321
364/9
Mitau den
24 März 66.

10
Herzlich geliebtester Freund,

11
Eben komme aus dem Buchladen, wo ich dem HE Hartknoch Ihre
Mst
e

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abgelegt und den
Spence
für Sie – Sorgen Sie für letztern als für ein
Depot,

13
und bringen Sie so Gott will, höchstens auf Ostern selbst mit. Ich sehe eben

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mit Verdruß, daß alle Ihre Staatsfeste auf die stille Woche eintreffen. Ist

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Ihre Gegenwart dazu unentbehrlich? Richten Sie nach aller Möglichkeit so

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ein, daß wir einige Tage zusammen seyn können; denn auf Stunden lohnt

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es nicht; und es ist mir recht lieb, daß Sie diesmal nicht mitgekommen sind,

18
wo nicht der Gefahr doch der Furcht wegen.
Vives
ist nicht hier; erkundigen

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Sie sich doch bey Zeiten darnach. Ob es an Ihrem Steidel oder Hartknoch

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selbst liegt. Vermuthl. ist er dort geblieben. Sie haben mir einen sehr

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vergnügten Abend und Nachmittag gestern gemacht – aber die Zeit ist zu kurz

22
gewesen. Ohne einen sorgfältigen und gelehrten
Corrector
wird es um den

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Druck schlecht aussehen. Gegen das Ende, wo ich nicht irre in der Mitte des

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letzten Abschnitts scheint mir ein Wort zu fehlen. Ist meine Vermuthung

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richtig, so sorgen Sie dafür, daß es durch Hartknoch eingesetzt wird. „Ueberall

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ein hohes Ideal, nach welchem man die Materie wählt sie über ihre Natur

27
dadurch erhöht, daß man die Fehler wegnimmt, die diesem Endzweck entgegen

28
wären, und die   von diesen Fehlern
pp.
Mit der Ordnung, dem

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Reichthum, der Schönheit des Entwurfs sowol als der Ausführung bin im Gantzen

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zufrieden und freue mich über den Schatz der Einsichten und Einfälle, der

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Keime, Blüten und Früchte. In dem
Καλος καγαθος
scheinen Sie mir mehr

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Emphasin
zu finden, oder ihn wenigstens nicht immer recht anzuwenden. Das

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Wort selbst
καλαγαθια
habe alles Nachsuchens ohngeachtet noch nicht finden

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können. Im
Aelian
wird das Wort, (das
adjectivum
) vom
Phocion
gebraucht,

S. 365
und
Kretschmar
in seinem
Lexico
über diesen Autor sagt davon:
summa

2
omnis laudationis
.
Das
καλον
scheint mir dem französischen
galanthomme

3
vollkommen
synonym
zu seyn, welches in dieser Sprache gleichfalls den

4
honnete homme
übertrifft. Wißen Sie noch, wie es mit dem
Sujet
Ihnen

5
gegangen.

6
In Ansehung des
Dithyramben
kann ich die Richtigkeit Ihrer Nachrichten

7
nicht beurtheilen. Ich fieng eben den Herodot an zu lesen, wie ihn mein

8
Freund Lindner einpackte; und blieb bey folgender Stelle in der
Clio
oder

9
seinem ersten Buch stehen:
Αριονα
τον Μηθυμναιον
επι δελφινος εξενειχθεντα

10
επι Ταιναρον, εοντα κιθαρῳδον των
ποτε
εοντων ουδενος δευτερον και

11
διθυραμβον,
πρωτον
ανθρωπον
των ημεις ιδμεν, πoιησαντα τε και

12
ονομασαντα και διδαξαντα εν
Κορινθῳ
.
Sie müßen hiebey wißen, liebster Freund,

13
daß ich den Herodot für keinen Fabelschreiber, für keinen Happel mehr halte.

14
In Ihren Handschriften habe nichts geändert, als etwa ein zweymal

15
geschriebenes Wort ausgestrichen. HE
Prof Lindner
schreibt, daß meine Engl. schon

16
hier seyn müßen; noch habe aber nichts erhalten.

17
Ihre
Wiederlegung
des St. habe am flüchtigsten durchlaufen müßen; bin

18
aber auch damit zufrieden.

19
Mehr weiß ich Ihnen heute nicht zu schreiben. Von der
Fescennini
schen

20
Poesie werden Sie auch etwas im
Spence
finden.

21
Bleiben Sie mein Freund und unterlaßen Sie nicht das glimmende Tocht

22
meiner
animula vagula
und zerstreuten Sinns anzufachen und zu unterhalten.

23
Ich umarme Sie und ersterbe, mein lieber Herder, Ihr aufrichtig und

24
herzlich ergebener

25
Hamann.

26
Warum haben Sie nicht meine Auszüge aus
Swedenborg
mir wieder

27
zurück geschickt?


28
Adresse mit Siegelrest (Wappen):

29
Pour mon
Ami
/ Mr Herder. /
Nebst
Mr. Spence / Polymetis.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. Germ. quart. 1304, 33–34.

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 352.

Johann Gottfried von Herder’s Lebensbild. Sein chronologisch geordneter Briefwechsel, […]. Hg. von seinem Sohne Dr. Emil Gottfried von Herder. Ersten Bandes zweite Abtheilung. Erlangen 1846, 128–131.

ZH II 364 f., Nr. 321.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
364/28
pp.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
pp.“
365/2
galanthomme
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
galant homme
365/9
επι […] εξενειχθεντα]
Geändert nach der Handschrift und Druckbogen (1940); ZH:
επιδελφινος εξενει χθεντα

Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):
επι δελφινος εξενειχθεντα
365/10
ποτε
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):
τοτε
365/11
ανθρωπον
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):
ανθρωπων
365/17
Wiederlegung
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Widerlegung
365/29
Ami
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
ami