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23/21
greg. 19.03.1753
Riga den
8/19 März. 1753.
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Geliebtester Freund,
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Ich würde mich herzlich freuen, wenn Sie gesund und vergnügt lebten; ich
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bin Gott Lob! die meiste Zeit beides, v was Ihnen nicht fremde vorkommen
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wird, mehrentheils auf meiner Stube v. bey meinen Geschäfften. Wenn mich
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die letzteren auch bisweilen ein wenig unzufrieden machen, so genüße ich doch
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auch viele Augenblicke eine Wollust v. GemüthsRuhe, davon ich den Ursprung
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selbst nicht einsehe. Mein äußerliches scheint dieses vielleicht nicht allemal in
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andern Gesellschafften zu versprechen; genung daß ich in mir selbst keine
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Überwicht des Verdrußes
in mir
fühle. Das Andenken meiner Freunde macht
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mich zärtlich, v meine Mine schwermüthig; mein Herz wünscht sich unterdeßen
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zu der Ehre Glück, von Ihnen auch abwesend geliebt zu werden. Hier kann
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ich mich noch nicht rühmen neue erworben zu haben; ich habe mir auch noch
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nicht Mühe darum gegeben. Für so einen Weltweisen, wie Sie, lieber Freund,
S. 24
sind, könnte sich vielleicht Riga beßer paßen als für mich. Wenn
Berens
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mein Berens hier wäre, der würde mir die beste Aussicht von seinem
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Vaterlande geben können. Ich sehe jetzt alle Tage fleißig nach seinen Geschwistern
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ohne daß ich ein eintziges kenne noch zu kennen wünsche. Sein Herr Bruder
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hat mich noch heute die Hosen anziehen gesehen; Sie können also leicht denken,
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wenn er selbst hier wäre, daß wir sehr genau auf einander Acht geben könnten.
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Des Herrn Belgers Haus ist das eintzige fast, das ich hier besuche, v. mehr
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aus Nothdurfft auszugehen v. meiner Beqvemlichkeit wegen, die ich daselbst
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finde, als aus Neigung, sie müsten denn eine kleine Gefälligkeit für meine
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Wittwe dazu machen, die ich da mehrentheils finde v. am Sonntage mit
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so wird der Ruhm der Welt vergeudet
einem Amtmann Verlöbnis gegeben hat.
Sic perit gloria mundi!
Der
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lateinische Hexameter hat nur gedient die Seite voll zu machen; sie werden ihn
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daher für keinen Seufzer ansehen, der von Herzen gegangen ist.
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Herr Belger sagt mir Ihrentwegen an meinen Vater etwas geschrieben zu
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haben. Schreiben sie mir doch, worinn es bestanden hat. Der Herr President
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von Mengden hat sich durch den Prof. Baumgarten aus Halle einen
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Hofmeister verschrieben, an deßen Stelle ich Sie gewünscht hätte. Herr Gehrke
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dachte auch darann, daß Sie es vielleicht nicht würden abgeschlagen haben.
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Es ist aber schon vor meiner Zeit geschehen, v. wenn derjenige, der für diesen
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Posten bestimmt ist, noch nicht angekommen ist, wird er wenigstens mit ersten
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junge Herr
Ernst Burchard v. Mengden
hier seyn. Der junge Herr ist sonsten von dem Pastor Blank geführt worden,
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v hernach bey dem LandMarschall von Igelström gegeben, wo Porsch mit
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schlechter Ehre gewesen, jetzt hat unterdessen der Vater selbst Hofmeister
Stelle
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vertreten, der sich in der Geschichte, Sittenlehre v. Wirthschaftskunst für sehr
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gelehrt halten soll. Den Herrn LandMarschall von Igelström hab ich hier zu
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Mittage gesehen; er hat sich eine hohe Schule vorgenommen auf seinem Gute
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anzulegen, es sind dazu
Profess.
verschrieben worden. Ich habe ihn als einen
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sehr ehrgeitzigen Mann v zugleich als einen großen
galanthomme
bey dem
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Frauenzimmer beurtheilt. Er will seine Söhne keine
Academien
besuchen
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sondern sie zu Hause alles lernen laßen; v hierauf werden Sie denn reisen müßen.
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Sie können ihn sich ohngefehr unter dem Rath Schimmelpfennig vorstellen,
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etwas älter v ernsthaffter. Aus dem Einfall seine Kinder zu erziehen, können
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Sie
ohngefehr
seine Gemüthsart beurtheilen; an dem einen Sohn hat seine
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Weisheit gescheitert. Er hat sich in ein benachbartes Fräulein verliebt,
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Porschische Streiche angegeben, Ruthen v sie zur Frau bekommen. Er steht schon
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in den untersten Kriegs-Diensten. Gehen Sie doch, lieber Freund, mit meinen
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Alb.
Albertsreichsthaler, 1616 in den Niederlanden eingeführt, im 18. Jhd. zeitweise auch in Preußen und Dänemark geprägt; wichtiges internationales Zahlungsmittel im Ostseeraum.
Briefen vorsichtig um! Der President von Mengden giebt 200 Alb. jährlich
S. 25
v. 50 belauffen sich die Reise Unkosten. Sie wären denn in meiner
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Nachbarschafft ein 4 Meilen ohngefehr gewesen. Die Frau Presidentin wird als eine
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gutthätige, aber herrnhutsche andächtige Frau beschrieben. Er soll selbst zur
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Noth einen guten Prediger abgeben können; von einem hitzigen v.
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verdrüslichen Gemüth, der weit gereist ist v diejenigen Länder vorzieht, wo er in der
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Jugend gewesen, dem, wo er jetzt lebt. Wer weis, wie es dem neuen
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Hofmeister bey ihm glücken wird. Tantzen, fechten, v. Reiten wird vermuthlich
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zum
Contract
gehören. Er hat sich nach Halle gewandt, weil er mit dem
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Colleg. Fried.
Collegium Fridericianum, Gymnasium in Königsberg
Colleg. Fried.
nicht sonderlich zufrieden zu seyn scheint. Seine Gemalin ist
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eine Tochter des unglückl. München. Es ist von Königsberg ein Prediger v.
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Hofmeister für des letzteren Familie v. Kirche verschrieben worden, auf den
12
S
sie übel zu sprechen sind. Dies ist HE.
Carius;
der von dem Insp.
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Schiffert recommendirt worden; man hat nach ihm ein ausdrückliches Fuhrwerk
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geschickt, das ledig wieder zurückgekommen, ohne daß man die Achtsamkeit
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gehabt einen Brief mitzugeben, worinn man sich wegen dieser
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Unbescheidenheit entschuldigt hat. Weder
Carius
noch Schiffert haben in der Zeit
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geschrieben, v sie wißen nicht, worann sie sind. Der Fuhrmann ist schon vor 4 Wochen
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v. länger wieder zurückgekommen. Erkundigen Sie sich doch durch Wolson
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um die Umstände etwas weitläuftiger; HE. Blank hat die
Commission
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gehabt v. er ist selbst in dieser Sache verlegen, weil er mit Leuten zu thun, die
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weder Vernunfft noch Wohlstand verstehen, sondern wie er selbst sagt, sich auf
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den Heyland beruffen.
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Sie melden mir, liebster Freund, in dem letzten, das Sie meinem Bruder
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in die Feder gesagt haben, daß Sie mir viel zu schreiben hätten. Thun Sie es
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vll.
Gottlob Jacob Sahme
doch so bald, wie Sie können. Des HErrn Sahme Brief ist offen gekommen,
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wie es das
zugegangen? Ihnen gebe ich ein für allemal die Freyheit es zu
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thun. HE. Hennings hat mir auch geschrieben. Was hat er von meinem ersten
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Brief aus Liefland gedacht? Ich glaube, er hat mich für trunken gehalten.
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Er mus denselben noch nicht erhalten haben, da er an mich geschrieben. Die
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Veränderungen, die in Königsberg in meiner Abwesenheit, nach seinem
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Bericht vorgegangen sind, sehen gar zu außerordentlich u zu plötzlich aus, als
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daß sie wahr seyn sollten. Ich werde Ihm antworten, wie ers verdient. Sein
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Brief hat mir mehr als ein Wunsch gekostet ihn ins Gesicht einen Betrüger
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nennen zu können.
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Hab ich Ihnen schon für den
Esprit des Nations
gedankt? Der Verfaßer
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hat mir in vielen Stücken sehr genung gethan; er ist den einfältigsten
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Begriffen in seinem Entwurf, mehrentheils gefolgt, wie er versprochen hat. Ich
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wünschte, daß er einige Gedanken in einer Fortsetzung v. einer
besondern
2
Anwendung seiner Grundsätze mehr entwickeln möchte. In einigen Stellen, die
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die Naturlehre betreffen, scheint er mir etwas unbestimmt v. dunkel zu seyn.
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Wenn ich ein gutes Buch zum ersten mal lese, so wißen Sie, daß ich es mehr
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zu verstehen als zu beurtheilen suche; v. der allgemeine Eindruck des
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Verfaßers macht mich gegen einige besondere Schwürigkeiten unempfindlich. Ich
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habe es aufmerksam gelesen; es hat mir sehr gefallen. Was Sie mehr dabey
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gedacht haben, erwarte ich von Ihnen, daß Sie es mir mittheilen sollen.
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Ich habe eben heute in den Hamburgischen Zeitungen außer dem Katzen v
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Kater
Concert
gelesen, daß die Sorbonne sitzt über den
Esprit des Loix
zu
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sprechen. Des Grafen
Cataneo
Versuch haben Sie ertappt; ich danke Ihnen
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recht herzlich für die Achtsamkeit, mit der Sie für mein Vergnügen sorgen.
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Sie glauben, ohne daß ich es nöthig finde zu beschweren, wie sehr ich wünschen
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möchte Ihnen von meiner Seite ein gleiches zu bezeigen. Ich mag lieber nichts
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meinen Freunden als bloße
Complimente
geben. An meinem guten Willen
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zweiflen Sie nicht; mein Herz hat einen ehrlichen Grund, auf den Sie sich
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verlaßen können, wenn Sie es brauchen wollen. Süßmilch, dieser gelehrte
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Buchhalter des Menschl. Geschlechts
Süßmilch,
Die göttliche Ordnung
Buchhalter des Menschl. Geschlechts, hat auch einige Abhandlungen wieder
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In der Ausg. von 1761 von
Süßmilch,
Die göttliche Ordnung
, 2. Teil, findet sich unter Kap. XVIII. gegen
Montesquieu,
Lettres persannes
: „Ob die christliche Religion der Bevölkerung nachtheiliger als die alten heydnische Religionen der Römer und Griechen? wird gegen den Präsident Montesquiou geleugnet und der Vorzug der christlichen gegen diesen giftigen Satz behauptet.“
den
Montesquiou
vorgelesen, die man auch vermuthlich in den
Memoires
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der Berlinischen Academie wird zu lesen bekommen. Sie betreffen den
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Schaden, den die christl. Religion der Vermehrung der Menschen gethan. Als ein
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Catholik ist
Montesq.
genöthicht gewesen die Päbstl. Religion so zu nennen;
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v ich weis nicht, ob er denn Unrecht haben wird.
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Der Herr
von Loen
ist Geheimer Rath v. President der Grafschafft
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Tecklenburg v. Lingen geworden! Ob der Abt Prades sein Glück machen wird?
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Schreiben Sie mir doch, wie seine Schutzschrifft gerathen ist, die Sie
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vermuthlich werden gelesen haben, v alles theilen Sie mit, was Sie von dem HErrn
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vll.
Gottlob Jacob Sahme
Secretair Sahm
bekommen. Unsere Freundschafft giebt mir das Recht alles
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zu fordern. Bedienen Sie sich der Erfindung öffters meinem Bruder zu
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dictiren, wenn Sie nicht selbst schreiben können.
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Erzählung
Wieland,
Erzählungen
Erinnern Sie doch meinen Bruder, daß er mir die Erzählung beylegt, die
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herausgekommen
evtl. wurde Hamann auf diese und die folgende Schrift durch die
Berlinische privilegirte Zeitung
aufmerksam, wo sie von Lessing rezensiert wurden.
Untersuchung
Thourneyser,
Lettre d’un philosophe
; darauf reagierte
Reinhard,
Ob die Gottesleugnung und verkehrten Sitten aus dem Systeme der Fatalität herkommen
.
zu Heilbronn kürzlich herausgekommen sind v.
am
die Untersuchung des
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Satzes, ob die Gottesleugnung v. die verkehrten Sitten aus dem System der
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Fatalität
herkommen. Sie werden beide nicht viel austragen. Die
Elemens
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des Sciences principales
wünschte ich wohl zu haben, um dergl. Kleinigkeiten
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bey meinem Baron brauchen zu können, wenn ich weiter mit ihm im
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frantzoischen seyn werde. Eine so beqveme Logic v. Arithmetick als in dieser kleinen
S. 27
Schrifft gegeben wird, wünschte ich mir wohl gern zu besitzen. Die
Dialogues
2
Socratiques
des
Prof. Vernet
für den Printzen von Sachsen Gotha schlügen
3
auch wohl in mein Handwerk, wenn ich wißen werde, was sie davon urtheilen.
4
Die Nachahmung des Popischen Lockenraubes, die den Titel führt: Sieg des
5
Liebes Gottes werde ich mir von dem Herrn Lauson mit seinen Gedichten
6
ausbitten, wegen eines Verses, der mir sehr darinn gefallen hat:
7
Uz,
Der Sieg des Liebesgottes
, 3. Buch, S. 20
Warum, wird ein Poet nicht
, eh
er schreibt, ersäufft?
8
Ich will selbst an ihn schreiben; unterdrücken Sie daher diesen Einfall. Er
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könnte es vielleicht für keinen Scherz annehmen, daß ich ihm nach dem Leben
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stünde.
11
Der Abt von Bernis ist mir heute eingefallen, weil man seine
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Unterhandlungen bey der Republick Venedig in den Zeitungen gelobt hat. Haben Sie
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noch nichts von seinen Gedichten zu sehen bekommen. Das Pastoral-Schreiben
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dieses franzoischen Abgesandten an die Marqvisin von Pompadour ist
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vielleicht so unbekannt, daß man nichts von dem Inhalt noch dem Werth dieser
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Satyre auf ihn in Königsberg zu hören bekommen hat. In allem Fall
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vll.
Gottlob Jacob Sahme
erinnern Sie sich meiner, wenn der HE. Sahme daran gedacht hätte.
18
Haben Sie nicht selbst etwas gemacht, das Sie mir zu lesen schicken
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Königliche deutsche Gesellschaft von Königsberg
, die Schriften erschienen 1754.
können! kein Liedchen, keine Erzählung. Die Schrifften der deutschen Gesellschafft
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fordere ich als ein Mitglied in Hoffnung. Schicken Sie mir doch selbige mit
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einer kleinen Historie v. Critick der enthaltenen Stücke über. Ich wollte gern
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Lindner,
Anweisung zur guten Schreibart
, S. 403. Lindner hat am 21.11.1752 diese Rede vor der Königl. Dt. Gesellschaft in Königsberg gehalten: „Rede von dem Feuer, oder dem wahren Enthusiasmus in der Tugend…“.
ihre Rede von der Begeisterung in der Tugend bald lesen. Wenn werden Sie
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fertig seyn? bey Hartung?
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Kegeln
heute Ķieģeļmuiža (Bezirk Kocēnu), Lettland [57° 28’ N, 25° 13’ O]
Ich habe schon in Kegeln einen Brief an Ihren Herrn Bruder fertig gehabt.
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Unsere darüber einfallende Reise nach Riga hat denselben bis hieher
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aufgehalten. Er liegt noch, weil ich unentschlüßig bin ihn, da er so alt ist, zu
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überschicken, v. mich für die Mühe fürchte einen andern zu schreiben. Ich hatte ihm
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in demselben eben den Vorschlag gethan uns einander zu sprechen; wenn der
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Winter nicht so geschwind abgegangen wäre. Er hätte nach Riga kommen
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müßen (man kann in einem Tage bey guten Wege hin v. zurück seyn) oder ich war
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willens selbst mir ein paar Tage Zeit dazu zu nehmen: oder wir hätten uns den
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halben Weg theilen v. uns in einem Kruge, wo es mir gefallen hat, einander
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sprechen wollen. Dies hätte mit aller Gemächlichkeit in einem eintzigen Tage
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abgemacht werden können. Bey jetziger Witterung ist nicht daran zu gedenken.
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Weil heute wieder Mittwoch ist (ich habe Ihren Brief schon gestern Abends
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angefangen) so ist heute bey uns Gesellschafft. Die ganze Woche ist hier fast
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zu dergl. öffentl. Zusammenkünfften ausgesetzt, in denen geeßen, getrunken,
S. 28
gespielt, v. bisweilen getantzt wird. Man findet sich da von selbst ein, ohne
2
gebeten zu werden. Die LebensArt der Vornehmen hat hier etwas für unsern
3
Ort zum voraus. Die Einbildung des Adelstandes ist hier vernünfftiger, v
4
man macht sich aus dem von v dem gnädigen Titel sehr wenig. Der junge
5
Herr von Osten, an dem ich in einem vorigen Briefe an meinem Vater gedacht
6
habe, hat mich heute wieder besucht. Er ist aus Heßen Caßel, wie er mir heute
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erzählt hat; seine Mutter hat ihn vermuthlich aus Familien Umständen mit
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nach Riga genommen. Sie ist gekommen ihren Bruder, den HErrn Regierungs
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Rath von Vietinghoff zu besuchen. Der letztere ist ein Mann, der es hier allen
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durch seinen Geschmack v durch seine glänzende LebensArt zuvorthut, zu der
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seine Mittel hinreichen. Man hat mir von seinen Schildereynen so vieles
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vorgesagt, daß ich große Lust habe sie einmal zu besehen, dazu mir schon Hoffnung
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gemacht worden ist. Er ist eben ein so großer Liebhaber v vermuthlich auch ein
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Kenner der Musick, v. unterhällt seine eigene Musikanten. In Porcellain,
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Meublen
Möbeln
Meublen, Kleidung v vielen andern hat er was zum voraus. Die Frau
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Baronin hat unlängst an ihn einen Speicher verkaufft, in dem er sich schlechtweg
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Vietinghoff genannt der Schele unterschrieben hat. Weil nur zweymal in
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unserm Hause diese öffentl. Gesellschafften gewesen sind; so habe ich
sie
ihnen
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noch nicht beygewohnt, da ich durch Arbeit daran bin verhindert worden, die
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jetzt wie Sie sehen in einem Briefe an Sie besteht. Ich habe aus dieser Ursache
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nicht heute einmal zu Mittage unten gespeist; v daß ich auch dazu gehöre,
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wird
darf mir nicht
wiederholt
zweifelhafft seyn. Die Fräulein frug mich
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so heute, ob ich nicht unten kommen würde um mir eine gute Nacht zu sagen.
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Mein Baron, der mich für eine halbe Stunde besucht hat, erzählte mir, daß
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an 5 Tische unten gespielt würde, der 6te aber unbesetzt wäre. Der Herr von
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Meck
wäre auch h
erein
ingekommen, ohne weder jemanden zu sehen noch zu
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grüßen. Diesen Mann macht seine Neigung wie ich gehört habe zum Spiel
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unglücklich v närrisch, da es ihm sonst an Verstand nicht fehlen soll. Er ist der
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Wochenschrifft … Bemerker
1746/47 erschienen davon 50 Hefte.
Verfaßer einer Wochenschrifft die in Riga herausgekommen v der ruhige
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Bemerker heißt. Mein Baron hat ihn selbst von Bedienten Geld leyhen gesehen
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um sein Spiel fortsetzen zu können, das ihn zuweilen ganz entblöst. Er hat
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Julianna v. Meck, geb. Dunten
Wagen v. Pferde verspielt; seine Frau kam heute in einem fremden Wagen v
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ich weiß, daß sie aus unserm Hause auch schon einmal mitgenommen worden
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ist. Ehegestern hat er sich mit Leib v. Seel für 1000 Thrl. ausgeboten.
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Vielleicht werde ich ihn einmal unten zu sehen bekommen. Ich habe mich über
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eine Stunde jetzt mit dem kleinen Osten die Zeit vertrieben. Er ist ein Kind
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von 7 biß 8 Jahren der aber eine ganz besondere Munterkeit besitzt v. einen
S. 29
Helck,
Fabeln
, S. 86
klugen Hofmeister erfordert. Er lernte neulich bey mir des Helcken klein
2
Gedicht auswendig: Die Pferde schmeißen pp v. ich bin heut nicht imstande
3
gewesen ihn von den Kleinigkeiten loß zu bekommen. Er braucht das
4
Buchstabiren noch im Lesen, er liest aber mit so einer
action
v. einem solchen
affect,
daß
5
ich meine Kurzweil mit ihm gehabt habe. Sie würden für Lachen bersten,
6
Lessing,
Kleinigkeiten
, Beginn von „Der Tod“, S. 36
wenn Sie ihn hören sollten, das Stück daraus aufsagen: Gestern Brüder
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konnt ihrs glauben pp. das er heute fast ganz auswendig gelernt hat. Er
8
schiebt beide Arme zurück, wenn er auf die Stelle kommt: Fort, du theurer
9
Bacchus Knecht v weiß die folgende Strophe so kläglich zu machen, daß der
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Baron v. ich meine Lust daran gehabt haben. Er avancirt mit Händen v.
11
Lessing,
Kleinigkeiten
, in der 5. Str. von „Der Tod“, S. 36
Füßen, v. wir fürchten uns alle für ihn, als er auf die Stelle kam: Narre für
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Dein Gläschen Wein pp. Ich möchte meinem lieben Baron etwas von seiner
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Dreistigkeit v. Freyheit wünschen. Er ist ziemlich blöde v. jungferlich. Bosheit
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besitzt er nicht, so sehr ich ihn auch auf die Probe gesetzt habe. Er fällt mich
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um den Hals so offt ichs haben will. Ich möchte ihn gern ein wenig
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männlicher haben. Er hat mir schon Thränen genung vergießen müßen, mein Amts
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Eifer hat die meisten davon ausgeprest. Ich habe mich aus Noth mehr wie
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einmal härter gegen ihn anstellen müßen, als ich es gewesen bin, um ihn
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aufzumuntern. Wie eine Maschiene ist er erzogen worden. Da ich ihn nicht jünger
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in meine Hände bekommen habe; so muß ich wenigstens alles anwenden ihn
21
weiter zu stoßen. An seiner Fähigkeit darf ich nicht verzweifeln. Sein
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Fortgang in der Historie, seine Neigung zur Malerey, die gewiß bey ihm recht stark
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ist, v zur Dichtkunst machen mich zu allem Hoffnung. Stellen Sie sich ein
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Kind vor, das Verse schreibt, ohne weder buchstabieren noch lesen zu können.
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Seine Einbildungskraft ist gut; v es fehlt ihm nicht an Mutterwitz. Was
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will man von einem Verstande fordern, der niemals gebraucht v. geübt
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worden ist? Ich sehe Gott Lob! mit vielem Vergnügen, daß er zunimmt, denken,
28
überlegen v. aufmerksam seyn lernt. Wenn auch alles dieses nicht wäre, so
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halte ich mich doch mehr zum Mitleiden als zur Ungedult mit ihm verbunden.
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Er liebt mich recht zärtlich v ich gebe ihm an Freundschafft zu ihm nicht nach.
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Da ich ziemlich geübt worden bin in Scherzen die Wahrheit zu sagen; so zog
32
ich ihn gestern ein wenig auf, nachdem ich ihm den Nachmittag sauer genung
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gemacht hatte, daß er mich gern verlieren würde. Er umarmte mich mit
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weinenden Augen. Ich entzieh mich daher allem Vergnügen, wenn ich meine Zeit
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für ihn brauchen kann; v ich sehe die Kräffte v. die Mühe nicht an, die es mich
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kostet. Ohne anders zu reden, als ich denke, ich finde auch meine gröste
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Zufriedenheit nicht selten in der Arbeit, die ich mit ihm habe. Meine Sprache ist
S. 30
mir bisweilen hinderlich; aber sie macht mich niemals zum Unterricht
2
ungeschickt; v er hat auch hierinn eine Achtsamkeit, die mir von seinem guten
3
Gemüthe versichert, in dem er mich sogleich zu helffen sucht. Ich habe mein
4
Herz gegen Sie ausgeschüttet. Der meiste Theil meines Briefes wird Ihnen
5
vielleicht gleichgiltig wo nicht gar ermüdend vorkommen. Doch nein! Die
6
Freundschafft wird
Sie
mich bey Sie entschuldigen, mit der ich Sie von
7
Grund des ♡s umarme v zeitlebens Ihr Hamann seyn werde.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (1).
Bisherige Drucke
Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 7–11.
ZH I 23–30, Nr. 10.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
24/23 |
Stelle ]
|
Druckbogen 1940: Stelle. ; vmtl. Druckfehler. |
25/26 |
wie es das ]
|
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955): lies wie ist das Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): wie ist das conj. |
26/1 |
besondern ]
|
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH: besonderen |
26/24 |
von Loen ]
|
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH: v. Loen |