54
S. 133
Grünhof den
29 Dec. 755.

2
Geliebtester Freund,

3
Ich befinde mich noch schlecht. Fast die ganze Zeit über daß ich hier bin ein

4
Stubenhüter, der auch zum Bett seine Zuflucht nehmen muß. Bey einem

5
großen Appetit einen verdorbnen Magen und zum andern mal
eine
seit

6
4 Tagen verstopft, daß bey mir sehr selten ist. An Pflege v Beklagen fehlt es

7
mir hier nicht. Ein Zahngeschwür, das endlich einmal der Zeit aufzubrechen

8
nahe zu seyn scheint. Schade um Ihre Mühe für den Freyzedel für meine

9
Sachen. Man hat einen
Coffre,
Schloßkorb und Laute wenn letztere nicht bey

10
Ihnen vergeßen worden, auf der Postirung
arretirt.
Die Feyertage und der

11
jetzt abgegangene Winter machte ihre Befreyung unmögl. Ich weiß nicht

12
warum meine Eltern nicht biß Riga
francirt
haben. Wenn ich sterben soll, so weiß

13
nicht, wie viel das Porto mehr kostet. Melden Sie es mir, damit ich per
Post

14
oder Gelegenheit Ihnen ersetzen kann. Ich habe alle Feyertage an Sie

15
Geliebtester Freund v HE. Berens schreiben wollen. Meine Krankheit hat mich

16
daran gehindert. Sind Sie beßer dem Leibe nach bestellt; und Ihre liebe Rahel.

17
Ich weiß nicht, ob Ihr HE. Bruder schon angekommen Umarmen Sie Ihn

18
noch einmal in meinem Namen. Sie haben die
histoire politique de ce

19
Siecle;
ich habe auch noch hier ein Exemplar gefunden. Berichten ob Sie

20
auch nur den 1. Theil davon bekommen. Der 2te fehlt; sollte meynen, daß

21
er schon heraus ist weil der Innhalt davon schon dasteht. An HE

22
Petersen habe desfalls noch nicht schreiben können. Ich muß alle Augenblicke

23
aufspringen; so beklommen ist mir die Brust. Habe noch beynahe kein

24
Buch in Grünhof ansehen können. Befindt sich HE B. v P. Gericke gesund.

25
Was macht des ersteren Bruder v des letzteren Mutter. Jener wird sich schon

26
Actus
Schulfeierlichkeit, gewöhnlich gehalten am Geburtstage des (russ.) Landesherren, am Tage der Schulstiftung od. großer geschichtlicher Erinnerungen.
HKB 55 ( I 134/31 )
,
HKB 58 ( I 143/14 )
erholt haben. Ist Ihr
Actus
gut abgegangen. Melden Sie mir doch etwas

27
davon.

28
Noch ein Haupt
punct.
Ob keine
Condition
in Riga offensteht. HE. W. traue

29
ich nicht ein lang Glück zu. Sollte der kleine Huhn nicht jemanden nöthig

30
haben. Gehen Sie doch mit Ihren Freunden v Bekannten zu Rath. Es betrift

31
die Rettung eines armen Manns, den ich hier sehr verändert angetroffen v zu

32
mir auf eine ungemein bewegl. Art seine Zuflucht genommen. Ihm ist um

33
nichts als einen sichern Aufenthalt zu thun; ich sollte meynen, daß man den

34
in Riga genüßen könnte. Weiter kann ich mich nicht erklären. Ein Mensch, der

35
in sehr gutem Ansehen als Hofmeister pp in Curland bekannt v. beliebt ist,

36
ein
intriguanter
Kopf in Geschäfften v entschloßener Kerl in Händeln;

S. 134
wiewohl in den letzteren mit mehr Ehre als in den ersten. Wenn dieser Mensch

2
zu retten, brauchbarer zu machen und bey seinem gesunden Verstand zu

3
erhalten ist: so thut man vielleicht ein Werk der Menschenliebe.

4
Antworten Sie mir doch mit nächsten auf meine Anfrage; auf eine Art die

5
ich aufweisen könnte; und mit der Hofnung, daß Sie alles mögl. thun

6
werden ihm so wohl als mir behülflich zu seyn. Außer dieser Sache bedenken Sie

7
wie nöthig
ist
ich es selbst als ein kranker habe von meinen Freunden ein

8
wenig aufgerichtet zu seyn.

9
Ich bedaure den weißen Raum den ich noch laßen muß. Der Wille ist gut

10
aber das Vermögen fehlt. Noch eins meine Eltern laßen Sie in meinem letzten

11
Briefe zu wiederholtem mal recht sehr zärtlich v freundschafftl. grüßen. Leben

12
Sie wohl. Meinen Handkuß an Ihr liebes Frauchen. Vergeßen Sie selbst

13
nicht Ihren Freund v erinnern Sie andere auch an ihn.

14
Wenn der Winter gut geblieben wäre, hatte ich an HE. B. selbst

15
geschrieben. Jetzt nicht eher als in einem neuen oder auf den Frühling.

16
Trinken Sie meine Gesundheit aufs Fest; ich habe es schon gethan. Unser

17
Uebermorgen geht Sie nichts an; auf einen Neujahrswunsch darf also noch

18
nicht denken.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (14).

Bisherige Drucke

ZH I 133 f., Nr. 54.