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den 31 Jänner 75.

19
Liebster Hartknoch,

20
Wenn Sie nur so viel Zeit hätten zu lesen, als ich Lust zu erzählen: so

21
wollte ich
ab ouo vsque ad poma
Ihnen alles schreiben. – Nun lesen Sie so

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viel Sie wollen, und laßen Sie mich schreiben, so viel ich kann.

23
Gestern um diese
Zeit
schwarze Stunde saß ich, trunk mein Kännchen

24
Caffé,
rauchte mein Pfeifchen
à la hate
und „dacht nicht viel an das elende

25
Leben“; wie der Prediger Salomo sagt, als mir ein Fäßchen
Caviar
ins Haus

26
gebracht wurde – „Und kein Brief, keine Zeile dabey!“ Mit dieser

27
Exclamation
des Wunderns gieng ich auf mein
Bureau.
Als ich zu Hause kam, liefen

28
mir meine Kinder entgegen und schrien: ein Brief! ein Brief! – „Von wem?“

29
Zündt Licht an, zieht mich aus, gebt den
Caviar
her!

30
– – „Ihre Sibylle roth und schwartz, wie Sie es verlangten abgedruckt.

31
Zwey
Exempl.
“ – – 3
1
/
4
Zeilen. An kein
Caviar
gedacht, an keine

32
vorhergängige
Correctur
– Der Verleger, dacht ich, ist ein anderer
Julius Caesar;

33
aber noch kein
Augustus
, der des erstern
Festina
mit einem
lente
zu

34
verbinden wuste.

35
Unterdeßen war das Fäßchen geöffnet, mit einem Eßlöffel bedeckt, und von

S. 151
Paarsemmeln und Kindern umlagert. Ehe es zum Handgemenge kam, gieng

2
ich mein
Ora
cul
zu Rathe ziehen. Weil ich ersahe, daß die Sibylle am Tage

3
Adelgunde
angekommen war; so war dies
nomen et omen.

4
Es lebe die Sibylle Adelgunde!
zwitscherten die Jungen. Der Alte aß,

5
wie schr
ie
eibt – bis er nicht mehr konnte vor Schweiß seiner Nase. Die

6
Kinder machtens leider! nicht beßer; unterdeßen das
respecti
ve
Publicum
in

7
langen Röcken, worunter sich auch Lehnchen Käthe befand, über den
Alten

8
und seine
Art
grifflachten, die
schwarze Seife
, wie sie es nannten, sich von

9
den Fingern zu leck
te
en.

10
Diesen Morgen erhielte von HE.
Toussaint
eine Entschuldigung, daß ein

11
kleines Briefchen
zum Fäßchen gehörig, wegen seiner kleinen
Statur
wäre

12
übersehen werden.

13
Dies
Billet doux
öfnete mir die Augen erst über meine
eigene

14
Ungerechtigkeit
, womit ich Ihr Stillschweigen in den Verdacht eines heiml. Unwillens

15
über mich gezogen hatte

16
2.) über den unvermeidlichen Betrug der optischen Beywörter;
groß
und

17
klein
,
dick
und
dünn
, wenn man den Innhalt der Dinge nicht einzusehen

18
im stande ist.

19
Gestern hieß es: was für ein
dicker Brief
! Und es waren 3
1
/
4
Zeilen ohne

20
datum,
ohne den geringsten Wink noch Erläuterung der vergangenen Dinge.

21
Heut hieß es: ein
kleines Briefchen
! Er enthielt gleichwol ohne das

22
Datum
und die übrigen
Curialien
mitzurechnen über 11 volle Zeilen. Nachricht

23
vom
Druckort
; Namen des gelehrten
Correcto
rs; genommene Abrede die

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Lettern bis zu meiner Antwort stehen zu laßen; ein Merkmal des
guten

25
Willens
ein andermal den übrigen Innhalt meines lieben Briefes zu

26
beantworten;
aviso
vom Tönnchen
Caviar
nebst dem Namen des Monaths, des

27
Fuhrmanns, des
Destinataire,
Zahl des Gewichts und den Anfang eines
Χ
stl.

28
Wunsches, der so trefflich eingetroffen, daß ich nunmehr bestimmen kann über

29
ein ℔ mit meiner kleinen Mannschaft verschlungen zu haben.

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Um meine unverschämte Lüsternheit in Ansehung des
Caviars

31
einigermaßen zu entschuldigen, kann ich nicht umhin anzuführen

32
1.) daß ich eine so tiefe eingewurzelte Ungeschicklichkeit und Abneigung

33
gegen allen Handel und Wandel habe, daß ich ohne Rücksicht des

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Eigennutzes wünschen möchte nichts auf der Welt erkaufen zu dürfen. Es ist

35
gar zu weitläuftig Ihnen alle die Gründe dieser meiner
Antipathie

36
oder
Idiosyncrasie
zu entwickeln.

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2.) daß ich
zu
so streng wie der
Accise Tarif
meines allergnädigsten

S. 152
Monarchen unter die
objecta consummationis ord
riae
und
Delicatessen

2
distingui
re.

3
3.) daß ich letztere mit allem mögl.
Epicureismo
verzehren mag und daß

4
das Andenken eines Freundes, dem ich einen Genuß zu verdanken

5
habe, dazu der beste
medius terminus
ist die Fibern des Magens und

6
Herzens zugl. zu
kützeln
.

7
Nachdem ich heute aus Ihrem
Billet doux
vom 3
huj. st. v.
ersehen, daß

8
mein Vertrauen auf Ihre Freundschaft auf keinerley Art beschämt worden

9
ist: so faße ich auf einmal Muth, an statt eines
mimi
schen Stillschweigens bis

10
zur OsterMeße und einer mündl. Unterredung, Ihnen noch einmal zu

11
schreiben. Meine kleine Adelgunde ist so rund und gut im Druck gerathen, daß ich

12
meine Freude an ihren rothen Wangen und pechschwarzen Augen und Haaren

13
gehabt habe. Ich überlaße es gänzlich Ihrem Gutachten und dem Befinden

14
der Umstände, ob Sie aus nachfolgender Anzeige von Muttermählern noch

15
einigen Gebrauch machen können und wollen:

16
S.
II.
Z. 3. an statt Harmonien, lies: Harmonie. S.
IV.
Z. 2 fehlt das

17
Zeichen - zwischen Immer- und Vermehrer,

18
Immer-Vermehrer
.
i. e (Semper Augustus)

19
V.
Z. 3. herrlichen,
comma fehlt.

20
VI.
Z. 10. an statt alten, lies: altem

21
12. Grund- fehlt das Zeichen der Trennung oder Verbindung-

22
VIII.
Z. 10. an statt Schemen, ließ: Scheme und zeitigen mit einem

23
kleinen z.

24
IX.
Z. 14. an statt spuckenden, lies: spukenden. Weil Spucken und

25
Spuken verwechselt werden kann. Vielleicht wär es noch

26
beßer das Wort mit 2 u zu schreiben: spuuken.

27
XII.
Z. 9. an statt das, lies: daß

28
XIV.
Z. 2. an statt: ein
Caviar
lies:
Caviar, deleatur
ein.

29
XV.
Z. 2. hinter Zueignung? muß an statt des Fragezeichens ein
Colon

30
stehen.

31
S.
XVI. lin. vlt.
an statt
Meduse
Minerva lies:
Aspasie
. Mit dieser

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Aenderung wäre zuvorgekommen, wenn ich nicht Antwort auf

33
das Wörtchen
Hu?
gewartet hätte. Den wenigsten Lesern

34
dürfte es einfallen, daß
Pericles
se Aspasie in der Maske der

35
Minerua
Schau getragen öffentl. und daß ich Aspasie dachte

36
und Minerve schrieb.

37
Dies wären meine
Curae posteriores
alle. Sollte meine Antwort zu spät

S. 153
kommen und die Lettern schon aus einander seyn; so ist an allen diesen
Naeuis

2
nicht viel gelegen, und ich überlaße alles Ihrem Gutbefinden und der Lage

3
der Sache. Bitte nur, liebster HE Verleger, mich nicht auszulachen, daß ich

4
wegen eines leichten Bogens in klein
Duodez
so viel Federlesens mache, und

5
sich durch das
opti
sche Urtheil meiner lieben Amtsschwestern im langen Rock

6
u. mit glattem Kinn nicht irre machen zu laßen, welche die
vires
nach dem

7
volumen
schätzen, und dünne dick, klein groß nennen nach der Unter
Instanz

8
des sinnlichen Augenscheins.

9
Von den 2 mir überschickten
Exemplarien
habe ich das Meinige noch gestern

10
Abend verschenkt. Ich erwarte daher die mir zugedachte und versprochene

11
kleine Anzahl mit
Gelegenheit
, daran es nicht fehlen wird. Das dem Herder

12
zugedachte
Exemplar
kann noch nicht sogl. befördern, weil er mir eine

13
Antwort schuldig ist, auf die ich warte, und willens bin das Exemplar durch

14
Claudius
meinen Gevatter zu
expedi
ren, der schmerzl. auf den Anblick wartet,

15
damit er’s wenigstens lesen und sehen kann.

16
Von den mir zugedachten Exemplarien bitte noch 2 abzunehmen, eins für

17
HE. Georg Berens, für seine stille Verdienste um unsern gemeinschaftl.

18
Freund zu B. und das andere für den armen Hintz in Mitau, dem ich zugl.

19
einen
förmlichen Arrest anzukündigen
bitte wenn er mir auf Ostern nicht

20
wenigstens 3
Exemplaria
des
Selbstgesprächs
und 3 der nicolaitischen

21
Antwort No. 1. mitbringt nebst dem
Defect
des Sophrons. Sollte einer von

22
beyden das Andenken der
Sibylle Adelgunde
verschmähen; so bitte das

23
verworfene
Exemplar
für mich beyzulegen – und es als ein
Corpus delicti

24
gehörig zu zeichnen.

25
Ein
einziges
Exemplar
des
Zacchaei
habe am Neujahrstage erhalten,

26
aber auf frischer That einen Manne aufgedrungen, daß ich also nichts als

27
die Aushängebogen für mich selbst besitze, dörfte wol keins vor der Meße

28
erwarten. Und gesetzt daß eins eher ankäme, so würde es nicht der Mühe lohnen

29
es Ihnen zu
expedi
ren.

30
Nun liebster Freund Hartknoch! Das ist wirklich der letzte Brief, den ich

31
Ihnen schreibe; weil ich den ernsten Willen habe, wo es nur immer mögl. seyn

32
wird, etwas feisteres in Ihren Verlag zu liefern, um Sie wegen der

33
begangenen Tändeley mit der
Sibylle Adelgunde
, wo mir nur möglich

34
schadlos zu halten. Es wird keinem Menschen auf der Welt so schwer und

35
so leicht einen Brief zu schreiben als mir und ich bin das wunderbarste

36
Gemisch von
extremis.
Mein Waarenlager über den Articul, den ich im Schilde

37
führe, ist so voll, daß mich mein Ueberfluß arm macht.

S. 154
1
/
12
tel des Jahrs ist verfloßen, ohne daß ich weder eine Kirche noch die

2
Stadt besucht habe. Eine
splendida bilis,
wie Horatz es nennt, zeigt mir in

3
jeder Sache Seiten, die andere nicht sehen können oder nicht sehen wollen, und

4
macht mir allen Umgang mit Menschen, die mir so unerklärlich sind als ich

5
ihnen seyn muß, unausstehlich. Diese Rücksicht auf meine Gemüthslage scheint

6
mir den sichersten Aufschluß von unsers gemeinschaftl. Freundes ebentheuerl.

7
Autorschaft zu geben. – Holla! Schicken Sie mir doch mit eben der günstigen

8
Gelegenheit seine
Volkslieder
. Alles Meßgut ist für uns eingefroren. Haben

9
Sie beßer Glück gehabt – das
Dictionnaire des Finances
erhalten? Wieviel

10
kostet es? und werden Sie Ihr Versprechen erfüllen es mir kennen zu laßen,

11
wenn es mir zu theuer seyn sollte. Sie erhalten Geld, oder Buch ehrlich

12
wieder, weil dies zu den
objectis consummationis ord
riae
gehört.

13
Nun ich wünsche Ihnen und Ihrem ganzen Hause viel Freude, und

14
erwarte Sie – halb oder gantz fertig – Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Hälfte.

15
Meine Kinder schlafen alle Gottlob! Hänschen hat mir manchen Angstschweiß

16
zum Anfang dieses Jahres durch ein gefährliches Lager an einer starken

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Verkältung abgejagt. Und hiemit Gott empfohlen.

18
Johann Georg Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 5.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 122–126.

ZH III 150–154, Nr. 432.