396
            
        62/22
Kgsberg den 13 
Nov.
 773.
23
Merk
Johann Heinrich Merck
 kam auf der Rückreise aus Russland durch Königsberg; er reiste als Rechnungsführer im Gefolge der Landgräfin Caroline von Hessen-Darmstadt, die ihre Tochter Wilhelmine an Großfürst Paul, den Sohn von 
Katharina II.
, verheiratete; vgl. 
Schübler, Walter: Johann Heinrich Merck. 1741–1791. Biographie. Weimar 2001.
, 108–111. 
Diesen Augenblick um 7 Uhr des Abends verläst mich Ihr Freund 
Merk,
24
Roßgarten bis nach dem alten Graben
 Stadtteil in Königsberg nordöstlich vom Schloss, auf der anderen Seite der Stadt zu Hamanns Haus am alten Graben 758 in der Laak 
der im grösten Sturm es sich hat einfallen laßen vom Roßgarten bis nach dem 
25
Ziegenpropheten in Norden
 Mischung aus Magus in Norden und dem lokalen Emeriten Komarnicki, über den Hamann und 
Kant
 1764 in den 
Königsbergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen
 schrieben, vgl. 
HKB 257 ( II 235/33 ) alten Graben eine 
Wallfahrt
 zu thun um den alten Ziegenpropheten in 
26
Norden zu sehen – Nun Gott gebe ihm eine glückliche Heimkunft nach seiner 
27
Herberge. Ich verlange sein Reisegefährte nach dem Roßgarten nicht zu seyn; 
28
Pays le Vaud
 Heimat von Mercks Frau, Louise Charbonnier (im Zusammenhang von Herders „Schweizermädel“ 
Caroline Herder
, 
HKB 394 ( III 60/38 )) 
nein lieber nach dem 
Pays le Vaud
 über 
Bückeburg
 um die Frau 
29
Consistorialräthin 
Herdern
 kennen zu lernen und ihr mit brittischer Freyheit 
30
Wangen und Stirn zu küßen. 
31
Nun Sie arbeiten vermuthlich an Ihrem 
Chef d’œuvre,
 daß Sie Ihrem 
32
alten Freund Hamann seit so langer Zeit nicht geschrieben haben. Es sey ein 
33
Männlein oder Fräulein: so hoff ich sein Path im Geist zu seyn. Ew. 
34
HochEhrwürden werden die Gießkanne für die kleine Pflantze nicht vergeßen und 
S. 63
treuer Arbeiter im Weinberge
Mt 20
 als ein treuer Arbeiter im Weinberge sich weniger um die allgemeine deutsche 
2
Kupfer unsers Landsmanns
Allgemeine deutsche Bibliothek
, 20. Bd., 1. St. (1773) brachte ein Titelkupfer von 
Immanuel Kant
 Bibliothek bekümmern, von der ich das neueste Kupfer unsers Landsmanns 
3
Herderschen Solöcismen
 vmtl. die Rezension von 
Herder, 
Abhandlung über den Ursprung der Sprache
 in 
Allgemeine deutsche Bibliothek
, 19. Bd., 1. St. (1773), S. 339–451 
gesehen ohne noch den Innhalt gelesen 
zu
 haben, der voller Herderschen 
4
Solöcismen seyn soll. 
5
Henrich Schröder
 der fingierte Autor von 
Hamann, 
Neue Apologie des Buchstaben h
, vgl. 
Heinrich Schröder
 Ey! liebster Freund! nehmen Sie sich für den alten Henrich Schröder in 
6
Weißgerbergaße
 fingierter Wohnort von 
Heinrich Schröder
; tatsächliche Gasse in Königsberg, zwischen Rossgartschem Markt und Schlossteich; 
Johann Michael Hamann
 kam dort zur Welt, vgl. N III,343/2 
Pisa in Preußen
 Pisa ist der fingierte Druckort von 
Hamann, 
Neue Apologie des Buchstaben h
. Der Deckname geht zurück auf ein satirisches Gedicht über Königsberg von 
Karl Heinrich Rappolt
, 
Pisonis sermo ad Pisones
, wobei Pisones für Erbsen steht, einem Grundnahrungsmittel in Preußen. 
der Weißgerbergaße wohnhaft zu Pisa in Preußen in Acht, daß er sich nicht 
7
in den Sinn kommen läßt außerordentl. Betrachtungen über die Etymologie 
8
und Syntaxin seiner deutschen Mutter Sprache zu schreiben. Doch der gute 
9
einäugichte Cyclope
 wiederholte Eigenschaft von 
Heinrich Schröder
, vgl. 
Hamann, 
Zweifel und Einfälle über eine Vermischte Nachricht
, N III,185/1 
einäugichte Cyclope sieht zu Ihrem Glück über die Rechtschreibung nicht 
10
weit heraus. 
11
Formido male …
 Motto von „Encore deux lettre perdue!!!“, 
Hamann, 
Lettre perdue d’un sauvage du nord
, N II,313; aus 
Plaut. 
Amph.
, v. 304f., dt. „Wie fürcht’ ich mich, / Dass der da meinen Namen ändert: ‚Fünften‘ (bzw. Quintus) macht aus Sosia“; bei Plautus Wortspiel mit ‚der Fünfte‘ (der verprügelt werden soll) und dem Namen Quintus, hier eine Anspielung auf 
Karl Theophil Guichard
, genannt „Quintus Icilius“, mglw. der Fünfte, den Hamann zum Verlag von 
Hamann, 
Au Salomon de Prusse
 zu bringen versucht (nach Kanter, Hartung, Hinz und Nicolai) 
Formido male
12
Ne ego hic nomen commutem meum et QVINTVS fiam e Sosia. Amph. 
13
Act.
1.
Scen 1.
14
Ich hoffe daß Sie bereits die 
Lettre perdue d’un Sauvage du Nord
 werden 
15
erhalten haben 
je suis devenu
 müßen Sie auf der ersten Seite am Rande 
16
verstehen. 
17
Nachdem ich lange gnug den 
Offensiv-
Krieg gespielt; werd ich wol andere 
18
Waffen und Maasreguln zu meinem 
Defensiv-
Plan nehmen müßen. 
19
Als ein alter Schachspieler werd ich wie Ihr 
Nachbar
mitbedacht
! im 
20
Nothfall gewärtig seyn; weil ein Zuschauer immer beßer sieht als ein 
21
Mitmacher. 
22
alten Schwager
Johann Jakob Kanter
 Antworten Sie doch unserm alten Schwager, die Postsprache zu reden, der 
23
Ihnen Ihr Stillschweigen übel nimmt. Sie kennen dies 
irritabile genus
 der 
24
HE Verleger unsers Jahrhunderts. 
25
Gegenwärtig ist er nach Marienwerder in seinen neuen Geschäften 
26
gegangen. Er dient noch als Buchdrucker Geselle, wird aber ehstens zum Meister 
27
gemacht werden. 
28
An Ihren Freund Bode hab ich vorigen Sonntag einen tollen Brief 
à la 
29
Shandy
 geschrieben voller Kummer, Verdruß und Sorgen – Entschuldigen 
30
M. Coelius Serotinus
Friedrich Nicolai
 Sie mich bey Gelegenheit bey ihm. Ich habe hier nichts zu seinem Vortheil 
31
anfangen können; und meine gehabte Verlegenheit ist überstanden. 
32
Ich erwarte wenigstens einen langen 
Pastoral-
Brief von Ihnen zum Neuen 
33
Jahr, wenn wir das Beyde erleben sollten. 
34
Sagen Sie mir selbst auf Ihr schriftstellerisches und kunstrichterl. 
35
impertinente gedruckte Antwort
Nicolai, 
An den Magum in Norden
; als Reaktion darauf und als Kommentar zu 
Sebaldus Nothanker
: 
Hamann, 
 An die Hexe zu Kadmonbor
Gewißen; ob ich dem 
M. Coelius Serotinus
 seine 
impertinente
 gedruckte 
36
Antwort habe schenken können ohne an die 
privat
 Beleidigungen zu denken in 
37
Handbrief
 nicht überliefert 
seinem Handbrief. Ich habe 3 Plane nicht geschickter vereinigen können. 
S. 64
1. in seinem eignen Namen zu antworten 
u
 sich selbst 
2
2. für seine mir gegebene Antwort und 
3
αποριαγκυροβολ aeisches Geschenk
 Gräzisierung von ‚notankerwerfend‘ in Anlehnung an 
Nicolai, 
 Sebaldus Nothanker
3. sein 
αποριαγκυροβολ
aei
sches Geschenk (wie er mir neulich im 
4
Vertrauen gesagt) ein wenig abzustrafen. 
5
Hederich Ernestinisches Lexicon
Hederich, 
 Graecum Lexicon manuale
Pollux
Polydeukes, 
 Onomasticon
Weder mein 
Hederich Ernestini
sches 
Lexicon
 noch mein 
Pollux
 haben 
6
dieses Wort; und ich wäre doch neugierig zu wißen wo er es herhätte. Wenn 
7
es claßisch wäre; so würd ich es doch in dem erstern wol gefunden haben. 
8
kindischer Magister
Sebaldus Nothanker
 In Bremen wird sein 
kindischer
 Magister 
Αποριαγκυροβολαιος
 heißen. Nun 
9
Pratje!
Johann Hinrich Pratje
 ehrl. 
Pratje
! bald wird die Reyhe an dich auch kommen zu lachen. 
10
verbeßerten neuen Auflage des ersten Theils
Sterne, 
Tristram Shandy
 (2. zeitgenössische Übersetzung von 
Bode
) 
Ich habe Ihrem Bode geschrieben, daß bey der 
verbeßerten neuen 
11
Link-boy …
 Einer offenbar nicht sehr bekannten Anekdote über 
Alexander Pope
 zufolge habe dieser sich einmal von einem Fackeljungen (link boy) nach Hause leuchten lassen; als er nicht genug Kleingeld dabei hatte und dem Fackeljungen weniger gab, als dieser erwartete, murmelte er aus Irritation „God mend me!“, woraufhin der Fackeljunge beim Weggehen hörbar flüsterte: „God mend me, God mend me, quotha! Five hundred such as I might me made before one such a crooked Son of a B–h as you would be mended!“ Für seinen Witz belohnte Pope ihn mit einer halben Krone. Vgl. 
Tom Gay’s Comical Jester or the Wit’s Merry Medley
 (London 1770), S. 34
. 
Auflage des
 ersten Theils ich wie jener 
Link-boy
 über 
Popens Euphemismum:
12
God 
mend
 me!
 gedacht. Ob Sie und er das Histörchen wißen, steht dahin. 
13
unleserliches und unverständl. Zeug
 die Passage ist tatsächlich recht unleserlich geschrieben 
Damit Sie aber nicht mehr unleserliches und unverständl. Zeug von meiner 
14
erstarrten Faust zu lesen bekommen, will ich Ihnen auf heute eine gute Nacht 
15
zur Seite Ihrer liebenswürdigen 
(relata refero)
 Hälfte aus meiner 
Bouteille
16
Schulmeister in der Weißgerber Gaße
Heinrich Schröder
 trinken, die mir so gut als dem Schulmeister in der Weißgerber Gaße sein 
17
Kortum
Ernst Traugott Kortum
 Pfeiffchen u Kännlein schmecken wird. 
Vale!
 Mein Freund 
Von
Kortum
 ist 
18
wirklicher Geheimter Rath des Königs von Polen geworden und einer von 
19
Subscribenten zu meinen Opusculis omnibus
 Hamann insinuiert ein Subskriptionsmodell wie 
Klopstock
 (vgl. 
HKB 389 ( III 47/14 )) oder 
Bode
 (vgl. 
HKB 397 ( III 64/29 )), wohl wegen der Frustration mit seinen Verlegern, führte es aber nicht aus. 
meinen 
Subscribent
en zu meinen 
Opusculis omnibus. Vale!
20
Weil Ihnen dieser Brief kein Porto kostet
 auf der ansonsten leeren dritten Seite des Briefes geschrieben; der Brief wurde als Gefallen übergeben (par fav.), vmtl. von 
Johann Heinrich Merck
 Weil Ihnen dieser Brief kein 
Porto
 kostet, mache ich mir kein Gewißen 
21
Sapienti sat!
 lat. sprichw. für: für den Verständigen genug 
daraus diese Seite leer zu laßen. 
Sapienti sat!
22
Adresse:
23
Pour / Mon Ami Herder / 
à Buckeburg
. / 
par Fav
.
Provenienz
 Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 97–98. 
Bisherige Drucke
 Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 44–46.
 ZH III 62–64, Nr. 396. 
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
                geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
                vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
                vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
                Quellen verifiziert werden konnten.
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                                     Merk, ]
                                
                             | 
                            
                                  Geändert nach der Handschrift; in ZH Druckkorruptel:  M rk,  | 
                        
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                                     Pays le Vaud  | 
                            
                                   Geändert nach der Handschrift; ZH:  Pays le Vaud  | 
                        
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                                   Geändert nach der Handschrift; ZH:  1  | 
                        
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                                     mitbedacht  | 
                            
                                   Geändert nach der Handschrift; ZH:  mit  Bedacht  | 
                        
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                                     u ]
                                
                             | 
                            
                                   Geändert nach der Handschrift; ZH:  u.  | 
                        
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                                     mend ]
                                
                             | 
                            
                                   Geändert nach der Handschrift; ZH:  mind  | 
                        
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                                     Von ]
                                
                             | 
                            
                                   Geändert nach der Handschrift; ZH:  von  | 
                        
| 
                                 64/23                              | 
                            Pour […] Fav.] | 
                                   Hinzugefügt nach der Handschrift.    |