339
389/11
Kgsberg den
16
Febr.
1767.
12
Liebster Herder,
13
Ich habe Ihnen zum Neuen Jahr gewünscht oder mit dem Anfang deßelben
14
geschrieben
Freund und Verleger
Johann Friedrich Hartknoch
geschrieben; erwarte aber wenigstens mit Ihrem Freund und Verleger eine
15
Antwort
Das Ausbleiben der Antwort erklärt sich auch aus Herders schwerer Erkrankung an Pleuritis bzw. Brustfellentündung (vgl. Herder an
Johann George Scheffner
, März 1767,
HBGA
, Bd. 1, S. 74) und seinen Augenproblemen.
Antwort, weil ich vermuth
lich
e daß Sie an Ihrem 4ten Theil oder der
16
Fragmente
Herder,
Fragmente über die neuere Deutsche Literatur
; eine vierte Sammlung erschien nie, 1768 jedoch eine überarbeitete Auflage der ersten Sammlung; zu Herders Plänen vgl.
HKB 337 ( II 387/30 ).
neuen Auflage der ersten Theile Ihrer Fragmente fleißig seyn werden. Es
17
Kummer …
Hamanns Vater war im September 1766 gestorben und Hamann gerade in Königsberg, um das Erbe zu klären (vgl.
HKB 336 ( II 386/28 )).
deucht mir daß ich unter Kummer und Elende dick und fett werde und ich habe
18
avertiren
in Kenntnis setzen (von frz. avertissement)
Directoire Provincial
Provinzial-Akzise- und Zoll-Direktion in Königsberg
nicht ermangeln wollen Sie davon zu
averti
ren. Unser
Directoire
19
Junkergasse …
nordwestlich des Schlosses
Provincial
wird sich diese Woche aus der Junkergasse in das
Billet
sche Haus am
20
Mainvilliers
mglw.
Genu-Soalhat Chevalier de Mainvilliers
, Pseudonym des Wanderphilosophen Charles Louis Soalhat
Schlosberge verlegen. Der
Chevalier de Mainvilliers
ist dieser Tage nach
21
où sa mere l’a pondue
dt. wo seine Mutter ihn gelegt (geboren) hat
Mietau
durch gegangen
où sa mere l’a pondue
wie er sich gegen unsern
22
Freund L.
Johann Gotthelf Lindner
Freund L. ausgedrückt hat. Ein halb wahnsinniger Bettler, aber von der
23
Unsere Bühne
Die Schauspieltruppe von Franz Schuch dem Jüngeren (1741–1771), die nicht das ganze Jahr über und meist nur im Winter in Königsberg weilte.
unschädlichen Art wenigstens hier gewesen. Ich hab ihn gar nicht gesehen. Unsere
24
HE Lauson
Johann Friedrich Lauson
Bühne hat hier aufgehört und HE
Lauson
hier zurückgelaßen der Hoffnung
25
Bureaux de Plombage
beim Plombage-Amt auf dem Königsberger Licent (plombieren bezieht sich auf das Versehen von Waren mit Bleisiegeln); Lauson wurde Anfang 1768 in das Amt aufgenommen, vgl.
HKB 347 ( II 405/22 ) hat bey unsern
Bureaux de Plombage
anzukommen. HE. Cammer
advocat
26
neues Stück
Vmtl.
Hippel,
Die ungewöhnliche Nebenbuhler
: Hippels
dramatischer Erstling,
Der Mann nach der Uhr
, der bereits 1765 rezensiert wurde, kann Anfang 1767 nicht mehr als neu gelten; sein
zweites Stück
, erst 1768 gedruckt, wurde dagegen allgemein zerrissen. – Spielplanverzeichnisse der Königsberger Bühnen gibt es erst ab Winter 1767/1768, beide Stücke von Hippel werden dann aufgeführt (vgl.¯
Peper: Das Theater in Königsberg Pr. von 1750 bis 1811
, S. 149); für
Hippel,
Die ungewöhnliche Nebenbuhler
muss man aber wohl eine frühere Erstaufführung als bisher angenommen vermuten, und zwar im Winter 1766/1767.
Hippel
hat ein neues Stück darauf geliefert das mit einer bittern Kritik an
27
unsern Laternpfosten beehrt worden, die jetzt eben so witzig hier werden als
28
Klötze in Halle …
In
Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften
(hg. von
Christian Adolph Klotz
), 1. Bd., 1. St., S. 50–60 wurde
Lindner,
Lehrbuch der schönen Wissenschaften
negativ rezensiert, u.a. wegen Hamanns Einfluss auf Lindner: „[…]diese Redekunst, so schlecht sie immer ist, möchte jungen Leuten noch eher in die Hände gegeben werden, als dieser neue Hausgötze, welcher am Ende nichts weiter bewürken wird, als daß aus der Lindnerischen Schule, tamquam ex equo trojano, kleine Hamännchens in Menge ausgehen, fruchtbar seyn und sich mehren werden, daturi progeniem vitiosiorem.“ (S. 51, unter dem Pseudonym „Dtsch“)
Castigatio
Züchtigung, Tadel
die Klötze in Halle. Die neue
Castigatio
der Bibliothek der Schönen
29
Wißenschaften wird dem
Lindner
schen Lehrbuch den Boden ausstoßen und hat die
30
Aspasie
Aspasia von Milet
; im Abschnitt über Hamann in Herders
Fragmenten
, 1. Sammlung, S. 250 heißt es: „Hätte unser jetzo ebentheuerlicher Sokrat eine Aspasia, seine Gedanken auszudrücken, und einen Alcibiad, sie auszubilden; vielleicht hätte er Schüler und Nachkommen, bis alsdenn vielleicht im dritten Gliede ein Aristoteles, Socratis et Platonis peior progenies, ein System errichtete, in der Philologie und Aesthetik, woran sein Großvater nicht gedacht hatte.“
Bestimmung meiner längst phantasirten Aspasie entwickelt, die wenigstens auf
31
Platons Gesprächen
In
Plat.
Menex
, 234c–235c wird die Rhetorik spöttisch als Manipulationstechnik behandelt.
die Beredsamkeit zufolge Platons Gesprächen losziehen wird. Eine
32
Leichenrede …
In
Plat.
Menex
, 236a–249c hält Sokrates eine exemplarische Leichenrede, die er von seiner Lehrerin
Aspasia von Milet
abgehört haben will, daher auch Leichenrede der Aspasia; Hamann meint wohl seine geplante Polemik gegen
Christian Adolph Klotz
, die er später in
Königsbergsche Gelehrte und Politische Zeitungen
, 5. St. vom 15.1.1768 veröffentlicht (N IV,312–315).
Leichenrede auf diejenigen Schriftsteller die auf dem Schlachtfelde der deutschen
33
Bibliothek geblieben sind und einige Maulschellen für den Sokrates des
34
deutschen Phädons
Der deutsche Phaedon ist¯Mendelssohn, nach dessen
Phaedon oder Ueber die Unsterblichkeit der Seele
; in
Königsbergsche Gelehrte und Politische Zeitungen
, 5. St vom 15.1.1768, befasst sich Hamann mit der Rezeption (N IV,313f.).
deutschen Phädons würde auch vielleicht angebracht werden können.
35
Einlage
nicht ermittelt
Bestellen Sie durch HE Hartknoch oder irgend einen Unbekannten Einlage
S. 390
bestens. Ich schmeichele mir daß Sie vor der Abreise Ihres Verlegers oder
2
nach derselben einige müßige Augenblicke haben werden. Laßen Sie sich den
3
Hohn der Kunstrichter
in
Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften
(hg. von
Christian Adolph Klotz
), 1. Bd., 1. St., S. 161–180 wurden Herders
Fragmente
der Tendenz nach eigentlich wohlwollend rezensiert, auch wenn Hamanns Einfluss wiederum höhnisch erwähnt wird („Selbst möchte Hr. Hamann immer magisch schreiben; nur unsere guten Genies solte er nicht verderben. Wird es ihm ferner gelingen, wie es den Anschein hat, eine Sekte zu machen! Himmel! wie wird unsere arme Sprache unter dem schweren drückenden Harnische seufzen, den ihr dieser Magus aus Norden anleget!“, S. 164). – Herder ärgerte sich vor allem über die Enthüllung des zuvor anonymen Autornamens (vgl.
HKB 337 ( II 387/24 )); sein Name wurde bei Klotz zumal mit Hamanns kombiniert, „Johann Georg Herder“ (S. 161).
Hohn der Kunstrichter nicht abschrecken mein alter Freund zu bleiben. Schicken
4
Verzeichnis
ein Verzeichnis der bei Herder befindlichen Bücher aus dem Besitz Hamanns und einiger seiner Bekannter, vgl.
HKB 337 ( II 388/19 ) Sie mir doch durch Hartknoch worum ich Sie so lange gebeten ein Verzeichnis
5
Aegyptischen Historie …
Origny,
L’Egypte ancienne
; Hamann hat die Bände zu diesem Zeitpunkt wohl nicht an Herder verliehen, dieser las sie erst im November 1768 (vgl.
HKB 353 ( II 427/15 )).
meiner Bücher mit. Haben Sie auch ein Werk von
der
in 2 Theilen französisch von mir. Ich weiß nicht ob ich es Ihnen oder HE
7
Arndt gegeben. Ich habe es sehr lieb gehabt und es fehlt mir jetzt unter den
8
Büchern die ich unlängst aus Curl. bekommen. HE. M. Kant arbeitet an
9
Metaphysik der Moral
Kants
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
erschien erst 1785; auch gegenüber Herder erwähnte Kant aber am 9. Mai 1767, an einer „Metaphysik der Sitten“ zu arbeiten: „wo ich mir einbilde die augenscheinlichen und fruchtbaren Grundsätze imgleichen die Methode angeben zu können wornach die zwar sehr gangbare aber mehrentheils doch fruchtlose Bemühungen in dieser Art der Erkentnis eingerichtet werden müssen wenn sie einmal Nutzen schaffen sollen.“ (
Kant, AA
X, 71)
einer Metaphysik der Moral die im Contrast der bisherigen mehr
10
untersuchen wird was der Mensch ist als was er seyn soll; wenn sich das erste
11
fügl. ohne das
letzte im eigentl. Verstande
bestimmen läßt. Doch Sie
12
werden mich so gut als Kant verstehen. Leben Sie vergnügt und zufrieden.
13
Ich bin Ihr aufrichtig ergebener
14
Hamann.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 53.
Bisherige Drucke
Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 226–228.
ZH II 389 f., Nr. 339.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
389/11 |
Febr. |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Febr. |
390/5 |
der |
Geändert nach der Handschrift; ZH: der |