72
            
        S. 179
den 
12. April. 756
2
Herzlich geliebtester Freund, 
3
Nachdem ich 
s
 Sie schon so oft umarmt in Gedanken, als ich den Büffon 
4
zugemacht: so ist es Zeit auch jetzt schriftlich zu thun. Jetzt befinde mich Gott 
5
Lob! leydlicher, vorige Woche mit einem neuen Fluß am Gesichte und einem 
6
dabey verbundenen Flußfieber qvälen müßen. Der April macht sich zum May, 
7
wenn man nur bald der Luft und der Natur genüßen könnte. Und Sie Liebster 
8
Freund, befinden sich nicht beßer freuen Sie sich nur wie ich auf den 
9
Frühling; er wird alles wieder gut machen. Unser Streit ist zu beyder 
10
Zufriedenheit beygelegt; bald was frisches. Wie sieht es mit den Veränderungen Ihrer 
11
Schule aus? Neid und Bosheit machen uns Ehre, sie geben uns den Genuß 
12
unserer Tugenden. Ich glaubte, Sie wären schon so bekannt mit diesen 
13
Feinden, daß sie ihre Schwäche ruhiger verachten könnten. Es kostet, sagen 
14
Sie‥ ja es bringt aber auch was ein. Ob wir unser Leben so oder so abnutzen. 
15
Ohne Klippen thun wir diese Fahrt nicht. Laß uns an unsern Gütern 
16
Schiffbruch leiden, wenn wir unser Leben retten und damit erkaufen können. Meine 
17
Eltern haben mir viel Sorge gemacht. Sie lösen sich beyde in Ihrem 
18
Siechbette ab. Gott helfe Ihnen; ich hoffe Sie noch zu sehen auf der Welt. Sie 
19
denken in Ihren Briefen immer an Sie, diese ehrlichen Alten. Es ist mir lieb, 
20
daß Sie auch von Ihnen nicht vergeßen werden. 
21
Die
 Vorige Woche ist mein Anhang und alles übrige zur Uebersetzung, 
22
dem Himmel sey Dank abgegangen. Die letzte Stunde hat mir noch einige 
23
Dienste gethan. Meine Krankheit, die beynahe 3 Wochen gedauert, war nicht 
24
in Ueberschlag der Zeit gebracht. Ich habe mich übereilen müßen; v darum 
25
Ihnen auch die Durchsicht meiner Arbeit weder mittheilen können noch wollen. 
26
Zu gewißenhafft meinen Stunden etwas abzubrechen, habe ich beynahe 
27
2 Nächte daran setzen müßen, 
da
 ich noch nicht scheine ausgeschlafen zu 
28
haben. Bey diesem etwas zu anhaltenden Fleiß habe ich die Würkungen der 
29
Hypochondrie recht sichtbar gefühlt recht schmecken können. Die Augen 
30
hielten aus, der Kopf die letzte Nacht auch beßer als ich dachte, ungeachtet ich mich 
31
anzulegen hütete, glaubte ich von Brustschmerzen ganz zusammen gezogen 
32
zu werden; ein Geschmack eines verdorbenen Oels schien mir den ganzen 
33
Schlund zu benetzen. Demohngeachtet glücklich überstanden. 
34
Dies ist zugleich die Ursache warum ich nicht eher habe schreiben können. 
35
Gestern wollte. Maßillon mein Früh- und Büffon meine Vesperprediger biß 
36
auf den Abend, da ich nicht mehr konnte. Wie sehr dank ich Ihnen für den 
S. 180
letzteren. Eine Zeit von 14 Tagen ist der 
Termin
 den Sie mir setzen. 8 Tage 
2
hab ich ihn jetzt. Diese Woche feyre ich halb. Wenn ich unsere Ostern dazu 
3
nehme; so möchte ich reichlich gerechnet gewiß auskommen. Dann bekommen 
4
Schuckford
Shuckford, 
 The Sacred and Profane History
Sie ihn nebst dem Gelde für Schuckford; v dann erwarte ich aus Ihrer 
5
Freundschafft den 2ten Theil. Wie viel sind doch heraus. 
6
Seine Theorie
 Wohl die zur Entstehung der Erde im zweiten ‚Discours‘ des 1. Bds. der 
Allgemeine Historie der Natur
, die von einer Kollision eines Kometen mit der Sonne ausgeht. 
HKB 72 ( I 182/25 ) Seine Theorie, von deren Beweisen ich die Hälfte schon gelesen, hat mich 
7
gestern bald rasend gemacht. Trift ihn aber nicht eben der Tadel, den er über 
8
die Sündflutherklärer ausstreut. Ist die Schöpfung ein weniger Wunder als 
9
diese? Was wird aus dem 
Werde:
 was Gott sprach. Warum leidt die 
10
wenn die Sündflut keine leiden soll
 Bezieht sich vmtl. auf den theologischen Streit der 1740er Jahre über Johann Heyns 
Versuch einer Betrachtung über die Kometen, nebst einigen Sendschreiben, mit Herrn Prof. Gottscheds Vorrede
 (Berlin 1741). Heyn erwog, ob ein Komet die Sintflut ausgelöst haben mag; für seine Theorie wurde er von Theologen (u.a. Christian Ziegra) angegriffen, weil sie sie für nicht vereinbar mit der protestantischen Orthodoxie hielten.  
Schöpfung der Erde eine Theorie, wenn die Sündflut keine leiden soll. Die 
11
Eyfersucht gegen die Systeme anderer, die seinem an Erfindung und Witz nichts 
12
nachgeben, hat ihn hierauf nicht aufmerksam gemacht, doch der kleine Kläffer, 
13
ich meyne Kästner in seinen Noten hat ihn hierüber verschont; und ich will ihn 
14
Vorrede
Albrecht v. Haller
 in der dt. Übersetzung von 
Buffon, 
Histoire Naturelle Générale et particulière
, vgl. 
HKB 77 ( I 204/27 ) nicht 
suppli
ren. Hallers Vorrede über den Nutzen der Hypothesen ist ein 
15
Meisterstück. 
16
Haben Sie nicht mir nähere Nachrichten zu geben von der Muthmaßung 
17
eines gewißen M. Profe über die Ursache der Erdbeben aus einer Conjunction 
18
vieler Planeten im vorigen Jahr. Was ich davon gehört, ist sehr 
19
unvollständig, und mir nicht hinlänglich. 
20
HE. Regiments
feldscheer
Chirurgus
 Parisius wird in Riga seyn und 
21
vielleicht den kleinen Zuzu mitgebracht haben. Ich habe ihm denselben 
22
ge
s
geben v gesagt daß ich ihn gern Ihnen wiederzustellen möchte. Wofern es 
23
 den 1. Teil von 
Buffon, 
 Histoire Naturelle Générale et particulière
nicht geschehen erhalten Sie ihn gewiß mit dem Bü
sching
ffon nebst dem 
24
Catalog. raisonné,
 in dem ich sehr viel altes gefunden. 
25
Hamburgischen Buchhändler
 nicht ermittelt 
Haben Sie schon an den Hamburgischen Buchhändler geschrieben; ob 
26
man nicht die 
Dissertation sur le vieux mot patrie: et la nature du peuple;
27
den 
Essai sur la liberté de produire ses sentiments
 v die 
pensées sur 
28
l’interpretation de la Nature
 bekommen könnte. 
29
Ich begreife nicht, warum Sie vergaßen mir den 
Catalogum
 ihrer 
auction
30
zu überschicken. Es sollte mir leyd thun, schon versäumt zu haben. Aus dem 
31
Kopf bitte ich aufs beste mir die schöne 
Edition
 des 
Athenaei
 in groß 
fol.
 mit 
32
Casauboni
 Anmerkungen zu erstehen. 
(Scapulae)
 wo ich nicht irre ist fein wie 
33
Faber
 gedruckt,
 Lexicon
 wenn es gut fortgeht. 
Scheffer de re vehicularia 
34
cet. 
Bodinus de republica
 vor allen andern (auch sein 
theatrum naturae
). 
35
Die gute 
Edition
 des 
Lucians,
 des 
Isocrates,
 des 
Pindarus
 (in 4) 
Erasmus 
36
de ratione …
 Der Titel ist nicht für Erasmus, sondern Anton Schorus oder Johann Possel nachweisbar. 
de ratione discendae lat. et graec. linguae
 v einige noch hierinn schlagende 
37
Handbücher, die ich mir nicht besinnen kann, worinn sie meinen Geschmack 
S. 181
treffen und auf den Preis sehen werden. 
Holmanns
 philosoph. lateinische 
2
Chatelet
Châtelet, 
 Institutions de physique
Clairant
Alexis Claude Clairaut
 Werke, Crusius 
Chatelet
 Physick, die Geometrie des 
Franzosen
Clairant.
3
de mysteriis …
 vll. Athansius Kirchers 
Arithmologia sive de abditis Numerorum mysteriis
 (1665) 
Addisons Gespräch von Münzen. Auf einen 
quartanten de mysteriis 
4
numerorum
 geben Sie auch Achtung. 
5
Ich weiß nicht ob die 
Auction
 angegangen, wie weit man darinn. Es sollte 
6
mir leid thun den 
Athenaeum
 versäumet zu haben. Ist man schon darinn so 
7
beschweren Sie den HE. Parisius, den ich herzlich zu grüßen bitte, mit 
etws
8
vom eingekauften und verhelfen mich wenn es mögl. zum Athenäus. Da war 
9
noch ein Grieche, aus deßen Band etwas ausgerißen war, der aus Briefen v 
10
physischen Abhandlungen bestand. Ein unbekannter für mich. 
11
Ilse
 Titel des Gedichts 
Für die Bezahlung soll gleich gesorgt werden. Ja Ilse verlangten Sie noch; 
12
dafür Wolsons Stückchen. Hier ist sie: 
13
 Eine Abschrift des Gedichtes steht auch im 
Königsberger Notizbuch
, N V S. 265, mit „HE. Schack“ als Verfasserangabe. 
Die Liebe weiß von keinem Stande 
14
Sie wählet sich was ihr gefällt 
15
Der Stoff zu Ihrem Wunderbrande 
16
Ist 
allerdings
 die ganze Welt 
17
Ich halt mich nicht an unserm Städtchen 
18
Es darf ja keine Chloris seyn. 
19
Ein frisch gedrungnes Bauernmädchen 
20
Ist gleichfalls Adams Fleisch v. Bein. 
21
2. 
22
Was fehlt der Ilse, die ich liebe 
23
Sie hat ein Recht auf unser Herz 
24
Wie alle andern Herzensdiebe 
25
Und, was mir lieb, sie stiehlt aus Scherz. 
26
Hier fürcht ich keine Bulerschlingen 
27
Sie will an meinem Glücke nicht, 
28
Mit Tanzen, 
Singen
 kitzeln, bürzeln, springen 
29
Ist unser ganzes Werk verricht. 
30
3. 
31
Sie hat an wesentlichen Gaben 
32
Und wenn sie auch nicht Ilse wär 
33
Nicht weniger als andre haben 
34
Und keine andre hat nicht mehr. 
S. 182
Von vorne, hinten, oben, unten, 
2
Hab ich bey Mädchen in der Stadt 
3
Noch kein Amerika gefunden. 
4
Die Ilse hat, was Chloris hat. 
5
4. 
6
Spielt wie ihr wollt mit Geist und Reitze 
7
Ihr Schönen aus der großen Welt 
8
O ich versteh die Vogelbeitze 
9
Wozu die List den Habicht hält. 
10
Die Katze kennt man an der Schelle. 
11
Wascht Kinder, wascht euch nicht zu rein. 
12
Ich kann vielleicht ein Junggeselle 
13
So wie ihr möcht Vestalen seyn. 
14
5. 
15
Ich seh in Ilses wilden Blicken 
16
Die Liebe blind und nackend gehn 
17
Sie weiß es nicht und kann entzücken 
18
Sie sieht es nicht und ist doch schön. 
19
Wir gehn getrost die gleiche Straße 
20
Wir traun uns ohne Pfand und Schwur 
21
Wer mich und Ilse sieht im Grase, 
22
sieht in das Centrum der Natur. 
23
Haben Sie den Schuckford gelesen? Er verdient es. Ich gefalle mir den 
24
ersten Menschen so unvollkommen so eingeschränkt zu sehen als die Erde nach 
25
Büffons
Büffons System; ihre Seelenkräfte mit ihrem Boden wachsen. Was nutzt so 
26
viel Land für eine Familie, die Jahrhunderte erst zu Völkern machen sollen. 
27
Wie reimen sich diese für Geschöpfe, die eben so wenig zu denken mehr übrig 
28
hatten, als wir. Wie reimt sich ein blos sinnlich Gebot für einen Weisen, über 
29
deßen Wißenschaften wir Zeit haben ganze Bücher zu lesen. Folgender 
30
Gedanke des Schuckfords hat mir so stark als neu geschienen: Wenn Gott sich 
31
Adam so sehr als uns offenbart hätte, wenn die Erkenntnis deßelben bey ihm 
32
so geläutert gewesen wäre, als wir selbige jetzt genüßen; ferner, wenn das 
33
Geboth, das er übertrat, so wichtig gewesen wäre als wir es vielleicht zur 
S. 183
Rechtfertigung Gottes wünschten, und folglich mit der Glückseeligkeit des 
2
Menschen näher verknüpft als das Eßen eines Baums gewesen: hätten wir 
3
nicht denn nicht in dem Fall gestanden, darinn jene Geister sind, die keiner 
4
Erlösung fähig waren, und denen die Mittel zur Wiederannehmung 
5
abgeschnitten sind. 
6
Mir fällt ein närrischer Einfall über dasjenige ein, was uns von den beyden 
7
ersten Eltern entdeckt wird. Wir wißen von Adam nichts mehr, als daß er 
8
über die Fortpflanzung des Menschl. Geschlechts klüger geworden. Ein 
9
Denkmal davon hat er seinen Nachkommen überlaßen, weil er seiner Frau einen 
10
andern Namen gab. Von dieser hingegen nichts mehr, als daß sie einen 
11
Bösewicht an einem Sohn erzog, den sie für den Mann den Herren ansah, und daß 
12
sie sich leicht über den Verlust Abels durch die Geburt eines neuen Sohns zu 
13
trösten wuste. Würden uns. ersten Eltern nicht empfindlicher gewesen seyn, 
14
wenn sie mehr Einsichten gehabt hätten. Die Lehre vom göttlichen Ebenbild ist 
15
vermuthlich der Grund geworden von allen den Vorurtheilen, die uns die 
16
Wahrheit über den Zustand des ersten Menschen verdunkelt haben. Wenn 
17
Hesiod
 theog. V. 27ff. 
die Poeten die Kunst besitzen die Lügen wahrscheinlich zu machen so ist es 
18
vielleicht ein Vorrecht der Philosophen der Wahrheit ihre Glaubwürdigkeit zu 
19
entziehen oder sie selbst unwahrscheinlich zu machen. Sie erfüllen ihr großes 
20
Versprechen unsere Augen aufzuthun mit verbotenen Früchten, die uns klug 
21
machen. 
22
Richter
 nicht ermittelt 
HE. Richter ist hier in 
Condition
 bey dem neuen Obersten HE von 
23
 vll. Carl Caspar von Gaugreben (Freiherr von Godelsheim), General der Artillerie in russischen Diensten 
Gaugräben. Es wird Ihnen leicht seyn Ihr Gedicht folglich wieder zu bekommen. 
24
Wer ist an seine Stelle dort? Es geht keine Gelegenheit heute ab die meinen 
25
Brief morgen früh bestellen kann. Ich wollte noch an Herrn B. schreiben; 
26
habe noch Zeit genung übrig gegen die erste die beste mit der künfftigen Post 
27
fertig zu seyn. Es thut mir leyd, daß mein Brief so spät kommen muß, wegen 
28
der 
Auction.
 Meinen freundschaftlichen Handkuß an Ihre liebe Hälfte, meine 
29
Umarmungen an Ihren Herrn Bruder. Werden Sie nicht bald nach Mitau 
30
kommen. Diese Hundstage hoffe ich Sie alle in Grünhof zu sehen. Vielleicht 
31
Pfingsten
 6.6.1756 
geht es schon auf Pfingsten an. Wenn das Glück gut ist, oder der Augenblick 
32
Fest
 Ostern, 18.4.1756 
des Entschlußes nicht fehlt bin ich das Fest über in Mitau. Leben Sie wohl; 
33
ich umarme Sie mit der Zärtlichkeit des aufrichtigsten und ergebensten 
34
Freundes. 
35
Hamann.
36
Bin ich diesen Frühling nicht selbst in Riga; so schicke gewiß einen 
37
repraesentanten
 an meine Stelle. Herr Carstens hat mir einen franzoischen Brief 
S. 184
geschrieben aus Lübeck, in dem er sich Ihnen empfehlen läßt. Die 
addresse
 ist 
2
an Ihnen gewesen; ich weiß aber nicht wie ich ihn erhalten. Dem HE. Bruder 
3
habe lange nicht schreiben können, hoffe v. wünsche ihn bald mündlich zu 
4
sprechen. Er ist gesund v hat eine glückl. Cur im Buttl. Hause gethan. 
Provenienz
 Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (22). 
Bisherige Drucke
 Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, I 277–280.
 ZH I 179–184, Nr. 72. 
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
                geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
                vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
                vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
                Quellen verifiziert werden konnten.
            | 179/27 | da] |  Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):  lies  die  statt  da  | 
| 181/7 | etws] |  Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):  lies  etwas  Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): etwas  | 
