425
136/2
– – Primo auolso non defuit alter

3
Aureus, et simili frondescit virga metallo.

4
Ergo alte vestiga oculis et rite repertum

5
Carpe manu – – – –


6
Verstopfen Sie nicht, empfind
seliges
Brautpaar! Ihr für die Zauberkunst

7
der Harmonie geöffnetes Ohr, die Stimme einer Sibylle zu hören, die trefflich

8
wahrsagen kann. Wundervoll, wie die Liebe, und geheimnisreich, wie die Ehe,

9
sey mein Unterricht!

10
Ich sehe in Ihren zärtlichen, vertraulichen Blicken den kleinen tiefsinnigen

11
Gott der Liebe, der mit sich selbst zu Rath geht, über das Meisterstück seiner

12
Werke, das er beym Ausgange aller Entwürfe, Eroberungen und blinden

13
Ebentheuer im Schilde führt und welches darauf hinausläuft:
Laßt uns

14
Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sey
– – –

15
Eine Welt von
Kleinigkeiten
, die es aber nicht in den Augen der Verliebten

16
sind, gehört immer zum voraus dazu, ehe es zur Ausführung jenes

17
göttlichen Einfalls
kommt, der
aber
ebenso wenigen zu gerathen scheint, als

18
der erste ursprüngliche Versuch dieser Art.

19
Der Mensch ist vorzüglich ein GOTT der Erde, durch seine Bestimmung

20
der
Schöpfer
,
Selbsterhalter
und
Immer Vermehrer
seines Geschlechts

21
zu seyn.
Zwar ist doch kein einziges unserer Nebengeschöpfe
Zwar ist dies

22
Göttliche
der ganzen sichtbaren Haushaltung
einverleibt
, und scheint eine

23
Entwickelung des
am Anfange
ausgesprochenen Seegens zu seyn; doch ist

24
kein einziges unserer Nebengeschöpfe für einen
überlegten
u. freywilligen

25
Rathschluß oder einen
Bund
und
gesellschaftlichen Vergleich
zu dieser

26
Absicht gemacht: so wie keines einer größeren
Ausbildung
fähiger ist und

27
selbige
nöthiger hat als der Mensch.

28
Woher kommt es nun, daß wir uns dieser
Gleichheit
mit GOTT als

29
eines Diebstahls oder
Raubes
schämen? Ist nicht diese
Schaam
ein

30
heimlicher Schandfleck unserer Natur, und zugleich ein stummer Vorwurf ihres

31
herrlichen, allein weisen und hochgelobten Schöpfers? – – Ein angeborner,

32
allgemeiner Instinct ist es nicht, wie aus dem Beyspiele der
Kinder
,
Wilden

33
und
cynischen Schulen
zu ersehen; sondern eine
angeerbte
Sitte, und alle

34
Sitten und Gebräuche sind bedeutende Zeichen u. Merkmale zur Erhaltung

35
urkündlicher Begebenheiten und Fortpflanzung conventueller Gesinnungen

36
eingesetzt.

S. 137
Die Ehe ist also ein vermöge eines gefaßten Rathschlußes aufgerichtetes

2
Bündnis, und auf
Vernunft
und
Treue
gegründet. Daher ist es Klugheit

3
und Ehrlichkeit, „um der gegenwärtigen Noth willen“ an ein
em
en

4
solchen
m
Rathschluß
und
Bund
niße
gar nicht einmal zu denken. Am

5
allerwenigsten lohnt es der Mühe in einem Staate, wo der
Codex
ein güldener

6
Coloß
ist, sechzig Ellen hoch und sechs Ellen breit, und die
Sanctio
aller

7
Gesetze ein
glühender Schmelzofen
, siebenmal heißer für Seelen von altem

8
Schroot und Korn, in denen kein Falsch ist.

9
Weil der Ehstand der köstliche Grund- und Eckstein der ganzen Gesellschaft

10
ist: so offenbart sich der menschenfeindliche Geist unsers Jahrhunderts am

11
allerstärksten in den Ehgesetzen. Wenn es aber Barmherzigkeit von Seiten der

12
Gesetzgeber ist, der Verstockung des menschlichen Herzens zu Gefallen,

13
öffentliche Sünden und Laster zu privilegiren: so ist es die höchste Gerechtigkeit von

14
Seiten des Weltrichters, die
Schänder
seiner
Majestät
einem paraphysischen

15
Misbrauche ihrer eigenen Leiber zu übergeben – – –

16
Es würde freylich! nichts wohlthätiger für das menschliche Geschlecht und

17
die bürgerliche Gesellschaft seyn, als jenem
Ideal
der
Heiligkeit
für den

18
Ehstand nachzustreben, die der große Erfüller des mosaischen Rechts und der

19
Propheten wiederhergestellt und als ein
Reichsgesetz
des Himmels und seiner

20
neuen Erde auf jenem Berge der Seeligkeiten gepredigt hat: „
Wer ein Weib

21
ansieht, ihr zu begehren, der hat die Ehe mit ihr gebrochen – und wer

22
sich von seinem Weibe scheidet – und wer eine abgescheidete freyet, sind

23
Ehebrecher
“ – Moses hatte nemlich „
geboten solche zu steinigen
“ und sein

24
Gesetz konnte nicht wie der
Schemen
unserer zeitigen Moral und ihrer
eiteln

25
Prediger
aufgelöst, sondern muste erfüllt werden, als ein
festes

26
prophetisches Wort
– –

27
Das Geheimnis ist groß
! – GOTTes
Ebenbild
und
Ehre
, der
Mann
,

28
und deßen Ehre, das Weib“– Das heißt: Der
Mann
verhält sich zu GOTT,

29
wie das
Weib
zum
Manne
, und wo diese
Drey Eins
sind, wird „das
Weib

30
durch Kinderzeugen seelig
, und der
Mann
des
Leibes Heiland
.“

31
Alle
Mysterien
des
Hymens
sind daher dunkle Träume, die sich auf jenen

32
tiefen Schlaf
beziehen, worinn die
erste Männin
zur Welt kam, als ein

33
beredtes Vorbild für die
Mutter aller Lebendigen
. – –

34
Doch mein Versuch soll demjenigen nicht nachbulen, den jener Nordbritte

35
mit der spuckenden Ziffer über mein Geschlecht, und ein gelehrter, witziger

36
Kau
t
z seines Vaterlandes über meinen Gegenstand geschrieben haben. Ich

37
bin auch eben so wenig eine geweihte Vestalin, als ich eine Vettel
Baubo

S. 138
seyn mag weder
à la Grecourt,
noch
à l’enseigne de Barby – –
Was ist alle

2
Fruchtbarkeit im Busen und Schooße eurer Allmutter, zum Genuß ihrer

3
Früchte und ihres Staubes geborne und verdammte Seelen! Was ist die taube

4
Freude eures Geschmacks und der laute Kützel eures Witzes?

5
– Vermummte Traurigkeit und Verzweifelung, und all euer
Gesuch
eine

6
Beute des schwarzen, reichen Höllengotts, wie die kluge Fabel der
Ceres
und

7
ihrer Tochter erzählt.

8
Vielleicht hören Sie, empfindseliges Brautpaar! eben so gern ein kurzes

9
mythisches Mährchen meines eigenen Falls, durch den ich
Einem unter

10
Tausenden
,
von Taubeneinfalt
und
Schlangenlist
die
geheime

11
Weisheit
einer Sibylle zu verdanken habe – Sein erster Kunstgriff war, sich selbst

12
in meinen Augen abscheulich zu machen, und hierinn gelung es ihm so gut,

13
daß
er sein
ganzes Geschlecht mir bald verächtlich und eckelhaft vorkam.

14
Wie wurde ich aber für meine undankbare Eitelkeit und übermüthige

15
Schadenfreude auf Kosten meines Verführers
altklug
geworden zu seyn,

16
abgestraft, als der Spiegel seiner Aufrichtigkeit einen Widerschein auf mein

17
eigenes Herz zurückwarf, und ich darinn die Hemisphäre meines Geschlechts
in

18
naturalibus
zu erkennen anfieng. Durch diesen Feuerstrahl der

19
Selbsterkenntnis wurden alle
schöne
Beywörter kohlschwarz, gleich den
Farben
, vom

20
Schwamme der Nacht ausgelöscht. – – Ueberführt, daß ein
vernünftiges

21
Thier
, nach der Analogie des gantzen animalischen Reichs, die
rauche Seite

22
seines Fells von Rechts wegen
auswendig
tragen sollte, hielt ich nunmehr

23
alle ehrbare, schmachtende, entzückte Liebhaber für Wehrwölfe, kriechende

24
Widersacher und geistliche Ungeheuer, die Milch und Honig auf der Spitze der

25
Zunge, aber Gift und Galle in den Schatzkammern des Herzens führen.

26
Diese Katastrophe meiner ganzen Denkungsart wurde die
Grundlage

27
einer
Sympathie
, die schnell zur
Identität
ihres Gegenstandes
erwuchs

28
sich erhub. Alle Stärke einer männlichen Seele schien in die meinige

29
überzugehen, unterdeßen durch die
Gegenwirkung
meiner
Leidenschaft
seine Seele

30
nichts als kindische und weibische Lüsternheit zu athmen schien – –

31
Todter und unfruchtbarer
Wohlstand
, scheinheiliger Pharisäer unsers

32
Jahrhunderts! Deine moralische und bürgerliche Vorurtheile, und der
hohe

33
Geschmack
oder Tand ihrer Verdienste ist nichts als
der
ein
Caviar
des

34
Leviathans
, der hoch in den Wellen des Luftkreises herrscht – und die

35
Schaamröthe eurer Jungferschaft, ihr schönen Geister! ist gallicanische

36
Schminke, Kreide und Insektendotter; aber kein adlich angeborner Purpur

37
eines gesunden, vom Himmel geschenkten und belebten Fleisches und Blutes –

S. 139
Ohne ein
Schlachtopfer
der
Unschuld
bleibt das
Kleinod
und

2
Heiligtum
der
Keuschheit
unbekannt, und der Eingang dieser himmlischen Tugend

3
undurchdringlich – –

4
Mitten im Weyrauch eines Schlummers sah ich jene
Ribbe
– – und rief

5
voll
Innbrunst
begeisterter habseliger Zueignung
begeisterter habseliger

6
Zueignung: „
Das ist Knochen von meinen Knochen und Fleisch von

7
meinem Fleische

8
Wie sich ein Gemächte mit seinem Ursprung vereinigt, gieng er ein, wo er

9
einst hergekommen war als des Leibes Heiland, und gleich einem treuen

10
Schöpfer in guten Werken schloß er die Lücke der Stätte zu mit Fleisch, um

11
die älteste
Maculatur
des menschlichen Geschlechts fernerweit zu erfüllen – –

12
Ja, heute übers Jahr versprech ich Ihnen, gähnendträumendes Brautpaar!

13
das Ende meines Mährchens, ohne durch ein
Postscript
von Glückwünschen

14
das Wahrzeichen meines Geschlechts zu bemänteln. Sie werden wol
à priori

15
errathen, daß mein gantzer Versuch ein
Gericht Irrlichter
ist, die ich aus

16
dem faulen Graben meiner benachbarten Wiesen
gefischt
habe.

17
Wenn ein
Schaugericht gefischter Irrlichter
, die gleich
Abendsternen

18
tantzen, sich wie ein
Galimafree
genießen und verdauen ließe; so wäre meine

19
Muse keine Sibylle, die ihr
Medusenbild
dem Busen einer
Minerve
weyht!

20
– – ni docta comes tenuis sine corpore vitas

21
Admoneat volitare cava sub imagine formae


22
Da haben Sie, mein lieber Freund und Verleger Hartknoch! das gantze

23
Mst
chen, das ich heute am 2
4
5
Xbre
74. abgeschrieben, weil ich leider! die

24
Feyertage zu Hause zubringen muß. Der Titel dazu ist folgender und wird

25
nach gegenwärtiger Vorschrift abgedruckt:

26
Versuch

27
einer

28
Sibylle
Bitte die
ein
- und

29
über
zwey
mal unterstrichene Wörter

30
die
und
locos
gehörig in Druck

31
E
he.
unterscheiden zu laßen.

32

33
Komm ich als ein Geist zu Dir,

34
So erschrick nur nicht vor mir.

35

36
1775.


S. 140
Mein
Resultat
aus Ihren
datis
ist Dies: Das kleine Ding wird in
Mitau

2
gedruckt, ohne alle Zierrath und Tändeley. Wenn Sie wollen einen rothen

3
Titel machen und ein
simples
aus geraden Linien bestehendes Rahmchen,

4
steht es bey Ihnen. Das
Format
muß aber schlechterdings nach dem

5
Voßischen
Opusculo homonymo
seyn. In
Mitau
muß es wie das
Selbstgespräch

6
gedruckt werden, damit ich, wie von jenem, die
Correctur
selbst haben

7
kann
. So viel Exemplarien müßen Sie wenigstens abdrucken laßen, daß Sie

8
zu allen Ihren Kosten,
Spesen Porto p
kommen und daß Sie Ihren
Caviar

9
diesen Winter umsonst haben, wovon mir auch bey guter Gelegenheit und bey

10
einer etwanigen
Remise
Ein Fäßchen
ausbitte, weil ich selbigen unter meine

11
wenigen Leckerbißen rechne und
selbigen
ihn hier so schön als
Shakespear

12
im
Hamlet
angebracht habe. Dafür wünsch ich Ihnen auch ein fröliches

13
geseegnetes Neujahr, wenn Sie mich bald mit der
Correctur
erfreuen, will ich

14
noch ein
Postscript
zu meinen Wünschen machen, das Sie behagen soll.

15
Ihre Einlage an Herder kam eben an, wie ich meinen Brief an ihn

16
zumachen wollte; ich habe selbige gerade über Post gehen laßen; welches ich aus

17
andern Ursachen gethan ohn zu wißen von der Trauer in Ihrer geehrten

18
Familie, die ich erst nach der Hand erfuhr. Gottlob! daß der alte würdige Mann

19
zur Ruhe gekommen – für mein Lehnchen habe auch schon gezittert. Gott hat

20
mir selbige noch bisher erhalten und wird es auch thun, wenn es sein gnädiger

21
guter Wille ist. Unser Freund Kanter hat, an statt eine Mühle in Westpreußen

22
zu bauen, sich die Trutenauische gekauft, und weil der sich darauf beziehende

23
Einfall zu Waßer geworden, lohnt es nicht ihn zu erläutern. Das umgekehrte

24
D bezieht sich auf eine Beylage zu meiner 3 köpfigen Uebersetzung Hinzischen

25
Verlages, die bey Bode unter dem Titel:
Mancherley und Etwas

26
ausgekommen.
Vale
und hiemit Gott empfohlen.
Zacchaeum
habe noch
nicht
.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.

ZH zufolge befinden sich im ersten Teil des Briefes Teile aus dem „Versuch einer Sibylle über die Ehe“ (vgl. Johann Georg Hamann: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Hg. von Josef Nadler. 6 Bde. Wien 1949–57, III 197–203).

Bisherige Drucke

ZH III 136–140, Nr. 425.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
138/13
er sein
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): er
und
sein