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Kgsberg den 13
Nov.
773.

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Diesen Augenblick um 7 Uhr des Abends verläst mich Ihr Freund
Merk,

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der im grösten Sturm es sich hat einfallen laßen vom Roßgarten bis nach dem

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alten Graben eine
Wallfahrt
zu thun um den alten Ziegenpropheten in

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Norden zu sehen – Nun Gott gebe ihm eine glückliche Heimkunft nach seiner

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Herberge. Ich verlange sein Reisegefährte nach dem Roßgarten nicht zu seyn;

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nein lieber nach dem
Pays le Vaud
über
Bückeburg
um die Frau

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Consistorialräthin
Herdern
kennen zu lernen und ihr mit brittischer Freyheit

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Wangen und Stirn zu küßen.

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Nun Sie arbeiten vermuthlich an Ihrem
Chef d’œuvre,
daß Sie Ihrem

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alten Freund Hamann seit so langer Zeit nicht geschrieben haben. Es sey ein

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Männlein oder Fräulein: so hoff ich sein Path im Geist zu seyn. Ew.

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HochEhrwürden werden die Gießkanne für die kleine Pflantze nicht vergeßen und

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als ein treuer Arbeiter im Weinberge sich weniger um die allgemeine deutsche

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Bibliothek bekümmern, von der ich das neueste Kupfer unsers Landsmanns

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gesehen ohne noch den Innhalt gelesen
zu
haben, der voller Herderschen

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Solöcismen seyn soll.

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Ey! liebster Freund! nehmen Sie sich für den alten Henrich Schröder in

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der Weißgerbergaße wohnhaft zu Pisa in Preußen in Acht, daß er sich nicht

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in den Sinn kommen läßt außerordentl. Betrachtungen über die Etymologie

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und Syntaxin seiner deutschen Mutter Sprache zu schreiben. Doch der gute

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einäugichte Cyclope sieht zu Ihrem Glück über die Rechtschreibung nicht

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weit heraus.

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Formido male

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Ne ego hic nomen commutem meum et QVINTVS fiam e Sosia. Amph.

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Act.
1.
Scen 1.

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Ich hoffe daß Sie bereits die
Lettre perdue d’un Sauvage du Nord
werden

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erhalten haben
je suis devenu
müßen Sie auf der ersten Seite am Rande

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verstehen.

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Nachdem ich lange gnug den
Offensiv-
Krieg gespielt; werd ich wol andere

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Waffen und Maasreguln zu meinem
Defensiv-
Plan nehmen müßen.

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Als ein alter Schachspieler werd ich wie Ihr
Nachbar
mitbedacht
! im

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Nothfall gewärtig seyn; weil ein Zuschauer immer beßer sieht als ein

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Mitmacher.

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Antworten Sie doch unserm alten Schwager, die Postsprache zu reden, der

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Ihnen Ihr Stillschweigen übel nimmt. Sie kennen dies
irritabile genus
der

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HE Verleger unsers Jahrhunderts.

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Gegenwärtig ist er nach Marienwerder in seinen neuen Geschäften

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gegangen. Er dient noch als Buchdrucker Geselle, wird aber ehstens zum Meister

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gemacht werden.

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An Ihren Freund Bode hab ich vorigen Sonntag einen tollen Brief
à la

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Shandy
geschrieben voller Kummer, Verdruß und Sorgen – Entschuldigen

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Sie mich bey Gelegenheit bey ihm. Ich habe hier nichts zu seinem Vortheil

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anfangen können; und meine gehabte Verlegenheit ist überstanden.

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Ich erwarte wenigstens einen langen
Pastoral-
Brief von Ihnen zum Neuen

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Jahr, wenn wir das Beyde erleben sollten.

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Sagen Sie mir selbst auf Ihr schriftstellerisches und kunstrichterl.

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Gewißen; ob ich dem
M. Coelius Serotinus
seine
impertinente
gedruckte

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Antwort habe schenken können ohne an die
privat
Beleidigungen zu denken in

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seinem Handbrief. Ich habe 3 Plane nicht geschickter vereinigen können.

S. 64
1. in seinem eignen Namen zu antworten
u
sich selbst

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2. für seine mir gegebene Antwort und

3
3. sein
αποριαγκυροβολ
aei
sches Geschenk (wie er mir neulich im

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Vertrauen gesagt) ein wenig abzustrafen.

5
Weder mein
Hederich Ernestini
sches
Lexicon
noch mein
Pollux
haben

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dieses Wort; und ich wäre doch neugierig zu wißen wo er es herhätte. Wenn

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es claßisch wäre; so würd ich es doch in dem erstern wol gefunden haben.

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In Bremen wird sein
kindischer
Magister
Αποριαγκυροβολαιος
heißen. Nun

9
ehrl.
Pratje
! bald wird die Reyhe an dich auch kommen zu lachen.

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Ich habe Ihrem Bode geschrieben, daß bey der
verbeßerten neuen

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Auflage des
ersten Theils ich wie jener
Link-boy
über
Popens Euphemismum:

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God mind me!
gedacht. Ob Sie und er das Histörchen wißen, steht dahin.

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Damit Sie aber nicht mehr unleserliches und unverständl. Zeug von meiner

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erstarrten Faust zu lesen bekommen, will ich Ihnen auf heute eine gute Nacht

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zur Seite Ihrer liebenswürdigen
(relata refero)
Hälfte aus meiner
Bouteille

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trinken, die mir so gut als dem Schulmeister in der Weißgerber Gaße sein

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Pfeiffchen u Kännlein schmecken wird.
Vale!
Mein Freund
Von
Kortum
ist

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wirklicher Geheimter Rath des Königs von Polen geworden und einer von

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meinen
Subscribent
en zu meinen
Opusculis omnibus. Vale!

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Weil Ihnen dieser Brief kein
Porto
kostet, mache ich mir kein Gewißen

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daraus diese Seite leer zu laßen.
Sapienti sat!


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Adresse:

23
Pour / Mon Ami Herder /
à Buckebug
. /
par Fav
.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 97–98.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 44–46.

ZH III 62–64, Nr. 396.