240
S. 183
Königsberg den
5 Jänner 1763.

2
GeEhrtester Freund,

3
Götting. Recension
Rezension von
Hamann,
Kreuzzüge des Philologen
durch
Johann David Michaelis
, im 68. St. der
Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen
(1762), S. 593–595
Die Abschrift der Götting.
Recension
erhielte am Neujahrstage des

4
Morgens als ein sehr angenehmes Andenken Ihrer gütigen Aufmerksamkeit für

5
meine Wünsche. Wenige Tage vorher hatte Nachricht davon bekommen und

6
wurde mir auch eine Abschrift versprochen auf die ich aber lange hätte warten

7
müßen; denn das Blatt selbst war ein Heiligthum, weil
D. Bohlius
der einzige

8
ist, der sie hier hält. Es würde mir lieb sein zu wißen, ob sie schon alt und in

9
welchen Monath des Jahres sie fällt ingl. was ungefehr mehr für Bücher in

10
Michaelis Fragen an die arabischen Gelehrten
Michaelis,
Fragen an eine Gesellschaft Gelehrter Männer
eben demselben Stücke
recensi
rt seyn mögen. Ich habe eben jetzt
Michaelis

11
Fragen an
die arabischen Gelehrten gelesen und für Sie beygelegt. Der

12
Aufsatz
Michaelis,
Einfluß der Meinungen
; vmtl. handelt es sich um die 1762 in Bremen erschienene franz. Übersetzung.
französischen
Academie des Inscript.
ihren Aufsatz habe nicht aushalten

13
unüberwindl. Dunkelheit
vgl.
Hamann,
Mitauisches Intermezzo
, N II S. 248/48, ED S. 17 u. N II S. 254, ED S. 31
können; so pedantisch komt er mir vor. Die unüberwindl. Dunkelheit des

14
Philologen möchte den Götting.
Recensent
en vielleicht eine ähnl. Menge von

15
Fragen veranlaßen können. Aber der Philolog könnte sich vielleicht auch einige

16
Leichtsinn [...] Christenthum seyn
vgl.
Hamann,
Mitauisches Intermezzo
, ED S. 27
Fragen an den Götting.
Recensent
en erlauben. z. E. Leichtsinn v Misbrauch

17
bibl. Redensarten sollten die nicht wieder die Religion oder vielmehr eigentl.

18
zu reden gegen das Christenthum seyn? Mit diesem lächerl. Wiederspruch

19
fängt man an, und die doppelte Zunge geht durch den gantzen Aufsatz durch.

20
Dunkel v unbestimmt ist der
Recensent per sympathie
vermutl. Daß es

21
recensi
rt ist in diesem Zeitungsblatt ist schon hinlängl. Um die Art und Weise,

22
bekümmere mich gar nicht. Sollten die Litteraturbriefe den Ton angeben: so

23
Palinodie
Widerruf mit gleichen stilitischen Mitteln. Vgl.
Mendelssohn,
Fulberti Kulmii Antwort
, S. 217 (192.
Literaturbrief
, Tl. 12, 22. Oktober 1761): „Lassen Sie also Ihre Muse bald die Palinodie anstimmen“.
ist Zeit genung zu einer
Palinodie
des Philologen. So viel ersehe, daß

24
Mich. mich gelesen, mich versteht, aber nicht das Ansehen haben will mich

25
zu verstehen; daß er mich nicht versteht, und weder verstehen kann noch

26
unpartheyische [...] worden
Vgl.
Johann David Michaelis
, im 68. St. der
Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen
(1762), S. 594f. und
Hamann,
Mitauisches Intermezzo
, ED S. 31-34
darf, ist gleichwol auch wahr. Die unpartheyische Welt wird unterdeßen

27
auch so billig seyn auf eines
Recensent
en Wort einen Schriftsteller nicht

28
gl. zu verurtheilen ohne vorher zu sehen, was derselbe wirkl. geschrieben hat,

29
da nicht ein einziges Stück aus diesen Kreuzzügen namhaft gemacht

30
Tantum
dt.: so viel
worden.
Tantum.

31
An Nicol. habe geschrieben, ihm die Maculatur, Kantens zwo Abhandl.

32
die
Rhaps.
Briefw. v Hirtenbriefe auch wieder mein Wort die

33
Sommerstunden überschickt, nebst Ihrem Briefe an ihn. An Sie habe gleichfalls als

34
meinen ältesten besten Freunde gedacht, entschuldigt, Erinnerungen über die

35
Recension
Thomas Abbt
hat im 231. und 232. der
Literaturbriefe
(Tl.13, 1762) Lindners
Schulhandlungen
rezensiert.
Recension
gemacht mit aller Aufrichtigkeit von beyden Partheyen, daß weder

36
Aristoteles
Aristoteles
Aristoteles noch die Wahrheit über mich klagen können, wenn beyde mich

S. 184
Atticus
Titus Pomponius Atticus
, für seine politische Neutralität bekannt.
lesen sollten, weil ich wie ein
Atticus
den Händeln bloß zusehen mag, meine

2
Freunde haßen und meine Feinde lieben kann.

3
Das neue Jahr hat sich mit Braut und Bräutigam in unserm Hause

4
seel. Vetters
Joachim Anton Nuppenau
Elbing
heute Elbląg
Zöpfels Tochter
Lieschen, Tochter von Peter und Magdalene Dorothee Zöpfel, vgl.
Zöpfel
angefangen. Der Nachfolger meines seel. Vetters in Elbing heyrathet
Zöpfels

5
Tochter, die als Haushälterinn bey jenem sich aufgehalten. Er hat sie

6
hergebracht zu ihren Eltern, und die Hochzeit wird in einem Monathe, so Gott

7
will, klein und bey uns seyn.
Mein
Unser neue
r
Vetter heist
Becker,
ein

8
Schlesier, ein fähiger Kopf und feiner Mann im Umgange, der zwar als

9
Gewürzhändler eigentl. ausgelernt, aber die Geschicklichkeit eines
Contori
sten

10
besitzt und sich in seinen neuen Weinhandel gut zu finden weiß.

11
Gott laße auch dies Jahr für Ihr Haus, GeEhrtester Freund, geseegnet

12
seyn an himmlischen Gütern und irrdischen in Christo. Er laße es Ihnen an

13
keinem Guten fehlen, und gebe auch unserer Freundschaft neue Stärke und

14
neues Leben. Dem Kopisten der
Recension
wünschen Sie doch auch ein frölich

15
Neujahr – Mein alter lieber Vater sagt zu allem: Amen!

16
HE
Gouv Secr. Hennings
habe zum Beschluß des alten Jahrs zum ersten

17
Opuscula
dt. Werklein
mal gesehen. Ich schickte ihm zum Weynachten meine
Opuscula
in zwey niedl.

18
halb engl. Bändchen, deren einer die Denkw. Wolken und
Essays
mit der

19
Aufschrift: Sokrat: der andere Kreutzzüge nebst allen folgenden nach der

20
Reyhe biß auf das letzte mit der Aufschrift: Philolog in sich hielt. Beyde in

21
Maculatur zum bewusten Gebrauch witzig und satyrisch eingewickelt. Hiebey

22
Bettelbrief
zur Subskription von
Karsch,
Sammlungs-Plan
schrieb ich einen Bettelbrief und legte den Plan bey. Siehe! da kam er zu mir

23
des Abends ins Haus und kaufte mir zwey
Praenumerations
Zedel ab, und

24
jeder von uns trunk 2 Gläser
Champagner,
aus einer einzigen Bouteille, die

25
sich in unsern Keller seit langer Zeit verirrt hatte.

26
Heut wird
L’Estocq
in den Senat eingeführt v dem alten Bolz
adiungi
rt.

27
Ein eyfriger Verehrer Seiner Verdienste kam eben zu mir gelaufen v ließ mir

28
Carmen
nicht ermittelt
ein
Carmen
lesen, womit er ihn in den Senat begleiten wollte, worinn ergebenst

29
Young
Edward Young
gebeten wird, daß alle Dorfpfarrer Komödien schreiben dürfen, weil Young

30
Laico
Laien
das Theater erbaut, und keinem
Laico
verwehrt seyn soll sich, wenn er will,

31
durch eine Postille zu verewigen. Merken Sie nun, daß mein Herr Verleger

32
ein
Politicus
ist, wie sein Autor ein
Philologus,
der von nichts weiß.

33
Druide
Selbstbezeichnung Hamanns, meist im Zusammenhang mit der „Hamadryade“
Anna Regina Schumacher
Auf den Druiden zu kommen, so bin ich Ihnen längst eine Vertraulichkeit,

34
Lieben Herrn … anruffe
Ps 4,3f.
liebster Freund! schuldig, die ich Ihnen zum Neuenjahr bezahlen will. Lieben

35
Herren! erkennt doch daß der HErr seinen Philologen wunderlich führt. Der

36
HErr hört, wenn ich Ihn anruffe.

37
Arabisch und griechisch ist seit Pfingsten ziemlich dem Miswachs

S. 185
unterworfen gewesen; unterdeßen hoffe ich doch mit Göttl. Hülfe, daß ich jenes

2
nebst den übrigen morgenländischen
Dialect
en noch zur Nothdurft einholen

3
jene Araber
vgl.
HKB 240 ( II 183/10 )
werde, ehe jene Araber wieder mit ihren Entdeckungen anlanden werden.

4
vom Brodt
Mt 4,4
Dem sey wie ihm wolle, so lebt der Mensch vom Brodt nicht allein –

5
Häusliche und einheimische Angelegenheit haben mich in eine ganz andere

6
Schule geführt, in der ich auch gutes Lehrgeld geben müßen. Die Hofnung

7
daß auch diese Arbeit ihren Lohn oder Seegen mir einbringen wird, und zum

8
Theil schon eingebracht hat, erhält mich bey Muth und schenkt mir neuen zur

9
Vollendung meines Laufes.

10
Mein Vater und seine Wirthschaft sind der vornehmste Gegenstand meines

11
hiesigen Aufenthalts. Die Ruhe seines Alters ist das Ziel seiner und meiner

12
Wünsche. Zu einer zweyten Ehe möchte er sich kaum entschließen. Mit

13
Haushälterin
NN. Degner
unserer alten Haushälterinn geht es auch auf die Neige. Sie ist treu aber

14
unvermögend. Von unsern Anverwandten ist keine, die ich als eine Schwester

15
oder mein Vater als eine Tochter ansehen könnte. Es wäre also eine

16
Schuldigkeit für seine Kinder diesem Mangel abzuhelfen. Der jüngste ist befragt

17
worden, hat aber nicht Lust. Der älteste wurde nicht gefragt und hatte schon alle

18
Druide
Selbstbezeichnung Hamanns, meist im Zusammenhang mit der „Hamadryade“
Anna Regina Schumacher
Anstalten dazu gemacht – kurz der Druide war schon fest entschloßen mit der

19
linken Hand zu heyrathen, und hat seinem Vater und Beichtvater davon

20
Nachricht gegeben, dem er eine schriftl. Ohrenbeichte übersandte, und darauf es

21
XXX ψ
Ps 30
ankommen ließ abgewiesen zu werden, aber mit dem
XXX
Ψ
. von der

22
Einweyhung des Hauses Davids reiche Erhörung empfieng und ganz allein

23
zum heil. Abendmal gieng. Sein Vater gieng den Sonntag darauf und

24
versprach ihm seine Magd, die ihm bisher treu und redlich gedient hatte, nicht

25
muthwillig oder ohn Noth abzuschaffen, da er eben den Tag vorher auf seines

26
Lehrbuben
nicht ermittelt
Sohns Vorbitte einen Lehrbuben wieder angenommen hatte, der ihm über

27
8 Tage fortgelaufen war.

28
Hamedryade
Die Hamadryaden sind Baumnymphen des griechischen Altertums, Seelen des Baumes. Gemeint ist
Anna Regina Schumacher
.
Die Hamedryade ist ehrlich gesundes Bauermensch, das Anna Regina

29
heist und künftige Ostern ein Jahrlang in der Stadt und bey uns für Köchin

30
oder als einzige Magd dient. So sauer mir auch die Proben geworden sind,

31
die ich mit ihr gemacht; so sehr habe ich Ursache mit dem, was ich bisher für

32
sie gethan, zufrieden zu seyn.

33
des Marschalls von Sachsen Ehentwurf
Anspielung auf Moritz’ von Sachsen (1696–1750) Verhältnis mit der frz. Schauspielerin Adrienne Lecouvreur (1692–1730)
Ich denke des Marschalls von Sachsen Ehentwurf mit ihr zu erfüllen.

34
Gott wird mir selbst dazu Mittel und Wege zeigen meinen Entschluß

35
auszuführen, daß meines Vaters Ehre und der Jungferkranz, das einzige Gut

36
eines armen Mädchens, in
salvo
bleiben, und ein dreyfaches Glück durch

37
Kreuzzug
Kreuzstich beim Nähen
einen neuen Kreuzzug zusammengeflochten wird.

S. 186
Sie können leicht erachten, wie Ihrem armen Druiden bisher zu Muth

2
gewesen. Er kann jetzt um ein groß Theil ruhiger seyn, da er die schwersten

3
Zweifelsknoten ziemlich glücklich und nach Wunsch aufgelöst.

4
Die Erhaltung meines Leibes und Hauses sind die Bewegungsgründe zu

5
einer Gewißensheyrath. Eine bürgerl. ist meinen Umständen und meiner

6
Freyheitsbrief
vom Berliner Konsistorium, an das sich
Johann Christian Buchholtz
wendet, vgl.
HKB 242 ( II 193/29 )
. Hamann ersucht einen Dispens von der Verpflichtung, kirchlich zu ehelichen.
Gemüthsart nicht gemäß. Nun komt es auf einen Freyheitsbrief an, zu deßen

7
Erhaltung ich noch Umstände und Zeit und
Umstände
Stunde abwarten

8
muß. Vielleicht geb ich andern ein gut Beyspiel den Endzweck der Ehe und

9
ihren Segen zu erhalten ohne an das knechtische Joch menschlicher Satzungen

10
gebunden zu sein, durch den ein von Gott eingesetzter Stand zum

11
Deckmantel des Geitzes, der Lüste und der Bosheit gemacht wird.

12
unter der Rose
unter der Rose
lat. sub rosa, dt.: unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Vgl. auch die Vorrede von
Hamann,
Kreuzzüge des Philologen
„Dem Leser unter der Rose“
Dies entdecke Ihnen noch, unter der Rose, liebster Freund. Ihre

13
Empfindungen darüber theilen Sie mir als ein Freund, der an meinem Glück, guten

14
Namen und Schicksal Antheil nimmt, mit. Guten Rath werde niemals

15
Salomo
Vmtl. eine preußische Gesetzessammlung wie das
Königlich Preußisch Allgemeines Processual-Lexicon Oder Möglichst vollständiges Repertorium Aller, in sämtlichen Königlich Preußl. Landen, bis itzo, gültigen Constitutionen, Edicten, und General-Rescripten, so den Proceß reguliren
(1749)
verachten. Erläuterungen bin immer geneigt zu geben. Den
Codex
werde ehstens

16
consuli
ren und von dem läst sich doch noch immer an den Gesetzgeber
appelli
ren.

17
An Materie zu lachen fehlt es freylich nicht auf der Welt; und die neue

18
Salomo
Pred 1,2
Auflage alter Rollen ist die Eitelkeit, worüber Salomo schon klagte. Mit

19
meinem Looß bin zufrieden, und werde es mit Gottes Hülfe seyn. Einfältige

20
Mittel sind nach dem Gesetz der Sparsamkeit. Von unten auf dienen, auch in

21
der Liebe, macht gute Streiter – Leben Sie wohl, grüßen Sie herzlich Ihre

22
liebe Hälfte, und vergeßen Sie nicht (ungeachtet des
Intermezzo
vom

23
Druiden) Ihren alten treuergebenen Freund.

24
Hamann.


25
à / Monsieur / Monsieur Lindner / Maitre de belles Lettres et / Regent

26
du College Cathedral / de et / à /
Riga
. / par Couv.



S. 496
Handschriftliche Anmerkungen von Johann Gotthelf Lindner:

2
Zu HKB 240 (II 184/36):
Der eine will löffeln
, der
andre
will freyen.

3
Zu HKB 240 (II 185/37):
Aus 1 Abw. in 10 andern Fällen.

4
Zu HKB 240 (II 186/5):
Ernst der Lebensart.
Voila le tic.

5
Zu HKB 240 (II 186, 26):
Myst. d’iniquité

6
Neron. Maintenon.

7
Eitle Ehrsucht. Hamadrys.

8
nahe an 1 Abgrund.

9
Schleyer der Nacht.

10
Freiheit zu
wenn sie noch haspelt.

11
der
Providenz

12
fleischl. Wohllust.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (89).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 176–179.

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 118–120.

ZH II 183–186, Nr. 240.

Zusätze fremder Hand

496/2
Johann Gotthelf Lindner
496/3
Johann Gotthelf Lindner
496/4
Johann Gotthelf Lindner
496/5
–12
Johann Gotthelf Lindner

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
496/1
–12
Handschriftliche […] Wohllust.]
In ZH im Apparat.