416
S. 112
Kgsb. den 5
Oct.
74.
2
Mein lieber Hartknoch!
3
Das Ding
Hamanns versehentliche Öffnung und Lektüre von Hartknochs Brief an
Herder
, 28.9.1774
(Düntzer [Hg.],
Ungedruckte Briefe aus Herders Nachlaß
. Leipzig 1761, Bd. II, S. 65f.)
, vgl.
HKB 414 ( III 109/2 ) Das Ding ging
so
zu. Ich kam gestern Abend um 6 Uhr nach Hause
entre
4
entre chien et loup
dt. in der Dämmerung
chien et loup
und ich hatte den ganzen Tag so viel geschrieben, daß das Licht
5
meiner Augen auch halb erloschen war. So bald ich in meine Stube trat
6
Hänschen
Johann Michael Hamann
Mutter
Anna Regina Schumacher
fand ich mein Hänschen auf dem Schooß der Mutter im Flußfieber, und
7
HE Laval
Jean Claude Laval
erfuhr, daß er immer nach mir gefragt hatte, und daß mir HE
Laval
einen Brief
8
zugeschickt hatte mit einer Bestellung, auf die ich nicht recht Achtung gab, und
9
nach meiner Art das, was ich nicht verstund, auslegte, und ein
Advocat
der
10
mir fast ganz unbekannt war, ein großes
Billet.
Ich stritt mich über den
11
Namen des
Advocaten
und erkannte Ihre Hand auf dem
Couvert.
Ich fühlte
12
eine Einlage, und seegnete meinen Hartknoch, der mir so
promt
antwortete
13
und mich nicht so hündisch wie Hinz und Bode begegnete. Unter diesen
14
Gedanken riß ich an dem Siegel, ärgerte mich über meine Ungeschicklichkeit, kam
15
zu meinem Zweck und an statt eines Einschlußes an Herder, wie ich dachte,
16
fiel mir ein halb gedrucktes und geschriebnes
Billet
in die Hände, deßen
17
Sprache mir zwar bekannt aber der
Styl
gar fremde war. Ich schrie wie die
18
Israeliten:
Man hu! Man hu!
was ist das? und dem glaubwürdigen
19
Zeugniße meiner Hausmutter zufolge, ha
ben
t
mir
das Paar meiner kleinen
20
Augen in meinem Gesichte, wie zwey Neben Monde am Firmament des
21
Himmels gestarrt. „Mein Gott! Der Brief wird nicht an Sie seyn. HE
Laval
ließ
22
ja sagen, daß Sie unter Ihrem
Couvert
wieder zuschicken möchten“ – Da war
23
ich erst so klug nach dem
Couvert
Aufschrift zu sehen und laß gantz deutlich
24
was geschrieben stand!
C
----
R
–
z
–
B
– – – Ha! dachte ich –
bist Du nicht
–
25
Geistlicher in Schwaben
nach dem fingierten Autor von
Hamann,
Beylage zun Denkwürdigkeiten des seligen Sokrates
ein Geistlicher in Schwaben
? Volle
r
Aergernis und Schaam versteckte den
26
Brief samt seinem Eingeweide an einen sichern Ort
und
ohne einen
27
Buchstaben gelesen zu haben. Hierauf gieng ich zu dem großen
Billet
des
28
Unbekannten
Advocaten,
der aus Vertrauen auf meine
edle Denkungsart
29
rth
Reichstaler, eine im ganzen dt-sprachigen Raum übliche Silbermünze, entspricht 24 Silbergroschen (Groschen: Silbermünze [ca. 24. Teil eines Talers] oder Kupfermünze [ca. 90. Teil eines Talers]; in Königsberg war der Kupfergroschen üblich; für 8 Groschen gab es ca. zwei Pfund Schweinefleisch).
mich
und
ein
Capital
von 1000 rth auf einen Wechsel
à
6
p
% auf Jahr und
30
sub hypotheco omnium bonorum
dt. Hypothek aller Güter
Tag für sn Vater
sub hypotheco omnium bonorum,
die sämtlich
31
schuldfrey
wären ersuchte. Dieser Umstand nöthigte mich noch denselben Abend
32
nach der Stadt zu laufen; aber der Gang war vergebens; und ich kam müde
33
über die Ebentheuer deßelben nach Hause, um ein Butterbrodt zu eßen.
34
Consistorial Rath u Gevatter zu Bückeburg
Johann Gottfried Herder
Hierauf setzte ich mich wieder um dem Consistorial Rath u Gevatter zu
35
Bückeburg alles zu beichten und erwarte seine
Absolution
mit erster Post;
36
weil ich mein Sünden Maaß voll gemacht und meine Neugierde mit aller
S. 113
Gemächlichkeit befriedigt. Denn hätte ich es nicht gethan; so hätte ich nicht
2
zärtlichen Verleger und Ehmann
Johann Friedrich Hartknoch
das Vergnügen gehabt meinen zärtlichen Verleger und Ehmann in seinem
3
Autor und Jochbruder
Johann Gottfried Herder
Tete a-tete
zu belauschen, mit seinem Autor und Jochbruder. Was ihr euch
4
da für schöne Sachen von Euren Weiberchen und Mütterchen schreibt! Wie
5
voller Geigen
e
Euer Himmelbette hängt! – Wenn meine Sibylle nur erst
6
Versuche über die Ehe à la Wilkes
Hamann,
Versuch einer Sibylle über die Ehe
;
Wilkes,
An essay on woman
mit ihrem kleinen Versuche über die Ehe
à la Wilkes
fertig wäre. – – – Ueber
7
einen oder 2 Bogen läst sich gar nicht aushalten weder im Lesen noch
8
Schreiben, wie ich den
Ton
Bogen ge
faßt
spannt habe.
9
Fr. Cons. R. zu Bückeburg
Caroline Herder
Gleichwie die Fr. Cons. R. zu Bückeburg ein halb Jahr vor dem 29
Aug. c.
10
für eine Maschiene sorgte den schönen Springbrunnen für ihren kleinen
11
Christian
Wilhelm Christian Gottfried Herder
Christian in Gang zu bringen – und Monathe zuvor Hemdchen und Häubchen
12
zuschnitt
utriusque generis
um auf jeden Fall gefaßt zu seyn; und gleichwie
13
Me Hartknoch
Albertine Hartknoch
M
e
Hartknoch
dergl. Zerstreuungen bald nöthig haben wird, und Vater und
14
Mutter, Brüder und Schwester einmal ganz zu vergeßen: eben also freut sich,
15
meine Muse, die alte Sibylle ihren kleinen Versuch von 1½ Bogen klein
16
Octav gedruckt zu sehen. Das Format wie das kleine naseweise witzige Ding:
17
Ueber die Ehe
Hippel,
Ueber die Ehe
Ueber die Ehe
: auch eben die Lettern und Einfaßung. Der Titel aber nicht
18
schwarz
und
roth
– pfuy! sondern in französischer Pracht und was man
19
or et azur
dt. golden und himmelblau
sagt
nennt:
or et azur.
20
Mein lieber junger Ehmann! Ich bin allemal in übler Laune, wenn ich so
21
baroque
schreibe. Scherz bey Seite. Der Aufbruch des Briefes ist in aller
22
Unschuld geschehen, aber das Durchlesen mit allem Fleiß. So sehr mir das
23
erste leid gethan; so zufrieden bin ich mit dem letzten. Besonders wegen des
24
verpflantzen
Herders mögliche Berufung nach
Mitau
, vgl.
HKB 414 ( III 109/32 ) und
HKB 415 ( III 111/11 ) Projects
unsern Freund zu verpflantzen. Ich habe mich über diesen
Punct
25
nicht gantz deutlich erklären können gegen unsern Gevatter zu Bückeburg.
26
Hartm.
Gottlob David Hartmann
Aber Sie haben den Ungrund der Hartm. Bemühungen rein gnug aufgedeckt.
27
In dem jungen Mann liegt ein
Klotz
und
Comp in folio.
Ich habe nur vorige
28
Kant
Immanuel Kant
Woche einen Brief von ihm an unsern
Kant
gelesen und se.
tolle
29
Ankündigung
von
Fulda,
Sammlung und Abstammung Germanischen Wurzel- Wörter
in
Mitauische Nachrichten von Staats-, Gelehrten-, und Einheimischen Sachen
, vgl.
HKB 415 ( III 111/17 ) Sapienti sat
lat. sprichw. für: für den Verständigen genug
Ankündigung des Fuldaschen Wurzelbuchs in der Mitauschen Zeitung.
Sapienti sat.
30
Artig wäre es von Ihnen gewesen, daß Sie mir auch ein paar Zeilen
31
des kleinen Herders
Wilhelm Christian Gottfried Herder
geschrieben hätten, weil sie die fröliche Botschaft von des kleinen Herders glückl.
32
Ankunft durch meinen Einschluß erhalten haben; und mein prosaischer
33
Abschied so wie der poetische des alten
Candidaten Theol.
einem
Verleger
nicht
34
ganz gleichgiltig seyn sollten, dem an Gottes Seegen und dem fernern Dienst
35
der Prosa und Poesie gelegen ist.
36
Es ist immer etwas, was mich noch abhält mich über unsers Freundes
37
Autorschaft
zu erklären. Da selbige aber in sein Schicksal Einfluß zu haben
S. 114
scheint; so hab ich ihn vor der Hand gebeten darüber mit sich selbst zu Rathe
2
zu gehen, weil ich nicht mehr sagen kann, als ihm sein
Gewißen
schon sagt
3
und er selbst einsieht und mir berichtet. Schaffen Sie mir ja die mir noch
4
Corpora Delicti
wohl
Herder,
An Prediger
und
Herder,
Auch eine Philosophie der Geschichte
, vgl.
HKB 414 ( III 110/16 ) fehlende
Corpora Delicti
seiner Autorschaft, damit ich das
Gantze
übersehen
5
kann. Ohngeachtet ich keine Zeit und Kräfte habe zu denken; so denke ich doch
6
Apelles
Apelles von Kolophon
; bei
Plin.
nat.
, 35,36,85 ist anekdotisch überliefert, dass Apelles, hinter seinen Bildern versteckt, Urteilen der Betrachter gelauscht habe. Der Kritik eines Schusters an gemalten Schenkeln, habe er entgegengesetzt: Schuster bleib bei deinen Leisten.
und arbeite wie ein Apelles hinter der Wand; oder wie ein Bergknapp unter
7
der Erde.
8
Seyn Sie also wegen Ihres ausgehandelten Briefes unbesorgt. Ich habe
9
ihn samt sn.
Intestinis
unter mein
Couvert
verwahrt und will alles HE
Laval
10
zu weiterer Bestellung überbringen. Ich umarme Sie und bitte ja für die
11
Corpora Delicti
zu sorgen. Sollte ich selbige hier ehe finden; so werde Ihnen
12
sogl. Nachricht davon mittheilen. Antworten Sie mir nach Ihrer
13
Gemächlichkeit und Gott schenke uns bald
Ostern
wo ich Ihnen werde mehr sagen
14
können. Empfehlen Sie mich dem Andenken Ihrer lieben Gemalin, als Ihren
15
alten Freund Hamann.
16
Kanter
Johann Jakob Kanter
Sohn
nicht ermittelt
Kanter
hat diesen Sonntag einen jungen Sohn taufen laßen und nimmt
17
es Ihnen übel keine Zeile von Ihrer Veränderung erhalten zu haben. Ich
18
habe ihn versichert, daß Sie in Jahr und Tag ein gantz anderer Mann seyn
19
égards
dt. Achtung
würden, von dem Freunde und Feinde sich alle
égards
würden versprechen
20
können, die man im Handel und Wandel nur mit Grund und Fug von
21
einander fordern kann. Er ist mit dem Grundriß einer Papiermühle beschäfftigt,
22
die er anlegen will. – –
23
Hintz
Jakob Friedrich Hinz
Erinnern Sie doch Hintz, daß er ein
Exemplar
der neuen Auflage von der
24
Lettre perdue nach B …
Hamann,
Lettre perdue d’un sauvage du nord
nach Bückeburg, vgl.
HKB 408 ( III 97/22 ) Dictionnaire des Finances
Pesselier,
Idée générale des finances
Lettre perdue
nach B… besorgt und vergeßen Sie nicht das
Dictionnaire des
25
Finances.
Ich werde wol vor Ostern nicht nöthig haben an Sie zu schreiben;
26
es sey etwa Ihnen vom Empfang der Herderschen Schrifften Nachricht zu
27
Wagner
Friedrich David Wagner
geben, nach denen meine Ungedult groß ist.
Wagner
hat mich versichert, daß
28
sie alle unter Weges wären. Ist dies wahr, so kann ich wol auf das mir
29
zugedachte
Exemplar
von jedem nach Ihrer Bequemlichkeit warten. Da ich den
30
Anfang zu dem kleinen Versuch gemacht habe, so möchte ich gern mit fertig
31
werden; möchte Ihnen aber am liebsten die Handschrift davon hier
32
einhändigen. Muß Ihnen
aber
zum voraus sagen, daß er so klein als möglich
33
hierophantischen Briefen
Hamann,
Hierophantische Briefe
gerathen dörfte. Die Muße zu den hierophantischen Briefen kann ich bey meiner
34
Prolegomenis Zacchaei
Hamann,
Prolegomena
gegenwärtigen Verfaßung gar nicht absehen; und von den
Prolegomenis
35
Meß-Catalogo
Messkatalog für Michaelis 1774
Zacchaei
erfahre kein Wort. Vielleicht werden
S
sie im Meß-
Catalogo
36
angekündigt stehen.
37
Ihr
Name
wird kaum vor dem kleinen Versuch stehen können, doch ich bin
S. 115
noch zu weit vom Ziel. Vorigen Sonntag habe 2 Perioden gemacht, die noch
2
nicht fertig sind, und ich habe die Sonntage zu dieser Arbeit ausgesetzt.
3
Nun leben Sie wol. In Eil.
4
Adresse mit Mundlackrest:
5
à Monsieur / Monsieur Hartknoch / Marchand-Libraire / à /
Riga
. /
6
par fav
.
7
Vermerk von Hartknoch:
HE Haman in Königsberg. Empf.
d.
29
Sept
1774.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1943. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 5.
Eine fragmentarische Abschrift des Briefes wird aufbewahrt in: Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Wittenberg, Signatur 232_4603a.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, V 97 f.
ZH III 112–115, Nr. 416.
Zusätze fremder Hand
115/7 |
Johann Friedrich Hartknoch |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
112/29 |
und ]
|
Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1957): lies vermutlich um statt und Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): lies vermutlich um statt und |