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Mitau den
10
Aug.
66.
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Herzlich geliebtester Vater,
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Endlich muß ich Ihnen doch einige Nachricht von mir geben, auf die Sie
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längst mögen gewartet haben. Ich danke Gott dafür, daß ich noch lebe, so
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kümmerlich es auch ist. HE
Secr. Kortum
hat mir den 9ten
Jul.
meine engl.
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Bücher mitgebracht, worüber ich mich sehr erfreut, weil ich guten Freunden
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damit dienen kann. Ueberbringer gehört selbst darunter, besucht mich fleißig
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und wir üben uns beyderseits im italienischen. Er hat heute zum erstenmal
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Mittags bey uns gespeist, weil sein ordentl. Wirth HE
Doct. Lindner
mit
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seiner Gemalin zu Gast gewesen. Was an dem
Transport
der engl. Werke
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noch fehlt, werde dem HE.
Prof.
L. melden.
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Zu Ihrer kleinen Erbschaft wünsche Ihnen Glück. Bey diesen schlechten
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Zeiten ist ein Andenken der Freundschafft und eine Beysteuer der zeitlichen
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Nothdurft immer angenehmer als sonst. Gott laße es Ihrer seel.
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Wohlthäterin dafür gleichfalls in der Ewigkeit wohl gehen! Amen.
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HE Hofrath hat einen
Coffre
mit seinen Sachen bereits nach
Königsber
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Warschau abgeschickt, und steht im Begriff heute über 8 Tage, allem
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Vermuthen in Gesellschaft seiner Frau Gemalin, abzureisen. Sie werden ihren
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Weg über
Seßlaucken
nehmen, dem Gut des seel. HE.
Praepositus,
wo Sie
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sich ein paar Tage aufhalten, und also nach dieser Rechnung in 14
höch
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oder 16
eintr
in
Königsberg
(wozu man sich erst in
Memel
entschließen
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wird) eintreffen könnten. Sollte dies geschehen, so möchte die Frau Hofräthin
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unser Haus auch wol besuchen. Thun Sie Ihr Bestes Ihr gutes Herz zu
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bezeigen, und laßen Sie auch die Bediente nicht ungeehrt von sich, so viel in
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Ihren Kräften steht und Gott Mittel dazu an die Hand giebt.
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Für die curschen Bücher statte Ihnen meinen herzlichsten Dank ab. Aus
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meiner Vergeßenheit deßelben, liebster Vater, können Sie leicht erachten, daß
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ich selbige noch wenig gebraucht habe. Ich denke aber noch hier so viel Zeit
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und Gemächlichkeit zu haben, daß ich diesen Anfang nicht umsonst gemacht,
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sondern gehörig werde fortsetzen können. Umstände und Verdruß sind an
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diesem unterbrochenen Vornehmen schuld; ich werde selbiges aber nicht
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aufgeben. Meine Flucht in diese Gegenden, bey den betrübten Umständen meines
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Vaterlandes, wird ohnehin nicht so bald endigen, und nicht ohne
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Abwechselung seyn. Ich überlaße alles der Göttl. Vorsehung, und sehe mich als ihren
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Ball an, der durch nichts anders als die Kraft ihrer Hände lebt. Bey allen
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dem Gram, der mich schwarz macht, fühle ich doch noch in gewißen Stunden,
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was die Weisheit in den Sprüchwörtern sagt: – meine Lust ist bey den
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Menschenkindern. – So lange wir an den glauben, der die Leute so lieb hat, laufen
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wir keine Gefahr Menschenfeinde zu werden.
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Was macht mein Bruder? – Meine herzlichsten Grüße an HE Vetter
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Nuppenau, Jungfer Muhmchen, Unser gantzes Haus und alle Unsere Freunde.
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Ich empfehle Sie Göttlicher Gnade, mich Ihrem Väterlichen Gebet und küße
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mit kindlichster Ehrfurcht Ihnen die Hände als Ihr gehorsamst ergebenster
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Sohn.
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Johann Georg Hamann.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 1 (88).
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 358 f.
ZH II 375 f., Nr. 329.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
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Königsber |
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH: Königsberg |