234
169/6
Königsberg den
11
Sept.
1762

7
Herzensgeliebter Freund,

8
Ich freue mich über Ihre glückliche Heimkunft, wie über Ihren vergnügten

9
Besuch, von dem ich Ihnen gute Wirkungen für Ihr Gemüth und Gesundheit

10
beynahe versprechen möchte. Dergl. menschliche Zufälle, als derjenige, der Sie

11
bey Ihrer Ankunft
alte
rirt, sind niederschlagende Pulver, die dazu dienen den

12
zerstreuten Sinn wieder zu sammeln und in Ordnung zu bringen. Wenn

13
Sie länger hier geblieben wären, würde Ihnen vielleicht Königsberg

14
minder gefallen
haben
und der Reitz der Veränderung minder geschmeckt oder

15
nicht so gut bekommen haben. Zum Genuß der Eitelkeit gehören Flügel. – Es

16
ist mir angenehmer gewesen als ich es Ihnen zu verstehen geben kann, einen

17
so alten guten Freund wieder
umarmt
zu haben; und das war auch alles,

18
was uns Zeit und Umstände erlaubten. Wir wollen mit diesem Vorschmack

19
Gedult […] Hofnung
Röm 5,4
eines künftigen Glückes zufrieden seyn. Gedult bringt Erfahrung, Erfahrung

20
aber bringt Hofnung. Hiemit wollen wir uns trösten unter einander.

21
Daß ich meine Freunde liebe, sagt mir mein Gefühl, und vielleicht ein

22
größerer Zeuge als mein Herz – Ich liebe Sie biß zur Grillenfängerey und öfters

23
mehr, als es meinen Freunden lieb und vielleicht gut ist oder scheint. An diesen

24
Empfindungen haben Sie ein so verjährtes Recht –


25
den 18
Sept.

26
Verzeyhen Sie die Zerstreuung, in der ich schreibe, und vielleicht fortfahren

27
möchte. Ihr Herr Bruder hat sich noch kürzere Zeit hier aufgehalten. Gestern

28
habe die GeEhrte Mama besucht, die recht munter aussahe. Lauson ist ein

29
Paar Wochen am Durchfall sehr krank gewesen, erholt sich aber Gott Lob

30
Prof. Poes. […] Subiecta
Bewerber um die vakante Professur in Königsberg, vgl.
HKB 231 ( II 162/13 )
wieder. Zur
Prof. Poes.
sind alle 3
Subiecta
abgewiesen worden, einige sagen

31
von der Regierung, andere von Berlin. Es möchte also ein Auswärtiger, und

32
vielleicht gar Rammler, hergeschickt werden. Ob das letzte ein Traum ist, den

33
Schlegel
vll.
Gottlieb Schlegel
ich gehört habe weiß ich nicht. Schlegel gönnte Ihnen, liebster Freund zum

34
Gehülfen. Er macht Schwierigkeiten, ich arbeite unter der Hand an seinem

35
Entschluß.

36
Den
Emile
erhalten Sie, brauchen Sie ihn nicht, so schicken
s
Sie ihn

S. 170
Schoppach
Gemeint ist vmtl.
Schoppach,
Einleitung zum Jure Civili
dem HE.
Fiscal,
dem gewiß damit gedient seyn wird.
Schoppach de iure

2
ciuili Romano
hat HE Bruder hier auf Ihre Rechnung schreiben laßen, und

3
Loegen
Gut Leegen (Lega)
ersucht Sie es an den HE von Kleist in
Loegen
zu
expedi
ren.

4
HE Kanter ist gegen 14 Tage auch bettlägerich gewesen, erholt sich aber

5
Condolentzabhandl. […] Hintz
Jakob Friedrich Hinz
. Die Abhandlung konnte nicht ermittelt werden.
schon. Eine
Condolentz
abhandl. im Namen der kurschen Landsmannschaft

6
Hochzeitsarbeit
nicht ermittelt
von HE
Hintz
und eine ziemlich gut gerathene Hochzeitsarbeit von einem

7
gewißen
Schultz
erhalten Sie nächstens.

8
Plato
Platon
Mit meinem
Plato
bin Gott Lob! fertig, und unterhalte mich mit 2

9
Biblioteque
Bibliothèque des sciences, et des beaux arts
. Von Protestanten in Holland gegründet wurden darin Neuerscheinungen aus ganz Europa und zu allen Themen besprochen.
gewaltigen Stoßen von
Journal
en. Die
Bibliotheque des Sciences et des

10
beaux-arts
von 1754 biß auf das gegenwärtige hat mir sehr gefallen. Die

11
nouvelle
La Nouvelle Bibliothèque anglaise
. Darin v.a. Rezensionen englischsprachiger Werke.
nouvelle Bibliotheque angloise
habe nicht aushalten können; denn sie ist von

12
dem unerträgl.
Joncourt
und befürchte einen ähnlichen Ueberdruß an der

13
nouvelle
Nouvelle bibliothèque germanique ou histoire littéraire d’Allemagne, de la Suisse et des pays du Nord
. (Amsterdam: Humbert 1720–1759), hg. u.a. von
Jean Henri Samuel Formey
. Die Zeitschrift beschränkte sich auf theologische, wissenschaftliche und historische Themen. Vorbild des erfolgreichen Rezensionsorgans des französischen Protestantismus war die
Bibliothèque angloise
, die vom in London lebenden Michel de la Roche, einem mit Bayle befreundetem Hugenotten, 1717 begründet worden war.
nouvelle Bibliotheque Germanique,
die ich gestern angefangen. Hieraus

14
besteht der erste Stoß. Von dem 2ten werde künftig reden.

15
Guischardt…
Karl Theophil Guichard
; einer populären Anekdote über
Friedrich II.
zufolge erwähnte er 1758 in einer Gesprächsrunde den Centurio ‚Quintus Icilius‘ lobend und wurde von Guichard korrigiert, er habe Quintus Caecilius geheißen; daraufhin habe Friedrich bestimmt, Guichard solle fortan Quintus Icilius heißen, unter welchem Namen er ein Majorspatent bekam
Vom
Guischardt
habe außerordentl.
Anecdo
ten gelesen, daß dieser zum

16
Quintus Caecilius
umgetaufte Held in seinem zehnten Jahr lateinisch,

17
griechisch, hebräisch, arabisch, persisch und chinesisch verstanden, das französische

18
auf seine eigne Hand und durch Umgang gelernt, daß er in 5. Jahren ein

19
Autor
in der Sprache hat werden können, engl. spanisch, italienisch

20
Martissohn
Sohn des Kriegsgottes Mars
gleichfalls versteht. Was für ein
Philolog!
und
Martis
sohn.

21
Däntler
N.N. Däntler
Ihre Fürsorge meinen Freund Däntler zu wärmen hat mich recht sehr

22
meuble
wohl ein Pelz, vgl.
HKB 236 ( II 178/11 )
gerührt. Er hat ein solch
meuble
auf den Winter höchst nöthig gehabt und ist

23
auch eine Zeit lang wieder krank gewesen, daß er sich zweymal hat zur Ader

24
laßen müßen. Da sein Körper sich wieder erholt hat, klagt er seine Noth, daß

25
es ihm an Gemüthsruhe fehlt, und ich also volle Arbeit mit ihm habe.

26
Artzt! …
Lk 4,23
Ohngeachtet es auch bey mir eintrift: Artzt! hilf dir selber; so ist meine gröste

27
Last andere zu tragen. Gott wird helfen.

28
Mr. Tiphaigne de la Roche,
ein
Medicus
der
Facultät
zu
Caen
hat den

29
Amilec, l’amour devoilé ou Systeme des Sympatistes, Bigarrures

30
philosophiques
in 2 Theilen und die
Giphantie
geschrieben.

31
Ein Holländer hat in seiner Landessprache unter dem Namen
Aletofilus

32
Fileusebus
1758 zu Amsterdam eine Wiederlegung des
Optimismus

33
de la Borde […] Clavecin
Delaborde,
Le Clavessin électrique
ausgegeben, davon mir der Auszug ungemein gefallen hat. Ein
Jesuit de la Borde
hat

34
ein elektrisches
Clavecin
erfunden. Graf von
Algarotti
hat
Saggio di Lettere

35
Paucis …
Verg.
Aen.
1,538: „nur wenige von uns erreichten schwimmend eure Quelle“.
sopra la Russia
zu
Venedig
in 8. ausgegeben mit dem
Motto:
Paucis
vestris

36
adnauimus oris.
Der Autor des
Adventurers
heist
Hawkeswerth
und hat ein

37
Almoran and Hamet
Hawkesworth,
Almoran and Hamet
morgenl. Mährchen:
Almoran
und
Hamet
im vorigen Jahre geschrieben.

S. 171
Aus verschiedenen Erscheinungen, die in Frankr. in der Schweiz und in

2
Italien zu gl. Zeit sich eräugnet, sollte man sich versprechen die ägyptische

3
Alterthümer durch die chinesische Sprache aufzuklären.

4
Steinbrückler heist der Uebersetzer des Sophokles, und wird als ein Schüler

5
des Breitingers angeführt.

6
Mc-Pherson
hat ein episches Gedicht:
Fingal
aus der al
bischen
ten

7
schottischen Sprache übersetzt herausgegeben und
Spence
den Charakter und die

8
Blacklock
Thomas Blacklock
Gedichte eines zu Edinburg studierenden jungen Philosophen,
Blacklock,
der

9
ersten Journal
Vgl.
HKB 234 ( II 170/9 )
vom 6. Jahr an blind gewesen. So viel habe ich Ihnen aus dem ersten

10
Journal
mittheilen wollen.

11
Gott erhalte Sie, Liebster Freund – ich kann nicht mehr schreiben. Mein

12
Vater wünscht Ihnen tausend Gutes und empfiehlt sich bestens Ihrem treuen

13
liebe Hälfte
Marianne Lindner
Andenken. Grüßen und küßen Sie Ihre liebe Hälfte. Ich umarme Sie und

14
ersterbe Ihr aufrichtiger Freund und Diener

15
Hamann.


16
Foissardier
N.N. Foussardier
Grüßen Sie doch Ihren lieben
Foissardier
von mir v allen guten Freunden.

17
Leben Sie wohl.

18
M. Tetsch
Carl Ludwig Tetsch
, dessen
Kirchengeschichte
erst ab 1767 erschien.
M. Tetsch
ist im Begrif se kurl. Kirchenhistorie auszugeben, davon ich den

19
Anfang in dem
Msst.
ein wenig durchblättert und nicht uneben zu seyn scheint.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (85).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 160–162.

ZH II 169–171, Nr. 234.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
170/35
Paucis
]
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):
Pauci