259
240/23
Königsberg den
14 März 64.

24
Herzlich Geliebtester Freund,

25
selbige
nicht ermittelt
Auf Ihre Antwort mit Schmerzen gewartet und endlich selbige zu meinem

26
großen Vergnügen erhalten. Ihr Entschluß ist nicht jähling noch neu für mich

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gewesen, weil Sie immer daran gedacht. Weil ich auf meinen Eigennutz nicht

28
allein darin sehen kann: so werden Sie mir eine freundschaftliche und

29
vertrauliche Erklärung nicht übel nehmen. – Ihr HE Bruder der
Doctor
ist vorige

30
Woche mit sr Frau hier angekommen und ist willens gewesen heute von hier

31
Curl.
Kurland
aufzubrechen und über Litthauen nach Curl. zurück zu gehen. Ich entdeckte

32
ihm etwas von Ihren Gesinnungen für ihr Vaterland; er wurde gewaltig

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aufgebracht und versprach alles mögliche zu thun Sie daran zu hindern.

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Gestern besuchte Ihre liebe Mama und an statt einer Freude über die neml.

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Nachricht, hörte ich das Echo von des HE Bruders Gründen, zu denen ich weder

S. 241
das gröste Vertrauen habe, noch wenig Geschmack darinn finde. Sein ganzer

2
Roman, den er hier gespielt, und von dem ich nichts als Fragmente weiß, hat

3
mehr Lächerliches als edles an sich. Ein verliebter Mann, der sich und die Welt

4
nicht kennt, bey dem man
aber
eine größere Kenntnis von Rechtswegen

5
voraussetzt, der sich aber gegenwärtig gefallen läßt mit der falschen Münze

6
bezahlt zu werden, womit er andere hat befriedigen wollen. Die Kunst zu leben

7
beruht nicht auf Kleider, Worte und Mienen; sondern es gehören Werke und

8
Empfindungen dazu, Erfahrung und Aufmerksamkeit. Die Fr Räthin ist

9
durch das Unglück, das sie vor Augen sieht, so eingeschreckt, daß sie Ihre

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Umstände mit seinen sehr unrichtig verwechselt. Der Fall ist bey Ihnen gantz

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anders als hier. Den weisen Rath, noch ein Paar Jahre wieder Neigung und

12
Gewißen einen Dienst in der Absicht zu behalten, damit man desto mehr

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sammeln kann, mag ich eben nicht billigen. Muthwillig sich aus guten

14
Verfaßungen zu setzen, ohne Noth und Beruf, wäre noch leichtsinniger.

15
Unterdeßen liebster Freund kann ich Ihnen 2 Fehler nicht verheelen, die

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Ihrem Glück ehmals nachtheilig gewesen sind und wodurch Sie selbiges hier

17
wieder verhudeln können.
I.
Vertrauen Sie sich Ihren Feinden nicht an

18
II.
Bitten Sie nicht, wenn Sie fordern können.

19
kleinen Füchse
Hld 2,15
Alle die kleinen Füchse von Philistern, die sich jetzt ihnen vertrauen und gegen

20
die Sie nicht behutsam gnug umgehen können, sind imstande gnug ihnen zu

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schaden und haben jetzt wenig Einfluß mehr Ihnen würklich behülflich zu seyn.

22
Wenn Sie nicht die Rolle eines Betrügers mit ihnen spielen wollen, so lohnt

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es gar nicht sich mit diesen Werkzeugen zu befaßen.

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Wißen Sie einen Weg in Berlin zu arbeiten, so ziehen Sie solchen den

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Adjunctur beym Colleg
Stelle am Collegium Fridericanum
hiesigen vor. Nur kein Wort an Kr. Die
Adjunctur
beym
Colleg.
ziehen Sie vor.

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Dringen Sie auf die Gründe, daß Sie ihr Vaterland mit einem Nachdruck

27
wiedersehen –

28
Ob S
s
ie sich an Pr.
Dom.
oder den
Etatsminister v B.
gerade wenden.

29
Den letzten würde Ihnen anräthig seyn, aber durch einen
Mediateur.

30
Jetzt eben erhalte eine Einlage von der
Mama
und die Nachricht daß die

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Amtmannin
wohl die Mutter von
Henriette Marie Amalie Lindner, geb. Wirth
Amtmannin diese Nacht um 4 Uhr angekommen.

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Wie mein Freund, wenn Sie selbst herkämen auf 8 Tage auch noch kürzer

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und das Land kundschafteten – Ihre Mama zittert für alle Vorschläge einer

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Ehe von einer gewißen Parthey, die sehr eilfertig sich v andere tröstet.

35
Auch als bloßer Magister würden Sie mehr Zuhörer als jene Patienten

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finden. Unterdeßen wird Gott selbst Ihr Wegweiser seyn. Ich warte des

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Landesvaters Herkunft ab um mich meinem Schicksal zu überlaßen.

S. 242
Inspectorstelle
am Collegium Fridericianum
Erschrecken Sie für keine Schwierigkeiten die
Inspector
stelle zu erhalten;

2
der Glaube macht alles möglich. Es müste denn seyn, daß Sie keine Lust an

3
dieser Stelle hätten. Melden Sie mir Ihre Meynung darüber und alles, was

4
in dieser Sache schon vorgefallen. Ich warte mit Schmerzen darauf. Wenigstens

5
will ich mich hier so viel erkundigen, wieweit diese Stelle von der Regierung

6
oder Cammer abhängt, und mir Mühe geben etwas hier auszuforschen.

7
Keinen Posttag Zeit verlieren Sie. Gelegenheit bey
Braxein
nachzufragen ist

8
hier.
D. Arnoldt
gönnt Ihnen die
professor
Stelle der
Poesie,
um Sie

9
vielleicht von der Spur abzulocken. Wenden Sie alle die Hülfsmittel, die HE
D.

10
verachtet, auf ihre Mühle an. Gesetzt daß Sie schrieben an den
Patron
und

11
Marianne
Marianne Lindner
ihm ihre Neigung zum Vaterlande, die durch den Verlust der seel.
Marianne

12
verstärkt worden, entdeckten, auch sich näher verlauten ließen, wenn Sie sich

13
sr.
Protection
versichern könnten. Vielleicht frägt er Sie, worinn er Sie

14
dienen kann. Legen Sie ihm diese Frage wenigstens in den Mund und schreiben

15
Sie mehr im
Geschäfte
als witzigen Ton. Denken Sie kein Wort an

16
Verwandtschaft sondern an seine Verdienste und Pflichten ein Landskind zu versorgen,

17
das auch Verdienste habe und seinen kleinen
Fonds
am liebsten in sr Heimath

18
verzehren würde, drücken Sie sich desto stärker und nachdrücklicher von der

19
Verfolgung aus, die Sie
expatrii
rt, und unter sr. Verwaltung nicht länger

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zu befürchten hätten, von der Sie wünschten einige Wohlthaten auch für sich

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einzuerndten. Eine dreiste herzliche Sprache scheint diesem Mann nicht

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unangenehm zu seyn. Sagen Sie ihm mit einer Art von Vertraulichkeit, die Sie

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nicht aus Furcht gegen ihre hiesige Feinde mehr, sondern aus einer Vorsicht

24
wegen Ihres dortigen Aufenthalts verschwiegen wißen woll
t
en.

25
über Ihre Recension beleidigt gefunden
in
Königsbergsche Gelehrte und Politische Zeitungen
, 2. St. vom 6.2.1764 erschien eine spöttische Rezension von
Büsching,
Denkmal für Stegelmann
. Büsching hat seinen Ärger darüber wohl brieflich mitgeteilt, vgl.
HKB 259 ( II 242/34 )
Herr
D.
Büsching hat sich wieder Vermuthen über Ihre
Recension
beleidigt

26
gefunden und den ersten Bogen von sn Petersburgschen Nachrichten habe

27
erste Gedicht scheint von sr. Frau zu seyn
Wohl von Büschings Frau Christiane; gemeint ist das Klaggedicht in
Büsching,
Denkmal für Stegelmann
, S. 31f. – Lindner schrieb dazu in seiner Rezension: „Endlich folgen in dieser Sammlung noch zwey Klaggedichte, davon das erstere dem zweyten doch wenigstens vorgeht, und eine kleine französische Grabschrift, die sehr mittelmäßig und in Berechnung gegen einen Wohlthäter von 12000. Rubel ohngefehr 1. werth ist.“ (
Königsbergsche Gelehrte und Politische Zeitungen
, 2. St. vom 6.2.1764)
gestern
via
des ordentl.
Correctoris D. Bock
durchgesehen. Das erste Gedicht

28
hinc illae lacrumae
dt. daher also die Tränen (von einem erkannten Handlungsmotiv, nach
Ter.
And.
1,1,125)
Das französische
Das französische „Epitaphe“ in
Büsching,
Denkmal für Stegelmann
, S. 36, über das Lindner gespottet hat.
scheint von sr. Frau zu seyn;
hinc illae lacrumae.
Wer das gewußt hätte –

29
hätte ihr mehr Gerechtigkeit wiederfahren laßen. Das französische ist von

30
einem Mitgliede einer andern Gemeine, der den seel. Mann in einer

31
Schultverhältnis
zu
von 1:12000 Rubel besungen. Wie kann der Recensent bey

32
aqua haeret.
semper aliquid haeret, dt. etwas bleibt immer hängen (von Verläumdungen)
sn eignen Nachläßigkeiten ihm dergl. vorwerfen?
Aqua
haeret.
Das
Journal

33
komt von der Schule, unter sr. Aufsicht heraus und des Inspectors ist darinn

34
rühmlich gedacht als eines treuen Mitarbeiters. Kurz HE
D B.
hat in 2

35
Briefen an dieser
Recension
wiedergekäuet und selbige nicht verdauen können.

36
Das 1. Stück beträgt 20 Bogen und kommt auf Ostern vielleicht heraus. Der

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2te Theil von
Voltaire
ns Historie ist darinn auch
recensi
rt, das
Mst.
der

S. 243
Recension
ist aber noch nicht hier, hat ausdrückl. verbeten etwas davon in die

2
Zeitung zu rücken.

3
XVIte Theil ... Winckelmanns
Briefe die neueste Litteratur betreffend
, Berlin 1763, von Hamann rezensiert in:
Königsbergsche Gelehrte und Politische Zeitungen
, 13. St. vom 16.2.1764. Im 265.
Literaturbrief
wird Winckelmanns
Sendschreiben von Herkulanischen Entdeckungen
rezensiert.
Der
XVI
te Theil der Litteraturbriefe ist endl. heraus und wird übermorgen

4
in die Zeitungen kommen, hauptsächlich wegen des
Winckelmanns.
Des

5
Thornsche Briefwechsel
Lindner,
Briefwechsel
Layenbruders Brief ist eingerückt. Der Thornsche Briefwechsel und

6
Hirtenbriefe werden zieml. mishandelt; ihren Schulhandlungen wird ein

7
Nachgericht
durch
Thomas Abbt
Nachgericht gehalten. Ich habe es aber für ungeschickt gefunden diesen Punct zu

8
urgiren, und die Gelegenheit aufgeschoben. Ein halbes Wort zu sagen lohnt

9
nicht und zum gantzen Wort war nicht Raum. Sie thun am besten, wenn Sie

10
Ihre Empfindlichkeiten unterdrücken und Ihnen das letzte Wort laßen. Die

11
Kritik ist gewißermaaßen Apolls Dienerinn und sie führt ihr Schwert nicht

12
umsonst. Den unrechten Gebrauch muß sie selbst verantworten und einen

13
Proceß gegen
S
sie zu gewinnen würde Ihnen zu viel kosten. Das
Piano
und

14
Forte
ist der höchste Geschmack in der
Politic
und
Music.
Den Beschluß von

15
Scholiasten
wahrscheinlich
Anton Friedrich Büsching
, vgl.
HKB 262 ( II 248/28 )
dem Scholiasten sehe mit Ungedult entgegen, um zu beurtheilen, wie viel ich

16
davon brauchen kann. Kürze im Ausdruck ist eine Hauptbedingung, weil wir

17
so viel möglich ein Stück zu jedem Buch bestimmen, höchstens 2. Um diesen

18
starken Geist zu binden gehört ohnedem eine größere Stärke und

19
Geschwindigkeit, und dies muß dem Leser und Gegner in die Augen fallen. Mit

20
Capituli
ren und Schwatzen ist er ohnedem unerschöpflich. Ich habe jetzt 8 Tage

21
dem Arnoldt vorgienge
Arnoldt,
Vernunft- und schriftmäßige Gedanken von den Lebenspflichten der Christen
. Hamanns Rezension erschien in:
Königsbergsche Gelehrte und Politische Zeitungen
, 17. St. vom 30.3.1764 (N IV,281–183).
beynahe Muße und wünschte doch gern, daß er dem Arnoldt vorgienge. Dies wär

22
mögl. wenn der Beschluß ihres Anfangs bald genug ankäme.

23
Intelligenzwerks
einer Rigaer Zeitung, vgl.
HKB 266 ( II 255/23 )
Ihren
Extract
des
Intelli
genzwerks würde gleichfalls verkürzen müßen,

24
Dithyramben
von
Willamovius,
Dithyramben
. Eine Rezension erschien in:
Königsbergsche Gelehrte und Politische Zeitungen
, 30. St. vom 14.5.1764.
wenn er eingehen soll. Noch ein glücklicher Einfall. Eine Recension der

25
Journal etranger
Journal étranger
Dithyramb
en habe erhalten die mir Genüge thut. In dem
Journal etranger
1760

26
Decbr
soll eine Abhandlung von den
Dithyramben
stehen, die ursprüngl.

27
Nachbar
vielleicht
Johann Friedrich Hartknoch
französisch geschrieben zu seyn scheint. Sollte ihr HE Nachbar der die

28
Encyclop.
besitzt nicht dies
Journal
haben und sie mir eine Abschrift oder

29
vollständigen Auszug daraus verschaffen können?

30
HE.
D.
hat sich heute zur Ader gelaßen – Ich schreibe nächstens mehr.

31
Vergeßen Sie mich auch nicht. Muntern Sie sich auf – Halten Sie allein uns.

32
Zeitungen oder haben sich dort mehr Liebhaber gefunden? Mein alter Vater

33
Electrisiren
Einsatz elektrischer Entladungen für Heilzwecke. Johann Gottlieb Schäffer (1720–1795) thematisiert in seinem Buch
Die Kraft und Wirkung der Electricitet in dem menschlichen Körper
(Regensburg 1752) die medizinische Nutzung der Elektrizität.
beßert sich Gottlob und das
Electrisi
ren hat ihm gute Dienste gethan. Er

34
empfiehlt sich Ihnen herzlich und wünscht viel Glück zu Ihrem guten Vorsatz.

35
Ich umarme Sie und ersterbe Ihr treuer Freund und ergebener Diener

36
H.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (102).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 218 f.

ZH II 240–243, Nr. 259.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
242/15
Geschäfte
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Geschäfte –
242/32
Aqua
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):
wohl
Aliquid