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81/6
Königsberg den
29
April.
1761.
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Geliebtester Freund,
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Dem
Frühling
hab ich es vermuthlich zu danken, daß Ihr Andenken von
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neuen auszuschlagen anfängt, und diesmal den Eichen zuvorkommt. Meine
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Brief
nicht ermittelt
Hofnung Sie diesen Sommer noch hier zu sehen, ist aber durch Ihren Brief,
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in der Blüthe gestorben. Es freut mich herzlich, daß Sie zufrieden leben – und
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wie es scheint, gesund sind. Mein geheimer Verdruß, der mich bisher genagt
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Bruders
Johann Christoph Hamann (Bruder)
wird durch die Entfernung meines Bruders vielleicht erleichtert werden, der
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Condition
Anstellung
eine
Condition
hier angenommen hat, auf Empfehlung des
D. Schultz,
in
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v. Wegners
Otto Salomo Wegner
des Kriegsrath
v. Wegners
Hause. Ich bekümmere mich um seine ganze
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Lebensart fast gar nicht mehr; unterdeßen ist es doch natürlich, daß mir das
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Schweigen so sauer werden muß als das Reden. Wer nicht hören will muß
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fühlen, sagt ein alt Sprüchwort, und ein anderes: Wer Vater und Mutter
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Sed transeant haec cum caeteris
dt. Es möge mit mehreren Fehlern vorübergehen.
nicht folgen will, wird dem Kalbfell Gehorsam leisten müßen.
Sed transeant
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haec cum caeteris.
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Einlage
nicht ermittelt
Fr. Consistorial Räthin
Auguste Angelica Lindner
Ihre Einlage habe gestern morgen selbst bey der Fr.
Consistorial
Räthin
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bestellt; und gegenwärtige mir von Ihr ausgebeten. Am Wittwenhause, wie
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ich wahrgenommen, wird stark gebaut. Weil Sie mit mir zugl. einen andern
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Besuch bekam; so wollte mich gar nicht aufhalten, habe Ihr aber versprochen
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bisweilen zu besuchen.
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Ich habe diese Woche meine Pfingst
feri
en schon angefangen, und ich suche
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in denselben mit allen Nebenarbeiten fertig zu werden, um nach dem Fest allen
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Zerstreuungen in meinem Tagewerk überhoben zu seyn; das Gott Lob!
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glücklich fortgeht.
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Mit dem arabischen bin so weit fertig, daß der Alkoran in der Grundsprache
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Golii arabisch Wörterbuch
Golius,
Lexicon, Arabico-Latinum
Pfluge
Lk 9,62
und
Golii
arabisch Wörterbuch zum Gebrauch auf mich warten; und bey
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diesem Pfluge möchte ich meinen Augen wenig Erlaubnis geben, herumzugaffen.
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Vier Tage in der Woche hab ich zum morgenländischen ausgesetzt;
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Mittwochs und Sonnabends geht mein Griechisches fort; wo ich jetzt den
S. 82
Aristoteles
Aristoteles
Aristoteles durchlaufe und mit dem ersten Theil seiner Werke vor Pfingsten noch fertig
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zu werden gedenke, der
Logica
und
physica,
wie der zweyte die Sittenlehre,
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aesthetic
und
Metaphysic
in sich hält.
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Jeden Tag erübrige ich noch zum Beschluß einiger Kapitel im Neuen
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Lightfoote
Lightfoot,
Horae Hebraicae et Talmudicae
Testament, womit ich jetzt die
Horas hebraicas
des
Lightfoote
verbinde, auch bald
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Schoetgenii
seine dazu nehmen möchte. Mein Bruder hat die
Opera
des ersten;
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Kypke
Georg David Kypke
die letzten erwarte vom
Professor Kypke,
dem ich willens bin die
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Gelehrsamkeit seiner ganzen Bibliothek zu stehlen, unterdeßen er sein Haus zum Garten
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baut, und seine
Profession
eine Zeit lang brach liegen läßt.
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Weil ich nach dem Abendeßen nicht Lust habe was ordentlichs vorzunehmen:
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so ist es mir eingefallen meine engl. Bücher, besonders die Dichter,
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viertelstundenweise zur Gemüthsergözung zu wiederholen. Ich merke daß diese
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verlorne Arbeit auch das ihrige abwirft: und dieser Einfall
hohe
Zeit gehabt,
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wenn ich mein Engl. nicht ganz hätte vergeßen wollen.
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Mein Umgang ist sehr eingeschränkt; so viel ich brauche, hab ich, und such
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ich zu erhalten oder fortzusetzen.
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Weil ich zu beqvem gewesen Ihren Gruß an meinen Bruder zu bestellen;
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so können Sie keinen entgegen erwarten. Mein Vater wünscht Ihnen mit
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aufrichtigem Herzen alles Gute, auch Sie noch wiederzusehen um sich
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wenigstens über Ihren guten Wuchs zu erfreuen. Sie wißen, daß dieser Umstand
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alten Leuten immer angenehm ist. Empfehlen Sie mich dem HErrn von
Szoege
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Akademie
nicht ermittelt
aufs Beste und bitten Sie Ihm daß er unserer Akademie die Ehre anthut auf
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derselben zu überwintern. Ich umarme Sie und bin Ihr treuergebener
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Hamann.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 4 (8).
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 78–80.
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, I 317.
ZH II 81 f., Nr. 205.