344
396/16
Kgsberg den
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Julii
1767.
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Geliebtester Freund,
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Ich habe Ihnen durch HE Hartknoch geschrieben und mahne Sie
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gegenwärtig um eine Antwort. Ungeachtet ich nichts von Ihrer gegenwärtigen
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Verfaßung weiß, sehe ich es doch für eine freundschaftl. Pflicht an Sie mit der
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meinigen zu behelligen. Ich lebe den gantzen Tag wie im Pfluge und habe
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außer einem schweren Beruf, den mir aber ich weiß nicht was für ein guter
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Instinct
versüßet, allerhand Nebenarbeiten die mich
aber
noch immer vom
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Zweck abhalten, nemlich dem Genuß wenigstens einer ruhigen Stunde für
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mich selbst unter 24 oder 12 die zum Tage gehören. Nachdem ich die mühseel.
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Auctions
tage vom 13—16
huj.
überstanden, bin ich mit Posttagen so
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überhäuft worden, daß ich das Ende meiner
Expedition
gar nicht absehen kann.
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Ich habe das gantze
Inventarium
noch einmal nachrechnen müßen, weil unser
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alte Betrüger von
Notar
um ein paar 100 fl. zu kurz gekommen; diese Woche
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den litter. Brunnen angefangen, der mich nöthigt um 4 Uhr des Morgens
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aufzustehen und wie ein Gespenst
sans rime et raison
herumzuwandern um
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mit der grösten Ungedult die
Caffee
stunde um halb sieben abzuwarten, daß
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ich meine
Exercitia
wieder anfangen kann. Jetzt
quält
mich die Verlegenheit
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Stuben für mich zu finden, wozu ich heute Hofnung erhalten aber auch noch
S. 397
im ungewißen bin, – und endl. die Aussicht einer eignen kleinen Wirthschaft
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und Heerdes. Daß sind andere Fragmente, liebster Herder! als Ihre,
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unterdeßen soll auch die Reihe an Sie kommen. Ich erwarte unserer alten
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Freundschaft und der Ordnung wegen den dritten Theil von gleichem Format mit
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den ersten durch HE Hartknoch nebst dem Kupferstiche des Sterne zu meinem
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künftigen
Ameublement.
Man hat Sie mit vielem
Pomp
in der Bibliothek
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angekündigt u HE Kanters Nachrichten von Ihrem auswärtigen Ruffe sind
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mir dadurch wahrscheinl. geworden. An statt Ihnen Glück zu wünschen beklag
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ich Sie beynahe; und Sie werden gewis der erste seyn über einige
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Kleinigkeiten zu lachen. Die Königsbergsche
Recension
hat HE Kriegsrath
Schäffner
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in
Gumbinnen
zum Verfaßer. Mich
wundert
anstatt einer anderen
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Anmerkung nicht den entsezl. Abfall des Endes zum Anfange dieses Theils bemerkt
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zu haben, der gar zu merkl. in alle 5 Sinne fällt. Der Anfang ist wenigstens
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so geschrieben daß Sie würkl. in einem gantz entgegengesetzten Verstande um
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10 Jahr scheinen zugenommen zu haben an Alter Weisheit und
Verstand
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für den Apoll und das Publicum. Sie sehen hieraus, daß ich genascht habe
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und die Zeit nicht abwarten können Ihr eigen Exemplar zu erhalten.
Lindner
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wünscht sich sehr Ihre Uebersetzung von der
Parallele des Tragiques,
von der
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wir heute geredt haben. Wird was daraus. Ich habe an HE
B.
geschrieben
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und eben so wenig Antwort von ihm als Ihnen erhalten – –
populus – sibilat
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ac ipse plaudo mihi.
Heist es nicht so ungefehr? Ihr lieben Leute! seid mir
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noch alle zu jung, daß ich mich für euch fürchten sollte. Ich mahne Sie
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nachdrücklichst um meine Bücher oder wenigstens eine gewiße Ordnung darüber
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mit Ihnen abzumachen und thun Sie Ihr Bestes ein gleiches bey HE
B.
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auszuwürken. Ich denk selbst eine Beyl. an ihn einzulegen.
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Klotzens
Recension habe gleichfalls gelesen aber wie alles
fugitiuis oculis.
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Sie haben Ursache gehabt die Nachschrift dieses Theils mit Verdruß gedruckt
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zu sehen. Das
Publicum
ist freylich
une bete,
aber immer von feinem Geruch
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und man muß sich niemals gegen selbiges merken laßen daß man gegen sein
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eigen Urtheil ein Mistrauen hat. Mich wundert daß Sie eben so wenig als
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die Litteraturbr. an des Strasburgschen
Nicolai
Elegien gar nicht gedacht
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haben; da wir wie ich nicht anders weiß uns darüber einige mal unterhalten;
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mit Ihnen oder Hintz.
Gemmingen
scheint auch gute Proben zu Elegien
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geliefert zu haben. Ich habe die nichtswürdige Grille gehabt einen unförml.
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Auszug einer engl. Apologie die den Sterne zum Verf. haben soll in die
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Kgsbergsche Zeitungen einflicken zu laßen und wollte mich auch schon an den
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Phädon machen, den ich ungefehr eine Stunde mit der Urschrift verglichen; aber
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ich bin zu feig und zu schwach und jetzt zu gewißenhaft mich um
Allotria
zu
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bekümmern. Ich erwarte eine Antwort auf gegenwärtiges so bald es Ihre
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Zeit erlaubt, und eine gehörige Abrede wegen meiner Bücher, der Freundschaft
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und Ordnung gemäß. Nach einem verbindlichsten Gruß an HE Hartknoch,
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dem ich zu seiner Hochzeit Glück wünsche bin mit aufrichtigster Ergebenheit
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Ihr
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Hamann.
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Eine Gelegenheit habe jetzt; aber wegen der übrigen Umstände mit meinem
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Bruder und Blutsfreunden stehen mir alle Haare zu Berge. Stellen Sie sich
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mich und meine Lage vor über die es Ihnen unmöglich zu urtheilen. Doch
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gnug
hievon. Leben Sie wohl. Die Zeit wird alles entwickeln.
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Laß Hartknoch helfen Kantern, wenn er noch kann, zu guter letzt; wie ich
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diesen Augenblick Wind erhalten von einer
Estaffette;
wenigstens
so viel
er
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kann. In des letzteren Buchladen ist diese Woche ein Gesell angekommen, der
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ein sehr ansehnl. u liebenswürdiger Mann ist, ein Schwabe u Wieland als
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einen stummen Fisch beschreibt, der gegenwärtig Rathsherr in dem armen
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Reichsstädtchen Nördlingen ist.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 57.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 373 f.
Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 260.
ZH II 396–398, Nr. 344.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
396/33 |
quält ]
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Geändert nach der Handschrift; ZH: quelt |
397/11 |
wundert ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: wunderte |
397/15 |
Verstand ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Verstand, |
398/11 |
gnug ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: genug |