347
S. 403
Kgsberg den
29
Novbr
67.

2
Herzlich geliebtester Freund,

3
Ich bin Ihnen seit einem Vierteljahr eine Antwort auf einen Brief schuldig

4
den ich verlegt oder vielmehr bey meinem damaligen Ausziehen so gut

5
aufgehoben habe, daß ich mich auf seine Stelle nicht besinnen kann; unterdeßen

6
der Innhalt war so beschaffen, daß ich ihn gantz allein lesen sollte. Sie meldten

7
mir unter anderm damals eine neue Auflage Ihrer Fragmente, und baten

8
mich oder trugen mir auf etwas dazu beyzutragen. Sie liegen seit einigen

9
Wochen vor meinen Augen, und ich machte auch einen Abend einen Anfang

10
selbige noch einmal durchzulesen. Ich wurde aber noch dieselbe Stunde darinn

11
gestört, und mache mir wirkl. ein Gewißen daraus mich in
Allotria
zu

12
vertiefen, unterdeßen ich so viel von meinen eigenen Sachen noch auf den Hals

13
habe, davon ich nichts bestreiten, nichts endigen, ja das meiste gar nicht

14
anfangen kann. Nach dem augenblickl. Versuch zu urtheilen kam mir Ihr Buch

15
gantz neu vor, und ich laß mit mehr Bewunderung als sich für einen Kritiker

16
schickt, den ich doch Ihnen zu gefallen vorstellen
w
sollte. Ich glaube also

17
daß Ihnen mein Beytrag sehr entbehrlich seyn wird, um Ihre neue Auflage

18
des allgemeinen Beyfalls würdiger zu machen. Morgen 14 Tage speisten wir

19
bey unserm
Pr. L.
und unser HE Verleger
regali
rte uns zum
Dessert
mit

20
des Geh. Raths
Klotz
neuester Bibliotheck. Ehmals wäre mir ein solcher

21
Schertz ein gefundener Fraß gewesen um mich auf Kosten des Publici und

22
sämtl. HE
Interessenten
ein wenig was zu gut zu thun – –

23
Den 27
Decbr.

24
Im besten Schreiben wurde ich durch einen Besuch nach dem andern

25
unterbrochen und so viel Wochen sind wieder verfloßen ehe ich an meinen Brief

26
denken können. – Wie werd ich jetzt den Faden von dem was ich sagen wollte,

27
wieder finden können. Um meiner Freunde und Brüder wünschte ich diesen

28
lateinschen Gottsched ein wenig zurecht gesetzt zu sehen. Seine
blunders
und

29
Unvorsichtigkeit verdienen würkl. Mitleiden, und mehr lächerlich gemacht als

30
im Ernst gezüchtigt zu werden. Ein makaronischer Brief eines
hominis obscuri

31
an diesen
virum clarissimum
hat mir im Sinn gelegen; aber ich habe jetzt

32
weder Kraft noch Muth zu denken und meine Gedanken zu sagen.

33
Es thut mir wirkl. weniger um Sie leid, als um meinen hiesigen

34
gemishandelten Freund, der
wirkl.
kaum
nicht
so viel zu seiner Rechtfertigung

35
sagen kann; doch auch diesen Zweifel würden Sie vielleicht dem blinden

S. 404
Publico brechen können. Man hat hier einen von Ihren Vorgängern an der

2
Maschinerey im Verdacht und ich vermuthe es vorneml. in Ansehung Ihrer,

3
und seiner Verbindung mit dem Kurellaschen Hause.

4
Alle hiesige Arbeiter sind hier einig diese Bibliothek nicht zu
recensi
ren ich

5
mein L. u Sch. Ich bin nicht dieser Meinung. Letzterer scheint die gantze Sache

6
durch kleine Scharmützel gut machen zu wollen, die nichts entscheiden
p
HE

7
Kanter den ich in langer Zeit nicht gesehen, ist dies Fest über nach Gumbinnen

8
gereiset und wird morgen erwartet. Vielleicht bringet der uns was vom

9
dortigen
Directorio
mit.

10
Seit dem
Genius
u
Mores eruditorum
hab ich Ihrem Verf. wenig

11
zugetraut als Belustigungen des lateinischen Witzes. Ich habe es den

12
Literaturbriefen verdacht, und Ihnen auch ein wenig, aus Gefälligkeit wieder Ihre

13
Ueberzeugung ein Lobredner des Mannes geworden zu seyn, den ich Ihnen

14
durchaus aus Klugheit anrathen muß mit aller mögl. Gleichgiltigkeit und

15
Kälte zu behandeln.

16
Falls ich einigen Theil an den Veränderungen Ihrer neuen Auflage

17
nehmen darf; so wäre es folgender Vorschlag, wofern Sie meinen Namen unter

18
den neuen Scribenten noch nöthig finden zu erhalten, die Stelle die mich

19
angeht als eine Note blos anzuführen auszugsweise oder wie Sie es erachten

20
und dafür den HE. Klotz hinterhertraben laßen mit einem körnichten Auszuge

21
seines Lobredners in der Bibliothek, als wenn es Ihre eigne Empfindung

22
von diesem Schriftsteller wäre, mit dem Wink, daß ich keinen weiteren Antheil

23
an Ihren Fragmenten hätte als daß Sie meiner freundschaftl. Bitte

24
nachgegeben dem HE Geh. Rath meine Stelle einzuräumen, zu der er sich durch

25
seine 2 deutsche Schriften u Bibliothek mehr Ruff als ihr Originalfreund

26
erworben.

27
Vom
Herel
würd es
wol
noch eher heißen können daß der Jünger größer

28
als sein Meister ist. Sie werden die dahin gehörigen Schriften vermuthl.

29
gelesen
kau
m
mit der Satyre in biblischer Schreibart. Mir graut vor dem

30
zierl. Latein das in nichts als tauben
flosculn
besteht ohne eine
mica
des

31
römischen Geistes und seiner Urbanität.

32
Der gelehrige Dusch wird jetzt
genius saeculi
werden
– Aus Braunschweig

33
erwartet man ein neues
Journal.
Ich gewinne vielleicht mehr durch mein

34
cunctando,
das mir das Gesetz der Noth auflegt, als durch
scribendo,
wozu

35
ich durch eine
harmoniam praestabilitam
aufgemuntert worden. Denn

36
Deutsch zu sagen, alle die Narrenspoßen des HE. Geh. Raths u seiner

37
Magister Schwaben machen mir mehr Ehre als Moses Mendelssohn sein

S. 405
Phädon; aber daß unschuldige Verbindungen den wenigen guten Freunden und

2
besonders in
loco
ihnen nachtheilig werden, ist mir nur empfindlich und bin

3
daher noch immer ungewiß ob ich nicht lieber stammeln als gantz schweigen

4
soll; weil die letztere Parthey immer die beste für jene zu seyn scheint.

5
Ich lese jetzt mehrenteils zur Uebung in der französischen Sprache u

6
besonders desjenigen Styls den ich nöthig habe des
de la Mare Traité de la

7
Police
ein treffl. Werk in 3 Folianten das ich mir angeschaft.

8
Crantzens
Geschichte von Grönl. möchte Ihnen empfehlen; besonders

9
das Cap. im ersten Theil von der Sprache u ihrer Poesie. Von der dritten

10
Samml. der Hollsteinschen Litteratur Briefe wißen wir hier noch nichts

11
ungeachtet Schmalt in seinen elenden Zusätzen sie so tadelt daß ich mir viel

12
davon verspreche. Eingebung ist freyl. eine unentbehrl. Bestimmung um den

13
Baumgartenschen Begriff zu ergäntzen. Ich finde auch etwas von einer

14
Eintheilung der Poesie die mir immer im Sinn gelegen davon ich aber nichts

15
sagen kann, und worüber wir uns auch einmal eine halbe Stunde gestritten

16
haben ohne einander zu verstehen.
Epos
und
Fabel
ist der Anfang und außer

17
dem nichts als Ode und Gesang. Diese
Dichotomie
ist die einzige
Orthotomie

18
und so metaphysisch und practisch als wenn sie
Petrus Ramus
erfunden. –

19
Diesen Augenblick kommt ein Bote vom
Accise Directorio
mit einem

20
Pack Schriften die ich sogl. vornehmen u morgen fertig liefern soll. So geht

21
es Ihrem Freund, mein lieber Herder!

22
Noch eins!
Lauson
wird auch in unsern Orden treten beym
Plombage

23
Comptoir.
Leben Sie wol. Ich hoffe doch noch dies alte Jahr mit Ihrem

24
Briefe fertig zu werden. Wenn Sie ihn nur zu Ihrem alten Neujahr erhalten.

25
Gestern haben mich HE Müntzmeister
Goesche
u
Mag. Kant
besucht.

26
den 3
Jan.
1768.

27
Viel Glück zum Neujahr, das
Lindner
an seines Schwagers Stelle

28
eingesegnet, den ich vorgestern mit Vergnügen gehört. Er bleibt immer ein

29
Mann, der fürs
Publicum
gemacht ist, und seine liebenswürdige Seiten

30
hat, die man ihm laßen muß und für die man ihm gut bleibt. Wir haben

31
wechselsweise die Woche einen Tisch unter uns ausgemacht; und wir halten

32
mehrentheils Montag bey ihm.

33
Ein gewißer John, dem ich wegen eines Streichs den er mir gespielt, nicht

34
viel gründl. zugetraut und wegen seiner wüsten Lebensart und Schulden

35
hier bekannt genug ist, hat eine Prosa u Poesie auf eine Hochzeit im vorigen

36
Jahr unter den Namen
Beobachtungen
herausgegeben, die Ihnen wegen

S. 406
ihres leichten eigenthüml. u reinen Witzes auch gefallen. Das einzige
Phaenomenon,

2
das mir in diesem
Jahr merkwürdig vorgekommen.
Ich lese jetzt die Reisen

3
eines engl.
Esquire Sam. Sharp
nach Italien wo er 1765 u
66
sich aufgehalten

4
und davon dies die 3te Ausgabe ist, die ich vor mir habe. Man ist so unersättl.

5
gewesen, selbige zu lesen, daß die Preßen nicht Ruhe gehabt. Ich finde, da

6
ich auf der Hälfte kaum bin, sehr treue Gemälde der lebenden Sitten und

7
Gewohnheiten so wie der Titel auch
Customs
u
Manners
dieses Landes

8
verspricht. Der erste enthält den Besuch den er im
Sept.
1765. bey
Voltaire

9
abgelegt, bey dem er eben die
Clairon
gefunden, welche die Bühne verlaßen

10
und auf der
privat
bühne des
Voltaire
noch einige Proben abgelegt, worüber

11
der alte
veteranus
gantz rasend entzückt gewesen und nichts als schöne Stellen

12
ihr
nach
reciti
rt
hat.
Sharp
ist um einen Abend zu spät gekommen um ein

13
Augenzeuge ihrer Verdienste zu seyn. Er hat sie 1749 oft in
Paris
gesehen

14
aber sie soll sich bis zum Wunder
excoli
rt haben.
Sharp
wünscht daß ein

15
französisches
Genie
aufstünde, welches den
Shakespear
verstünde und wendet

16
einen
anglicismum
an den er als ein
junger
M
von
Voltaire
selbst in Engl. über

17
den Zuschauer gehört. Ich habe dies Buch, hat er damals gesagt, in einer

18
Uebersetzung gelesen und mich gewundert, daß die Engl. an so einem schaalen

19
Witz so viel Geschmack finden könnten. Seitdem ich aber einen
Spectator

20
engl. lesen kann, mach ich aus meinem
Plutarch
A‥wischen, (die einer

21
meiner alten Schulmeister
Thorzeddel
nannte
ως εν παροδω
) Der
Ausdruck war

22
gar zu
emphatisch
für ein junges Ohr als daß ihn der Verf. nicht hätte

23
behalten sollen. Der
Ingenu,
die
Defense à mon oncle
und
les Abus dans les

24
ceremonies
werden Sie vermuthl. eher als ich gelesen haben. Die drollichte

25
Beschuldigung in der Zueignungsschrift an
Rousseau
daß er ein
plagiarius

26
des
Ulrici Huberi de Ciuitate
wäre hat mich neugierig gemacht das letzte

27
Buch durchzublättern, aber nichts
darinn
gefunden, daß dem Schertz das

28
modeste
u
tranquille Xan Xung
einiges Gewicht geben könnte.

29
Die
Satyrae
des
Herelii
u seine
Epistolam criticam
an
M. Meuselium

30
habe gelesen das Latein ist erträglicher als ich mir vorgestellt. Um den Werth

31
der letztern zu beurtheilen müste man nachschlagen. Haben Sie nicht

32
Gelegenheit gehabt die Herelsche Uebersetzung des Alciphrons zu vergleichen, über

33
den Sie ohnedem sich eine kleine
Satisfaction
geben könnten.

34
Wenn Sie liebster Freund Herder, so viele Wochen nöthig haben diesen

35
Brief zu lesen als ich zu schreiben; so wird HE Hartknoch vermuthl.

36
reisefertig seyn. Erfreuen Sie mich durch ihn mit einigen Zeilen, und mit einigen

37
Sachen worum ich Sie gebeten u wovon Sie wißen daß mir daran gelegen

S. 407
ist; besonders wenn Sie mir ihre neuen
Ukasen
u neuen
Tariff
einschicken

2
können. Mein französisch u zum Theil engl. Gut. Ich habe ein gut französisch

3
Wörterbuch wie ein Hemd nöthig und möchte gern das Holländische haben.

4
Schimpfen Sie u verachten Sie Ihren Freund zur Gesellschaft, so viel Sie

5
wollen u können, wenn Sie ihn nur als ihren Nächsten von Herzen

6
entschuldigen. Werden Sie nicht Preußen bald besuchen? Ich wohne jetzt im

7
Winter sehr kalt aber im Sommer eine geraume u kühle Gelegenheit, hoch

8
wie eine Kirche, und sicher wie eine Schatzkammer mit eisernen Gittern.

9
Grüßen Sie Ihren Verleger und sein Haus. Ist seine Ehe vergnügt u.

10
zufrieden. Hat die Nachwelt auch bald etwas aus Ihrem Laden zu erwarten.

11
Leben Sie wohl, und sobald meine Nachrichten u Wünsche zu diesem
Neuen

12
Jahr wahr werden möchten, werd ich nicht ermangeln Ihnen auch Nachricht

13
davon zu geben. Vergeßen Sie nicht Ihren alten gebeugten und gekrümten

14
Freund und Diener

15
H.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 60–61.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 375–379.

Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 302–308.

ZH II 403–407, Nr. 347.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
404/6
p
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
p.
404/27
wol
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
wohl
404/29
kau
m
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
haben,
404/32
werden
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
werden.
406/2
Jahr […] vorgekommen.]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Jahr vorgekommen.
406/3
66
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
1766
406/12
nach
reciti
rt
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
nach
reciti
rt
406/16
junger
M
von
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
junger von
406/21
) Der
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
). Der
406/27
darinn
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
darin
407/11
Neuen
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
neuen