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Den 19
Aug.
773.

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Liebster Consistorialrath und Freund Herder,

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Ich bin Ihnen auf Ihre Hanssächsische Knittelverse und Ihr letztes

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einseitiges Qvartblättchen Antworten schuldig, die ich heute verbitten muß, weil

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es mir an Zeit und Kopf dazu fehlt. Ihre Entschlüßung zu heyrathen und

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Ihre Zufriedenheit nach der Ausführung, hat mir viel Freude gemacht.

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Freylich werd ich wol nunmehro an ein ander Testament denken müßen, und mein

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kleiner Bastart wird sich nunmehro auf seinen ihm zugedachten Pflegvater

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wenig Rechnung mehr machen können. – Unterdeßen was will diese

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fehlgeschlagene Hofnung gegen so viel andere sagen, die alle durch die
Wahl
der

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gewesenen
Mlle
Flachsland zur gegenwärtigen Frau
C. R.
Herdern entstanden

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seyn mögen? – Ich will aber alle meine Glückwünsche bis zu einer

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persönlichen Umarmung aufheben, die unter die süßesten Träume im Paradiese

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meiner Thorheiten gehört.

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Vor einer Stunde habe die Nachricht gehört, daß der Layenbruder gestern

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oder heute nach Petersburg durchgegangen ohne sich um sein Geschöpf, den

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Magum in Norden bekümmert zu haben. Noch bin ich nicht gewiß, ob ich es

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ihm verdenken oder übersehen soll. –

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Der Hauptgrund dieses Briefes bezieht sich auf eine inständige Bitte

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des
Lotterie-Director,
meines Gevatters und alten Verlegers; der sehr gern

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zur Ehre unsers Vaterlandes Sie zu einem kleinen Beytrage an seiner

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gelehrten Zeitung – und woran ihm noch mehr gelegen, zu einer Wochenschrift

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aufmuntern möchte. Er verspricht erkenntlich und freygebig dafür zu seyn.

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Ich kann ihm das Zeugnis geben, daß ich ihm unter 3 Verlegern das Beste

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gönne und daß er gülden ist, wenn ich alle übrigen für ärger als
Bley

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schelten muß.

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Ich glaube liebster Freund, daß Sie es diesem Briefe werden ansehen

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können, wie sehr mein Kopf
mit
Grundeise geht. – Doch will ich Ihre heurige

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Ruhe nicht stöhren durch meine Grillen.

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Die fliegenden Blätter von deutscher Art und Kunst haben mir wider alle

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meine gegenwärtige Gewohnheit, fast eine halbe Nacht gekostet.
Etwas
nur

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von Ihnen darin. Ich meine, das
meiste
wäre von Ihrer Hand. Melden

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Sie mir doch, was Ihnen u jedem darin gehört. Das Stück von deutscher

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Bauart schien mir auch gantz in Ihrem Styl zu seyn.

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Der Titel zur Klopstockschen Schrift hat mich gantz eingenommen. (Er hat

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den Hofprediger
Lindner
zum
Collecteur
hier gemacht) noch ehe ich das

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Compliment in seinem Briefe an mich gesehen hatte. Ich habe mein Bestes
gethan

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ihm,
hier
Subscriben
ten anzuwerben.

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Wißen Sie nicht den G. im deutschen Mercur? Er hat mich den Vater der

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neuen Künsteleyen genannt. Der Vorwurf wegen Schnörkel past zum

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Gegenstand. Bey Ihrer neuen Autorschaft halte aber eine Verleugnung Ihres

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Styls
für eine wesentliche Bedingung Ihre Absicht zu erreichen. Ihr

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Gegensatz eines Artztes, der selbst Hülfe nöthig hat, macht mich unbesorgt. Sie

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können Ihre dithyrambische Schreibart vielleicht ziemlich entschuldigen und

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rechtfertigen. Die Bedürfniße meiner Dunkelheit werden vielleicht von selbst

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aufhören. Doch hierüber künftig mehr.

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Ihr Urtheil über
Wood
hat mich neugierig gemacht ihn kennen zu lernen.

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Ich hatte ihn mir ausgesucht mit dem Vorsatz ihn aber nicht eher zu lesen,

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bis ich Gelegenheit haben würde ihn einbinden zu laßen. Bin noch nicht zur

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Hälfte gekommen; habe aber mehr Aufschluß über das Original Genie als

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im gantzen
Duff
gefunden.

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Oesfeld
und
Leßing
haben mir sehr geschmeichelt und ersterer wegen

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seiner Enthaltsamkeit von aller Conseqvenzmacherey u. s. w. bis zur

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Bewunderung gerührt. Es gehört in meinen Augen eine außerordentl. Ueberwindung

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dazu sich an dem bloßen Buchstaben zu halten – und alle Leidenschaft

S. 56
bey Untersuchung der Wahrheit und Wiederlegung des Irrthums zu

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verleugnen.

3
Unter den häufigen Druckfehlern
des
Schwaben werden Sie das
Schleich

4
Saltz
des
Plautus
von
selbst
verstanden haben. Andrer nicht zu gedenken

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soll es
p.
23. anstatt Meßruthe
Meßtischel
heißen.

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Es ist eine Legende, die hier durch Briefe aus B. bestätigt worden, daß der

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sokr. Apologist durch den Schwaben um eine herrl. Pfründe in

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Charlottenburg gekommen. Seine guten Freunde haben zu meiner Beruhigung zugl. mich

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versichert, daß seine
Prediger
gabe sehr mittelmäßig und drunter seyn
soll

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Der Uebersetzer des Klinkers hat mir zu viel Vergnügen gemacht als daß ich

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an seiner neuen Uebersetzung des Shandy nicht Theil nehmen sollte. Ich

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erlaube mir aber keinen Einfluß vor der Hand in die Stimme des Volks zu
haben

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Die Oden zu Hamburg bey Bode in deutscher Kunst u Art
allegirt
sind

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hier gar nicht zu haben. Es soll eine Arbeit Klopstocks seyn.

15
Die
Lettre perdue d’un Sauvage du Nord à un Financier de Pekim
ist
endl

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fertig muß aber die
Quarantaine
und darnach Ihr Schicksal abwarten. Vieles

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darin im Druck verhudelt. Doch nichts mehr von meiner Autorschaft. –

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Ich umarme Sie, den Kopf voller Grundeis. Leben Sie glücklich mit Ihrer

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Hälfte. Ich fürchte mich, bey meiner heutigen und gegenwärtigen Laune – –

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Leben Sie wol –


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Adresse:

22
An meinen / Freund, HErn Consistorialrath / Herder


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Notiz auf der Adressseite:

24
Postrat Leuchsenring in Darmstadt / Verfasser des
Journal de lecture
/ Bückeburg d. 21
Jul.
773

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 91–92.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 39–41.

ZH III 54–56, Nr. 392.