359
443/8
Kgsberg den
9
Mart
April
769.
9
Liebster Freund,
10
Den letzten März habe durch
Steidel
Ihren
sine die et consule
gezeichneten
11
Brief erhalten. Die
Anecdote
ist mir wenigstens angenehm gewesen, daß Sie
12
14 Tage daran geschrieben. Ich vermuthe aber kaum, daß Sie damals mein
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letztes Geschmier vom 15
Mart.
das eine Einl. an Steidel war erhalten;
14
wenigstens muß es gegen das Ende Ihres
Memoire
gekommen seyn, weil Sie
15
sich im Anfange deßelben
sich
halb über mich zu beschweren scheinen und
16
eine Aßecurantz Ihrer Briefe für nöthig finden. In diesem Punct scheinen Sie
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mir Vorwürfe zu machen, die ich garnicht zu verdienen glaube und die ich
18
blos auf Rechnung Ihres eignen bösen Gewißens schieben kann. So viel kann
19
ich Ihnen auf Treue und Redlichkeit meines
alten Namens
versichern, daß
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ich mit Ihren Briefen bis zum
Aberglauben
gewißenhaft umgehe,
21
hauptsächlich
Ihrer
und dann auch meiner Selbst willen, und daß sich keiner meiner
22
hiesigen Freunde rühmen kann jemals Ihre Hand gesehen zu haben. –
Dii
23
Deaque
me perdant,
wenn ich mehr weiß was ich von
Beleidigern
u
24
Beleidigten
geschrieben habe, als da
ß
s einzige, das ich damals nicht an mich
25
sondern an Sie und Klotz dachte. Es
komt
mir aber beynahe vor als wenn
26
dies in meinem jüngsten Briefe steht und daß Sie denselben also doch
27
erhalten. Die Stelle im
Torso
hat mich gar nicht angefochten und ich habe meine
28
völlige Rache schon in der
Recension
davon genommen, die Sie gelesen haben.
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Ich kann nicht leugnen daß einige mehr Unrecht darinn gefunden als ich selbst;
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und daß ich von einer gewißen Seite mich blos wunderte so unrecht von Ihnen
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verstanden und ausgelegt worden zu seyn. Also denken Sie an keine
32
Aenderung bey einer zweiten Auflage. Ich habe die Bibel mit einem
fame canina
33
verschlungen und laß tägl. darinn. Sie war mein
Element
und
Aliment;
es
34
war also gantz natürl. daß mein gantzer
Nervensaft darin
tingi
rt
war; so wie
S. 444
gegenwärtiger Brief nach riedelscher und Klotzischer
virtuosen
sprache ausartet.
2
Ebenso verliebt in Luthers Uebersetzung als unzufrieden mit der
3
Nasenweisheit der eckeln und stupiden Andacht der abgeschmackten Leser heil. Bücher.
4
Diesen beyden entgegengesetzten aber ungeachtet ihrer Divergentz wie Sie zu
5
reden belieben aus einem Punct fließenden Wiedersprüchen, die sich in ihren
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Folgen eben so wieder vereinigen, suchte Ihr alter Hamann damals zu Dach
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zu steigen, und es verdroß mich, daß ein Buch für Leute offen war, die nicht
8
lesen konnten, und für die so es konnten, verschloßen blieb. Mein Eifer gieng
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also in manchen Augenblicken
so wohl
gegen das Buch
selbst
daß es
10
gelesen ward als nicht gelesen ward. Wenn ich die Freude erleben werde daß
11
Kennicott
mit seiner großen Unternehmung fertig seyn wird, so wünsch ich
12
mir von Gott ein Landgut um ihm meine
Vixi
und
Gratias
auf dem ersten
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dem besten Feldstein schreiben zu können. Unterdeßen Sie mir ich weis nicht
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was von Ihrem lieben Riedel und von seinem übergüldeten Thron sagen,
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muß ich Ihnen von unserm Lauson melden, daß dieser Extemporaldichter eine
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gantz erschreckliche Entdeckung als
Controleur
gemacht hat, die ihm und
17
seinen Namen bey dem gegenwärtigen französischen Finanz
system
einen
18
höhern und güldenern Thron als den Riedelschen bauen wird. Das Glück
19
scheint sich gantz für diesen verwünschten
Extemporal
dichter verschworen zu
20
haben. Kaum einige Monate daß er eine
Terne
in der Berl. Lotterie gewann
21
und dies ist ein rechter
coup de main de maitre,
wodurch ein gantzes
complot
22
von Kaufleuten und
Accise
offician
ten
verrathen ist, die den König um
23
tausende betrogen deren Summe wohl unzählbar ist. Man wird ein halb Jahr
24
mit der Untersuchung nöthig haben, und kein anderes Auge als das
25
Lauson
sche kann zum Wegweiser in einem solchen
Labyrinth
dienen. Sie können
26
leicht denken daß man eine kleine
Revolution
erwarten kann und wie jetzt
27
alles bey der
Regie
für den Namen des
Lausons
fast zittert. – Ehe wir auf
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Deutschl. kommen, lieber Herder, laßen Sie uns noch ein Wörtchen von
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unsern Kohlgärten reden. Sie haben leider! mehr als zu sehr Recht in allem
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dem was Sie theils von unsern Zeitungen theils von Ihrem Verleger sagen.
31
Unterdeßen die Liebe und vornemlich (nach Abbt) des
Vaterlandes
überwindt
32
alles p. Ich verlaße mich vor der Hand darauf, daß Sie mir Ihre Abhandl.
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über die Verjüngung u Veraltung der Menschl. Seelen so bald Sie können
34
mittheilen werden und was sonst noch zu einer Beyl. von Ihnen ausgeworfen
35
werden könnte, unter Bedingungen die Sie selbst mir vorschreiben wollen.
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Sie werden auch Ihrem alten Lehrer damit eine Freude machen der 8 Tage
37
ehe Sie mir davon schrieben wünschte daß die Platonischen Ideen darüber ein
S. 445
wenig entwickelt werden möchten. An mir wird Roußeaus Urtheil jetzt über
2
den Plato wahr.
3
Wenn das der Fall von der neuen Ausgabe der Fragmente ist; so
dispens
ire
4
ich Sie mir ein
Exemplar
davon mitzuteilen. Besorgen Sie mir aber durch
5
Steidel bey seiner Rückkunft ein
Exemplar
Ihrer übrigen Schriften,
6
Vorreden p. Die 3 Theile Ihrer Fragmente sind das letzte von Ihrer Autorschaft
7
das ich besitze. Torso p fehlen mir noch.
8
Ihre öffentl. Entsagung der Wälder hat alle Ihre Freunde geärgert; was
9
soll ich von Ihrer Gabe mir ins Gesicht was aufzubürden und durch Steidel
10
den Verdacht auf
W.
auszubreiten.
Τι υμιν ειπω ουκ επαινω.
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Die Berlinschen Zeitungen machten den Anfang
Riga
bei Ihren Wäldern
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auszudrucken; 8 Tage nachdem sie hier angekommen waren. Hierauf giengen
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die Braunschweigschen weiter und meines Wißens haben die Kgsb. sie nicht
14
profit
irt, weil man dem Verf. glaubte einen Gefallen zu
thun in an
das
15
forum fori
oder die Kunstrichter Deutschl. zu weisen.
16
Der arme Hintz weiß von seinen eignen Sinnen nichts. Noch eh er herkam
17
wußte man hier schon sein Schicksal mit seinem jungen
HE;
und eben so
18
weiß man daß aus seiner
Deputation
nichts werden wird. Ich will alle meine
19
Galle sammeln um ihn recht auslachen können, wenn er aufwachen wird.
20
Und Sie armer Herder! wißen auch nicht daß man in dem geliebten Deutschl.
21
Kriegslieder auf Sie singt.
22
Aus einem düstern
Wäldchen
sah
23
Uns anfangs
Herder
zu
24
Beym sechsten Schuß trat er auch nah
25
Und schrie Gluglugluglu!
26
Auch Drommelschläger
Trescho
schlug
27
Das Kalbfell voll von Muth
28
Sein hocherleuchtet Köpfchen trug
29
Zum Schirm den breitsten Hut.
30
Ich hab es Ihnen am Anfange verdacht so gut als den Nicolaiten daß Sie
31
Klotz Ihres Lobes u Ihrer Aufmerksamkeit
gegen Ihr Gewißen
gewürdigt
32
haben. War denn das Kräutchen in seinem
Genius saeculi
u
moribus
so
33
unkenntlich und worin bestand der aromatische Geruch und die Blüthe des
34
Witzes welche man in seinen lateinischen
Exercitiis
fand. Wie kläglich frostig
35
und ehrlich thut N
icolai
in der Vorrede zum letzten Stück seiner allgemeinen
36
Bibliothek. Kurz, der Anfang und das Ende vom Liede ist, daß Sie sich mit
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solchen Leuten nicht hätten
gemein
machen und sich niemals zutrauen sollen
S. 446
daß selbige zu wiederlegen noch zu beschämen sind, am allerwenigsten aber sich
2
mit ihren
donis
und
armis
zu befaßen. Stillschweigen, aus der Erfahrung
3
lernen, ein ander Feld sich wählen, mit Treue und ohne Leidenschaft noch
4
Heftigkeit sondern mit Furcht und Zittern für die Unsterblichkeit, die sich am
5
sichersten und gefälligsten auf der Bahn unsers Hauptberufs und unserer
6
gegenwärtigen Bestimmung erringen läßt, ist der einzige logogryphische Rath
7
den ich Ihnen geben kann, wenn Sie Ihre Ruhe und Zufriedenheit und den
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Genuß Ihres Lebens lieben und allen Scheingütern und Projecten vorziehen.
9
Oeconomia
und
Diaet
besonders in Ansehung Ihrer Zeit und Kräfte
10
empfehl ich Ihnen als die beyden
cardinal
tugenden welchen ich eine Zeitlang all
11
mein Glück zu verdanken gehabt das Ihnen ohnedem noch wahrscheinlicher
12
zu erreichen seyn muß als mir in
puncto
der Autorschaft. Die Furcht des
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grösten Kunstrichters der Herzen und Nieren prüft und die Energie des großen
14
schöpferischen so wol schriftstellerischen Genies ist die wahre Muse.
και
15
συντελεια λογων το ΠΑΝ εστι Αυτος.
16
Morellus
heist der Verf. von der
Physique du Beau;
der von Etwas zum
17
deutschen Nationalgeist ist HE
Bülow
, Stadt
Secretair
in Zerbst. Letzteren
18
nenn ich Ihnen aber auch
sub rosa rosarum
weil ich ihn unter dieser
19
Bedingung auch erfahren und Ihnen aber die Billigkeit gegen
anonyme
zutraue
20
welche Sie für sich selbst gefordert haben.
21
Den
Velasquez
werden Sie wohl schon gelesen haben. Von
Froriep
22
arabi
scher Bibliothek, die vor mir liegt versprech ich mir eben nicht viel. Des P.
23
Dennis
Oßian erwarte ehsten Tages von
Lindner
der ihn gekauft; ich
24
hingegen das
Original
aus
London
mit einer gantzen Fracht von Neuigkeiten u
25
Alterthümern und ei. andre aus Frankr. Sorgen Sie doch daß ich von
Secr.
26
Berens
Antwort u die zurückgelaßnen Schaafchen erhalte, besonders da ich
27
mit Vergnügen höre, daß sein Bruder George Ihr guter Freund ist, den ich
28
in Ihren
Rambles
an ihren
gu
alten Freund zu erinnern bitte.
29
Schande daß ich nur eine Seite im Ugolino gelesen; weil ich ihn auch
30
gebunden von
Lindner
erwarte. Die Familiensachen u Klotzens Briefe betreffen
31
sein Lehrbuch u die
Recension
deßelben also
haec nihil ad nos;
im
PS.
dachte
32
er an
Adam
Trescho
und glaubte daß es der Mühe nicht lohnte mich grüßen
33
zu laßen. Ich habe an ihn u den König von Polen aber in fremden Namen
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schreiben müßen; 2 mal in meinem eignen an einen Minister ohne eine Zeile
35
Antwort erhalten zu haben so wenig als ich mich von Ihrem Stadt
Secr.
36
vielleicht eine versprechen kann. Kurtz es geht mir jetzt ganz verkehrt von
37
Ihnen selbst, die auch an meine Bücher nicht denken so gern ich den
S. 447
Popowitsch vom Meer auch gehabt hätte u. s. w.
Trescho
macht sich, wie man in
2
Schlesien erzählt, um die armen Wittwen in Mohrungen sehr verdient.
3
O lieber Herder! kein Buch geht über die Briefe der
Sevigné, cette Mere
4
beauté
wie sie
Coulange
nennt. Uebersetzen Sie doch einmal diese paar
5
französische Wörter. Morgen will ich sie mir selbst mit den
Deshoulieres
kaufen.
6
Ich gebe jetzt einer Fräulein Stunden in Engl. auch einem jungen
7
Kaufbedienten, was sagen Sie zu meinen Heldenthaten und
operibus supererog.
8
bey meinem blutsauren Tagewerk.
9
Un grand Vocabulaire françois
von 20
Tomes
in 4. davon aber nur die
10
4 ersten Theile der 2ten Ausgabe von 1767 hier sind. Das ist ein Werk
pro
11
patria
über die
Encyclopedie.
Wie verächtlich kommen mir die deutschen
12
Gelehrten mit ihren
antiquari
schen Kriegen vor, wahre Froschmäusler, die sich,
13
ihre
Verleger
und das Publicum zu Schanden schreiben. O das allerliebste
14
Vocabelbuch. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen zu Gefallen den gantzen
15
Vormittag habe aufopfern können. Baldige Antwort und Beyl. über Beyl. Ich
16
wollte Ihnen noch erklären warum Ihnen ein Brief an mich schwer wird
17
ohngeachtet Sie sich 14 Tage oder ½ Monat Zeit darzu nehmen, auch noch ein
18
paar
Commissiones
hinzufügen. Alles das auf ein andermal ohn Abschied.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 72–73.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 398–400.
Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 435–440.
ZH II 443–447, Nr. 359.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
443/23 |
Deaque |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Deaeque |
443/25 |
komt ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: kommt |
443/34 |
Nervensaft […] tingirt] |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Nervensaft tingi rt |
444/22 |
offician ten ]
|
Geändert nach Druckbogen (1940); ZH: offiician ten Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): offician ten |
445/14 |
thun in an ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: thun an |
445/17 |
HE; ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: HE. |
446/31 |
PS. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: TS. |