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Vermerk von Hamann:
Erhalten den 30. Novbr. 774.
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Unmittelbar nach Abgang meines Briefes
bekomme
ich, m. l. H. von
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Hartkn.
einen so befremdenden Auszug Ihres Briefes, daß ich sogleich,
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nachdem er mir einen
bangen
widrigen Abend, Nacht u. Morgen gemacht, das
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Postgeld dran wenden muß, Sie aus den sonderbaren Irrgängen Ihrer
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Phantasie u. der Lügenpropheten vor Ihnen her zu befreien.
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1. Ists nicht wahr, daß ich hier außer Dienst, Brodlos, in Ungnade u.
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verlaßen sei: ich bin in aller der Gnade, die ich hier brauche, d. i. Politische
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Höflichkeit, Entfernung u.
in
meinem Amte. Ich muß das so eigentl. sagen, damit
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Sie auch meine Worte des letzten Briefes von der Asche nicht in den Sinn
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ziehen. Also ist das Gottlob! Lüge u. soll, wills Gott! Lüge bleiben.
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2. So sehr mich das andre in meinen Nieren sticht: denn der gute Name ist
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edle Salbe, so muß ich doch zu Ihnen sagen –
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non sine vano
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aurarum et siluae metu –
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Das Loos ist geworfen, u. man muß hinüber. Was hilfts Muthlos machen,
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wenn nur die That vorsichtig machen kann. Daß die Apostaten wüten, ist
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natürlich, u. ich glaube, daß sies noch mehr thun müssen. Es wird u. kann
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eine Zeit kommen, daß mich auch meine Freunde verkennen, selbst Ham.
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verkennt; ich weiß aber auch, daß Gott mir durch das Alles durchhelfen u. mich
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durch Feuer
läutern
u. beßern wird. Die bösen Geister würden
wohl
nicht
zu den
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Lügen, Solöcismen, Personalien, u. Verfolgungsnachrichten (da sie nicht
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selbst verfolgen können) Zuflucht nehmen, wenn die Sache sie nicht biße. Daß
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aber das Salz voll Erde, Schlacken u. Koth sei, fühlt niemand tiefer,
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als ich.
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3. Spalding u. Luther hab’ ich mit keiner Idee zusammen, sondern
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einander entgegen gesetzt, wies alle fühlen. Sie schreien alle, ich mache den
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grossen
Sp. zum Ketzer, Heiden, Unchristen u.
Sie
sagen – ich wolle Christus
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mit Belial gatten: daß die ganze Einkleidung
so
link, verzerrt u. abscheul. sei,
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weiß ich jetzt – leider! konnt ich damals nicht anders schreiben. So lang
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Othem Gottes in meiner Nase wehet, will u. werde ich streben, daß aus Rauch
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Feuer aus hinfälliger Blüte Frucht werde: ich fühls jeden Tag mit halber
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Verzweiflung, daß ich unreif, wie ein Heerling bin – nur aber kein todter
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Dornbusch.
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4. Meine Briefe an Spald. sind ein
e
egarement
du coeur,
das dem
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Publikum Zeit gnug Augenweide verschaffen wird. Ich schickte an Ihn das Buch
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u. glaubte nun
persönlich
reden zu müssen, wie sich honette Leute begegnen;
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der verlarvte
S
sittliche Mann zeigt den Brief u. Teller wird Posauner der
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Dißonanz in alle Welt. Die Sache kommt an mich u. ich schreibe 2. Briefe an
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ihn, bis ich jetzt alle 3. Br. zurückfodre, u.
S.
sie, wenns die HErn wollen,
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sämmtlich u. das ohne Anmerk. u. Sp. Antworten zu dörfen, dem ehrsamen
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Publikum mittheilen kann. Das ist der ganze Brei, der den Diabolen so wohl
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schmeckt u. den sie
tacite
sich, in der finstern Luft herrschend, ins Ohr sausen.
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Ich möcht ihn ans Licht nehmen u. die Zauberei ist zerstört. Es gibt nun ein
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ViertheilJahr keine Ärgerniße u. alles ist hinüber. Ihr Wahlspruch, lieber H.,
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es
mit mir gegen meine Feinde u. gegen mich mit meinen
Feinden
Freunden
zu
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halten
, ist mein Wahlspruch selbst. Ich zerstücke den Knoten, so bald ich ihn
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kann, von Klotz gnug belehrt, u. siehe hier ist mehr als Klotz! siebenfach
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ärger! Ich entfliehe allem Streit u. werfe eine Reihe Bogen in Makulatur,
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um ihm zu entfliehn. Gott wird mir helfen! Ihr Leute seht dort
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Berlin-Babel in Ehre u. Unehre an, wie wirs in Deutschl. nicht ansehen, u. Deine
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Feuerroße – lieber Elias!
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Kurz, lieber Mann Gottes, höre nicht auf, mich zu warnen, aber auch zu
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hoffen!!! u. lieber zu stärken: denn ich fühls gewiß voraus, daß mir das
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letzte Noth seyn wird. Laß meine Sachen in
ecclesia pressa
würken, würken
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sie nur u. rettet Gott mir nur Weib und Kind u. guthen Muth. Nur freilich
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die Hartmanns mit den Sulzers müssen nicht über mich Loos werfen: was
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kann ich aber dafür? Gott errette u. führe mich – Brutus schläft itzt oder wird
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bald schlafen. Heil Ihnen von meinem Weib u. Kinde, zugelallet u. zugeflüstert.
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Amen.
Virtus repulsae nescia sordidae – –
Amen. Ihr geplagter,
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verläumdeter, lebendiger
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Solöcismus
H.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 113.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 107–110.
Herders Briefe an Joh. Georg Hamann. Im Originaltext hg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, 91 f.
ZH III 122–124, Nr. 420.
Zusätze fremder Hand
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Johann Georg Hamann |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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bekomme ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: bekomm |
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Hartkn. ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Hartknoch |
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wohl nicht ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: nicht |
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Sie |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Sie |
123/25 |
grossen ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: großen |
123/32 |
e egarement |
Geändert nach der Handschrift; ZH: egarement |
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Feinden Freunden ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: Freunden |