414
108/29
Kgsberg den 4
Octobr.
74.

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Mein liebster Herder!

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Ich habe die Nachricht von Ihrem Erstgebornen den 21
Sept.
erhalten und

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Einlage nach
Morungen
und Riga sogl. befördert. Heute komme des Abends

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im Schummer von meiner sauren Tages Arbeit zu Hause, mit wüstem Kopf

S. 109
und blindgeschriebnen Augen zu Hause und finde einen Brief und großes

2
Billet
auf mich
h
warten
. Meine Leute bestellten mir etwas vom HE
Laval
das

3
ich nicht verstand auch nicht einmal hörte. Weil ich Hartknochs Hand erkannte,

4
und Ihre Einlage begleitet hatte, so freute ich mich über eine so
promte

5
Antwort und riß was ich konnte – denn sie wehrte sich wie ein Mädchen, und der

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Wiederstand hatte seinen Sinn – bis ich ihn erbrach. Das Eingeweide fiel mir

7
gleich in die Augen. Meine Verwunderung war so merklich, daß mir meine

8
Hausmutter wiederholentlich zurief: Der Brief wird nicht an Sie seyn – und

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ohne noch Unrath zu merken, kehrte ich den Brief im Fluchen um, ohne noch

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den Augenblick Ihren Namen darauf zu vermuthen, laß ich ihn mit

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aufgesperrten Augen statt des Mondscheins – denn wir haben erst morgen Neulicht.

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Das große
Billet
war aber ein noch ärgeres
Quid pro quo
und betrifft

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1000 rth die ein Mann den ich kaum von Ansehn recht kenne, wegen meiner

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edeln Denkungs Art
(
sunt ipsissima verba
) von mir auf einen Wechsel
à

15
6
pro C
% in 12 Monathen zahlbar borgen wollte. Dieser sonderbare

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Umstand nöthigte mich noch stehenden Fußes nach der Stadt zu laufen, aber

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unverrichteter Sachen.

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Nachdem ich mich über die Ebentheuer des heutigen Abends ausgeärgert

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hatte, überfiel mich ein sanftes Lächeln, so sanft wie ein Schlummer des

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müden Wanderers und ungeachtet meiner
edeln Denkungsart
wandelte

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mich eine Lüsternheit an des verliebten Verlegers Briefchen an seinen Busen

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Autor und Freund von Anfang bis zu Ende – zum
Dessert
meines

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Abendbrodts zu machen. Ich hoffe, lieber Herr Consistorial-Rath! daß Ihre

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Absolution so aufrichtig als meine Beichte seyn wird und daß ich einiger

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Gegenvertraulichkeit werth sey, da ich im
Finanz
-Wesen nicht gantz unerfahren bin,

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wie Sie aus dem
Ecce!
des
Sauvage du Nord
errathen können, und daß ich

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in diesem
loco communi
ein so versuchter Hoherpriester bin als der liebe

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Consistorial Rath zu Bückeburg, und daß – und daß – – – und daß ich, wie

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ein leiblicher
Berens
, über diesen Punct denke und gesinnt bin. Mehr hab ich

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nicht nöthig anzuführen, um mich wegen des unvorsetzlichen Einbruches und

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vorsetzlichen Antheils am Innhalte zu entschuldigen.

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Der
Passus
Ihrer Verpflanzung hat mich am meisten
interessirt;
und

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erlauben Sie mir, liebster Herder Ihnen so viel ich kann mein Herz darüber

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auszuschütten. Durch Hartm. ist wol nichts abzusehen, und ich möchte Sie

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gegenwärtig mehr ab- als zurathen, sich in einige Unterhandlungen

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einzulaßen; so sehr ich Sie auch wünschte näher hier zu sehen und in einer beßern

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Lage für Ihren Geschmack.

S. 110
Ich war willens zu schließen, hab mich aber anders bedacht und will wieder

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meine Gewohnheit fortfahren an Sie zu
lucu
briren und bey Licht fortfahren

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zu schreiben; da ich ohnehin bey Tage leider! keine Zeit mehr übrig habe. Wir

4
haben einen deutschen
Director,
Namens
Stockmar
,
einen gebornen

5
Darmstädter, deßen Vater
Hofmaler
seyn soll
dort
. (Wenn Sie mir etwas von

6
ihm melden können, wird es mir lieb seyn.) An statt zu übersetzen, muß ich

7
jetzt ein
expedi
render
Copist
seyn; und Sie können leicht denken, wie mir

8
bey einer solchen Arbeit zu Muthe ist. Dies sey zu Ihrem Troste geschrieben.

9
Unerachtet ich also in meinen gantzen litterarischen Entwürfen unterbrochen

10
bin, arbeite ich doch in verlornen Augenblicken an einem
Versuch über die

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Ehe
, den Hartknoch als ein Denkmal auf seine Hochzeit verlegen soll. Wenn

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er auch nur einen Bogen beträgt: so soll er
Sterling
seyn, wie ich hoffe und

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wünsche, und trachte.

14
Da Ihre
Autorschaft
einen wirklichen Einfluß in Ihr
Schicksal
zu haben

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scheint, liebster Herder! so machen Sie Ihre Ueberlegungen. Meine Ungedult

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die beyde
Corpora delicti
zu sehen wird dadurch erhöht, und ihr eigen

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Gewißen macht Ihnen Vorwürfe, die ganz gerecht sind, und die ich nicht nöthig

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habe – als zu seiner Zeit, zu rügen. Ich
wünsche
z. E. eben so sehr wie Sie,

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daß der gantze Michaelis aus der Urkunde ausgestrichen wäre u. s. w. Aber

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daß durch neue Ausgaben keine Palingenesie möglich ist, haben Sie schon

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selbst an den Fragmenten erlebt.
Et ab hoste consilium
– Also Sulzers Wink

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gegen die Phantasie auf Ihrer Hut zu seyn ist aller Ehren werth. Ich kenne

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leider! jene
Scyllam
und
Charybdin
an denen Sie Gefahr laufen zu

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scheitern.

25
Daher war ich so vorläufig mit den
Prolegomenis
des
Zacchaei
und wollte

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allen Zeitungsschreibern zuvorkommen. Wenn sie ja noch erscheinen werden;

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so weiß ich gar nicht mehr, was ich
selbst
oder das Publicum dazu sagen

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werden, und einer der besten und grösten Autorplane ist verhudelt. Dem allen

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ohngeachtet denk ich in
petto: Tant mieux!
Denn wo soll ich jetzt die Zeit

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hernehmen Ideen zu hegen und auszubrüten.

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Ist jemand der die
Vaterfreuden
lebhafter kennt; so ist es Ihr Freund.

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Aber mit welcher Furcht und Zittern ich selbige genüße, weiß niemand beßer

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als Er! Wie unmöglich ist bey diesem süßen Wein mäßig zu seyn; und welch

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köpfender Rausch!

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Ungeachtet Sie mich nicht zu Ihrem
Wilhelm Christian Gottfried
zu

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Gevatter und zum Kindelbier gebeten haben: so wünsch ich ihn doch, daß er

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in seines
Oncle,
Christian
Zacchaeus Telonarcha
Fußstapfen treten
möge

S. 111
und sein
Festina lente
übertreffen
möge;
der flugs im
Mst
fertig war und

2
nunmehr seit einem halben Jahr unter der Preße zaudert. Mein nächster soll

3
ein Gevatterbrief seyn an den
Vater
oder die
Mutter
in Bückeburg. Gott

4
erfülle unsere besten Wünsche, und diese mögen nichts anders seyn als
s

5
Sein guter gnädiger Wille. Meine beyden Kinder sind am Flußfieber krank!

6
So bebt ein Geitzhals oder der Dieb eines Schatzes im Topf und empfiehlt

7
ihn der Göttin
Fidei!
Gute Nacht Der Wächter schnarrt eilf!

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 110.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 93–97.

ZH III 108–111, Nr. 414.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
109/2
h
warten
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
warten
110/5
dort
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
dort
110/18
wünsche
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wünsche
110/27
selbst
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
selbst
111/1
möge;
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
möge,