249
212/8
Königsberg den
29
Jun:
63.

9
Herzlich geliebtester Freund,

10
Ihr
Athenaeus
ist glücklich angekommen und ich wiederhole dafür meinen

11
schuldigsten Dank. Noch eine Bitte in Ansehung deßelben habe an Ihnen. Da

12
Zeisischen Buchladen
Johann Daniel Zeise
ich mit dem
Zeis
ischen Buchladen in gar keine Verbindung fast mehr stehe,

13
und man ohne Zweifel eine solche zweydeutige Meynung daselbst von mir

14
haben wird: so habe nicht heraus sagen wollen, daß dies Buch für mich

15
bestimmt gewesen, sondern Sie hierüber in Ungewisheit gelaßen, als wenn ich

16
es vorher zu meinem eignen Gebrauch ansehen wollte, und man mir die

17
Uebermachung deßelben an Sie überlaßen möchte. Sollte daher
für die Fracht

18
etwas zu bezahlen
seyn: so werden Sie die Güte haben das auf sich zu

19
nehmen, weil ich weder die Verbindlichkeit haben will Ihnen
ohne Noth

20
Gegendienste noch sonst etwas schuldig zu seyn. Im Fall Ihnen die Fracht

21
angerechnet werden sollte, will gern lieber mit Ihnen selbst
liquid
iren als mit

22
Nachbarn, die mich nicht loben, noch recht lieben können, sondern den Anfang

23
Sapienti sat
lat. sprichw. für: für den Verständigen genug
gemacht haben mich zu verachten und zu haßen.
Sapienti sat.

24
HE. Kanter wird Riga diesmal gewiß besuchen. Er hat ein vortreflich

25
Sortiment
mitgebracht von holländischen großen Werken. Von Neuigkeiten hat

26
Daniel in der Löwengrube
Moser,
Daniel in der Löwen-Grube
Daniel in der Löwengrube
von Moser mir bisher am meisten gefallen. Des

27
Gellius Julius Cäsar
Bodmer,
Julius Caesar, ein Trauerspiel
, von
Johann Gottfried Gellius
in Druck gegeben.
Gellius Julius Cäsar ist ein
abortus
der Schaubühne; der erste Aufzug

28
erträglicher als die beyden letzten. Weder Wahrheit noch Natur, weder

29
Wahrscheinlichkeit noch Kunst. Nicolai bekomt in der Vorrede abermal einen

30
Lungenhieb. Er giebt sich bloß für den Herausgeber des Stücks aus, allem

31
Moses in Midian
Lossius
Moses in Midian
Vermuthen nach ist er es selbst. Moses in Midian ein poetisches Gemälde habe

32
Breitenbauch Schilderungen
Breitenbauch,
Schilderungen
nicht lange aushalten können. Eines von Breitenbauch
Schilderungen einiger

33
Gegenden des Alterthums v der neueren Zeit
sind ein elendes Geschmiere,

34
dafür ich Sie warne. Der Verfaßer muß die
Idee
seines Buchs wo gestohlen

35
haben, aus deßen ganzen Behandlung man nicht absehen kann, wie er selbst

S. 213
Auszug aus Jacob Böhmens Schriften
Jacob Böhme
, vll. ist die englische, von William Law besorgte Ausgabe gemeint:
The Works of Jacob Behmen, the Teutonic Theosopher
.
zu Erfindung derselben fähig gewesen. Einen kleinen Auszug aus
Jacob

2
Böhmens
Schriften habe mit Aufmerksamkeit gelesen und nicht umsonst. Unter

3
Aurea catena Homeri
Kirchweger,
Aurea catena Homeri
den Titel
Aurea catena Homeri
habe ohne mein Wißen auch ein alchymisches

4
Werk bekommen, das ich der Mühe werth halte durchzugehen und vielleicht

5
gar zu behalten, weil es sich unter allen Schriften von der Art zu unterscheiden

6
scheint. Zu Gotha hat ein Schulmann
Anecdota ecclesiastica et Latinitatis

7
progymnasmata
Vorübungen
elegantioris
ausgegeben in denen ich nichts als kleine
progymnasmata

8
Pater piarum Scholarum
Mitglied des Ordens Ordo Clericorum Regularium Pauperum Matris Dei Scholarum Piarum; engagiert besonders im Schuldienst.
gefunden. Ein Pater
piarum Scholarum
zu Wien Schwarzer hat eine
arithmeticam

9
mercatorum
herausgegeben, die aus vielen practischen Vortheilen

10
zusammengesetzt. Ich fand gestern den naiven Einfall: Rechnen ist leicht aber

11
demonst
riren ist lustig. So viel ich davon habe lesen können, kommt mir die

12
Demonstration
seiner welschen Künste leicht, aber sein Rechn
en
ungmethode desto

13
lustiger vor. Die Briefe welche Aeginus von einem seiner Freunde über das

14
Schulwesen mit Vorrede v Anmerkungen herausgegeben, schon vor einigen

15
Jahren habe auch durchblättert v gehören in ihre Sammlung, wenn sie nicht

16
schon da ist. Des M. Munters, wo ich nicht irre Versuch über die italienische

17
Poesie in Briefen habe auch jetzt gelesen. Seine Anführungen sind das Beste,

18
dem Petrarch mehr gewachsen als dem Dante in seiner Kritik. Da ich jetzt die

19
Däntler
N.N. Däntler
Sprache Däntler zu gefallen wieder vorgenommen freue ich mich über des

20
Gaudio Sammlung in Göttingen, die
Thomsons
engl. vorzuziehen, weil der

21
ganze erste Theil die Historie der italienischen Sprache v. Litteratur betrift.

22
Beweiß
nicht ermittelt
Von der Schönheit in den Wißenschaften ist ein leeres Geschwätz. Beweiß,

23
daß der Begrif von Gott v der Unsterblichkeit der Seele in den angebornen

24
Trieben unserer Natur vergraben liege, empfehle Ihnen eher. Der
Apotheker

25
eine Wochenschrift mit Kupfern zu Kölln hält unerträgl. Poesien, die sich

26
Apulejischen
Lucius Apuleius
mehrentheils schließen mit einem
und so weiter
, eine Uebersetzung der Apulejischen

27
Ovid
Ovid
Fabel vom güldenen Esel, eine Vergötterung des Ovids unter dem Titel von

28
den Verdiensten der Poeten um das ganze menschl. Geschlecht. Der Geschmack

29
ungeleckter Bär
Ov.
met.
, XV,380f.: lat. „lambendo mater in artus fingit et in formam, quantam capit ipse, reducit“, dt. „durch Belecken bildet die Mutter Glieder an ihm und gibt ihm die Form, die sie selbst schon erworben“.
im Innersten des Reichs sieht noch wie ein ungeleckter Bär aus, ein Stück

30
Fleisch ohne Gestalt und Bildung.

31
Den ersten Theil von Michaelis Erklärung der Epistel an die Ebräer habe

32
bloß ausgenommen ihn zu lesen. Seine
Commentationes
behalte und will

33
deutschen Abhandlungen
vgl.
Johann David Michaelis
selbige mit sn. deutschen Abhandlungen v der Preißschrift zusammenbinden

34
laßen. Auch habe ich gefunden Sammlung der vornehmsten Schriftsteller die

35
die Wirklichkeit der Körperwelt geleugnet von Eschenbach übersetzt schon seit

36
756. in der Berkeleys Gespräche zwischen Hylas v Philonous enthalten die ich

37
so lange gesucht und mir immer gewünscht zu lesen und zu besitzen. Colliers

S. 214
allgemeine Schlüßel ist mir ganz unbekannt. Haben Sie diese Sammlung

2
nicht; so hoffe ich daß Ihnen gleichfalls damit gedient seyn wird. Mir ist daran

3
so viel mehr gelegen weil ich
Berkeleys Querist
im Engl. besitze.

4
Eine kleine Abhandl. des Helmstädtschen
Pr. Bode
in 4. worinn er das

5
hohepriesterl. Gebet des Erlösers philosophisch v kritisch nach der

6
Grundsprache mit den vornehmsten orientalischen Uebersetzungen verglichen liegt

7
noch ungelesen vor mir. Ob ich selbige behalte, weiß nicht. M. Commerells

8
Hof- v Stadt-
Diaconi
zu Carlsruhe exegetico practische Erklärung des ersten

9
Buchs Mose in 60 Wochenpredigten halte auch der Mühe werth noch

10
durchzublättern.

11
So viel habe vor der Hand ansehen können. Der HE v Moser scheint mir

12
vor Klopstock und Gesner noch am allerglücklichsten eine biblische Geschichte

13
zur poetischen Fabel angewandt zu haben; und sein kleines Werk ist das Beste,

14
was ich noch von neu ausgekommenen Stückgütern dieser Meße gefunden

15
habe.

16
crambe bis cocta
dt. wiederaufgewärmter Kohl (
Iuv.
saturae
, 7,154)
Bells Preißschrift von der Ursache v Folgen der Bevölkerung ist
crambe
bis

17
Humes ähnl. Schrift
Die Hamann wohl aus
Sulzer (Hg.),
Hume Vermischte Schriften
, Bd. 1, kannte.
cocta
für mich. Humes ähnl. Schrift über die Grundsätze des Ackerbaues hat

18
mir beßer gefallen. Dem HE Hinz melden Sie nebst meinem freundschaftl.

19
Gruß, daß im Kanterschen Laden die schöne
Ausgabe des
Gesners
vom

20
Tibullo
Albius Tibullus, (55–19 v. Chr.), röm. Elegiker; wohl
Gesner,
Catullus, Tibullus, Propertius
Catullo
Gaius Valerius Catullus
(1. Jdh. v. Chr.), röm. Dichter
Horatz
ist, auch von
Tibullo, Catullo, Propertio
eine ganz neue niedl.

21
Handedition jetzt ausgekommen.

22
Tanzmeister
vll.
Réflexions sur le maintien et sur le moyen d’en corriger les défauts
von Mereau (1760).
Ein Tanzmeister hat einen
nouvel essay sur l’Education
geschrieben, der

23
osteologisch
die Knochen betreffend
aber nichts als
Reflexions sur le maintien
enthält, die sehr
osteolo
gisch sind.

24
Er empfiehlt daher diesen Theil der Anatomie sn Amtsbrüdern eben so sehr

25
Myologie
Lehre von den Muskeln
als die Maler die
Myologie
zu ihrer Kunst nöthig haben.

26
Recueil
Voltaires Sammlung vermischter Schriften
Voltaire,
Sixième recueil de nouvelles pièces fugitives
ist auch im
Messkatalog für Ostern 1763
, S. 370 angekündigt;
Friedrich Nicolai
ist hier wohl nur als Verkäufer gemeint, nicht als Verleger.
Wenn Sie den
Recueil de pieces fugitives
des Voltaire noch nicht haben,

27
von dem jetzt 6 Stück bey Nicolai ausgekommen, so verdient er wenigstens

28
gelesen zu werden.
La mort de Socrate
ist eine mittelmäßige
farce. Palissot

29
führt in einem Briefwechsel ein
Epigramm
auf
la Mettrie
an:

30
Fléau des Medecins, il en fut la lumiere;

31
Mais à force d’esprit tout lui parut matiere.

32
Brunnenkur
Trinken von Heilquellwasser
Der Schulcollege braucht diese Woche die Brunnenkur in unserm Hause.

33
Er fängt seine Versuche, worüber er ausgespannt wurde, ärger jetzt an als

34
damals. Mein alter Vater spielt jetzt Ihre Rolle; ich aber bin taub und stumm.

35
Recidive
Rückfall
Sie wißen was
Recidive
sind. Damals
wollt
er nicht hören; jetzt
kann
er

36
nicht hören. Was soll ich allso reden? – Mein Vater ist im Begrif mich bey

37
dem gegenwärtigen Kammer
director
v.
Wegner
die Erlaubnis auszuwirken,

S. 215
Auscultator auf dem Licent
Hospitant im Zollamt
ein
Auscultator
auf dem
Licent
zu seyn. Die
Steine
sind al
so
le so gut

2
Examen und der ganze Handel
Hamann beschreibt den schlechten Zustand der Badstube des Vaters
rangi
rt, daß ich mit geschloßenen Augen immer ziehen kann.
Examen
und der

3
ganze Handel mit der
Officin
sind zurückgegangen oder stehen wenigstens

4
gantz stark stille. Ob der bestimmte Nachfolger ein Mann nach Gottes Herzen

5
gewesen
sey, wird die Zeit lehren. Wir leben bisher auf dem besten Fuß mit

6
einander, so lange wir
uns für einander fürchten
. Vorigen Sontag that er

7
mir des Abends die Versicherung
ex abrupto,
daß er mein wahrer Freund

8
wäre, und daß er hoffe, ich würde der seinige auch noch
werden
. Ich wünschte

9
kalt die Erfüllung beyder Puncte zu sehen. Mein Alter hat mir schon ein

10
paarmal im Vertrauen geklagt, daß er ihn anführe. Und über das
Privilegium

11
meinen alten Vater anzufahren bin ich sehr kützlich. Den zehnten Tag waren

12
Hamadryade
Baumnymphen des griechischen Altertums, Seelen des Baumes. Gemeint ist
Anna Regina Schumacher
.
die Augen meiner jungen Katzen offen, aber mit meiner Hamadryade geht es

13
nicht so thierisch sondern menschlicher zu. Der Instinct ist durch die Mechanik

14
eingeschränkt, wenn der freye Wille ins unendliche algebraisirt. Wer kann

15
Wind und Waßer gebiethen? Und ohne Wind und Waßer mag der Teufel

16
seine Schindmähren mahlen, und nicht ich. In der Erkenntnis des Guten und

17
Bösen übertrift sie alle Sophisten in diesem Jahrhundert – Dies Zeugnis wird

18
verjüngte Abälard
Unter diesem Pseudonym erschien
Hamann,
Chimärische Einfälle
ihr der verjüngte Abälard einmal schriftlich geben; aber
gehorchen
– und das

19
ist die einzige Bedingung, unter
ich
der ich im stande bin Dinge zu thun, die

20
mir vor der Stirn nicht geschrieben stehen. Als Magd ist sie ohnedem schon

21
dazu verbunden, geschweige wenn ich die Gefahr auf mich nehme sie ehrlich zu

22
machen. Und diese Gefahr nehm ich auf mich, so bald sie meinen freyen Willen

23
ihrer eigenen Ehre vorzuziehen aus Liebe im stande ist –


24
Gott wird helfen Amen.


25
Däntler
N.N. Däntler
Kurl.
Kurland
Herr Däntler ist im Begrif nach Kurl. wieder zu reisen und ich habe das

26
Brotherrn
nicht ermittelt
Vergnügen ihn auf die erwünschte Art in seines alten Brotherrn Hause

27
versorgt zu sehen.

28
Auch habe ich das Vergnügen einen sehr guten Menschen
bey der
für die

29
Fr General. von Witten gefunden zu haben von einem lieblichen muntern

30
Ansehen – –

31
lieben Hälfte
Marianne Lindner
Endlich hab ich das Vergnügen Sie noch zu umarmen nebst Ihrer lieben

32
Hälfte und Hausgenoßen. Mein Vater empfiehlt sich und ich nochmals Ihrem

33
treuen Andenken, der ich mit aufrichtigster Gesinnung bin Ihr ergebenster

34
Freund und Diener

35
Hamann.


36
HE. Däntler wird nächstens selbst schreiben und hat Hofnung einen guten

S. 216
Fang
*
zu thun. Moldenhawer ist heraus. Wegen Arnoldt habe bestellt. Leben

2
Sie wohl.



3
* einen Autor zum Hofmeister, der warlich mehr als ein Galimafree

4
geschrieben! Kurl. v Liefland soll jetzt recht bevölkert werden. Wenn unser

5
Freund den Hofmeister erräth, so will ich bey ihm in die Schule gehen. Grüßen

6
Sie Hinz abermal.



S. 497
Handschriftliche Anmerkungen von Johann Gotthelf Lindner am Rand:

20
Zu HKB 249 (II 213/30):
Philemon.

21
Nicolai. Aut.
der Elegie.

22
Zu HKB 249 (II 216/6):
Apoth.

23
Eschenb.

24
Hume.
Kunst.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (96).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 199 f.

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 122 f.

ZH II 212–216, Nr. 249.

Zusätze fremder Hand

497/20
–21
Johann Gotthelf Lindner
497/22
–24
Johann Gotthelf Lindner

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
497/19
–24
Handschriftliche […] Kunst.]
In ZH im Apparat.