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134/19
Grünhof den
21. Jenner 756.

20
Geliebtester Freund,

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Ich bin Gott Lob gesund, aber noch kaum 10 Schritte aus meiner Stube

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gewesen. Die verdrüßlichen NeujahrsArbeiten, von denen ich noch kaum loß

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bin. Mein ältester ist kränklich; dies hat mir einige Tage ein wenig mehr Zeit

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gelaßen, die ich mit Hanway, Keyßler, Young Centaur (wenn Sie ihn haben

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wollen, melden Sie es mir) Hervey erbaulichen Betrachtungen über die

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Herrlichkeit der Schöpfung v die Mittel der Gnade 2ten Theil der in Gesprächen

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besteht v sehr vortreflich ist pp zugebracht. Wie freute ich mich, als ich von

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Ihnen v HE. B. gestern Briefe erhielt. Letzterer hat Wächtlers Schreiben

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beygelegt. Scheint er Ihnen nicht auch ein braver Mann zu seyn, der zu unsers

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Absichten
vll. ein Periodikum nach dem Vorbild des Pariser
Journal étranger
, vgl.
HKB 139 ( I 305/25 )
.
Freundes Absichten der beste ist. Ein wenig zu viel Antheil an das
Journal

31
Ode
Sie wird in der Festschrift zum „Schul-Actus“,
Lindner,
Gedächtnisfeier
(
HKB 54 ( I 133/26 )
,
HKB 58 ( I 143/14 )
), gedruckt, „Elisabeth Petrownen“ gewidmet.
etranger
gefällt
er
mir nicht, da
ß
s er zu oft
unser
Werk nennt. Ihre Ode

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hat mir HE. B. mitgetheilt. Sie wird doch auch gedruckt werden… Fällt

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Ihnen nicht der Zweifel ein, daß derjenige, der Ihnen solche ehmals

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Petersb.
Johann Christoph Berens
war Agent des Rates von Riga in St. Petersburg und wollte am dortigen Hof den Druck des „Schulactus“ vorlegen. Vll. geht gar das ganze Konzept auf Berens Veranlassung zurück.
aufgetragen, sie schon nach Petersb. geschickt haben möchte. Ich würde wenigstens

S. 135
dafür besorgt seyn; doch Sie wißen schon, daß meine Scrupel öfters nichts als

2
Hypochondrie sind. Von
i
Ihrem
actu
habe schon gehört, wie viel Beyfall

3
Sie durch selbigen erhalten.
J’ai eu un plaisir infini d’entendre rossignoler

4
à M. L. son ode par la quelle il couronnoit l’acte solennel de son ecole. Il

5
avoit un cercle brillant à ses pieds. Mr. de Villeb. etoit de ce nombre;

6
wer
wohl
Berens
schrieb mir rathen Sie wer. Man hat Ihre Ode hier gleichfalls mit vielem

7
Vergnügen gelesen. Ist eine Wendung aus einer der schönsten, die Ihre

8
Freunde entzückt v Ihre Feinde ehmals bewundert, nicht
durch
in dieser

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letzteren nachgeahmt? Des Schluß ist vortreflich v. ich habe sie selbst mir so wohl

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als andern etl. mal vorgelesen. So aufrichtig ich Ihnen mein Lob sagen, so

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gütig werden Sie eine kleine Erinnerung annehmen, mit der ich das erstere

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desto wahrer machen will. Sind nicht einige unordentliche Wiederholungen

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in Ansehung der Völker darinnen, die sie so schon geschildert haben? Haben

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Sie nicht gepredigt, Liebster Freund, ich vermuthe dies
s
v eine glückliche

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Folge das Herz Ihrer Mitbürger auch hiedurch noch mehr gewonnen zu haben.

16
Gott gebe Ihnen nur Gesundheit und Kräfte, rechtschaffene Freunde v Gönner

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werden Ihnen niemals Fehlen. Wie leicht ist es zu bewundern v wie viel

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gehört dazu, wenn man verdienen soll bewundert zu werden. Die Verhältnis

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zwischen beyden ist wie ein Redner als Sie gegen den ganzen Haufen
ihrer

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Inspector Wahl
an der Rigaer Domschule
seiner Zuhörer. Wie steht es jetzt, Liebster Freund, mit der Inspector Wahl?

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Melden Sie mir doch etwas, wenn es von Anschlägen zur Ausführung

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kommen wird. Ich wünsche daß die Erkenntlichkeit der Rigschen Ihren Muth

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unterstützen v aufmuntern möge. Mir ist ein Wort entfallen, das mich an

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meine eigene Verbindlichkeiten die ich Ihnen schuldig bin, erinneret. Trauen

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Sie meinem Gedächtniße so viel als meinem Herzen zu. Ich will mich nicht

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gern in Verlegenheit setzen noch Geld zum Voraus aufnehmen. Sie wißen

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daß ich mich auf ein viertel Jahr in Ansehung dieses Gehaltes gesetzt v daß

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dieses noch nicht verfloßen ist, v daß ich aus Riga fast kahl ausgegangen bin,

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daß ich mich jetzt noch sehr einschränken muß. Wenn Sie aber oder Ihr

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Marianchen was ausdrücklich wünschen, wenn in der letzteren Küche etwas fehlt

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oder ich sonst worinn dienen kann; so werde ich schon vor der Hand Rath

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schaffen v es mir eine Pflicht machen Ihnen in allem zu willfahren. Ich thue

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Ihnen diese Erklärung so gerade heraus, damit Sie Ihre Antwort darnach

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einrichten können.

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Habe ich nicht Ursache gehabt mich dieses armen Freundes anzunehmen,

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stellen Sie sich die Auftritte vor, die seine 2 Besuche mir gekostet. Seine Reise

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nach Riga befremdet mich. Ich weiß nichts davon, nichts von ihm, nichts von

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seinen jetzigen Umständen noch Aufenthalt. So viel als ich für ihn thun

2
können, habe gethan. Ich hätte sehr gewünscht ihn noch einmal zu sprechen, v.

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thue diesen Wunsch nicht umsonst. Meine Zärtlichkeit das Vertrauen anderer

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zu misbrauchen oder Ihnen den Verdacht einer eigennützigen Gefälligkeit zu

5
geben hat mich abgehalten ihm sein Geheimnis auszuholen, das er alle

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Augenblick im Begrief war mir zu entdecken. Je näher er dieser Versuchung wa
h
r;

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je mehr wiederstand ich derjenigen, die mir meine Neugierde legte. Vielleicht

8
könnte man ihm mehr helfen, wenn man mehr wüste. Vielleicht besteht sein

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Uebel in einer erschreckten Einbildungskraft. So viel weiß ich, daß er nichts

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weniger als alle die Leidenschaften verleugnet hat, von denen er sich

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freyzusprechen sucht; v daß sein Gewißen in der Wuth derselben besteht oder in den

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Schwierigkeiten gar zu wohl verschanzte Feinde aus dem Besitz ihres

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Vortheils zu bringen. Das sind vielleicht jene Höhen des Menschl. Herzens, welche

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Volk in Gebirgen
Topos des Schweizer Freiheitswillens
die Eroberung deßelben so schwer machen, als ein Volk in Gebirgen unter das

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Joch zu bringen. – – Wenn ist er in Riga gewesen v wie lang hat er sich

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aufgehalten? – – Er hat mich gebeten sn. Namen nicht zu verrathen; ich habe

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auch dies nicht gethan. Seine Züge sind so kenntlich gewesen, das Sie ihn

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verathen haben. Ich sah mich genöthigt wenigstens etwas zu sagen, weil ein

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Unbekannter uns gleichgiltig ist. Sie werden die gehörige Behutsamkeit in

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Ansehung meiner als seiner so wohl von selbst gebraucht haben. Sehe oder

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höre ich von ihm; so will ich Ihnen weiter melden, wenn es der Mühe lohnt.

22
Sind die überschickten Sachen für mich oder ein bloßes Darlehn? Die

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Arzeneyen sind sie schon angekommen. Die Meinigen haben sich entschuldigt

24
Gottlob Immanuel Lindner
, der eine Hofmeisterstelle angetreten ist.
daß Sie es dem HE. Bruder nicht abgegeben. Wie befindt sich der letztere in

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seinem Hause. Man wird mit ihm sehr zufrieden seyn, ist er es auch. Es giebt

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Häuser, in denen man sehr dumm denkt, in denen man glaubt, daß man bloß

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deswegen da ist, daß man ihre Zufriedenheit erhalten kann ohne sich darum

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zu bekümmern ob es der andere Theil auch ist oder es mit ihnen seyn kann.

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Was geht mir die eurige an, lach ich in meinem Herzen, die meinige ist mir

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näher; wenigstens sollte euch eben so viel v mehr an der letzteren gelegen seyn

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als mir an der ersteren. Ist Ihre Familie vermehrt? Wie befindt sie sich?

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Grüßen Sie selbige. Unsere liebe Ältermutter insbesondere, der ich die Hände

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küße. Ich werde Sie so lange Ältermutter nennen biß eine – – wie hieß des

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Gemalin
Phainarete
Sophroniskus Gemalin die den Sokrates zur Welt brachte? die erste Hälfte

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ausstreichen wird. Ich warte recht ängstlich auf die Sammlung Ihrer Reden.

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Themata, Gedanken, historische Anmerkungen – – von mir? Ho! Ho! Herr

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Vetter. Grillen,
Vocabula, Syntaxis
– – das laß ich gelten. HE.
D.
ist

S. 137
unpäßlich; ich schreibe heute an ihn. HE. Trescho Gedicht ist mir von ihm selbst

2
Bernis
vll.
Pierre de Bernis’
Poesies diverses
oder
Oeuvres mêlées
, vgl.
HKB 58 ( I 141/11 )
zugeschickt. Ich will an ihn schreiben ihm zu danken. Ach! ach! Bernis! Wenn

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Dütchen
Münze, 3-Groschen-Stück (Groschen: Silbermünze [ca. 24. Teil eines Talers] oder Kupfermünze [ca. 90. Teil eines Talers]; in Königsberg war der Kupfergroschen üblich; für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch)
du zu kaufen wärst, die letzten Dütchen! Mit der ersten Post sollten Sie ihn

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wieder haben. Auf nichts mehr als einen Abend hab ich ihn nöthig. Wenn ich

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an HE. B. Beylagen machen sollte; so wird er Ihnen selbige mittheilen.

6
Regiments-Feldscher/Arzt
Parisius
HE. Reg. Felds. Parisius ist hier gewesen v wird wieder erwartet dem Ältesten

7
si Diis placet
so Gott will
si Diis placet
Würmer abzutreiben. Wenn Sie reisen schreiben Sie mir.

8
Ohngeachtet ich mir vorgenommen diesen Winter nicht auszufahren; so werde ich

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eher als Sie da seyn. Grüßen Sie alle gute Freunde besonders die HE.
P.

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Gericke. Schreiben Sie doch bald. Ich umarme Sie mit der Zärtlichkeit eines

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wahren Freundes v bin zeitlebens Ihr ergebenster

12
Hamann.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (15).

Bisherige Drucke

Heinrich Weber: Neue Hamanniana. München 1905, 26 f.

ZH I 134–137, Nr. 55.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
135/8
durch
]
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):
lies wohl
doch
statt
durch

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): durch
Sie