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S. 432
greg. 24.10.1759
Königsberg. den
24
/
13
Octobr.
1759.

2
  
ber Bruder,

3
Zuckerstrauß
Zuckerkuchen, Streuselkuchen
  
en in meinem vorigen Briefe wiederruffen. Den Zuckerstrauß bey

4
   
bestellt, habe weder gesehen noch gekostet, ohngeachtet ich 8
  

5
ihn besucht, und es an mein Erinnern nicht habe fehlen laßen. Er
   

6
res Hochzeitsgeschenk nach Dichterart dem jungen Paar gemacht haben,
es

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nicht der Mühe werth geachtet ihm den Nachtisch ins Haus zu schicken. Du

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siehst aus dieser Kleinigkeit, wie die am besten gelegten Entwürfe des

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Sperlinge
Mt 10,29ff.
Geschmacks und der Lüsternheit wie Sperlinge vom Dache fallen. Aus Liebe zur

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Wahrheit habe mich zum Wiederruf verbunden geachtet.

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Unser Nachbar, Herr Woltersdorf, ist gestern begraben worden, allen

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NB
nota bene
blühenden Jünglingen zum
NB;
worauf man aber als
Marginal
Schrift im

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gemeinen Leben nicht Achtung zu geben gewohnt ist. Ich bin durch eine dunkle

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Ahndung zu seinem Schicksal vorbereitet worden, daß ich also nicht nöthig

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gehabt wie andere darüber zu erschrecken. Sonntags vor 14 Tagen war er zum

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Fürstenstand
Empore in der Kirche, für adlige Gemeindemitglieder reserviert.
Abendmal, ich sehe mich von ungefehr im Fürstenstand um, und sehe ihn

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schlafen, weil ihm die Krankheit schon vermuthlich in Gliedern, und nach

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meinem Eindruck, in den Zügen lag. Es fiel mir wieder meinen Willen die

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Beobachtung Pauli ein: Viele unter euch
schlafen
– – Nicht Paulus, der

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Beobachter, sondern Christus, der Erwecker und Lebendigmacher, wolle von uns

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allen einmal sagen; wie zu seinen Jüngern vom Lazarus:
Unser Freund

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schläft
.

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Tilse
nicht ermittelt
Am Mondtage bekamen wir einige Paar Haselhüner von Tilse geschickt,

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davon ich die Hälfte gern mit meinem abreisenden Freunde B. verzehren wollte.

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Ich gehe alle Tage hin, ihn zu mir zu bitten, ehe sie zu alt werden. Auf Morgen

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Mittag Hofnung bey meinem heutigen Morgenbesuche, von dem ich jetzt eben

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komme. Er reiset diese Woche mit dem letzten Tage ab. Du warst besorgt, mit

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was für einem
air
Du ihn wiedersehen solltest; als den
Freund
und

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Wohlthäter
Deines
einzigen Bruders
, der Dich auch liebt, Deiner Selbst wegen,

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weil er viel gute Eigenschaften in Dir glaubt, die im stande wären mich für

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einen Feind einzunehmen, und daher die Bande der Natur für mich noch

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ehrwürdiger und schätzbarer machen.

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die Schwester Lindners,
HKB 163 ( I 425/3 )
Heute thut die Schwester Deines liebreichen Herrn Wirths Hochzeit. Ich

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habe seine Mama Montags besucht, und mir ausgebeten, daß sie alles, was

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zu bestellen vorfallen würde, mir anvertrauen sollte, wie ich gleichfalls durch

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dich den Herrn Magister ersuchen laße, mir alle
Commissionen
an Sie zu

S. 433
überlaßen. Sie wird aufs Land gehen, und findet also unser Haus als die

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beste
addresse.
Ich werde nichts an
Sorgfalt
in
richtiger Bestellung

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ermangeln laßen. Er kann sich darauf verlaßen, wenn er will. Will er sich nicht

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auf mich verlaßen, so beleidigt er mich, und ich laß mich nicht ungerochen

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beleidigen.

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Herr Lauson hat einige alte Schriften zur Stiftung der Realschule für ihn

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gesammelt, denen ich noch einige andere aus dem Buchladen beygelegt; nebst

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Welches enzyklopädische Werk von
Konrad Gesner
gemeint ist, wurde nicht ermittelt.
3
Exempla
rien von
Gesners Encyclopedie,
eins für ihn, das 2te für seinen

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HE. Bruder in Kurland, der
  
seinem jungen Herrn vornehmen

10
könnte, und das dritte für Dich. Ich habe ein
  
genommen, und es

11
nach einem flüchtigen Ueberblick als ein sehr brauch
  

12
Ist mein Freund Baßa schon in Berenshof. Ich denke an ihn zu
  

13
Stelle
vll. beim Handelshaus Berens
seiner neuen Stelle Glück zu wünschen.

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vmtl.
Georg Berens
Einlage befördere gleich an jungen HE Be und bitte ihn mündlich
  

15
mich zu schreiben, und alles durch einander, es mag sich schicken oder

16
    
ein Muster
ihm
in meiner Antwort gegeben – weil ihm

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nichts als
   
einen guten Briefsteller, und zur Gabe seine Gedanken

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schriftlich auszudr
   
selbst diese Stelle vor, damit sie desto mehr

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Eindruck in ihn macht.

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Montags Mittags hatten wir einen Gänseschmauß mit dem
Zöpfel
schen

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Hause; mein alter Vater hat einen Husten, der ihn bisweilen müde macht,

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geht aber Gottlob! aus, und ist noch nicht gewiß, ob er an Dich schreiben kann.

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Seinen herzl. vaterl. Gruß auf allen Fall. Der liebe Gott erhalte und stärke

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aus der Schlußstrophe von
M. Luthers
„Vater unser im Himmelreich“
ihn! amen; das heist, es werde wahr pp.

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Weil ich diese Woche mit dem N. T. fertig zu werden gedenke; so hoffe

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künftige die
Grammatic
der griechischen Sprache mit allen mögl. Hülfsmitteln

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anzufangen, und den jungen Trescho zu meinem Mitarbeiter darinn zu wählen.

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Ich habe des berüchtigten Bernds Leben gelesen; und ein Paar von seinen

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Schriften durchblättert, die mich das übrige zu sehen keine Lust machen. Das

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erste ist das einzige Buch in seiner Art. Nach dem Bilde des Mannes von sich

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selbst urtheile ich. Es fehlte dem Mann an Urtheilskraft 1.) in der Erkenntnis

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seiner selbst 2.) in seinen Sätzen und in seinem Styl. Geitz und Eitelkeit guckt

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allenthalben hervor, ohngeachtet er beyde Leidenschaften an sich niemals

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erkannt. Aufrichtig ist er gewesen, daß er nichts von sich verschwiegen. Was ein

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Mann also nicht weiß, kann er nicht sagen. Sein schwach
Iudicium
hat ihn

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also wieder Willen zu einem Heuchler gemacht. Und was offenbare Lügen

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sind, ist an ihm bloß Schwäche des Verstandes. Ein gesetzlich Christenthum

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kann man gleichfalls in dem Leben dieses Mannes sehen und die mühsamen

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Wege, die uns daßelbige stolpern lehrt; die Furcht des Todes, in der uns

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daßelbe sitzen läßt pp. Durch das ganze Buch bin bestätigt worden in meiner

4
alten
Ansicht
Hypothese;
daß
Hypochondrie
in Leidenschaften ihren

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Ursprung nimmt. Ein Gewebe von dergl. ist in der Leibesbeschaffenheit dieses

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Mannes als ein Erbgut anzusehen. Sein Vater ein
epicur
ischer Christ, seine

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Mutter eine stoische Christin. Ich rede nicht anders als nach den bloßen
Idéen

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eines Schriftstellers, und der Mensch oder vielmehr der Christ geht meine

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Critick nicht an. Diese
Memoires
sind sehr brauchbar, wenn man Kleinigkeiten

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mit Verstand ansehen und anwenden kann; sonst bleibt es, ein langweiliges

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oder albernes Buch, das weder Vergnügen noch Nutzen geben kann; einem

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leichtsinnigen Leser Eckel und Gelächter erweckt, einen
hypochon
drischen aber

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Angst und bange macht, ohne ihn klüger zu machen. Fällt es Dir einmal in die

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Hände, und Du hast Lust es zu lesen, so können Dir diese kurze Anmerkungen

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an statt eines guten Leitfadens dienen. Der junge Arndt hat uns gestern

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besucht, und läßt Dich herzl. grüßen. Er hat halbe Lust die
Condition
bey der

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v. Rosen
nicht ermittelt
Fr.
v. Rosen
anzunehmen. Mit seiner Aufführung bin sehr zufrieden. Weist

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Du nähere Bedingungen, so melde mir. Vergiß es nicht. Ich ersterbe Dein

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treuer

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Bruder.


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Auf der ersten Seite zwischen Datum und Anrede:

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an Euer Haus und dortige gute
– von mir und von hier. Frage den

23
Stockhausen,
Sammlung vermischter Briefe
; der zweite Teil erschien 1759.
HE Mag: ob er schon den 2ten Theil von Stockhausens Briefsammlung hat.

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Des Buchbinder Brandt einz. Tochter ist gestern gestorben. Jungfer

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Vetterinn!

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (60).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 498 f.

ZH I 432–434, Nr. 164.