197
48/30
Königsberg den
21.
Nov:
1760.

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Herzlich geliebtester Freund,

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Beylage
nicht ermittelt
Beylage ist einen Posttag länger geblieben als ich dachte. Es ist mir aber

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nicht gemeldet worden, daß es die gröste Eil damit hätte. Weil ich meine

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Arbeiten heute frühe zu Ende gebracht, so will ich mich jetzt an einem Briefe mit

S. 49
Seidlitzer Brunnen
Seydlitzer Brunnenkur, mit Hilfe von Heilwasser aus einer Quelle in Sedlitz, das enthaltene Bittersalz wirkte abführend
Ihnen erholen. Mein Bruder braucht den Seidlitzer Brunnen. Gott laße

2
denselben anschlagen. Ich fürchte mich, daß mir die Haut schaudert, wenn ich an

3
die Arbeit denke, die ich noch mit ihm haben werde, ehe er in Ordnung kommen

4
wird. Gott mag helfen; bin schon im Begrif gewesen aus meines Vaters Hause

5
auszuziehen, und einen Versuch auf meine eigene Hand zu machen, welches

6
nicht hat geschehen sollen, und womit ich zufrieden bin. Habe schon manchen

7
Sapienti sat
lat. sprichw. für: für den Verständigen genug
Ritt wagen, und manchen braven Stoß aushalten müßen – –
Sapienti sat.

8
Der Fortgang meiner Arbeiten, die Gesundheit und das fröhliche Herz,

9
das mir Gott schenkt versüßet alle diese Kleinigkeiten.
Schultens
Grammatik

10
habe mit viel Leichtigkeit durchlesen können, und ist ein eben so angenehm,

11
Alting
Jacob Alting
deutlich als gründlich Buch. Weil es als ein
Collegium
über
Alting
anzusehen;

12
so war es ein glückl. Zufall, daß ich deßen
Institutiones
aus Kurland

13
mitgebracht. Mit
Schultens Originibus
und
Simonis Arcano formarum
bin

14
Prof. Kypke
Georg David Kypke
gleichfalls fertig geworden, und habe mir heute wieder eine Ladung von
Prof.

15
Kypke
zu Hause gebracht. Das arabische würde mir sehr von der Hand gehen,

16
wenn ich meiner Lust dazu den Zügel schießen laßen wollte. Ich treibe es aber

17
bloß als eine Nebensache, und fahre recht gut dabey, weil diese Sprache so

18
viel Zauberey als die
Algebra
hat.

19
Ich hoffe jetzt bald mit Eintheilung meiner Arbeit im Gange zu seyn, und

20
habe vier Tage in der Woche zum Ebräischen oder oriental. Mitwochs und

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Fragmenta
nicht ermittelt
Sonnabends aber zum Griechischen ausgesetzt, bisher die
Fragmenta
der

22
lyrischen Dichter gelesen, diese Woche aber einen guten Zug schon wieder im

23
Hippocrates
Hippokrates von Kos
Hippocrates
thun können, in dem ich mehr finde als mir vorgestellt, und deßen

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Register mehr als seine Werke selbst von den theologischen
Philolog
en scheinen

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gebraucht zu seyn.

26
Anmerkungen
Hamann,
Wortfügung
Wie es meinen Anmerkungen über die franz. Wortfügung gehen wird, weiß

27
Schicksal
ob die Schrift durch die Zensur kommt,
HKB 194 ( II 45/19 )
noch nicht. Ihr Schicksal möchte aber bald entschieden werden. Sie würden

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mir einen großen Gefallen thun, wenn Sie
den österreichen?
Popowitsch

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vom Meer einmal durchgehen und das Beste darinn mit wenig Worten

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ausziehen auch mir mittheilen möchten. Es ist mir ebensoviel an dem gelegen,

31
was die
Sprache
betrift, als wofern etwas Neues und gründliches darinn

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vom Meer gelehrt wird. Sollte es der Mühe lohnen, so möchte ihn wohl selbst

33
Kayser
nicht ermittelt
zu haben wünschen, und Sie würden Ihr Exemplar leicht durch Kayser ersetzen

34
können. Kann hier mit den Buchladen den Preis abrechnen. Falls aber nichts

35
vorzügl. darinnen, ist mir ein
Auszug lieber
als das Werk selbst. An

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Kinderschen Auction
nicht ermittelt
Athenäus denken Sie doch, wo der hingekommen aus der Kinderschen
Auction,

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und melden mir etwas davon.

S. 50
Meine Engl. Bücher und das übrige, so für mich ist, denke auf der Jgfr.

2
Degnerinn Stube zu verlegen, wo die ganze eine Seite mit meiner Bibliothek

3
wills Gott bekleidet werden soll.

4
Ich ersuche Sie nochmals, Liebster Freund, falls Ihnen etwas für mich

5
Platons Werke im Griechischen
Platon,
Opera
aufstoßen sollte, an mir zu denken. Für
Platons
Werke im Griechischen, näml.

6
eine gute Ausgabe davon, möchte hier verlegen seyn. Heute habe Gelegenheit

7
gehabt die Sprache kennen zu lernen, in der ich Ihnen aus Mitau ein paar

8
armenisch
nicht ermittelt
kleine zu Venedig gedruckte Bücher mitbrachte. Es ist armenisch. Sollte der

9
Alkoran oder sonst ein arabisch Buch
Hinkelmann,
Al-Coranus sive Lex Islamitica Muhammedis
aufducken
auftauchen
Alkoran oder sonst ein arabisch Buch unvermuthet bey Ihnen aufducken, so

10
werden Sie meine Stelle vertreten.

11
Beym Lichtanstecken sind immer einige Kapitel im N. T. meine erste Arbeit,

12
womit ich jetzt
Kypke Obseruationes
und
Krebs
seine
ex Josepho
verbinde.

13
Nehmen Sie mir es nicht übel, daß ich so weitläuftig über mein Tagewerk

14
bin. Weil es mir immer am Sinn und am Herzen liegt, und jeden Tag

15
wenigstens um einen Zoll weiter komme, so freue mich darüber, und als Freund

16
werden Sie an meiner Freude Theil nehmen.

17
Mein Bruder mag seine Kur erst überstehen, habe den Anfang mit ihm

18
gemacht jeden Tag ein Kapitel im N. T. zu
analysi
ren. Er hat aber weder Lust

19
Colleg. Frider.
Collegium Fridericianum, Gymnasium in Königsberg
noch Muth dazu, ohngeachtet er sich schon anerbothen hat im
Colleg. Frider.

20
in Sprachen zu
doci
ren.

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Ihre liebe Mama
Auguste Angelica Lindner
Ihre liebe Mama ist letzthin in der Stadt gewesen, und bey uns

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angesprochen, da ich eben nicht zu Hause war. Ich wollte Sie besuchen den Nachmittag,

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wuste aber nicht, daß sie aus ihrer vorigen Wohnung ausgezogen, und hatte

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nicht Zeit ihren jetzigen Aufenthalt zu erfragen. Mit Ihrer Unruhe habe

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herzlich Mitleiden, die ich mir aus einigen Kleinigkeiten vorstellen kann, die ich

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HE. Schwager
George Steinkopf
Gelegenheit gehabt von ohngefehr aufzufangen. Ihren HE. Schwager habe

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bey mir und HE. Buchholtz Gelegenheit gehabt zu sprechen. Es gehört eine

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besondere Klugheit mit dergl. Leuten umzugehen, und wenn man mit ihnen

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zu thun hat, so muß man sich entweder gefallen laßen von Ihnen hinters

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Licht geführt zu werden, oder schlau genung seyn sie in ihren eigenen Schlingen

31
zu fangen.

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Was ich jetzt schreibe, bezieht sich auf ganz frische Erfahrungen, die ich

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gehabt habe, und worinn es mir geglückt, die vielleicht Vorspiele von größeren

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Auftritten seyn könnten, wenn mich Gott dazu beruffen hätte, der ich aber so

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Gesundbrunnens
Trinken von Heilquellwasser
gern entübrigt seyn möchte als mein Bruder seines Gesundbrunnens, weil sie

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Abstracta initiis …
HKB 179 ( II 14/14 )
. Hamann erfindet diesen Spruch ausgehend von seiner Lektüre von Bengels
Gnomon
. Im Kommentar zu
Mt 1,20
(bgzl. τὸ γὰρ ἐν αὐτῇ γεννηθὲν) verweist Bengel weiter auf den Komm. zu
Lk 1,35
(dort bzgl. τὸ γεννώμενον; S.207b): „quod gignitur) novo hoc modo & singulari. Vocabula abstracta, & neutro genere expressa, initiis illis valde congruunt.“ Oder geht es um Bengels Bemerkung zu Mt 4,17?,
Gnomon
, S. 40 zu: „ἡ βασιλεία, regnum) Divini stili est elegantia, ut primum in abstracto dicatur venisse regnum, deinde in concreto rex, sive Messias. Illud initiis occultis, hoc glorificationi congruit.“ Hamann spielt auch in der
Aesthaetica
, N II S. 204/31, ED S. 183, darauf an.
dem Geschmack nicht angenehm sind.
Abstracta initiis occultis,
concreta

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manifestationi congruunt,
sagt Bengel.

S. 51
Es wird finster, und die
Coffeè
stunde naht sich. Ich werde also auf heute

2
hiermit schließen; und wo mir morgen noch was einfallen sollte, fortsetzen. Leben Sie

3
wohl. den 22. Ich füge nichts mehr als unsere ergebenste Grüße an Sie, Ihre

4
liebe Hälfte
Marianne Lindner
liebe Hälfte und sämtl. Haus. Vergeßen Sie nicht Ihren Freund und Diener.

5
Hamann.

6
den 22


7
Herzlich geliebtester Freund,

8
Ihr letztes
nicht ermittelt
Mein Brief war schon zugesiegelt, da ich jetzt Ihr letztes erhalte. Die Post

9
ist 24 Stunden länger geblieben wegen des Sturmes.

10
Bitte mir ins künftige die Gefälligkeit aus, wenn Sie an meinen Bruder

11
schreiben, seinen Brief an mir nicht offen zu laßen, weil ich mich um nichts

12
von seinen Angelegenheiten bekümmere noch davon etwas wißen will; noch

13
weniger werden Sie Ihre Briefe an mich offen einlegen wenn es Ihnen

14
Geliebtester Freund einfallen sollte an ihn selbst zu
addressi
ren.

15
Wegen
Heraults
bitte gleichfalls nicht
ein Wort an HE.
Ag
enten zu

16
denken
. Ich brauche ihn nicht, verlange ihn nicht, habe auch kein Recht dazu.

17
Gelehrte Neuigkeiten
nicht ermittelt
Für mitgetheilte Gelehrte Neuigkeiten bin ergebenst verbunden, enthalten

18
Sie mir nichts wenn Sie etwas antreffen was meiner Aufmerksamkeit würdig

19
seyn sollte. Ihr gütiges Anerbieten nehme gleichfalls an.

20
Baßa
George Bassa
An Baßa will noch nicht schreiben, weil ohne Gift und Galle nicht im stande

21
Züchtigung …
Spr 13,24
seyn würde ihm zu antworten, und meine Züchtigung nach dem Grade der

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Liebe, die ich ihm schuldig bin, eingerichtet seyn würde, das ist, stark.

23
Zwey von den Rigischen Studenten sind so höflich gewesen meinen Bruder

24
Willemsen
nicht ermittelt
zu besuchen. Der eine war Willemsen, den ich bat uns zu besuchen, welches

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aber nicht geschehen. Er gab mir sehr gute Nachricht von dem jungen Schultz,

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die ich Ihnen und dem Vater zur Freude zu melden versprochen; daß er sich

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ganz geändert und sehr fleißig seyn soll, woran ich herzl. Antheil nehme. Mein

28
Bruder ist als ein Stock mit den Leuten, und wird sich um selbige so wenig

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malabarische Mißionarien
Im Südteil der Südwestküste Vorderindiens; im Verlagshaus Francke in Halle waren in den 1730er Jahren Berichte dänischer Missionare von dort in mehreren Bänden erschienen.
bekümmern, als ich um malabarische Mißionarien. An Besuchen und

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Umgang ist nicht zu denken, an Achtung geben auf
andere
so wenig
als auf sich

31
selbst
. Meine jetzige
Situation,
Arbeit und Jahreszeit erlauben mir auch nichts

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zu versprechen. Was ich von ungefehr hören werde, melde doch mit der

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relata refero
dt.: Ich erzähle, was ich gehört habe.
Bedingung:
relata refero.
Lauson werde bey seinem ersten Besuch
Notice
geben.

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Acoluth
Wortspiel mit dem Namen
Johann Gottfried Ageluth
und dem griechischen Wort für Nachfolger.
Ich freue mich, daß es mit
Acoluth
gutgeht. Gott gebe Ihnen einen

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muntern und treuen Schulmann und Gehülfen. Wenn ich nicht viel Trost in der

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Rücksicht auf das vergangene und in der Aussicht auf das künftige ziehen

S. 52
könnte, so würde mich das Gegenwärtige unterdrücken. Ich danke Gott und

2
freue mich, daß er ein gut Vertrauen zu mir hat. Sollte Er nicht ein gleiches

3
Seine Kraft …
2 Kor 12,9
von meiner Seite verdienen? Seine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Ich

4
arbeite mehr als sie alle – und ich kann alles durch den, der mich mächtig

5
macht. – –

6
Schenkt mir Gott nur diesen Winter Gesundheit und guten Fortgang, so

7
denke meinem Ziel nahe, sehr nahe zu seyn und habe den Berg überstiegen.

8
meine Abhandlung
Hamann,
Wortfügung
Sollte meine Abhandlung hier nicht durchkommen, so möchte selbige nach

9
Petersburg schicken; durch Ihre Hand. An statt
Heraults
sorgen Sie lieber

10
Freund
Johann Christoph Berens
, der in St. Petersburg tätig war
dafür. Ob Sie diesen oder einen andern Freund wählen, mögen Sie selbst

11
beurtheilen. Ich will durchaus aber noch
incognito
seyn, und Sie müßen mich

12
nicht angeben oder sich das geringste merken laßen, daß Sie ein Freund des

13
Verfaßers sind.

14
HE. von Moser
Friedrich Carl von Moser
. Sein „Memorial“: nicht ermittelt.
Sie ist eigentl. gegen den HE. von Moser gerichtet, deßen tummes

15
Memorial
Friedrich Carl von Moser
nicht ermittelt
Waldeckschen affaire
Das Fürstentum Waldeck, im Norden des heutigen Hessens gelegen, kämpfte im Österreichischen Erbfolgekrieg noch auf Seiten der kaiserlichen Truppen gegen Frankreich und Preußen, erklärte sich im Siebenjährigen Krieg aber für neutral. Dennoch wurde es stark vom Krieg gebeutelt und war über vier Jahre hinweg einer von dessen Schauplätzen. So lagerten 1759 etwa 70000 französische Soldaten im Fürstentum. Am 10.7.1760 fand die Schlacht bei Korbach ebenfalls auf dessen Territorium statt. Die siegreichen Franzosen hielten den Sitz des Fürstengeschlechts, das Schloss Waldeck, daraufhin bis 1762 besetzt. Moser setzte sich beim Kreistag für das weitgehend geplünderte Fürstentum ein. In einem ersten
Pro Memoria
vom 23.8.1760 erbat er die Befreiung von den „Kraißprästandis“ und von der Pflicht, für die Versorgung der dem Kreis zur Verfügung gestellten Truppen aufkommen zu müssen. Im zweiten, datiert auf den 1.9.1760, bat er um die Entsendung einer Lokalcomission, damit sich der Kreistag selbst ein Bild der Zustände vor Ort machen könne. Beide sind abgedruckt in
Fortgesetzte Sammlung der neuesten Reichsgeschäfte
(Schwabach 1760), Tl. 5, Drittes Quartal. Monat August, S. 566–570.
Memorial
in der Waldeckschen
affaire
mich noch mehr aufgebracht.

16
Funck
hat ein
Programma
über die Methode das
Ius
zu studiren NB in

17
Danzig drucken laßen weil es hier nicht
passi
ren wollen, welches man ihm

18
Schulrede
Lindners
Schulactus
erschienen 1755–1761 eigentlich immer in Riga bei Fröhlich.
auch übel nimmt. Eine Schulrede von den Verdiensten der Preußen und Liefl.

19
soll hier gl.falls gedruckt seyn und Ihr Name auch darinn stehen. Lauson wird

20
vor das letzte wenigstens sorgen.

21
Wenn Sie
Athenaeus
entbehren wollen und können: so hat es bis zu einer

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recht guten und beqvemen Gelegenheit Zeit, auch in Jahr und Tag, und so

23
lange Sie wollen. Haben Sie ihn aber nöthig, so verlange ihn nicht eher, als

24
aus Ihrer
Auction;
denn ich denke Sie noch zu überleben, (wenn Sie es mir

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nicht übel nehmen wollen,) trotz allem dem Verdruß und der langen Weile die

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mich hier auf der Erde verfolgt. Mein Vater grüst Sie herzl. und zärtl. Mein

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Bruder ist – – – – Ich umarme Ihr ander Selbst und ersterbe Ihr treuer

28
Freund

29
Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (60).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 39–142.

ZH II 48–52, Nr. 197.