62
154/24
Grünhof
den letzten Februar 756.
25
Geliebtester Bruder,
26
Ich habe gern mit der ersten Post antworten wollen ungeachtet ich weder
27
viel Zeit noch Geschick dazu habe. Die Gelegenheit wird gleich abgehen. Diese
28
Brief
nicht überliefert
Woche habe erst einen Brief von Dir erhalten, der vermuthl. mit dem
29
Fuhrmann hätte mitkommen sollen, er muß ihn vergeßen haben. Daher ist das
30
Misverständnis wegen des Mandrins pp hergekommen. Es ist alles jetzt
31
richtig. Dein Wunsch mich mündl. zu sprechen ist mir theils lächerl. vorgekommen
32
theils hat er mir Unruhe gemacht. Wie genüße ich meiner Freunde anders als
33
du sie genüßen kannst. Ich schreibe mir die Finger krumm an Ihnen. Du
34
Gedicht
nicht überliefert
meldest mir von einem Gedicht, das du ausgeben wirst; ich freue mich schon
35
darauf u verspreche mir eine gute Fortsetzung davon. Wenn Du Neigung zur
S. 155
Poesie hast, so vernachläßige solche so wenig als dein musikalisch Talent.
2
Just Friedrich Wilhelm Zachariae
, welches Werk: nicht ermittelt.
Du biethst mir Zachariä an. Hundert gute Werke für eins darum. Mit 9
3
Bogen Fortsetzung von meiner Arbeit bin ich fertig v wieder über meine eigne
4
Abhandlung
Hamann,
Beylage zu Dangeuil
Werks
Ulloa,
Restablecimiento de las fabricas y comercio español
; siehe Hamanns Notizen zur Übers. im
Berliner Notizbuch
, N V S. 189ff.
Abhandlung her. Die erste besteht in dem Auszug eines Werks über Spanien.
5
Ich habe mich betrübt keine Zeile Anschluß von Dir in dem Briefe meines
6
lieben kranken Vaters gefunden zu haben, der ungeachtet seiner
7
Unpäßlichkeit so viel v ziemlich vergnügt an mir geschrieben. Gott erhalt uns unsre
8
Eltern; lieber Bruder. Wie gern wollt ich einen Monath mit dir tauschen. Mir
9
ist viel an den Antworten auf meine Anfragen die ich gethan, gelegen v zwar
10
an einer baldigen Antwort. HE. M. ist mit seinem jüngsten Bruder in Mitau
11
gewesen vor 8 Tagen wegen des abgehenden Winters aber mit viel Gefahr
12
v geschwind nach Hause reisen müßen. Der Doktor ist beßer; Einschluß soll
13
mit erster Gelegenheit bestellt werden, nach Riga. Ich habe gestern neue Briefe
14
Schulactum
Lindner,
Gedächtnisfeier
von M. erhalten. Seine Reden auf dem Schulactum sind ausgekommen; er
15
wird sie dir selbst schicken; wo nicht, ich. Antworte mir, wie stark die
16
Uebersetzung werden wird, ob sie nach meinem Willen abgedruckt worden. Sey ein
17
scharfer
Corrector,
v sieh auf Sprachfehler; ich bin nicht sicher darüber, Du
18
hast doch wohl Gottscheds
Grammatic,
die preuß. Constructions
Dat.
für den
19
aequinoct.
Tag- und Nachtgleiche, um den 21. Juni
Accus.
hängen mir an. Vor dem
aequinoct.
denke mit der Abhandlung
20
auch einzukommen. Sie möchte ein wenig stoisch und verwegen gerathen. Hast
21
Melchior Kade
war Kaufmann in Königsberg.
Du noch deine
Condition
bey HE. Kade? Darf ich dich wenn Du mir Zachariä
22
oder Dein Gedicht schicken willst um die Gespräche des Insulaners bitten.
23
gl.
Groschen (Silbermünze [ca. 24. Teil eines Talers] oder Kupfermünze [ca. 90. Teil eines Talers]; in Königsberg war der Kupfergroschen üblich; für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch)
Youngs Liebe zum Ruhm kostet nur 18 gl. Ich will dafür Dein Recensent
24
seyn. Du siehst wie kindisch ich bin, wenn ich jemanden um etwas bitten soll.
25
Ich wollte lieber ein Holzhacker als ein Bettler seyn, lieber Bruder,
26
ungeachtet sich große v reiche Leute des letzteren sich nicht schämen. Doppelt bezahlt v
27
doppelt gedruckt. Was für ein Thor, wie wenig weiß der zu leben. Sich biß
28
Ferding
od. Fehrding; in Livland gebräuchliche Schwedisch-Pommersche Silber-Kurantmünze, deren Wert also über den Edelmetallgehalt definiert war; enstprach einer Viertel Mark.
zum Staub verächtlich gemacht, für einige Ferding niederträchtig und denn
29
über des andern Leichtgläubigkeit gefrolockt, der vielleicht alles geben möchte
30
um eure Schande nicht sehen zu dürfen um des Verdrußes, den eure
31
Niederträchtigkeit ihm macht, überhoben zu seyn; und ihr frolockt noch über eure
32
Klugheit v euren Gewinn. Wenn du mir eine Freude machen willst mit
33
etwas; so geschehe es mit dem ersten Fuhrmann v wo mögl. planirt v gehefft.
34
Stuffenjahr
jedes 7. oder 9. Lebensjahr, schicksalsträchtig entsprechend klimatischer Perioden
Vielleicht bin ich bald imstande, bald, bald, ein Stuffenjahr ist mir auf den
35
Hacken. Mir ahndet eine Veränderung meines Schicksals. Die Probezeit
36
währt mir unterdeßen noch nicht zu lange; wenn sie mir nur zum beßern
37
und klügern Gebrauch meines übrigen Lebens dient. Dies ist der ganze Nutzen,
S. 156
den ich mir davon wünsche. Wie bald wird man des Mantels überdrüßig, bey
2
Sonnenschein, der uns bey Sturm und Ungewitter Wind und Regen
3
Hor.
epist.
I,17,27ff.
vortrefliche Dienste gethan. Du weist den Mantel von dem Horatz redet, nicht die
4
Livree des Philosophen, sondern das Kleid des Weisen, was die Blöße des
5
Johann Lorenz v. Mosheim
, welches Werk: nicht ermittelt
Menschen deckt. Ich werde mit dem Mosheim bald fertig seyn; gestern habe
6
die Vorrede der
Obseruat.
des Kypke angefangen; er verspricht viel
7
nützliches und Neues v ist imstande sein Wort zu halten. Urtheil und Ordnung
8
verbindt
er mit einer mühsamen Belesenheit. Warum müßen solche nützliche
9
Köpfe für die Wißenschafften, um Brodt schreyn. Man sollte von seiner
10
Dürftigkeit so wohl als von seinen Verdiensten schweigen, wenn man von
11
beyden nicht mit einer guten Art zu reden wüste, mit Anstand. Die
12
Unverschämtheit entzieht ihnen anderer Mitleiden, und zeigt zugl. daß sie die Gabe
13
haben sich in ihre Umstände zu schicken. Wie oft denk ich an jenen Lehrer, den
14
wir gehabt haben, der beßer wuste arm und weise zu seyn.
15
Ich muß schlüßen, und bitte dich nochmals um ein Schreiben mit der ersten
16
Post, in dem alle meine Fragen aufgelöst sind. Willst du Italienisch lernen, so
17
Molters
vll.
Toscanische Sprachlehre: nach Anleitung des ehemaligen öffentlichen Lehrers zu Siena, Girolamo Gigli [1660–1722], abgefasset, und mit den Mustern der klassischen Schriftsteller bestättiget
, übers. v. Friedrich Molter (1722–1808) (Leipzig: Dyck 1750)
bediene dich ja Molters Sprachkunst. Der beste Anführer, und ein ächter
18
Sprachmeister. Lebe wohl, mein lieber Bruder, schreibe bald, viel und
19
befriedige meine Ungedult. Ich umarme Dich mit den zärtlichsten Gesinnungen
20
einer ewigen Freundschaft. Kannst du einige Probebogen von der
21
Uebersetzung
Hamann,
Beylage zu Dangeuil
Uebersetzung beylegen, wird es mir sehr lieb, recht sehr lieb seyn; aber befördere alles
22
mit dem ersten Fuhrmann. Willst du jemand doppelt verbinden; so verbinde
23
ihn bald, sagt Martial. Meine Erkenntlichkeit soll so wenig aufhören als
24
meine brüderl. Liebe. Ich bin und bleibe Dein treuester Freund v Bruder.
25
Johann George.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (36).
Bisherige Drucke
Walther Ziesemer: Unbekannte Hamannbriefe. In: Altpreußische Forschungen 18 (1941), 284–286.
ZH I 154–156, Nr. 62.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
156/8 |
verbindt ]
|
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH: verbindet |