ich ihm gar ein paar

25
Zeilen an Sie mitgegeben habe – und in der Freude meines Herzens ihm zu

26
anti-sokratischen Apologisten
Johann August Eberhard
, damals noch Prediger in Charlottenburg, mit dem Merck befreundet war; Brief nicht überliefert
Gefallen an den
anti-
sokratischen Apologisten schrieb – auch ihm gar meine

27
kleine politische Angelegenheiten in B.
Hamanns Versuche,
Friedrich II.
in Berlin zur Lektür des Doppelmanuskripts von
Hamann,
Philologische Einfälle
und
Hamann,
Au Salomon de Prusse
zu bringen; vgl.
HKB 395
kleine politische Angelegenheiten in B. anvertraute, – und der sich selbst

28
anerbot mir zu schreiben u. s. w. Diesen Mann halt ich nicht nur für den grösten

29
Belletristen, Virtuosen, Scheerenschleifer, – ja für etwas ärgers als einen

30
Frankfurter Recensenten
Merck schrieb für die
Frankfurter gelehrte Anzeigen
Frankfurter Recensenten, dem ich die Augen auskratzen möchte, wenn er sich

31
noch einmal unterstünde bey meiner Lebenszeit Kgsberg durchzureisen. Ich

32
merkte gleich Unrath, da er mir 3 mal mit seiner verfluchten
Distinction

33
zwischen Menschen und Autor – und religiosen Gesinnungen ins Gesicht schlug.

34
Beruhigen Sie mich doch in Ansehung des Knaut, wenn Sie den Verf.

35
davon wißen – und ersetzen Sie Ihr bisheriges Stillschweigen durch einen so

S. 76
langen Brief als ich willens war Ihnen liebster Herder zu schreiben ohne

2
Ruhe und Kräfte dazu zu haben.

3
liebe Hälfte
Caroline Herder
Was macht Ihre liebe Hälfte. Haben Sie auch Hofnung bald Früchte und

4
Zeugen Ihrer wechselsweisen Liebe zu sehn? Ich schmeichle mir noch immer

5
mit der Hofnung Sie, der Himmel weiß, wo? und wie? zu umarmen.

6
Bisweilen kommt es mir vor, daß ich noch nicht zu alt bin so rasend zu halten als

7
actio, actio, actio
nach der Demosthenes-Anekdote über die Bedeutung der actio bei
Cic.
ad Brut.
3,38,142; siehe
Hamann,
Kreuzzüge des Philologen
KdP 6/23 (N II,116).
meinen Freund Herder zu
commenti
ren. Und
actio, actio, actio
ist immer

8
das Heiligtum meiner Kabbala und Philologie seel. Andenkens gewesen.

9
Mein Plan ist gewesen diesen Sommer nicht die Feder anzusetzen und fast

10
nichts zu
lesen
, mich allem gelehrten Vorwitz zu entziehen und mit meinem

11
Hänschen alle müßige Stunden im Spatzierengehen zuzubringen. Meine

12
Gesundheit und besonders mein Kopf scheint durch ein verdicktes Blut sehr zu

13
leiden. Ich lebe wie in der Wüsten. Aller Umgang ist mir unausstehlich und

14
ohne Geschäfte sehe ich weder Menschen noch Bekannte. Habe keinen einzigen

15
analogon und Saltzsäule
Weish 10,7
Freund – als an Lindner ein
analogon
und
Saltzsäule
der Freundschaft.

16
Alles was von der Sympathie jemals gedichtet worden, schien ich beym

17
Anblick des treuherzigen Layenbruders
zu
erleben
. Wenn alles Illusion gewesen;

18
Sapienti sat
lat. sprichwörtlich: für den Verständigen genug
so wird mir sein Andenken nicht aufhören heilig zu seyn.
Sapienti sat.

19
Freund N.
Friedrich Nicolai
Schreiben an die Hexe zu Kadmonbor
Hamann,
An die Hexe zu Kadmonbor
Unser Freund N. wird Ihnen wol sein Schreiben an die Hexe zu Kadmonbor

20
Heinrich Schröder
Heinrich Schröder
Apologie des Buchstaben
Hamann,
Neue Apologie des Buchstaben h
übermacht
haben
; so wie der alte Landsmann Heinrich Schröder seine Apologie

21
des Buchstaben. Die
lettre perdue
werden Sie durch Hartknoch oder Hintz

22
erhalten. Letzterer wird Ihnen meine Uebersetzung vermuthl. besorgt haben.

23
Die Beyl. dazu wird hoffentlich der ehrl.
Tristram
Bode besorgen. Ich habe

24
so viel geschmiert, daß ich mit gutem Gewißen ausruhen kann.

25
Neu, treu und frey sollte meine Uebersetzung des N. T. werden, in der ich

26
mit Johannes anfangen und dem Geschichtsschreiber Lucas aufhören würde.

27
Noch nicht eine Zeile dazu angesetzt, und ich weiß nicht ob ich diesen Einfall

28
jemals ausführen werde; eben
so
mit meinem lutherschen Katechismus, den

29
mein 4½jähriger Sohn nach allen 6 Hauptstücken bereits gekonnt, aber durch

30
Pisa-Kapernaum
zu Kapernaum vgl.
Joh 4,46
. Pisa ist der fingierte Druckort von
Hamann,
Neue Apologie des Buchstaben h
. Der Deckname geht zurück auf ein satirisches Gedicht über Königsberg von
Karl Heinrich Rappolt
,
Pisonis sermo ad Pisones
, wobei Pisones für Erbsen steht, einem Grundnahrungsmittel in Preußen.
seine gegenwärtige Unpäßlichkeit vergeßen haben wird. Pisa-Kapernaum.

31
Fritz u Orlov
wohl
Friedrich II.
und
Grigorij Orlow
Brodt jungen Hunden
vgl.
Hamann,
Glose Philippique
, ED S.45, N II,293.
Fritz u Orlov scheinen gewetteifert zu haben das Brodt jungen Hunden auf

32
Jesai. XXX. 33
Jes 30,33
XXIV. 16
Jes 24,16
Kosten ihrer Landeskinder aufzuopfern. Vergl. Jesai.
XXX.
33. u
XXIV.
16

33
Thren. IV. 7. 8.
Klg 4,7–8
Thren. IV.
7. 8. zu den übrigen Stellen meines
exitus à la Mosaique.

34
abentheuerlich Auftritt
Herders Publikation von
Herder,
Aelteste Urkunde
Ihr abentheuerlich Auftritt hat mich in eine Unruhe versetzt die mir weißagt

35
– daß ich dem Plan meiner Ruhe nicht gantz treu bleiben werde, und ich winke

36
Ihrem Horatz
Herder hatte Hamann die Horaz-Ausgabe von Merville geschenkt, vgl. den
Biga
-Eintrag zu
Hor.
carm.
mir selbst aus
Ihrem
Horatz zu oder sehe mir einen winken, welcher mir

37
raunt:

S. 77
Spectatum …
Hor.
epist.
, 1,1,2–3; „Maecenas“ zu Anfang des dritten Verses ist ausgelassen (dieser spielte im Zusammenhang mit
Karl Theophil Guichard
schon eine Rolle)
Spectatum satis et donatum iam rude
quaeris,

2
– iterum antiquo me includere ludo.

3
Gott seegne Sie an Brüsten und Bäuchen – küßen Sie Ihre liebe Frau und

4
erbauen Sie Ihre Gemeine ohne das
Publicum
Ihres Jahrhunderts gantz

5
zu vergeßen. Begegnen Sie letzterem aber nicht gar zu sehr
en canaille.
Kurz

6
schaffen Sie Ihre eigene und anderer Seeligkeit, so weit selbige in Einsichten

7
Furcht und Zittern
Hi 4,14
besteht, mit Furcht und Zittern. Ich umarme Sie mit der freundschaftlichsten

8
Leßingschen Lehnstuhl
vgl. Lessings Gedicht „Der Faule“ in
Lessing,
Schrifften I
, S. 76: „Ich nehm Theil an eurer Müh! / Die Natur gebietet sie. / Ich, damit ich auch was thue, / Seh euch in dem Lehnstuhl zu!“
Innbrunst und ersterbe auf meinem Leßingschen Lehnstuhl beym Untergang

9
der Sonne und des Lichts meiner Augen Ihr alter Liebhaber und Kunstrichter

10
Hamann.


11
Nun, mein lieber Herder! Ungeachtet meines feyerl. Abschieds mach ich mir

12
ein Gewißen daraus diesen Bogen zu halbiren. Noch eine Grille
in petto
die

13
Apologie des Freymäurerordens
Starck,
Apologie des Ordens der Freimaurer
ich Ihnen anvertrauen muß. Sie kennen eine Apologie des Freymäurerordens

14
vielleicht die in Kanters Verlage ausgekommen. Dieser Apologist lebte hier

15
ein Jahr auf des Verlegers Großmüthigkeit, die das Seinige dazu beytrug

16
elende griechische Historie aus dem Fr. übersetzen wollen
nicht ermittelt, vmtl. nie publiziert
ihn zum zweyten Oberhofprediger zu machen. Er hat eine elende griechische

17
Historie aus dem Fr. übersetzen wollen, die aber zu gutem Glück in Stecken

18
Anfang philologischer Commentationum
Starck,
Sylloge
geblieben. Er gab hier auch den Anfang philologischer
Commentationum
im

19
kennicottschen Geschmack
nach
Benjamin Kennicott
Exercitium de Aeschylo an seinen guten Freund Klotz
Starck,
De Aeschylo
ist
Christian Adolph Klotz
gewidmet
kennicottschen Geschmack heraus und hat ein lateinisches
Exercitium de

20
Aeschylo
an seinen guten Freund
Klotz
drucken laßen. Ich hatte die Neckerey

21
zu recensiren
nicht überliefert
diese
Commentation
en zu
recensi
ren u
Kypke
gab mir Stoff. Er war gleich

22
mit einer Bogen langen Antwort fertig und ich zog meine
Recension
aus

23
Klugheit und Achtsamkeit zurück: so wenig furchtbar mir auch seine Antwort

24
vorkam. Dieser Mann kam aus Petersburg wo er mit Büsching bekannt

25
geworden war, ist ein Schüler Michaelis, mit dem er sich aber entzweyt haben

26
muß. Hat eine Zeitlang in Paris zugebracht, und nicht ohne Nutzen als

27
Bibliothecarius
auch große Versuchung gehabt sein Glück daselbst zu machen.

28
Sein Name ist
Stark
und ist eines mecklenburgschen Raths Sohn. Dieser

29
Mann hat den 24
Mart. pro loco Prof. Theol. ord. disputirt: Tralatitia ex

30
Gentilismo in religionem Christianam.
Dies ist sein Steckenpferd und er hat

31
Boulanger’s Christianisme developpé
wohl irrtümlich für
Holbach,
Le Christianisme devoilé
; das vmtl. 1766 erschienene Werk fingierte
Nicolas-Antoine Boulanger
auf dem Titelblatt als Autor
oft mit mir von
Boulanger’s Christianisme developpé
geredt als einem

32
seltnen u merkwürdigen Buch. Wenn Sie etwas von diesem Buch wißen, oder

33
mir anzeigen können ein
Journal,
wo es angezeigt worden, um einen Begriff

34
vom Innhalt zu haben wär es mir lieb. Ehe er an diese
Disput.
sich machte,

35
ersuchte er mich etwas aus meiner Bücher Samml. ihm zu leyhen. Ich gab

36
ihm den
Pfanner
u ein paar Kleinigkeiten, weil mir das gantze
Thema
so

37
jugendl. vorkommt als die Monadenlehre in meinen akademischen Jahren.

S. 78
Ohngachtet er mir keine
Disputation
hatte zukommen laßen, schlich ich mich

2
gantz wieder meine Sitten ins
Auditorium maximum
und hatte die

3
Zufriedenheit den
D. Lilienthal
über die 2 ersten §§.
opponi
ren zu hören der ihn

4
lauter Unrichtigkeiten und Unwißenheit der von ihm angeführten Qvellen

5
überführte. Er hatte sich gegen Lindner deßen Beschluß ich blos hören konnte

6
so kraus gemacht und suchte so seicht seinem zweyten frommen Gegner

7
auszuweichen, daß ich alle Gedult verlor und aus dem Tempel lief. Er ist

8
D. Schultz letzten Tochter
Maria Albertine Schultz, die Tochter von
Franz Albert Schultz
gegenwärtig Bräutigam von
D. Schultz
letzten Tochter und ohngeachtet dieser

9
Umstand seine Zerstreuung u Vergeßenheit des
Decori
sattsam entschuldigen

10
könnte; hab ich doch große Lust diesen katholischen Pfaffen zum Proselyten

11
des von ihm immer gespotteten und verlachten Luthers zu machen. Diese

12
eine zweyte
Starck setzte seine Thesen in
Starck,
Hephaestion
auf Deutsch fort, was einen ziemlichen Skandal in Königsberg hervorrief.
Disput.
enthält blos den
ritus;
eine zweyte soll die
Dogmata
in sich schlüßen.

13
Er redt immer wie in der Freymäurer
apol.
von der
doctrina arcana.
Der

14
gentilisch tralatitisches
1. heidnisch; 2. metaphorisch, wohl im Sinne von reich an Metaphern
Mann schreibt ein zieml.
gentili
sch
tralatiti
sches Latein und ist darinn ein

15
commilito b. Klotzii
dt. ein Verwandter des seligen
Klotz
commilito b. Klotzii;
aber das ist auch alles. Sonst hat er weder den

16
geringsten Verstand vom Heidentum und Christentum, und ist bey einigen

17
fauler Bauch, wie Paulus von den Kretern
Tit 1,12
Luther von den Mönchen sagt
Luther,
Großer Catechismus
, WA 30 I, S. 128, Z. 27
guten Gaben ein fauler Bauch, wie
Paulus
von den Kretern u Luther von

18
den Mönchen sagt. Seine
dogmata
dürften wol niemals erscheinen; aber wie

19
leicht würde es ihm werden die Lehre der Menschwerdung, Versöhnung der

20
Heil. Dreyeinigkeit als
Reliquien
des Heidenthums zu behandeln. Wenn ich

21
es nicht vergeße, werde ich Hartknoch erinnern, daß er Ihnen diese Starksche

22
Disputation
mitbringt. Sie verdient blos als ein
national product
einige

23
Aufmerksamkeit, im Grunde ist es eine
Waßerblase
. Ein würdiger

24
Nachfolger u Nachahmer des Qvandten.

25
diluirt
verdünnt bzw. verwunden
Biß ich erst diese Grille
dilui
rt habe,
ob
? und
wie
? liegt mir noch immer

26
etwas auf dem Hertzen. Ich wollte gern die Sache mit so lachendem Muthe

27
als mögl. abmachen und bin noch zu warm darzu.

28
Soll ich noch dies halbe Blatt abreißen? Verdient es wol daß Sie es lesen

29
Quod scripsi
Joh 19,22
: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.
und entziffern.
Quod scripsi, scripsi.
Es ist ein Selbstgespräch zwischen Ich

30
und Du. Sie sehen daraus daß meine gantze Seele so empfindlich als mein

31
Auge ist
und
oder
meine Luftröhre – O du leidige Einbildungskraft eines

32
Hypochondristen, der Kameele verschluckt u an Mücken erstickt. Vor allem Uebel,

33
besonders dem physiologischen, behüt uns lieber Herre Gott! Kyrie Eleison.

34
sine die et consule
ohne Tag und Jahreszahl (die Römer benannten die Jahre nach den regierenden Konsuln); gemeint ist wohl das Billet
HKB 402 ( III 75/11 )
Amen. Schreiben Sie mir nicht mehr
sine die et consule,
und wenn Sie der

35
Fr. Consistorialräthin
Caroline Herder
lieben Fr. Consistorialräthin noch gut sind, oder Sie Ihnen, grüßen Sie und

36
iterum iterumque
wieder und wieder
küßen Sie dieselbe
iterum iterumque.

37
Leßing …
Herder lernte
Lessing
auf der Reise von Paris nach Eutin im März 1770 kennen, vgl.
HKB 407 ( III 93/35 )
Stehen Sie noch in Verbindung mit Leßing, den Sie, wie ich höre, in

S. 79
guten Sache
vmtl. ist
Lessing,
Zur Geschichte und Litteratur
, 1. und 2. Beytrag gemeint (der 3. Beytrag erschien erst im Herbst 1774); vgl.
Unger, Rudolf: Hamann und die Aufklärung. Studien zur Vorgeschichte des romantischen Geistes im 18. Jahrhundert. Jena 1911.
, S. 436
Hamburg haben kennen gelernt? Der ehrl. Mann nimmt sich auch der guten

2
Sache an. Ich bin
ihm
zum ersten mal recht gut dafür geworden.

3
Lavater hat an Kant
Johann Caspar Lavater
an
Immanuel Kant
, 8. Februar 1774; vgl. Kant: AA X, S. 148–150
Ihr Freund Lavater hat an
Kant
geschrieben und auch wie ich höre, an Sie

4
gedacht. Ich habe den Brief nicht selbst gelesen.

5
Verf des Musenalmanachs
Heinrich Christian Boie
, nicht überliefert (vgl.
Kant: AA
X, S. 152)
Der
Verf
des Musenalmanachs hat auch an
Kant
geschrieben und
auch

6
wo ich nicht irre, an mich u
Pastor Neander
gedacht.

7
Denken Sie weniger an mich, lieber HE
Consistorial
rath, aber schreiben

8
Sie mir desto fleißiger. Erlauben Sie mir dafür fleißiger zu denken als an

9
Sie zu
schreiben
Denn Sie sind der Feder gewachsener, um eine gute

10
παρεργοις
Nebenwerken
Handvoll Jahre
jünger
vielleicht auch müßiger nach Ihren
παρεργοις
zu urtheilen.

11
angehender Schriftsteller
nicht ermittelt
Ein junger angehender Schriftsteller hat sich bey 3 hiesigen Belletristen

12
ohne befriedigt zu werden erkundigt, ob
versichern
nicht so gut den
Accus.

13
als
Dativum
regieren könne und bitt sich Ihr entscheidendes Gutachten über

14
diese grammaticalische Gewißensfrage aus.

15
Disputat. pro gradu
In
Starck,
Tralatitia ex gentilismo in religionem christianam
nicht ermittelt; wohl nur mündlich geäußert (Starck hielt zwar am 1. Oktober 1773 eine erste Disputation über das Thema „de usu antiquarum versionum SS“, die aber nicht überliefert ist und Hamann auch nicht hört, vgl.
Konschel, Paul: Hamanns Gegner, der Kryptokatholik D. J. A. Starck, Oberhofprediger und Generalsuperintendent von Ostpreußen. Königsberg 1914.
, S. 22). Hamann suchte wohl Fehler und Nachlässigkeiten Starcks in den
Tralatitia
im Stile Lilienthals (vgl.
HKB 402 ( III 78/3 )
); auch in
Hamann,
Hierophantische Briefe
, ED 51–54 befindet sich eine Liste solcher Fehler.
D. Starck
sagt in seiner
Disputat. pro gradu
immer
εν εδαφω.
Ich frug

16
dritten Declination
konsonantische Deklination; Starck verwendete es wohl falsch nach der o-Deklination
ihn, wo das herkäme, daß er
εδαφος
nicht nach der dritten
Declination

17
D. Semmler
Johann Salomo Semler
, nicht ermittelt
behandelte. Er berufte sich auf
D. Semmler,
der dies Wort immer so brauchte.

18
Quaeritur
ob
D. Semmler
in dieser
etymo
logischen Kleinigkeit kanonisch ist?

19
εδαφος für Urkunde und fontem
vgl.
HKB 407 ( III 94/1 )
; „Grundtext“ ist wohl keine sehr gebräuchliche Bedeutung, aber laut
HBGA
XI, 506 eine durchaus mögliche
Die Bedeutung selbst des Worts
εδαφος
für Urkunde und
fontem
ist mir

20
zieml. unbekannt. Ich sollte eher meynen daß es
sedem loci
oder so etwas

21
Pastor in Liefl
nicht ermittelt
ähnl. bedeute. Wenn Sie nicht soviel griechisch als
jen
der
Pastor
in
Liefl

22
verstehen: so trau ich Ihnen doch ein gut Theil mehr als mir selbst
zu
Sagen

23
Sie mir doch die Schrift wo
Semmler
immer
εν εδαφω
vom
Grundtext
redt.

24
Ich habe von dem ehrl. Mann nichts als seinen
Canon
gelesen, der mich bitter

25
u böse gemacht hat gegen seine rohe unverdaute Belesenheit.


26
In Ansehung des
Pauw
u
Schmidt
der Aegyptier denken wir auch als

27
Brüder.

28
Klopstocks Meßiade
Klopstock,
Messias
Klopstocks Meßiade lese jetzt (
näml
die letzte Hälfte) zum ersten mal.

29
Amadis de Gaule
Prototyp des Ritterromans, wird in
Cervantes,
Don Quijote
parodiert
Wahrlich es sind gar zu viel Stellen die nach dem
Amadis de Gaule
u den

30
Romans de Scudery
nach den galanten und preziösen Romanen von Madeleine de Scudéry (1607–1701)
Romans de Scudery
schmecken.

31
Noch ein
à propos?
Können Sie mir nicht den Verf. der vor einigen Jahren

32
herausgekommenen
romantischen Briefe
sagen. Ich erinnere mich sie mit

33
mehr als halbem Beyfall damals gelesen zu haben. Kamen
S
sie nicht bey

34
Nicolai
heraus?

35
Beantworten Sie mir ja alle meine kleinen Anfragen, weil mir an allen

36
gelegen. Nach verrichter Arbeit werde mehr schreiben. Auch Winke in

S. 80
Mannes, an den Sie mir neul. gedacht
vmtl.
Matthias Claudius
Ansehung des Mannes, an den Sie mir neul. gedacht, werden mir
brauchbar

2
seyn
, denn es hat mir immer eben soviel daran gelegen Menschen als Bücher

3
zu kennen, mich als meinen Nächsten. Vergeßen Sie Ihr Vaterland nicht und

4
Ihren Freund. Der Himmel erfüll von unsern Wünschen so viel als uns gut

5
ist. – Guten Abend!
ad arma!

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 99–100.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 60–69.

ZH III 74–80, Nr. 402.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
74/6
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Geändert nach der Handschrift; ZH:
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