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456/2
Königsberg. den
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Dec:
am Geburtstage unsers Vaters 759.
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Mein lieber Bruder,
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Brief
nicht überliefert
Dein letzter Brief hat mich recht sehr erfreut, weil ich so lange keine Zeile
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von Dir erhalten habe. Gott sey Dir gnädig und seegne Dich in allen Deinen
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Vornehmen, Ausgang und Eingang. Er gebe Dir was Dein Herz wünschet,
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und laße daßelbe
richtig
seyn und Gottes Leiten folgen. Der die ganze Welt
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Meister
Jes 33,22
regiert, wenn Der der Gott und Herr und Meister unserer Seele ist, wie seelig
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ist sie! Unsere Wünsche für unsern Vater mögen über unser Wißen und
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Verlangen erfüllt werden. Er hat heute sein Geburtsfest mit vieler Munterkeit
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angetreten. Wir sind diese Woche zum heil. Abendmal gewesen und ich habe
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Beichtvater
Johann Christian Buchholtz
Er vereinige … seiner Gnade
Eph 1,7ff.
Dienstags bey unsern lieben Beichtvater gespeist. Er vereinige uns alle in
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seiner Liebe, nach dem Reichthum seiner Gnade! Amen!
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Es freut mich herzlich, daß Du das N. T. gleichfalls vorgenommen. Jeden
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Tag 3 Kapitel ist mein
pensum,
und Du kannst nicht glauben, wie ein
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langsamer anhaltender Fleiß fördert. Fahre nur fort, Du wirst den Nutzen selbst
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davon erkennen. Ich bin auch mit meiner
Odyssee
zu Ende, und habe gestern
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Froschmäusekrieg
, Batrachomyomachía
den Froschmäusekrieg nebst einigen Hymnen mit der Uebersetzung vergliechen,
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Schröder,
Poesien
, darin die Übers. des
Froschmäusekriegs
auf S. 481ff., die Übers. von fünf
homer. Hymnen
S. 523ff.
die in den lyrischen epischen v elegischen Gedichten steht. Die Hymnen scheinen
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des Homers nicht unwürdig zu seyn, und haben wenigstens das Gepräg eines
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alten Dichters. Mit
Elsners
Anmerkungen bin auch gestern Abend fertig
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geworden, daß ich also mit dem alten Jahr frohen Feyerabend machen kann;
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meine übrigen Nebenarbeiten sind von eben dem guten Zuschnitt gerathen.
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Giebt Gott Gnade zum Neuen, so denke mein griechisches
Studi
ren
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fortzusetzen und die vornehmsten alten Autores nach der Reyhe durchzugehen, doch
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so, daß mit dem Frühling das Griechische auf den Nachmittag verlegt werden
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dürfte und ein anderer Hauptzweck meine Morgenstunden füllte. Kommt Zeit,
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kommt Rath. Sollte ich das Glück haben Euch wiederzusehen; so freue ich
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mich einen Vorrath neuer Kenntniße erworben zu haben, und denselben mit
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Euch theilen zu können, brüderl. v. freundschaftlich. Ich bin der Letzte
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auferwacht, las ich gestern im Syrach, wie einer der im Herbst nachlieset, und Gott
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hat mir den Seegen dazu gegeben, daß ich meine Kelter auch voll gemacht
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habe wie im vollen Herbst. Schauet, wie ich nicht für mich gearbeitet habe,
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sondern für alle, die gern lernen wollten.
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Was
Gerundia
v
Supina
heißen soll, kann ich Dir nicht sagen. Ich habe
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Goclenii Problemata Grammatica,
unter meinen alten Büchern
S. 457
nachgeschlagen, da eine weitläuftige Auflösung der wichtigen Frage steht, ob diese
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beyde Redetheile zu den Zeit- oder Nennwörtern zu rechnen, worüber
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Frischl.
v.
Crusius
einen bittern Krieg geführt, nichts aber über die Benennung
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darinn gefunden. Ist Dir mehr daran gelegen als mir, so pflegen in Hederichs
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Wirth
Johann Gotthelf Lindner
latein. Wörterbuch die
Etymologi
en zu stehen oder bitte Deinen Wirth um
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Sanctii Mineruam. Gerundiuus
heist das erste eigentl. vielleicht wird
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Infinitiuus
darunter verstanden; und das andere könnte ein
Participium
oder
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verbum supinum
infinite Verbform, Lagewort, bspw. im Lateinischen
verbum supinum
anzeigen. Finde ich etwas, was Dir mehr Genüge thun
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kann, so werde ich Dir künftig mittheilen.
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die Oktav-Ausgabe von
Bengel,
Novum Testamentum Graecum
Ich habe mir
Bengels
kleine Ausgabe des N. T. und
Hederichs
griechisches
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Wörterbuch nach
Ernesti
Ausgabe zugedacht zum Weynachtsgeschenk. Ob
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sich mein Vater das wird gefallen laßen, weiß ich nicht. Das letzte gehört zu
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fl.
Gulden, Goldmünze, hier aber vmtl. 1 polnischer Gulden, eine Silbermünze, entsprach 30 Groschen.
unsern Hederichschen
Lexicis
und kostet nach seiner Dicke nicht viel, nur 9 fl.
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Schevel
hat mir bisher Genüge gethan. Ich wünschte in des HE.
Rectors
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Bibliothek gleichfalls ein griechisches Wörterbuch. Das Meinige ist zugl. für
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Dich zum künftigen Gebrauch.
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Für Dich ist gleichfalls gesorgt, und so bald Deine Hemde fertig werden,
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Hänschen
Johanna Sophia Berens
wird man Dein Marcepan einpacken. Hänschen möchte gern mit einer
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Grammaire des Dames
erfreuen, muß erst sehen. Erinnere Dich, daß Du aus
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keiner andern Absicht, als
mir zu Liebe
, diese
Information
unternommen,
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und daß Du mir, wie ich Dir, zu dienen
schuldig
bist.
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Der jüngere Tr. hat schon einige Wochen nicht bei uns gespeist, weil er
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unpäßlich gewesen. Er besuchte mich gestern, weil ich ihn öfters zugesprochen
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und will auch nach Hause reisen um dort gesund zu werden. Er ist in eben den
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Labyrinth worinn sein Bruder, und von gleichen Schlage. Ich habe auch
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Gelegenheit gehabt ihn auf die Probe zu stellen, sie hat ihm aber wenig Ehre und
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mir noch weniger Zufriedenheit gemacht. Es fehlt hier auch an allem. Er
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both sich an mir etwas abzuschreiben, weil er nichts zu thun hätte und gern
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schreiben, auch mir gern gefällig seyn möchte. Er hat mich aufgehalten und
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was er gethan, ist nichts nütze. Wenn man bey den Leuten ein wenig nach dem
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Sand …
Mt 7,26
Grund sucht, so findt man Sand, Triebsand, worauf nichts zu bauen ist.
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Wer kann sich an
gemahltem Feuer
wärmen, oder ein Licht anstecken; gestern
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kam er zu mir und hatte seine Abschrift vergeßen. Nichts als Nachläßigkeit,
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Untreue und Betrug ist der sich selbst gelaßene Mensch bey den besten
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Naturgaben und Neigungen. Lesen, denken und handeln sind nichts als lebhafte
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Seelenschlaf
Träume eines wachenden. Der Seelenschlaf und das Fegefeuer ist ein
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Zustand, der in diesem Leben für die Menschen wahr genung ist! Herr! wecke uns
S. 458
auf, daß wir bereit sind, wenn Dein lieber Sohn kommt, ihn mit Freuden zu
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umfangen, und Dir mit reinem Herzen zu dienen!
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Ich lese jetzt des Abends, wenn keine Zeitungstage sind, Forstmanns Reden
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wie sichs ziemet mit vieler Sympathie. Herr
Rector
hat selbige, wo ich nicht
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Weyhnachtsreden
ebenfalls bei Forstmann
irre, Du wirst die Weynachtsreden gleichfalls zu Deiner Erbauung an diesem
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Feste wählen können. Bucholz hat mir dies Buch geliehen. Der Mann sagt
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wohl mit Recht in der Vorrede: Was von Herzen kommt, geht wieder zum
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Herzen. Ich kenne keinen beßern Kabinetsprediger für mich als Forstmann.
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Schlage doch mein lieber Bruder in
Johnsons
oder dem alten kleinen engl.
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Wörterbuch das Wort
Savana
nach; ich habe
Prof. Kypke
davon eine
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Kypke,
Johann Lockens Anleitung des menschlichen Verstandes
; Johnsons Wörterbuch gibt als einzigen Beleg wiederum „Locke“ an, und als Worterklärung: „An open meadow without wood.“
Nachricht versprochen, der es in
Locks
Schrift, die er übersetzt gefunden, und es mir
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sehr häufig auf einer Landcharte einer engl. Kolonie gewiesen, er hat es der
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der Connexion nach
im Kontext
Connexion
nach durch Wüste gegeben; ich halte es eher für eine neu
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angelegte
Cultur
oder Stück Feldes, v ein
americani
sches
Provincial
wort.
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HE.
Putz
hat uns diese Woche besucht und erwartet seinen Schlafpeltz.
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Ich erinnere Dich also nochmals daran und fordere jetzt einen von Dir als
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Gegengeschenk für das französische Buch, das ich Dir geschickt. Er braucht nicht
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zu lang, aber vollkommen im Umfange zu seyn und ein reich Fell. Du kannst
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veraccordiren
vmtl. Versandkosten auf den Empfänger übertragen
die Fracht ver
accordi
ren und sogl. nach
Trutenau addressi
ren, wo sie bezahlt
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werden kann. Ich bin desto freyer Dir dieses zuzumuthen, weil ich mich
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erinnere, daß Du um diese Zeit im Jahr am freygebigsten bist. Ist der kleine
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Kalmuck
nicht ermittelt
Kalmuck noch bey euch? und hat euer Haus einen neuen Zuwachs bekommen?
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Lauson wird eine Tragedie aufführen laßen, die er gemacht, eine
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corsikanische Geschichte, die vor einigen Jahren vorgefallen, da ich die Gelegenheit
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Schauspielergesellschaft von Franz Schuch, der ein Theaterprivileg für ganz Preußen hatte, jedoch auch während des Siebenjährigen Krieges gelegentlich in Königsberg, also russisch besetztem Gebiet, spielen konnte.
auch vielleicht mitnehmen will die Schuchsche Gesellschaft zu sehen.
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Ich bin heute so trocken, daß ich nichts mehr aufzubringen weiß; will also
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schlüßen mit dem wiederholten Wunsch geseegneter Feyertage, eines
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glücklichen
Eintritt
ins Neue Jahr. Gott gebe Dir alles Gute im Geistl. und Leibl.
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den Sinn Christi und den heiligen Geist. Ich umarme Dich und ersterbe Dein
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treuer Bruder.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (63).
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 516–518.
ZH I 456–458, Nr. 173.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
458/28 |
Eintritt ]
|
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955): lies Eintritt s Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Eintritt s |