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Kgsberg den 24
Oct.
74.

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Mein lieber bester Hartknoch,

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Ich habe gestern den halben Tag in Gedanken an Sie geschrieben, weil hier

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die Nachricht über Helmstädt angekommen, daß unser Freund Herder sich mit

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seinem LandesHErrn überworfen hätte und gegenwärtig
brodtlos
und

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verlaßen
säße, sich angeboten hätte aber vergeblich, in seinem Wandel und

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Kleidung sich durch so viel
Soloecismen
auszeichnete als in seinem Styl – Diese

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Nachricht von der mir die Hälfte nicht ganz unwahrscheinlich vorkam, machte

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mich so unruhig, daß ich zu Ihnen mein Zuflucht nehmen wollte um über sein

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Schicksal einige Auskunfft durch Sie zu erhalten. Heute zu Mittag hat mir

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Ihr lieber Schwager
Laval,
dem ich recht sehr gut wieder zu werden anfange,

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mit einem kleinen
billet doux
und den so sehnlich gewünschten
Corporibus

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delicti
erfreut, mit denen ich ungeachtet eines sauren Posttages auf dem

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Bureau
diesen Augenblick beym
Zapfenstreich
zu Ende gekommen bin.

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Ich sehe daß der Verf. der Provinzialblätter ein Prediger ist, der das

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Mäntelchen auf beyden Schultern zu tragen, und Luther mit Spalding –. Ich will

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aber nicht sagen: wie reimt sich Christus und Belial? Aber wenn dies Politick

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seyn soll, ist sie nicht ein wenig zu
grob
und zu
unehrlich
– oder zu

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auffallend
mich eines Modeworts zu bedienen.

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Um das Gold seiner Autorschaft von den Schlacken zu reinigen, dürfte

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freylich eine kleine Feuerprobe unumgänglich seyn. Ich hoffe und wünsche,

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daß sie kurz und leicht und wohlthätig für ihn seyn wird. Der gewaltige Rauch

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scheint doch immer ein wirkliches Feuer zu verrathen, das in seinem Busen

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brennt und ein solcher
lebendige Funke
kann es mit dem grösten Walde

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aufnehmen. Gute Nacht! mein lieber Hartknoch. Wir haben beyde uns heute

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so müde gearbeitet, und Sie haben einen Grund mehr schlafen zu gehen.

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Morgen mehr. Wer weiß, was uns träumen wird?


S. 116
Den 25
Oct.

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Ich bin diesen Morgen nach der Stadt gelaufen, um die Nachricht von

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Herder selbst zu lesen. Der Brief ist nicht aus Helmstädt, sondern

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Brandenburg
; und der ganze
passus
in meinen Augen von keiner
Authenticität

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sondern bloß Geschwätz. Was unsern Freund bewogen an Spalding zu schreiben,

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möchte ich eben so gern wißen als lesen, was er geschrieben.

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In einigen Provinzialblättern scheint der Verf. seinen Styl ziemlich

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vortheilhafft verleugnet zu haben; aber gegen das Ende wird er gar zu kenntlich.

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Die Wahrheit zu sagen, halt ich es
mit
ihm gegen seine Gegner, aber
wider

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ihn mit seinen Freunden. Der ganze Knoten beruht darauf, beyde Parteyen

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unterscheiden zu wißen.


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Ich komme von meinem
Bureau
erschöpft mehr vor langer Weile als Arbeit

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zu Hause und finde den Meß-
Catalog
vor mir, den ich durchgelaufen – aber

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wenig für meine künftige Neugierde gefunden. Durch meine veränderte äußerl.

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Lage scheint mein Beruf zur Autorschaft, der ohnehin wenig immer zu

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bedeuten gehabt, fast gänzlich erstickt zu werden. Wie ich eben so voll Planen

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als Herder war, wurde ich auf einmal in meiner tollen Laufbahn

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unterbrochen. Er hat mich wieder aus meinem Schlummer halb ermuntert. Sie

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wißen, was ich für rasende Sprünge über se. Preisschrifft gemacht. Bey seiner

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ältesten Urkunde war den Augenblick fertig – zu gutem Glück schläft alles,

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und ich habe nicht Lust die kleine Maschiene mit einem Finger anzurühren,

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weil mich die Zeit abgekühlt hat und der Augenblick scheint verfloßen zu seyn.

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Was soll ich im deutschen und französischen ankündigen, da ich gar keine

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Möglichkeit absehen kann mein Wort gutzumachen. – Es ist wahr, einige

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meiner
Saamenkörner
scheinen sich durch des Herders Fleiß und Feder in

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Blumen
und
Blüthen
verwandelt zu haben; ich wünschte aber lieber

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Früchte
und
reife
. Und zu allen diesen Wünschen gehört
Zeit
und
Glück
,

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wie Salomon sagt, und beydes hängt nicht von uns ab.

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Bey meiner gegenwärtigen Schwermuth und Erwartung der Dinge hab

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ich keinen Muth und Anlaß an Herder zu schreiben. Bitte mir aber dafür aus

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mir so bald Sie Nachricht von ihm erhalten,
mir
daran Theil nehmen zu

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laßen. Mein Briefwechsel soll Ihnen selbst keinen Zwang auflegen, als bloß

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in Ansehung dieses
einzigen Punctes
, der mir am Herzen liegt. Ihr

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gegenwärtiges Frey Jahr und Ihre Genauigkeit in Geschäften sind mir zu

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ehrwürdig und bekannt, als daß ich Sie nach dem Maasstabe, womit ich Hintz

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meße
Sie
beurtheilen sollte. An die Mitausche Aussichten lohnt es nicht zu

S. 117
denken. Wenn dieses Project hätte durchgetrieben werden können; so möchte

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fast darüber wetten, daß die Denkungsart sr. jetzigen Gegner sich eben so sehr

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geändert haben würde, als des zeitigen Sachwalters seine, und daß sich letzterer

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am meisten geirrt haben würde. Es ist für kein menschl. Auge mögl. den Haß

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der Freunde und die Liebe der Feinde zu erkennen – und dies sind doch

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gleichwol die stärksten Elemente unsers Schicksals –

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Nun mein lieber Hartknoch! ich glaube nunmehr mehr geschrieben zu haben

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als Sie im Stande seyn werden zu lesen und zu verstehen; weil ich nur die

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äußersten Ende
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meiner innigsten Gedanken und Gesinnungen, die mich wie

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ein dicker Nebel unterdrücken habe berühren können – und mich selbst ein

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wenig zu erleichtern gesucht habe. Ich umarme Sie auf das herzlichste für

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schleunige Befriedigung meiner Wünsche, da ich es am wenigsten vermuthen

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war und es am nöthigsten hatte. Empfehlen Sie mich Ihrer besten Hälfte,

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und wirthschafften
s
Sie gut mit Ihrer Liebe und Zärtlichkeit, damit etwas

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übrig bleibt, wenn die Jahre kommen, wo man weder sich noch andern mehr

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gefällt. Meine Gänse- Schwan- und Rabenfedern sind alle stumpf und ich

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habe gegenwärtiges mit meiner Trappen-Feder geschrieben – der erste Versuch

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den ich in meinem Leben gemacht habe. Vielleicht kann auch dieser äußere

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Umstand etwas zur Entschuldigung des Innhalts beytragen. Leben Sie wohl

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und glücklich – biß wie lange? Ohne neuen Anlaß werde im alten Jahr kaum

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mehr schreiben können. Mein Paarchen schläft schon; ich danke im Namen der

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Mutter und warte nächstens der guten Dinge das Dritte. Amen!


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Adresse mit Mundlackrest:

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An / meinen Freund Hartknoch /

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 99–103.

ZH III 115–117, Nr. 417.