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den 25 Febr./8 Marz. 1753.
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Geliebteste Eltern,
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Ich bin gestern des Abends nach Riga bey einer ziemlich verdrüslichen Reise
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gesund v. glücklich angelangt. Der Befehl, den der Herr Baron bekam nach
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der Stadt zu kommen, war uns recht unvermuthet. Wir hatten einen Paß
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PostPferde zu nehmen, der aber bey den ersten beyden Postierungen nichts
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ausrichtete, weil sich die
Commissairs
damit entschuldigten daß sie keine Pferde
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mehr hätten. Es gieng ein prächtiger Wagen nach der Ukraine, der Ihro
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Rthrl.
Reichstaler, eine im ganzen dt-sprachigen Raum übliche Silbermünze, entspricht 24 Silbergroschen (Groschen: Silbermünze [ca. 24. Teil eines Talers] oder Kupfermünze [ca. 90. Teil eines Talers]; in Königsberg war der Kupfergroschen üblich; für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch).
Kayserl. Maj. geschenkt werden wird, v. von Paris an Fracht allein 1300 Rthrl.
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kostet. Sie gaben vor, daß sie alle ihre Pferde dazu hergeben müßen. Wir
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musten also mit schwachen BauerPferden, die nur eine eintzige Meile fahren
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sollten, gantzer 7 fahren. Da wir in einer großen Kutsche fuhren, v. der Weg
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schlecht ist; so können Sie leicht denken, wie uns bey diesem Fuhrwerk zu
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Muthe gewesen ist. Wir sind in zween Tagen doch früh genung hingekommen;
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auf der andern Postierung von Riga waren uns Pferde von der Frau Baronin
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entgegen geschickt. Ich habe gestern noch den HE. Belger besucht, v freute mich
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schon Briefe von Hause an mich zu finden. Der nächste PostTag wird mir
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gewis welche mitbringen! v lauter gute Nachrichten, wie ich hoffe v. wünsche!
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Ich bin Gott Lob! gesund v. bey dem Herrn Belger gestern recht vergnügt
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gewesen mit einem paar alten Bekannten, die ich bey ihm fand. Man hat mich
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schon halb gestern auf eine Hochzeit gebeten, die eine sächsische Junge Wittwe
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bald geben soll. Vielleicht werde ich sie heute als Braut bey dem Herrn Belger
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grüßen müßen. Die LebensArt, die ich mir mit Gottes Hülfe vorgenommen
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habe hier zu führen, wird mich gegen alle die Versuchungen, die Sie, liebste
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Eltern, für mich fürchten, in Sicherheit setzen. Wir sind hier in solcher
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Unordnung noch, daß ich für jetzt nicht im stande bin mehr zu schreiben. Unsere
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Sachen sind noch Unter wegens, v kommen erst heute oder morgen mit denen
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Troßen nach. In des HE. Belgers Hause war große v. unvermuthete Freude
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über meine Ankunft. Man herzte v küste mich von beiden Seiten etliche mal.
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Grüßen Sie doch meinen Bruder, meinen Magister, die Frau Lieutenantin,
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Jgfr. Degnerinn, auch die übrigen Tischgäste, wenn noch keine neue in der Zeit
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vll. Friedrich Aemilius Holdscheid, Präzentor und Pfarrer
vorgefallen sind, insbesondere
Mr. Holfheit
für seine Kappuse, die übrigen
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guten Freunde nicht ausgeschloßen, HE Karstens, HE.
Reichard,
HE.
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Zuckerbecker
Heinrich Liborius Nuppenau
Zuckerbecker v. seine Verlobte, das
Zöpfel
sche Haus ppp. 1. 10. 100. mal nach
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Verhältnis. Die Musicalien sind bey HE. Belger zurückgeblieben; mein Bruder
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kann ohne Sorge seyn. Warum hab ich nichts für meine Laute bekommen?
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Warum läßt HE. Reichard mich nicht mehr grüßen? Ich bin mit der
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kindlichsten Hochachtung v. Zärtlichkeit, wertheste Eltern, ihr gehorsamster Sohn.
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J. G.
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à Monsieur Monsieur Hamann,
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per Couvert
per Couvert; einen Brief unter Einschluss versenden: den Brief einer Sendung an eine dritte Person beilegen, welche diesen dann weitergibt.
Chirurgien bien renommé à Koenigsberg, p. Couv.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (8).
Bisherige Drucke
Karl Hermann Gildemeister (Hg.): Johann Georg Hamann’s, des Magus im Norden, Leben und Schriften. 6 Bde. Gotha 1857–1868, I 35 f.
ZH I 22 f., Nr. 9.