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18/16
Kgsberg den 7
Oct.
772.

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Würdigster Freund,

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Ich habe vorgestern endlich einen Brief von Herdern erhalten, da ich eben mitten

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in der Arbeit war und den ich nicht eher Zeit hatte als gestern früh zu lesen. Der

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ehrliche Mann hat an seinem
Foliant
en von Brife vom 1 bis zum 25
Aug.
seinem

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Geburtstage geschrieben und es ist ihm eben so sehr an einer
promten
Antwort

22
gelegen als mir selbst. Da er aber wie alle schöne Geister, ein wenig
etourderie
oder

23
Zerstreuung, ich mag nicht sagen,
Unbesonnenheit
besitzt um
s
dem

24
Charakter der ganzen Menschengattung nicht durch eben so unschuldiges als unheiliges

25
Wort zu nahe zu treten: so hat der
ehrliche Mann, mein
gute Freund, den Ort

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seines Aufenthalts vergeßen, weil er wie ich ihm selbst geschrieben, vermuthlich

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zum voraus sieht daß er im Norden oder in gantz Europa so bekannt ist wie in

28
Deutschland wo jedermann wie er klagt mit
dem
Fingern auf ihn zeigt, als

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wenn man sagen wollte:
Hic est
– – der schöne Jünger des Sokrates der den Preis

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davon gestohlen und seinem Vater dem alten
Faunus
nicht einmal mit einem

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Exemplar bedacht – Er hat mir alle seine Sünde ins Ohr gebeichtet und der

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hierophant
wird ihn offentlich
absolvi
ren vor den Augen und Ohren des

33
ganzen Volks, da
mit
s
das ungläubige verstockte unwißende Israel
Amen

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sagen u. erfahren möge, daß es noch
Priester
giebt – und damit die

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Hofprediger des Salomons in Norden lernen mögen nicht mehr Waßer wie

S. 19
der Engel der Gemeine zu
Laodicea
sondern Blut und Feuer zu schreiben wie

2
der Prophet Elias – Ich muß hier schlüßen um auf meinem
Bureau
wie ein

3
Gespenst von Maulaffe
wie ein müßiges
Gespenst – zu
erscheinen
. – –

4
Weil mein treuer Arbeiter und Gehülfe Herder – (ich habe mich vom

5
müßigen Markt meines
Bureau
fortgestohlen und weggelogen, wie Sie sehen) mir

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meldt, daß er mit
HE Nicolai in Berlin
ihrem Verleger in einiger

7
Verbindung steht, der ihm ich weiß weder
was
noch
wie
zugeschickt: so werden

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Sie leicht durch einen andern Umschlag das nöthige zur Beförderung

9
gegenwärtiger Einlage ersetzen und wenn Sie das
citissime
selbst nur erfüllen: so

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habe ich das gute Vertrauen zu allen Postämtern in Deutschland die
sub umbra

11
alarum
wohnen, daß Ihr Beyspiel sie alle als die Schaafe ihrer Gemeine dem

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Beyspiel ihres Hirten nachlaufen oder vielmehr nachjagen werden – –

13
Ich hätte Sie gern dieser kleinen
Commission
überhoben, würdigster

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Freund! wenn ich nicht das große Vertrauen zu Ihnen hätte, daß Sie kein

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– – – – – sind; nein! Das Geheimnis, was ich hier gedacht, läßt sich gar nicht

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errathen;
ich
Sie sollen es aber demohngeachtet typisch, mystisch, – –

17
warum nicht gar? ich bin weder Prediger noch
Θεοδοξος
von Profeßion, sondern

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sokratisch und ironisch lesen, daß Sie kein bloßer
Abbé,
wie der Großsultan

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Magnier
Sie nennt, kein bloßer Apologist: sondern was beßer ist, der

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aumonier
– und
Samariter
der sokratischen Schule – in deren geheimen Orden ich

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Sie nächstens einzuweyhen verspreche für einen kleinen Beytrag zu unserem

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philadelphischen
Gotteskasten mit den Hogarthschen Spinnenweben.

23
„Wie lange will du trunken seyn – sokratische Muse! laß den Wein von dir

24
kommen, den du bey dir hast wie jener Homer im Galatonschen

25
Gemälde – –

26
Nein, wohlEhrwürdiger Herr, meine Muse ist ein betrübt alt Weib, Wein

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und stark Getränk hab ich nicht getrunken sintemal es zwischen 9–10

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vormittags ist; aber ich will mein gantzes Herz Ihnen gegen HErrn Nicolai und

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seine Freunde ausschütten.

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Nicolai, der Ketzer hat so wenig Theil an Ihrem sokratischen Himmelreich

31
haben
als Simon Magus oder Simon der blinde Prediger. Er hat sein Gutes

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in diesem Leben genoßen als Verleger gewißer apokryphischen Briefe (die

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man gewißen Aposteln des guten Geschmacks zuschreibt, an deren kanonischen

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Prüfung der höllische Salomo Mathanasius seine kritische Seele von hinten

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und vorn übergiebt) als allgemeiner Bibliothekar von gantz Deutschland

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u. s. w. Alles was wir aus Freundschaft und christl. Mitleiden thun können,

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ist daß wir seine Bekehrung wünschen. Wenn er von seinen unerkannten

S. 20
Sünden Buße thun kann und wie mein kleiner Held Zachäus siebenfach die

2
Antworten erstatten will, die er dem Vater Sokrates in Norden schuldig ist:

3
so mag er das dort bleiben, was er auf Erden hienieden gewesen ist
Ianitor

4
aulae
St. Peter mit 2 Schlüßeln und einer lahmen Hand zum Schreiben als

5
der
inva
lide Flügelmann Belisar, der blos deswegen unter uns verdammt

6
werden
seyn
muß weil er ein Potsdammer ist.

7
Es thut mir leid um Dich, Bruder Moses! Wo ist dein
mit
wie der halbe

8
Mond glänzendes Haupt geblieben. Verdeckt wie Agamemnons daß der

9
Maler. Bist du auch ein Wucherer wie dein Bruder, die Algebristen der

10
Realitäten
gewesen; hast du auch mit deinem Freunde bis auf den Heller das
Agio

11
zu rechnen Lust gehabt. und bist du deswegen zu einem durchlöcherten Faß

12
verdammt worden, mit
das
dem Du lange genug wie ein Wallfisch in

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deinem philosophischen Leben getändelt.

14
Soyons amis, mon R. P. Partageons ce petit Globe; et m’en faites le

15
Pluton
– – Nach einer so langen und starken Episode di
ch
e ich nicht anders

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als mit einem
gallischen
Schwert zu zerschneiden wuste eile wie eine

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französische Lilie zu meinem abgebrochnen Faden, welche ohngeachtet sie keine
Muse

18
Financien
ist ihre
6
50 gestrichne Thlr Gehalt diese Woche durch ein
billet

19
doux
auf 50 papierne Thlr in Golde bereits wieder gewonnen hat als einen

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Beweiß daß unser Vater im Himmel die Lilien ernährt, wenn sie gleich nicht

21
arbeiten und spinnen auf dem
Bureau
sondern in ihrem Kämmerlein beten

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oder fluchen auf die
arithmetique politique
die mit dem leidigen Unglauben

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um die Wette herrscht und nicht nur die Erde zu erobern sondern auch den

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Himmel zu stürmen vermeynt – aber so wahr ich
Pluton
und Haushalter

25
seiner Geheimniße bin! sollen die Pforten von Gosa auf meinen Schultern

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ruhen!
dis mea pietas et Musa cordi est Hor.

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Bitte daher würdigster Freund! da ich ohnedem ein klein
Conto
für

28
Brief
porto
noch habe, auch gegenwärtiges noch dazu zu schreiben und gelobe Ihnen

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hiemit wie jener evangelische
Supplicant
an Ihnen alles wieder zu erstatten –

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so bald ich nur meine 5 rth
per
Monath werde wieder erobert haben, als

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welches ich mit dem †Träger Hiob noch hoffe und gläube dies Jahr zu

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erleben – weil ich daran arbeite wie Sie leicht merken können, mit ebenso

33
brennenden und rauchenden Kopf
als
und
kalten Blut
, als man tanzte

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zu
im Hofe Herodis.

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Ich habe meinem Freund Herder geschrieben, durch weßen Vorsorge er

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diese Einlage erhält und er wird mir Verbindlichkeit schuldig seyn durch seine

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Unbesonnenheit einen sokratischen Freund mehr sich zugezogen zu haben.

S. 21
Ihr Mantel wird nicht zu klein seyn alle die Unbesonnenheiten damit

2
zuzudecken, die ich selbst begehe, wie Sie und alle Prediger wohl wißen das dies

3
bey jedem moralischen Amt ohne Heucheley oder frucht
losen
Gehorsam wie

4
mein Herder denkt unvermeidl. ist.

5
Und da ich mich an dem
R. P.
zu
meinem Bruder im sokratischen

6
Himmel nicht gern vergreifen möchte so werden sie meine arge Unterthanen, die

7
aber bisher noch blos im Fegefeuer
blos
schwitzen sollen, nicht nachahmen

8
und mich ein Jahrhundert auf die Antwort warten laßen ob mein
billet

9
doux citissime
bestellt worden und wo sich der einzige Freund meiner

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sokratischen Seele aufhält und auf welchem Rosenfelde oder Dornenhügel er jetzt

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weide; damit ich Ihn ohne Zeugen umarmen kann.

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Den Geist des Nicolai hab ich durch meinen Gnomen einladen laßen. Er

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will aber mit den Reliquien eines bereits am gestrigen Abendmal

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angeschnittenen Haasens nicht für lieb nehmen und hat meinen Boten mit Feigen

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abgewiesen
,
– ich wills ihm schon denken, wenn Sie Ehrwürdiger Bruder

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nicht für seine arme Seele bitten.

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Dem zweyten ist mein Wein nicht kauscher – „Wart man, kleiner Phrygier!

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ich will dich Waßer saufen lehren, nicht wie die
Gesetzgeber
sondern wie

19
deine Propheten die du mir entsiege
l
n sollst wenn du es dem christl. Hofrath

20
in Göttingen nicht zu gefallen thun willst – Ich kenne deine Ader und deinen

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Nacken, wie eisern wie felsen sie sind. Der dritte Theil Deiner philosophischen

22
Oeuvres diverses
soll meine Feuerprobe aushalten ehe daß meine Brüder

23
Jupiter und Neptun ihn sehen werden – “ –

24
Soyons amis!
und erlauben Sie Ihrem
Bruder
Freunde auch
Autor
zu

25
werden
und Briefsteller zu werden über die sokratische Unterwelt – künftig

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mehr HE. Bruder von der sokratischen Oberwelt! sonst halt ich Sie für keinen

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Prediger in Berlin sondern von dem Eyland der Lügner und faulen Bäuche,

28
die dem Zeys Dinge nachreden welche nicht wahr sind. Geben Sie mein

29
Geschmier nicht den jovialischen Töchtern der Philister zu lesen – –
capitolium


30
Scandet cum tacita virgine
Pontifex
. Horat.


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Impudens Orcum moror!
Gesegnete Mahlzeit zu Ihrer Götter Tafel. Ich

32
muß auch zu meinen verdeckten Gerichten, die weder
Coloqvint
en noch
cicutis

33
allium nocentius
sind – Doch hievon, so bald wie möglich, bey meiner

34
nächsten
u
letzten
Commission
an Sie von Ihrem Freunde

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Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], II 54.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 19–21.

ZH III 18–21, Nr. 379.