241
186/27
Königsberg den
26
Jan.
1763.

28
GeEhrtester Freund,

29
Degnerinn
NN. Degner
Vorgestern, da eben unsere alte Hausjungfer, die ehrl. Degnerinn,

30
Brief
nicht ermittelt
beerdigt wurde, erhielte ihren Brief. Mein alter Vater ist gleichfalls über 8 Tage

31
Flußfieber
„Febris catarrhalis, ein nachlaßendes Fieber, welches sich mit Flüssen auf der Brust vereinigt. Man macht einen Unterschied unter ein gutartigen [Catarrh] und bösartigem Flußfieber.“, vgl.
Krünitz
, Tl. 14, S. 420
bettlägericht an einem starken Flußfieber und Husten, beßert sich aber Gott

32
Lob! Die Hochzeit geht auf die Woche in unserm Hause vor sich. Unter diesen

33
Abwechselungen bleiben meine Felder brach, ich habe mich währender Zeit

34
um Neuigkeiten bekümmern können. Und Sie erhalten einen zieml. Stoß

S. 187
propter to habere
vll. propter sibi habere, dt.: um es zu besitzen
von ausgesuchten Sachen, worunter auch
propter to habere
sind.

2
Wenigstens bleiben Sie jetzt biß zur
Ostermeße
von mir verschont.

3
System der Erziehung
die dt. Übers. von
Dodsley,
The Preceptor
Das System der Erziehung erhalten Sie nicht, weil es zu viel kostet, biß

4
auf ausdrückl. Verlangen.
Winkelmanns
Sendschreiben über die

5
herkulanischen Entdeckungen, der
HE u Knecht
mit philosophischen Augen scheint von

6
dem Verfaßer der Sittenlehre des Teufels zu seyn.
Gelehrte Geschichte
des

7
Ph. zu Sans-Soucy läst sich lesen.
Gelehrte Anecdoten
sind von
Raynal,

8
der einen schlechten Uebersetzer gefunden, der eine Fortsetzung verspricht. Weil

9
Sie den typischen
Hiller
schon haben; so erhalten Sie seine Fortsetzungen

10
gegen
Clericum
und Michaelis; die ich nicht habe ausstehen können; so wenig

11
als
Masch
von der Aufopferung Isaacs.
Bensons
kleine Abhandlungen und

12
Jephson
von Sabbath, der die
Erziehung
mit zu den Sonntagspflichten

13
rechnet.
Zankapfel
am Baum des Erkenntißes und
Etwas
über eben diese

14
Geschichte sind 2 ebentheuerl. Schriften. Eines Schweitzers Versuch über

15
Schönheit v Geschmack
in der Malerey von Fuesli ausgegeben und

16
Winkelmanns
dedici
rt ist über das Mittelmäßige und hat viel Originelles. Der

17
Anti-Hegesias
wird Ihnen auch gefallen.
Lucians
Traum
habe für

18
Foßardier beygelegt, weil es sich für sn. Seelenzustand schickt. Der Verfaßer war

19
in biuio
am Scheidewege
patronus causae
Verteidiger vor Gericht
in
biuio
und wuste nicht ob er Bildhauer oder
patronus causae
werden sollte.

20
Das übrige sind Kleinigkeiten, die ich nicht alle, wohin noch
Bellegarde

21
vollkommene Erziehung und der
babioles
dritter Theil gehören, v
Formeys

22
Anti-Emile.

23
Quodlibet
nicht ermittelt
Weil Kanter ihr
Quodlibet
besorgt; so hat er die Titel aller ihrer Schriften

24
zusammen genommen, die HE
Zeise
mir gegeben, biß auf die
Daphne
;

25
davon Sie ein Exemplar ohne Titel erhalten, weil ich vermuthe, daß Sie

26
eines nöthig haben werden zur Besorgung einer neuen Auflage.

27
Morungschen Diaconi
Sebastian Friedrich Trescho
in Morąg
Von des Morungschen
Diaconi
Handel wünschte einen nähern Bericht. Er

28
hat mich neulich wieder erinnert ihm jemanden dort vorzuschlagen. Ich habe

29
Rector und Collaborator
Sebastian Friedrich Trescho
sucht wohl einen Gehilfen im Pfarramt. Hamann rät ihm, sich an
Johann Gotthelf Lindner
bzw.
Jakob Friedrich Hinz
zu wenden.
ihm den
Rector
und
Collaborator
empfohlen. Er meldt mir, daß er in den

30
recensirt
1762 oder 1763 wurde keine Veröffentlichung von
Sebastian Friedrich Trescho
in
Briefe die neueste Litteratur betreffend
rezensiert (erst im 19. Teil, 19. Juli 1764, und im 22. Teil, 28. Februar 1765).
Litteraturbriefen
recensi
rt worden, Sie können leicht erachten wie? und droht

31
iure retorsionis
Recht der Umdrehung und Antikritik
zwischen L. v. H. zum apolog
einen vorhandenen oder erbetenen Briefwechsel zwischen
Johann Gotthelf Lindner
und Hamann als Verteidigung
zugl. mit dem
iure retorsionis
einen Briefwechsel zwischen L. v H. zum

32
Oeuvres de Philosophe
Friedrich II.,
Oeuvres du Philosophe de Sans-Souci
. Im Januar 1763 erging ein ‚Circular‘ der preußischen Regierung, das an die seit 1746 geltenden Zensurregeln erinnerte, wonach jede Publikation von politischem Interesse dem Departement für auswärtige Angelegenheit zur Freigabe vorgelegt werden müsse. Das
Supplément aux Oeuvres
wird darin als nicht genehmigter Druck angegeben.
apolog
zu machen. Im französischen v deutschen
Supplement
zu den
Oeuvres

33
Keiths Brief
Die Epistel „Au Marechal Keith“ erregte bei Publikation der
Oeuvres
besondere Aufregung, weil in der nicht-autorisierten Fassung am Ende von den „lâches Chrêtiens“, den furchtsamem bzw. niederträchtigen Christen (bzgl. ihrer Angst vor dem Tod und der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod) die Rede ist. Die autorisierten Fassungen wollen dort „lâches humains“, furchtsame Sterbliche, stehen haben. Auf die dem christlichen Glauben kritische Version antwortete Trescho mit seinem anklagenden
Brief aus den Elisäischen Gefilden von Keith an den Weltweisen von Sans-Souci
.
HKB 217 ( II 124/34 )
de Philosophe de S. S.
ist Keiths Brief – Stellen Sie sich vor wie weit die

34
Unverschämtheit v der Betrug der Verleger geht. Ich habe von einer

35
französ. Uebersetzung gehört, die verbeßert unter des Verfaßers Aufsicht vielleicht

36
Venus Metaphysique
Lindner,
Vénus métaphysique
; als verboten angezeigt in
Catalogus librorum a Commissione aulica prohibitorum
, Wien 1762, S.283.
herauskommen wird. Ihre
Venus Metaphysique
fand auch neulich im
Catalogo

37
der zu Wien verbotenen Bücher.

S. 188
Weymann hat Kantens einzig mögl. Beweisgr. zur Demonstration vom

2
Daseyn Gottes wiederlegt. Ich habe das
Mst.
ein wenig von vorn v hinten

3
an N.
Friedrich Nicolai
, vgl. Brief 239
angesehen. Letzterer hat Ursache sich vor sm. Gegner zu fürchten, und verdient

4
eine exemplarische Ruthe. Vor einigen Wochen schon einen Brief an N.

5
M.
Magister
Verfaßer
Moses Mendelssohn
angefangen, in dem ich den M. Kant dem Verfaßer der philos. Schriften

6
empfohlen, mit der Versicherung daß unser Landsmann ein Mann ist der die

7
Wahrheit eben so sehr liebt als den Ton der guten Gesellschaft. Meine

8
gegenwärtige Unvermögenheit zugl. aufrichtig bekant, unsern sinnreichen

9
Philosophen übersehen zu können.

10
Quodlibet
nicht ermittelt
Mein Verleger hat mich eben jetzt mit der Schau Ihres
Quodlibets
erfreut,

11
daß biß auf die Falten v Rangirung der Blätter, worinn mehr Unordnung

12
Redoute
Maskenball
herrschen sollte, ein Meisterstück ist. Er ist auf der gestrigen
Redoute
in der

13
Tracht eines alten Preußen erschienen mit einer Urne voll von einer kleinen

14
Ode von
Tr.
die ich ein wenig ins kurze gezogen, aber sehr fehlerhaft

15
abgedruckt ist.

16
Er muste jetzt vor dem
Senat
erscheinen, wie es heißt, wegen der Hirtenbr:

17
– Den Verfolg der Sache werde noch vor Schluß dieses Briefes erfahren.

18
Mst.
Manuskript. Ein handschriftlicher Entwurf zu einem Text über die Zensur ist in
N IV
S.259–263 ediert.
HKB 242 ( II 194/5 )
,
HKB 243 ( II 196/4 )
,
HKB 244 ( II 198/20 )
,
HKB 245 ( II 201/6 )
,
HKB 246 ( II 204/25 )
Ich habe jetzt ein
Mst.
über die Bücher
censur
in Händen als
Material
ien

19
zu einer kleinen Abhandlung, die ich ausarbeiten soll. Gott gebe Glück und

20
Rechtsgelehrten
vll.
Johann Ludwig Estocq
Seegen. Es ist von einem berühmten Rechtsgelehrten hier entworfen. Ueber

21
Zachariae
Just Friedrich Wilhelm Zachariae
organisierte die Subskription für
Karsch,
Sammlungs-Plan
.
die Einkleidung bin noch nicht einig. Einen Auszug von
Zachariae

22
Praenumerations
-Plan habe Auszugsweise in das
Intelligenz
werk rücken laßen

23
und meinen Namen mit allem Anbehör darunter gesetzt.

24
HE Kanter ist wieder hier gewesen. Man hat ihm ein Exemplar von den

25
Hirtenbriefen gewiesen. Er hat sich für den Verleger bekannt, und weil er

26
Elbing
heute Elbląg
eine Handl. in Elbing hat: so soll er sich binnen 14 Tagen
legitimi
ren.

27
Hannas und Kaiphas
Lk 3,2
Hannas und Kaiphas,
D.
Schultz v seiner Tochter Schwiegervater
Teske

28
haben das Wort geführt. Wegen des
gewißenhaften Geschmacks
, den er

29
seinen Obern im
Intelli
gentzWerk hat aufbürden wollen, hat man ihm

30
gleichfalls Vorwürfe gemacht. Das
Mst.
von den Hirtenb. ist ihm aus Kurland

31
überschickt worden v der
Commissionair
bedingt sich, daß sie nicht hiesiges

32
da costi
von dort, d.h. ohne Ort- und Verlagsangabe
Orts gedruckt werden möchten, weil sie näml.
da costi dati
rt sind, damit der

33
Verfaßer, der Wahrheit v Frieden liebt, nicht vor der Zeit durch diese

34
Verrätherey beunruhigt werden möchte.

35
– – Pictoribus …
Hor.
ars.
, 9–11, dt.: „Und doch hatten Maler und Dichter seit je gleiche Freiheit, zu wagen, was sie nur wollen. Ich weiß das, und diese Gunst erbitte ich selbst und gewähre sie andren.“
– –
Pictoribus atque poetis

36
Quidlibet audendi semper fuit aequa potestas. Scimus et hanc veniam

37
petimus damusque vicissim.
Christiani hat sehr laut für HE. Kanter

S. 189
gesprochen, und man hat mit vieler Heftigkeit
debatti
rt, ehe es zum Spruch

2
gekommen, durch den man 14 Tage Zeit gewonnen sich zu
legitimi
ren.

3
Nach Ihrem Fäßchen
Caviar
wäßert mir der Bart – es verdrüst mich aber,

4
daß ich immer Geschenke besonders von Ihnen annehmen muß und keine

5
austheilen kann. Wer kann gegen sein Schicksal?

6
Daß Jerusalem Verfaßer der Briefe über die Mosaischen Schriften ist,

7
Recension
Neue Zeitungen von gelehrten Sachen
, Leipzig, 23.12.1762, S. 811–813. Die Rezension von
Lindner,
Beitrag zu Schulhandlungen
ist ausgewogen, zweifelt daran, dass ein literarisch hochwertiges Schuldrama möglich sei, lobt aber das letzte Stück („Der wiederkehrende Sohn“) und Lindners Abhandlung über die Sprache.
werden Sie wohl wißen. Die
Recension
ist zieml. richtig. Für das übrige

8
danke gleichfalls ergebenst. Den Ton der Leipziger Zeitungen kenne ich;

9
vielleicht hab ich Gelegenheit das Stück zu lesen, worinn Ihre Schulhandl.

10
vorkommen.

11
Sermocination
Disputation; über Hamanns Eheplan, vgl.
HKB 240 ( II 184/33 )
Ihre freundschaftl.
Sermocination
nehme mit erkenntl. Herzen an. Sie

12
fremdes […] Kalb
Ri 14,18
haben ein
fremdes Licht
oder
Kalb zu Hülfe
genommen. Alle
Hypothesen,

13
die Sie annehmen, um dies Rätzel zu entwickeln, sind mir bekannt. Sie sind

14
weder einzeln noch zusammengenommen hinlängl. den Knoten aufzulösen.

15
Sie loben am Anfange meine Offenherzigkeit, und ärgern sich am Ende über

16
die Bemäntelung meiner Sünden. Man kann das Licht lieben, ohne ein

17
Diogenes
Alexander der Große sagte zu
Diogenes von Sinope
gesagt: „Fordere, was Du wünschst!“ Seine Antwort: „Geh mir aus der Sonne!“ (
Plut.
vit.
, Alexander 14)
ohne den Markt zum thalamo zu machen
zum (Ehe-)bett, nach
Diog. Laert.
, VI 46
Diogenes
zu seyn, oder ohne den Markt zum
thalamo
zu machen. Auch an

18
Mann des Steele
vmtl. Anspielung auf Richard Steeles moralischen Traktat
The Christian Hero
. – „Mann“ wäre demnach eine Anspielung auf den „Great Man“ des Untertitels, der in zeitgenössischen Drucken besonders hervorgehoben ist.
den Mann des
Steele
habe mehr als einmal gedacht. Aus den wiedrigsten

19
Umständen gleich
Dissonantz
en ist die
Harmonie
des Glücks mögl. wenn ich

20
das allein suchte
; wie man bey allem Ueberfluß unzufrieden seyn kann.

21
Die
einzelne
Vorsehung ist mein einziger Ruhepunct. Ich habe noch heute

22
unbegreiflich, wie Er regiert
gemeint ist
Ps 147,5
gefühlt, was ich laß
Ψ
148 – und ist
unbegreiflich
, wie Er regiert. Dieser

23
Unbegreifl.
Gott wird auch an meinem Lebenslaufe nichts versäumen, daß

24
Ehren und Freuden
1 Thess 2,20
Gnade und Wahrheit
Ps 103,11
ich ihn mit
Ehren
und
Freuden
schlüßen kann. Er laße Seine Gnade und

25
Mlle Kurella
vll. die Tochter von
Jacob Heinrich Kurella
Wahrheit über uns alle walten. Mein Vater grüst Sie herzl.
Mlle Kurella

26
den HE.
Collaborator.
Ich umarme Sie und Ihre liebe Frau, der ich ersterbe

27
Ihr treuergebener Freund.

28
Johann George Hamann.



S. 496
Handschriftliche Anmerkung von Johann Gotthelf Lindner am Rande:

15
Dentler. Arzt.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (90).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 179–181.

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 120.

ZH II 186–189, Nr. 241.

Zusätze fremder Hand

496/15
Johann Gotthelf Lindner

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
187/12
Erziehung
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
Erziehung
496/14
–15
Handschriftliche […] Arzt.]
In ZH im Apparat.