330
376/23
Mitau den
12

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Zärtlich geliebtester Freund,

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Sie erhalten Ihre Handschriften wieder zurück mit dem verbindlichsten

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Dank. Ich habe das erste Fragment 2mal gelesen, und würde kaum mehr was

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dabey thun können, als was geschehen, wenn ich es auch noch 8 Tage
behielte.

28
So viel mir mein stumpfes Gedächtnis sagt, haben Sie Ihre Arbeit

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gewaltig umgeschmoltzen, und wo ich nicht irre Ihren Plan dadurch erweitert, daß

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Sie mehr
Auszüge vom Text der Litteratur Briefe
liefern, als damals

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Ihre Absicht schien gewesen zu seyn.

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Ich weiß nicht durch welchen Irrthum ich mit dem
vorläufigen
Discours

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angefangen und dabey den Griffel etwas muthiger gebraucht habe.

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Ueber ein gut Theil der neuesten Litteratur kann ich kein
iudex competens

35
seyn und was die Prosodie betrifft, bin ich in gleicher Verdammung. Die

S. 377
übrigen Articel der Sprache find ich nach Wunsch
detailli
rt, einige Puncte

2
in ein eben so gutes philosophisches als ästhetisches Licht gesetzt.

3
Es sind noch einige übelgegattete und zusammengewachsene Wörter übrig

4
geblieben z. E. Naturgenie p. Auch ist der Styl an einigen Stellen zu
petilla
nt,

5
und die periodische Form durch Fragen, Ausruffungen,
Interjectio
nen gar

6
zu zerrißen.
    

7
Ich habe Ihnen liebster Freund, schon mehr gesagt, als ich verstehe und

8
berechtigt bin. Die Durchlesung Ihrer Handschrift hat mir heute
wenigstens

9
eine angenehme Stunde
gemacht
,
in der ich alte verbleichte Begriffe wieder

10
in mir aufleben fühlte. Es ist aber bald übergegangen.

11
Um dieser Ursache willen schicken Sie mir doch die Folge Ihrer

12
Handschrift
zu –

13
Selbst den Versuch des Winkelmanns habe mit wenig Genüge lesen

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können. Schicken Sie mir doch den
Shaftesbury
nebst allen Uebersetzungen die

15
Sie davon auftreiben können. 1.)
Soliloquium
2.) die Moralisten 3.) der

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Versuch der Moral sind gewiß heraus, weil ich alle 3 selbst gelesen habe.

17
Vergeßen Sie auch nicht mein
Quart
buch.

18
Grüßen Sie HE Hartknoch von uns. Verdenken Sie es mir nicht, wenn

19
ich nicht schreiben kann. Ich ersterbe Ihr

20
Hamann.


21
Um Pygmalion u Elise
bitte. Zugl.
HE Patzens freundschaftl. Umarmungen.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 42.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 359 f.

Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 166–168.

ZH II 376 f., Nr. 330.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
376/27
behielte.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
behalte.
376/32
Discours
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Discours
377/6
    
]
Geändert nach der Handschrift; es folgen vier gestrichene, nicht entzifferte Zeilen.
377/9
gemacht
,
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
gemacht,
377/12
zu –
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
zu.
377/21
bitte. Zugl.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
bitte zugl.