206
82/25
Königsberg den
5. May 1761.

26
Geliebtester Freund,

27
Wir werden noch ein Jahr zusammen leben. Sie schreiben mir um einen

28
Alkoran, und ich hatte Ihnen schon einen zugedacht.
Sale
seinen, nämlich, den

29
Arnold aus dem Engl. übersetzt. Sie werden in demselben eine sehr

30
weitläuftige Einleitung finden, die für mich sehr unterhaltend gewesen, und starke

31
Noten zum Text. Unserer
neuen Dichter wegen
, hatte ich Ihnen dies Buch

32
zugedacht; gesetzt daß auch sonst nichts darinn wäre, das einen Gelehrten

33
reitzen könnte. Daß
Hinckelmann
eine lateinische Uebersetzung ausgegeben

34
weiß nicht, den
Grundtext
aber, und diesen hab ich schon den Anfang gemacht

S. 83
vorzunehmen; auch schon versucht in
Golii Lexico
aufschlagen zu lernen. Ich

2
bin sehr glücklich, daß ich alles Geräth, was ich nöthig habe, auf einen
Pfiff

3
erhalten kann. Der Besitz davon wäre
hiesiges Orts
unmöglich, sehr kostbar,

4
mir überlästiger als das
nützlichere
Leyhen, das uns den Gebrauch einer

5
Sache mehr empfiehlt und denselben zugleich befördert.

6
Hinckelmanns
Vorrede zum arabischen Alkorann hat mich ganz begeistert,

7
und ich habe fast Lust bekommen als Unter
copist
mit einem Abgesandten nach

8
die Türkey zu gehen, ehe ich vierzig Jahr alt würde. Komt Zeit, komt Rath.

9
Johanne Eliberitano
Johannes Eliberitanus
Können Sie mir wohl einige Nachricht vom
Johanne Eliberitano
geben, der

10
Moren verjagt
Mit der Eroberung Granadas 1492 durch die Reconquista wurden die letzten Mauren aus Spanien vertrieben.
mit den Moren verjagt, aus Spanien nach Afrika gieng, zu Fetz fleißig war

11
und darauf einige Jahre durch Asien und Afrika wanderte; auf seiner

12
Lotophagite
Isle de Gerbes, Insel bei Sirte in Tunesien.
Rückreise zu den Seinigen nach Mauritanien aber nahe der Insel Lotophagite

13
Leo X
Giovanni de’ Medici. Ab 1513 Papst (1475–1521)
gefangen und dem Pabst
Leo X
übergeben wurde, und zwey Kardinäle, den

14
Aegidius Viterbiensis
Aegidius Viterbiensis (1469–1532), Bischof von Viterbo
Hyeron Seripandum
Girolamo Seripano (1493–1563), Erzbischof von Salerno
Justitianum Nebiensem
Augustino Nebiense Justiniani (Pantaleon Giustiani) (1470–1536), Bischof von Nebbio
Aegidius Viterbiensis,
und
Hyeron Seripandum;
auch den
Justinianum

15
Nebiensem
zu Schülern bekam. Dieser
Johannes
soll der erste Lehrmeister des

16
Arabischen in Europa gewesen seyn; steht aber nicht in der alten Ausgabe des

17
gelehrten Lexici
vmtl. besaß Hamann die zweibändige Ausg. (1733) von
Jöcher,
Allgemeines Gelehrten-Lexicon
gelehrten
Lexici?
Ob in
der neueren die Sie haben
? Daß sehr viele

18
Liebhaber dieser Sprache
irrende Ritter
geworden ihr zu Gefallen, zeigt der

19
Lebenslauf der berühmtesten Gelehrten in diesem
Studio.

20
Zum Alkorann des
Sale
habe noch
La Combe
mit
Joachims

21
Anmerkungen
als die nützlichste Uebersetzung dieser kleinen Schrift beygelegt, in der

22
Voraussetzung daß Sie solche noch nicht haben, und dort viel Liebhaber finden

23
möchte. Selbst habe es nicht gelesen. So viel geht mich an in Ansehung des

24
künftigen, was Sie aus dem Buchladen erhalten werden.

25
Defect Bogen
mangelhaftes Exemplar
NB.
Ich werde zugleich besorgen daß
einige
Defect
Bogen aus dem

26
Schauplatz der Natur
Pluche,
Spectacle de la nature
Schauplatz der Natur für den jungen Pastor
Rupr.
Ihrem Pack beygelegt werden,

27
damit er sie desto
sicherer
und
geschwinder
erhält. Sie thäten mir einen

28
Gefallen,
wann Sie dies Selbst bestellen möchten, so bald Sie für

29
nöthig finden hier zu schreiben, daß Sie
, Liebster Freund! die
Defect

30
Bogen
für den Pastor Ruprecht dort
erwarten
, und an ihn besorgen würden,

31
als wenn der
Pastor
Rup.
Sie selbst darum gebeten hätte
. Denn was

32
ein Freund für den andern thut kann man immer verwechseln, wie der

33
wie der Verfaßer der Wolken …
Hamann,
Wolken
, N II S. 105,3–6, ED S. 59
Verfaßer der Wolken Elisa Diener mit dem HErrn selbst.

34
Mein Kaltsinn gegen Wagner geht Ihre Angelegenheiten im geringsten

35
nicht an. Es wird mir allemal
lieber
seyn, wenn Sie unter
meinem
Couvert

36
an ihn schreiben wollen, als
vice versa.

37
Haben Sie schon das Theater des
Diderots.
Ich habe meinen ganzen

S. 84
Nachmittag gestern an diesem Buch verschwendet, ohne mir es gereuen zu laßen,

2
besonders da mir der
zweyte Theil
noch ganz fremde gewesen. Die

3
Abhandlung an HE Grimm
„Von der dramatischen Dichtkunst. An meinen Freund Herrn Grimm“, in
Diderot,
Das Theater des Herrn Diderot
, Tl. 2, S. 231–480
Abhandlung an HE Grimm kann sehr nützlich seyn für einen Schriftsteller, der in der

4
dramatischen Dichtkunst arbeiten will. Man muß das Theater
kennen
, man

5
„Wehe jedem …“
Ebd., S. 233
muß es
verbessern
, wenn ein ehrlicher Mann dafür arbeiten will. „Wehe

6
jedem, der sich
beschäftigt
, wenn seine
Arbeiten
nicht die Qvelle seiner

7
süßesten Augenblicke
ist, wenn er sich nicht mit dem Beyfall
Weniger
befriedigen

8
kann!“ Diderot kennt Regeln, so gut als der beste Schulmeister sie
verstehen

9
und
mittheilen kann
; aber dieser Philosoph sagt wie ein halber Mystiker,

10
daß dasjenige, was un
d
s
führen
und
erleichtern
muß, nicht Regeln sind,

11
sondern ein
Etwas
, das weit
unmittelbarer
, weit
inniger
, weit
dunkeler

12
Galimathias
unverständliches, verworrenes Gerede
Ariston
Ebd., S. 470–480
und weit
gewißer
ist. Was für ein
Galimathias
in dem Mund eines

13
Weltweisen wie
Diderot
ist. Der kleine Roman des idealischen Menschen,
den Ariston

14
von seinem 40 biß zum 55 Jahr die Zeit in seiner Einsamkeit so angenehm

15
vertrieben ist ein kleiner Theaterstreich um den Vorhang seiner Abhandlung fallen

16
zu laßen. Der Hausvater hat mich in einigen Stellen sehr
erweicht
und

17
gerührt
.

18
Leßing von den Fabeln
Lessing,
Fabeln
, vgl.
HKB 180 ( II 17/21 )
Was
Leßing
von den Fabeln und
Diderot
vom Drama geschrieben, kann

19
demjenigen sehr zustatten kommen, der die Qvellen der Poesie und der

20
Erdichtung weiter entdecken will als diese beyde Schriftsteller sie haben

21
nachspüren
können
; weil sie das Irrlicht einer falschen Philosophie zur

22
Wegweiserinn gehabt. Um das
Urkundliche
der Natur zu treffen, sind Römer und

23
durchlöcherte Brunnen
Hamann,
Aesthaetica
, N II, S. 209,18, ED S. 198
Newtons
Isaac Newton
Griechen durchlöcherte Brunnen. Von der
Farben
Theorie eines Newtons ist

24
noch eine große Kluft biß zur Lehre vom
Licht
.
Meynungen
sind bloß
vehicula

25
der Wahrheit, und nicht die Wahrheit selbst. Von dieser
philosophischen

26
Abgötterey
unser Jahrhundert zu überführen, ist unmöglich; kein Wunder, wenn

27
Aarons
Verfertiger des goldenen Kalbs,
2 Mo 32
die
Aaron
s
und die Hohenpriester des Publici selbst Götzendiener sind.

28
sagt Diderot
Diderot,
Das Theater des Herrn Diderot
, Tl. 2, S. 401: „Unter den Leidenschaften sind diejenigen, die man sich am leichtesten zu haben stellen kann, auch die leichtesten zu schildern. Dahin gehöret die Großmuth; die überall etwas Erlogenes und Uebertriebenes verträgt.“
Unter allen Leidenschaften sind diejenigen, sagt
Diderot,
die man sich am

29
leichtesten
zu haben stellen kann, auch die leichtesten zu schildern. Die

30
Grosmuth, (diese Leyer der Moralisten) verträgt überall etwas Erlogenes und

31
Uebertriebenes. Ihr kennt die Tugend nicht, oder was ihr Grosmuth nennt und

32
dafür gescholten wird, muß selbst eine Lügen seyn. Eine neue Moral, ein neu

33
Sittengesetz, würde also unsern Geschmack, unsere Bühne, unsere Sitten bald

34
ändern, – hiezu gehört aber eine
göttliche Gedult
und ein
Göttlich

35
Ansehen
.

36
Gleichnis des Diderots
Ebd., Tl. 2, S. 339: „Die von der dramatischen Dichtkunst geschrieben haben, gleichen einem Menschen, der indem er auf Mittel sänne, wie er eine ganze Familie in Unruhe stürzen könne, diese Mittel nicht nach dieser Unruhe selbst, sondern nach dem abwägen wollte, was die Nachbarn davon sagen würden. O kümmert euch doch nicht um die Nachbaren; peiniget nur eure Personen recht, und seyd versichert, daß diese keinen Verdruß haben werden, an dem jene nicht Antheil nehmen!“
Wie
gefällt Ihnen dies Gleichnis des
Diderots?
Die von der

37
dramatischen Dichtkunst geschrieben haben, gleichen einem Menschen, der auf ein

S. 85
Mittel
sönne, wie er eine ganze Familie in Unruhe stürzen könne, diese Mittel

2
nicht nach der Unruhe selbst, sondern nach dem
abwägen
wollte,
was die

3
Nachbarn davon sagen würden
. O kümmert euch nicht, fährt
Diderot
fort,

4
um die Nachbarn; „
peinigt
nur eure
Personen recht
, und seyd versichert, daß

5
diese keinen Verdruß haben werden, an dem nicht jene Antheil nehmen.“ Ich

6
diese Stelle im französischen
Diderot,
Le Pere de Famille
, S. 83f.: „Eh laissez-là les voisins; tourmentez vos personnages, & soyez sûr que ceux-ci n’éprouveront aucune peine que les autres ne partagent.“
möchte wißen, wie diese Stelle im französischen lautete. Der Autor ist ein gar

7
Racine
Jean-Baptiste Racine
, vgl. bspw.
Diderot,
Das Theater des Herrn Diderot
, Tl. 2, S. 402: „Wie man mit vieler Arbeit eine Scene machen kann, wie sie Corneille gemacht hat, ohne selbst ein Corneille zu seyn, das kann ich begreiffen: aber nie habe ich es begreiffen können, wie man eine Racinische Scene machen kann, ohne selbst ein Racine zu seyn.“
zu großer Verehrer des
Racine
und hat gar zu starke Empfindungen der

8
Menschlichkeit, als daß man ihm das kalte Blut zutrauen sollte, die Personen

9
seiner Schauspiele recht peinigen zu können, oder dies
Talent
dramatischen

10
Schriftstellern im Ernst zu empfehlen, denen an
ihrer Kunst mehr
gelegen

11
als an
ihrem guten Namen
, und den
Urtheilen in der Nachbarschaft
.

12
Den grösten Prüfungen der Selbstverleugnung ist wohl ein Autor, (im

13
weitläufigsten Verstande) ausgesetzt. Gehört nicht eine große

14
Selbstverleugnung dazu ein Stück zu liefern, das durch
so feine Empfindungen
, durch
so

15
flüchtige Gedanken
, durch so schnelle
Bewegungen der Seele
, durch
so

16
unmerkliche Beziehungen
verbunden ist, daß es
ganz ohne Verbindung

17
und besonders für diejenige
ohne Verbindung
zu seyn scheint, die nicht dazu

18
gemacht
sind, in den
nemlichen Umständen
das
Nehmliche
zu empfinden.

19
Seine Arbeit ist für 99 Leser verloren;
durch
für diesen Verlust aber wird

20
er durch den Gewinn des
hundersten
getröstet. Was für eine Blindheit gehört

21
dazu 99 gegen 1 aufzuopfern; ganze Heerden, Schaaren und Völker in der

22
Irre zu laßen, um mich gegen
Indiuidua
verdient zu machen. Da heist es wohl

23
Sapere aude!
Hor.
epist.
I,2,40 f.: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
recht:
Sapere aude!

24
Weil
Diderot
ein Mann von
Talent
en, und vermuthlich auch von

25
Erfahrungen ist, so bin ich heute ein so weitläuftiger Abschreiber gewesen, um dem

26
Verdruß und dem Vergnügen, daß ich bey Lesung seiner Abhandl. reichlich

27
genoßen, ein wenig Luft zu machen.

28
Es fällt mir aber liebster Freund ein, daß diejenigen nicht so einfältig

29
handeln, die für wenige als die so für viel schreiben; weil es das
einzige Mittel

30
ist die Vielen
zu gewinnen, wenn man die
Wenigen erst
auf seine Seite hat;

31
so wie auch derjenige Beyfall, zu dem man Zeit und Arbeit, Geschick und

32
Klugheit nöthig gehabt, ein längeres Leben mehrentheils
hat
verspricht als

33
Ephemeriden
schnell wechselnde Konstellationen von Himmelskörpern
der Ephemeriden ihrer, von dem es oft heist: So ge
k
wo
mm
nnen; so

34
zerronnen. Die gröste Sparsamkeit und Wirtschaft kann ein
Kapital des Glücks

35
Furcht Isaaks
1 Mo 31,42
allein erhalten. Die
Furcht Isaaks
ist der Seegen, den ich mir als Autor

36
wünschen möchte, wenn es mein Beruf seyn sollte einer einmal zu werden.

37
Ich danke Ihnen, Liebster Freund, für die Hofnung, die Sie mir machen zu

S. 86
verlornen Blättern
vgl.
HKB 204 ( II 78/15 )
Schaff
Gestell
meinen verlornen Blättern. Das
Bureau
ist das Schaff mit Glas; das

2
mittelste
ist eigentl. was ich das Schreibefach genannt haben sollte. Da muß es

3
George B..
George Bassa
liegen. Jetzt werden Sie mich verstehen. George B‥ ist der beste Kanal, den

4
Sie wählen können. Grüßen Sie ihn bey Gelegenheit zugl. herzlich von mir,

5
und ersuchen ihn, daß er mich nicht vergeßen soll. Er soll sich um nichts als

6
seinen Handel bekümmern; für Wißenschaft würde ich so sorgen, daß ich ihm

7
zeitig genung so viel überlaßen könnte, als er Lust und nöthig hat. Von der

8
Stelle, die Sie sich erinnern, ist keine Spur mehr in meinem Gedächtnis; weil

9
mir die ganze Wendung meiner Gedanken über diesen Gegenstand verflogen.

10
Ich erwarte desto mehr von der Erneurung derselben.

11
vor Himmelfarth
Donnerstag, 29. April
Am heil. Abend vor Himmelfarth schickte
Prof. Teske
zu mir und ließ mich

12
zu sich bitten. Ich ließ mich
entschuldigen
, weil ich mit der Post zu thun hatte,

13
und nach Kurland schrieb. Freytags ließ mich frühe
anmelden
, wo man sich

14
meinen Besuch gleich gefallen ließ, zu dem ich schon fertig war. Ich wurde

15
sehr höflich, außerordentl. gütig aufgenommen. Man that einen kleinen

16
Antrag an mich, ob ich Lust hatte zween junge HE. auszuführen. Weil man aber

17
eine Fertigkeit im franz. in mir zum voraus setzte, so hob diese Bedingung

18
gleich eine weitere nähere Erklärung über diese Sache auf. Man redte mir

19
Wunder von dem Hause vor, die mir lächerlich waren, und meine Neugierde

20
unterdrückten, an statt solche zu reitzen. Aus dem ganzen Schwunge des

21
Vortrages leuchteten Nebenabsichten hervor, daß man mich kennen wollte, und

22
daß man an mir denken wolle, wenn ich Lust hätte. Das Gespräch fiel auch

23
unerwartet auf die Religion, wo ich die zehn Gebote und Luthers

24
Katechismum recht sehr anprieß. Ich war munterer als gewöhnlich, und schien einige

25
beßere Eindrücke von mir zurück zu laßen, weil man mir auf der Treppe noch

26
nachrief: Seyn Sie
mein Freund
. Und so hatte die Komedie ein Ende, und

27
gieng mit meiner Rolle recht sehr zufrieden weg, weil ich mit andern

28
Ahndungen hingegangen war, und meine Ruhe öfters darüber verliere, daß ich sie

29
allzu sehr liebe.

30
Dergl. kleine Auftritte sind mir sehr angenehm und so unbeträchtlich sie

31
aussehen, so sehr
interessi
ren Sie mich, weil eine Einbildungskraft, die eine

32
gute
Kupplerinn
ist, aus der Verbindung solcher zufälligen Kleinigkeiten

33
glückliche Wirkungen hervorzubringen sucht. Nichts geschieht umsonst;

34
zu unserm Besten dienen
Röm 8,28
hingegen alles muß zu unserm Besten dienen. Zwey Grundsätze die fruchtbarer

35
Princip. Contradict. und rat. suffic.
Grundlagen der formalen Logik: Principium Contradictones (Satz vom Widerspruch); ratio sufficiens (Satz vom zureichenden Grund)
sind als das
Princip. Contradict.
und
rat. suffic.
für einen Menschen, der auf

36
der Welt leben und denken soll, weil er Leib und Seele dazu bekommen hat.

37
Vielleicht künftig mehr von Neuigkeiten.

S. 87
Treschos Autorschaft
Sebastian Friedrich Trescho
Um Treschos Autorschaft bekümmere mich nichts. Die Zuschrift einer

2
Osterpredigt
nicht ermittelt
Osterpredigt von seinem Busenfreunde ist ein eigen Zwitterding von

3
zärtlichen Gefühl. Man hat mir gesagt, daß seine Versuche im Denken und

4
Empf. Ihnen, liebster Freund, Krick. und Bor. zugeeignet. Das

5
assortissement
Zusammenstellung
assortissement
wäre nicht anständig. Doch wählen und urtheilen ist ein ander Ding

6
als Denken und Empfinden. Daher ist es mir lieb in keiner andern als

7
solchen Verbindung mit dergl. schönen Geistern zu stehen,
als
wo ich

8
Ihnen so nah kommen darf als nöthig und ich sie von mir so entfernt

9
halten kann, als ich will.

10
Wolson war eben hier seines Bartes wegen und hat mir einen Gruß

11
aufgetragen. Mehr weiß nichts von ihm weil ich seit langer Zeit keinen Umgang

12
mit ihm gehabt.

13
Da ich Ihnen GeEhrtester Freund, von meinen Arbeiten Schritt vor Schritt

14
Rechenschaft gebe; so erfordert es das Recht der Wiedervergeltung mich auch

15
an den Ihrigen Antheil nehmen zu laßen. Sie beurtheilen mich schlecht, wenn

16
Sie mir keinen Geschmack an
Schularbeiten
zutraun, da ich den Werth

17
derselben mehr als die gelehrtesten Abhandlungen schätze. Jene
nützlicher
zu

18
machen, Geist Leben und Farben ihnen zu geben ist auch mein Wunsch und

19
würde das Ziel meines Ehrgeitzes seyn. Sie wären
Meister
von Ihrer
Bühne

20
und es käme auf Sie an durch Ihre Kinderspiele den Geschmack größerer

21
Theater zu verbeßern. Sobald Sie dieser
Bestimmung
Genüge thun werden;

22
erlaub ich es Ihnen, liebster Freund, Ihre Schularbeiten dem Urtheil jener

23
berühmten Gesellschaft nicht nur zu unterwerfen, sondern auch Trotz zu

24
biethen. Anders aber nicht. Kann ich es als ein Patriot verschmerzen, daß einer

25
meiner nächsten Freunde eine der grösten Zünfte in Deutschland so schnöde

26
hintergehen und zum
Ceremoniel
schmause nichts als aufgewärmten Kohl

27
auftischen will.
Que faire?
fragen Sie mich. Wo nichts ist, da hat der Kayser

28
Testimonium paupertatis
Bescheinigung über Mittellosigkeit
sein Recht verloren. Würde nicht ihr Amt Ihnen ein
Testimonium paupertatis

29
gern unterschreiben. Armuth vergiebt man; aber der Bettelstoltz ist eine Sünde

30
gegen den Staat, worinn kein Kamerad dem andern den Rücken halten muß.

31
Hercules in bivio
dt. Herkules am Scheidewege, ein Stück aus
Lindner,
Schulhandlungen oder Redeübungen
. Herakles muss sich zwischen einem mühelosen, aber moralisch verwerflichen und einem beschwerlichen, aber tugendhaften Lebensweg entscheiden.
Arm ist er nicht, meine Herren! aber
faul
ist er. Sein
Hercules in bivio
ist

32
eine Fabel, die er auf sich selbst dichtet. Seine
Declamation
gegen die

33
Faulheit wird nichts als eine Gegenceremonie seyn, die er seinen Schülern

34
auslernen wird. Ich sehe die Ruthe mit Flittergold im Geist, die für dies

35
Schmackostern
Osterbrauch, bei dem sich junge Männer und Frauen gegenseitig mit Weidenruten schlagen.
Ungeheuer fertig liegt, das durch ihr Schmackostern noch mehr in seinem

36
Muthwillen gestärkt werden wird. Lachen Sie nicht, wenn ich meine Herren!

37
vermöge einer Ideenaßociation, an jene Stutzer denke, die ihren knotichten

S. 88
Stäben die Allmacht jener Keule zutrauen, von der man so grobe Lügen gedichtet,

2
daß man sie mit Händen greifen kann.

3
Soll man Riesenhelden Kindern zum Muster machen? Das thut kein

4
Christian
Christian Folgsam aus Lindners einleitender Geschichte in
Lindner,
Albert
; vgl.
HKB 204 ( II 80/22 )
Christian
, der schlecht und recht ist und für die Einfältigen schreibt. Herkules

5
Wolken
Herkules wurde in seiner Todesstunde von einer sich herabsenkenden Wolke in den Himmel aufgenommen.
weiser Muth in
bivio
war der erste Schritt, der ihm den Weg in die Wolken

6
Corollaria
Folgesätze
eröfnete. Alle seine übrige Ebentheuer waren nichts als natürl.
Corollaria
dieses

7
kindischen Anfanges. Soll man aber Kinder in die Wolken führen? Wenn es

8
Herkules geglückt hat: so geht nach Kinder! Beßer in die Wolken, als in eine

9
Grube wo kein Waßer ist – –

10
Wo war ich? Auf der Bühne der Alten, da man Masken und Sprachröhre

11
nöthig hatte, die unsere wohl entbehren können. Vergeben Sie mir diese kleine

12
Episode, wenn Sie aufgeräumt sind. Einem Kenner ist ein roher Diamant

13
böhmischer Stein
Quarz
schätzbarer als ein geschliffener böhmischer Stein. Mein freundschaftlicher

14
Rath wäre also, liebster Freund, noch Gedult zu haben, nicht zu eilen, auf

15
fruchtbare Augenblicke zu warten, die nicht ausbleiben werden. Es würde mir

16
lieb seyn, wenn wir uns ein wenig über die Schulbücher noch unterhalten

17
können. Der erste Einfall dazu wird mir gelegen seyn – –

18
Ich habe über einen Monath an einem Schnupfen gearbeitet, der mir

19
bisweilen den Kopf spalten will; sonst befinde mich leidlich, und gewinne

20
vielleicht dadurch an meiner übrigen Gesundheit.

21
Bruder
Gottlob Immanuel Lindner
, Brief nicht ermittelt
Ihr jüngster HE Bruder aus Kurl. hat mir geschrieben. Die gute

22
Gelegenheit gab mir den Vortheil an die Hand seinen Brief mit der ersten Post zu

23
beantworten. Ich habe meine Schreibart so
eben
als mögl. zu machen gesucht

24
und eine einfältige
Specification
meines Tagewerkes ihm mitgetheilt. Nehmen

25
Sie seiner ein wenig wahr – – – und behalten Sie diese Vertraulichkeit eines

26
guten Freunds vor sich. Gott gebe Ihnen Glück und Segen zu allen Ihren

27
Arbeiten, laße alles zu Seiner Ehre und zum wahren Nutzen des Nächsten

28
Erst muß das Korn …
Joh 12,24
gedeyhen. Erst muß das Korn verfaulen, ehe es fruchtbar werden soll. Lästern

29
Parrhesie
griech. παρρησία, Offenbarkeit, Wahrsprechen, Freimütigkeit
Sie meine
Parrhesie
nicht; sondern laßen sich zu einer gleichen gegen meine

30
Thorheiten aufmuntern. Ihren Wink in Ansehung der GeEhrten Mama werde

31
zu Nutze machen. Komt Zeit, komt Rath. Mein Vater grüst Sie herzl. Ich

32
liebe Hälfte
Marianne Lindner
umarme Sie und Ihre liebe Hälfte, und ersterbe Ihr treuer Freund

33
Hamann.



S. 492
Handschriftliche Anmerkung von Johann Gotthelf Lindner zu HKB 206 (II 88/33):

2
Parenthyrsus
Kollers nicht Gallsucht nicht Verachtung. Windbeuteley.

3
Urtheil? nicht sondern
bon sens
d. besch. Vernunft.

4
Ingressio
der Leidenschaft.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (68).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 80–88.

ZH II 82–88, Nr. 206.

Zusätze fremder Hand

492/2
–4
Johann Gotthelf Lindner

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
84/6
Arbeiten
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Arbeit
84/13
den Ariston
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): der Ariston
85/20
hundersten
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): hunder
t
sten
492/1
–4
Handschriftliche […] Leidenschaft.]
In ZH im Apparat.