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Das
erste
eilfte Kapitel
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(Meine Merkwürdigkeiten seit der Abreise aus Mitau.)
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Präcise 2. fuhr ich ab, u. war drei Meilen durch, stumm und
in
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Gedanken voll; wenn mein Schutzgeist über das Schlucken etwas Jurisdiction hat:
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so muß mein Hamann sehr oft zu sich selbst gesagt haben: „curieuse!
ich
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schlucke ich doch niemals so!
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Ich machte dabei die wahre Praktische Anmerkung, daß, wenn man auch
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nicht verliebt ist, man doch durch den Zusammenstoß u. Veränderung der
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Gegenstände sich so sehr zerstreuen kann, daß man nur oft wenige
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Augenblicke den Angelegenheiten des Herzens schenke
n
t
kann,
um deren willen
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Freunde doch zu einander wallfahrten. Habe ich doch kaum eine halbe Stunde,
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mit meinem H. gemeinschaftlich, einander unser Herz geöfnet: und
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Das ist der Freundschaft selge Stunde
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Drinn man sein Herz bedenkt:
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sonst verschwindt alle Zeit
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die man zubringt auf Erden
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wir wollen glücklich werden
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und seyn in Ewigkeit.
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Mein Freund findet auch da nicht seine Ruhe? – Er schmachtet wieder nach
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Veränderung? – Er findet auch nicht mehr in den Armen seines Freundes
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die alte Aufmunterung? – Elendes Menschliches Leben, das man nicht
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genießet, wenn man es zu früh, und wenn mans zu Eklektisch durchläuft.
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Ich nahm mir dabei vor, gleich Abends an meinen H. einen langen, vollen
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Brief zu schreiben, von dem es heißen sollte: „Die Briefe sind stark, aber die
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Gegenwart des Leibes ist schwach, u. die Rede zu muthig.“ Und was wäre
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dies für fürtreflicher freundschaftlicher Brief geworden, aber eben die besten
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Entschlüße, haben, wie die besten Väter, keine Kinder.
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Auch nahm ich mir vor, Pazz zu bitten, daß er mir von dem kleinen lieben
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Hagen
,
das
den Chirurgischen Diät-Tarif eintreiben sollte, und mein
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verspr
schuldiggebliebnes Abschiedskompliment mit allen Intereßen, an
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Rathsherr Tottin u. noch angelegentlicher an seine liebenswürdige Frau
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abtragen sollte.
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Aber unter allen diesen Entschlüßen kam ich dem Schlaf nahe, und wäre
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näher gekommen, wenn nicht der schnelle Fuhrmann, und der
höckerichte
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Weg den Schlummer von meinen Augenliedern weggescheucht hätte.
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Ich fing also an zu singen:
unter dem
das Rütteln der Kibitka schlug
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Takt, machte Triller, Bebungen u. Kontrapunkte, Schleifungen u. Sprünge;
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dem ohngeachtet sang ich ein Duzzend Gaßenlieder „kläglich“ ab.
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Und kam, nach Regen u. Wind an die Düna, ließ mich schnell übersezzen,
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denn ob
ich
gleich an eben dem Tage 2. Mädchen ersoffen waren, so war
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doch dies bei Julius Cäsar u. einem
Grecourt
nicht zu vermuthen. Man
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hatte die Thore mir zu Gefallen, eine Stunde über Gewohnheit offen
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gelaßen, u. ich kam, wie ein Feldteufel, zu meiner lieben Wirthin.
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Diese hatte mich vor der Tischgesellschaft sehr ernstlich vertheidigt: ich
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könnte ohnmöglich zu Steidel gesagt haben: „fahren Sie zum Teufel!“ und
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doch war es
wahr
, leider! wahr!
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Den folgenden Tag schlief ich
von
bis 9. u. von 10–12. bekam über dem
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Eßen einen Pasquillzettel, aus Kön. u. vermuthlich von H. pp. l. wie ich
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errathe, daß ich Sch. ffn. noch nicht geantwortet: ich ärgerte mich, schrieb an
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den Narren Sch. so höflich, als man an Narren schreibt, u. lies den Zettel
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ohne Antwort.
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Zur Vertreibung der Grillen besuchte ich die
Komödie
, wo das Schlegelsche
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Lustspiel „der Triumph der guten Frauen“
sehr
gut aufgeführt wurde,
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daß ichs gestern mit Vergnügen nochmals gesehen. Die
Candidaten
, das
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mittelmäßige Trauerspiel,
Rhynsolt
u
Sapphira
, u. das noch schlechtere
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Lustspiel Patelin habe ich besucht, um insonderheit von einem vortreflichen
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Akteur Kantner, zu lernen.
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Es ist leicht zu erachten, daß mein Projektfach in der Seele dabei nicht leer
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geblieben, sondern daß für 4. Ort ich eine Critik über das Schlegelsche u.
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Crügersche Lustspiel,
u
eine Umbildung des Trauerspiels, u. ein ganzes
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Nachspiel im Kopfe habe.
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Gegenwärtig arbeite ich am
3.ten
Fragment; nachdem der
Meßcatalog
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wieder etwas den Funken meiner Autorschaft angefacht. Ich will Steidel
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erinnern, daß er diesen Catalog nach Mit. schicken soll: es ist in ihm wenig
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neues, ausgenommen ein
Laokoon
von Leßing, über die Gränzen der Poesie
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u. Malerey, von
Michaelis
zerstreute Abhandlungen, von
Willamov
. ein
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Schriftlein über den
Aristophan
von
Zachariä
sein Cortez, und Samlung
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Deutscher Gedichte, u. einige andre, die mir nicht beifallen: vorzüglich aber
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eines Ungenannten: Fragmente über die Deutsche Litteratur, die, wie er
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selbst, Blut zu viel, Serum zu wenig haben, u. Lebenssaft, das Gott erbarm!
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Weil dieser Ungenannte zu seinem Dritten Fragment, von der Römischen
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Poesie den Spence braucht, so will er ihn noch etwas zögern, wie auch den
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Fabriz, den er unumgänglich nöthig hat. Sie nehmen es doch nicht übel, mein
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HE. P. Ruprecht, ich mache ihnen mein Kompliment.
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Ich möchte auch wohl
G
gern Saintfoix von Paris haben, weil ich dem
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großen Leibniz nachahmen will, da er in eine Gesellschaft
Chymiker
eintrat:
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ich habe etwas im Kopfe, dazu ich
Saintfoix
nöthig habe.
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Ich sehe wohl, daß dies Kapitel unter die
fluctus
von Geschichte gehört,
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von denen Ovid singt:
posterior decimo est, duodecimoque prior;
daher
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schicke ichs statt Brief an meinen lieben Freund H., als ein Memoire zur
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Vergeßenheit und besiegele es mit dem Kopfe des Marc Aurels, den ich heute
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im schönen Karneol geschenkt bekommen. Es ist doch eine gute Sache, um die
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Träumerei im Briefschreiben: heute schicke ich dies Capitel meines
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Shandyschen Romans an meinen Onkel Tobias Shandy, und hoffe von ihm bald
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eine freundliche Antwort.
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Adresse:
7
à Monsieur / Monsieur
Hamann
/ homme de lettres / à
Mitow
/
8
Francò
/
bey HE. Hofrath
Tottien
/
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 37–38.
Bisherige Drucke
Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 23–25.
ZH II 369–372, Nr. 326.
HBGA I 53–55, Nr. .
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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höckerichte ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: höckerigte |