232
S. 163
Ksberg den
24
Juli
1762.

2
Herzlich geliebtester Freund!

3
Tandem
lat.: endlich
Tandem
– schreiben Sie mir auch einmal wieder. Man hatte hier schon

4
selbst herkommen
Vll. wegen Bewerbung um die vakante Professur der Poesie, vgl.
HKB 231 ( II 162/13 )
.
Wind, daß Sie selbst herkommen würden. Weil Sie aber gar nicht daran

5
denken: so zweifele, daß Sie sich dazu entschließen können. Wo bleibt Ihr

6
Bruder aber? – Der Zauderer – der Schläfer – der Spätling!

7
seel. Freund
Joachim Anton Nuppenau
Mein seel. Freund ist eben derselbe, den Sie gekannt haben und beschreiben.

8
Ein munterer Kopf mit einem blühenden Gesichte –

9
Unser alter Freund Hennings ist hier gewesen. Wo er ist, weiß ich noch nicht.

10
wie das Graß
Mt 6,30
Alles, worauf Menschen und Völker sich was zu gut thun, ist wie das Graß

11
auf dem Felde, das morgen im Ofen geworfen wird.

12
Liegt es an mir, oder am Meßgut. Ich bin ganz abgeschreckt was mehr zu

13
Humens erster Theil
„Erster Band, der die Regierungen Jakobs I. und Carls I. enthält“, von:
Hume,
The History of England
lesen. Humens erster Theil von der Grosbrittan. Geschichte habe

14
Cromwell
Oliver Cromwell
durchgeträumt und verlange nach der letzten Hälfte, worin Cromwell vorkommt.

15
Der Autor hat das beste Stück der Historie gewählt, und wo er seine

16
Vorurtheile am schönsten auskramen kann. Hierinn bewundere ich sein Glück oder

17
seine Klugheit. Das Wort
Enthusiasmus
ist eine unbekannte Größe, und der

18
Knoten des ganzen Werks.

19
Schreiben an die Patrioten
Trescho,
Schreiben des Friedens
animal scribax
Schreibtier
Schreiben an die Patrioten ist von Trescho. Kennen Sie das
animal scribax

20
nicht an der Pfote? Gellius ist jung, wie ich gehört und kann noch werden.

21
Kanter ist nach Hause von Holland gekommen und hat mir
Rousseau du

22
Contract social
oder seine
Principes du droit Politique
mitgebracht, als den

23
dritten Theil sr
Oeuvres diverses.
Das Werk zu übersetzen ist nicht für mich,

24
Netz Vulcans
Vulkan fängt Mars und Venus mit einem unsichtbaren Netz und verspottet sie, vgl.
Hom.
Od.
8,266–366.
zu zergliedern auch nicht ein solch Gewebe von Sophistereyen, wie das Netz

25
Vulcans,
worinn er den
Mars
mit der Frau Gemalinn nach dem
Olymp
trug.

26
Emilie verbrannt
Rousseau,
Emile
; die beiden Bücher wurden von der Pariser wie auch von der Genfer Regierung verboten und öffentlich verbrannt und ein Haftbefehl gegen den Verfasser erlassen. Daraufhin gab Rousseau das Genfer Bürgerrecht ab.
Es soll mit sr.
Emilie
verbrannt, die ich auch zu kennen wünsche. Seine

27
Principes
sind ein bloß Stück von einem großen Werk, davon er das übrige

28
unterdrückt. Ich möchte es doch wohl auf allen Fall behalten, weil es mir

29
Kopfbrechen und Bauchgrimmen verursacht hat, und als eine würdige Hälfte

30
zu einem andern Buch, das mir auch angeschaft.
Recherches sur l’origine du

31
Despotisme Oriental. Ouvrage posthume de Mr. B. I. D. P. E. C. Monstrum

32
horrendum, informe, ingens…
1761. ohne Benennung des Orts, voller

33
Bitterkeit gegen die
Religion.
In der Vorrede wünscht der Autor, daß man

34
bald Europa
vernünftig
nennen könnte, nachdem es
wild
,
heidnisch
und

35
lange genug
christlich
geheißen hat.

36
Wenn ich das Blatt nur finden könnte, wo ich einige Grillen aufgesetzt,

S. 164
und um das ich schon Sie einmal ersucht habe. Ich weiß daß es nichts werth,

2
prima stamina
Urstoff
aber die
prima stamina
eines ganzen Feldes lagen darinn vergraben, und ich

3
kann ohne dies verlorne Blatt nicht auf die Spur kommen –

4
Doch jetzt kann ich ohnedem nicht arbeiten, und nöthig hätt ich es mehr als

5
jemals. Jene beyde französische Bücher sind aber das einzige Merkwürdige,

6
was mir von Schriften aufgestoßen, und liegen mir im Kopfe, wie dem

7
Gespenst des Friedens
Am 5. Juli 1762 wird Peter III. abgesetzt;
Katharina II.
besteigt den Thron und widerruft den Friedensschluß mit dem preußischen König und die Rückgabe Preußens am 16. Juli.
HKB 231 ( II 162/2 )
gemeinen Mann das Gespenst des Friedens.

8
Ueber den guten Abdruck der Beylage zum Rigischen Katechismus freue

9
Hof in Fabeln
Moser,
Der Hof in Fabeln
mich herzl. Der Hof in Fabeln soll von Mosern seyn. Eine artige

10
von den Tartarn […] Corsica
Vgl.
Rousseau,
Du contrat social ou principes du droit politique
, S. 96, dort heißt es von den Tartaren, sie würden einst ganz Europa beherrschen. Und S. 109f.: dass Korsika aufgrund der Tugendhaftigkeit ihrer Bevölkerung Europa einmal noch überraschen wird.
Prophezeyung
von den
Tarta
rn hat
Rousseau,
und eine
einfältige
lustige

11
Ahndung
von
Corsica.

12
Mr. Thomas
Thomas,
Oeuvres diverses
, darin
Jumonville, poème en IV chants
(Paris 1759);
Eloge de Maurice, comte de Saxe, qui a remporté le prix de l’academie française
(Paris 1759);
Eloge de H. Fr. d’Aguesseau, chancellier de France, qui a remporté le prix de l’academie française
(Paris 1760) und
Eloge de Réné Dugnay- Tronin, lieutenant général des armées navales, qui a remporté le prix de l’academie française
(Paris 1761).
Die
Oeuvres diverses de Mr. Thomas
habe auch gelesen. Der Autor ist

13
vorher
Professor
zu
Paris
gewesen, jetzt hat er eine Staatsbedienung. Der

14
erste Theil besteht aus 3 Poesien, worunter das Gedicht auf den
Jumonville,

15
der von den Engell. umgebracht wurde, das längste ist. Der andere Theil aus

16
Grafen von Sachsen
Moritz von Sachsen
3. gekronten Reden oder Preißschriften. Die auf den Grafen von Sachsen,

17
und
Daguesseau
habe mit der meisten Aufmerksamkeit gelesen; die letzte geht

18
einen Seehelden an.

19
arabisches Evangelium
Sike,
Evangelium infantiae
Aus
Cleinows Auction
habe ein arabisches
Evangelium Infantiae
von
Sike

20
3 Fasciculis […] Delphi Phoenicizantes
Dickinson,
Delphi Phoenicizantes
mit Uebersetzung und Noten herausgegeben nebst 3
Fasciculis opusculorum

21
quae ad Historiam ac Philologiam sacram spectant
und zu
Roterdam
1693

22
in 12 ausgekommen, erhalten.
Dickinsons Delphi Phoenicizantes
sind das

23
erste Stück, das ich mir lange schon gewünscht.

24
Schurmannii Opuscula
habe selbst gehabt, wo sie sind, weiß nicht. Sie

25
waren auch auf gemeldter
Auction;
vielleicht kann ich selbige Ihnen

26
verschaffen.

27
Woltersdorfs Schulhandl.
Hamann will vmtl. wissen, ob Lindners
Beitrag zu Schulhandlungen
bei
Gerhard Ludwig Woltersdorf
bereits erschienen ist.
Wegen
Woltersdorfs
Schulhandl. habe mich im Buchladen gemeldt –

28
Neue gemeinnützige Magazin
Neues gemeinnütziges Magazin
Haben Sie das
Neue gemeinnützige Magazin
, das zu Hamburg

29
auskommt? Ich werde es heute durchblättern.

30
Die Thornsche
Zeitungen
kann zum lesen bekommen. Die
polnischen

31
pr.
preußische
Sachen sind das Beste darinn
. Das pr. möchte auch wohl stark

32
mitgenommen werden. In ihren übrigen
Recension
en herrscht der liebe Schlendrian.

33
laues Urtheil
Offb 3,15f.
Partheylichkeit und Dummdreistigkeit. Ein
laues
Urtheil, das nicht kalt nicht

34
warm ist; so weit ich sie kenne.

35
Nicolai
Friedrich Nicolai
, Brief nicht ermittelt.
Moses
Moses Mendelssohn
, seit 1762 verheiratet mit Fromet Guggenheim (1737–1812).
Nicolai
hat mir geschrieben und meldt, daß Moses verheyrathet ist. Ich bin

36
mit sm Briefe recht sehr zufrieden. Antworten möchte wohl nicht eher, als biß

37
sich die Zeiten ändern, daß man wenigstens weiß, woran man ist.

S. 165
Tod des Sokrates
vll.
Thompson,
Socrate
Kanter hat mir den Tod des Sokrates aus Engl. auch verschrieben. Er hat

2
mir einige freundschaftl. Winke von Gelehrten mitgebracht, die ich so und so

3
annehme. Die Kreuzzüge sind bald aller. Mit einem kleinen Verlag war mir

4
gedient. Noch hat sich kein Zeitungsschreiber gemeldt. Erfahren Sie was, so

5
erwarte ich von Ihnen Nachricht ohne Furcht – weil ich gefaßt bin. Ich werde

6
Ihnen auch mittheilen, was ich entdecken werde.

7
Mein Vater grüst Sie herzl. und Ihr ganzes Haus. Ich umarme Sie und

8
liebe Hälfte
Marianne Lindner
Ihre liebe Hälfte – Leben Sie wohl und vergeßen Sie nicht Ihren

9
aufrichtigen Freund und Diener
Hamann.


10
de Legibus
Plat.
leg.
Heute Gott Lob! das fünfte Buch
de Legibus
zu Ende gebracht; die ich

11
zieml. schläfrich lese. Der Sokrates fehlt in diesen einzigen Gesprächen, und

12
ich fühle den Mangel seiner Gesellschaft.


13
den letzten Julius 1762.

14
Wagners Einlage
Friedrich David Wagner
, Brief nicht ermittelt
Wagners Einlage ist so alt geworden, weil ich 8 Tage auf der Mama Brief

15
gewartet habe und gern in Ihrer Gesellschaft schreiben wollen. Der Innhalt

16
wird wie ich denke nicht so wichtig seyn, daß Sie HE Wagner von diesem

17
kleinen Verzug nöthig haben zu melden, der 8 Tage beträgt.

18
Die Briefe über die mosaische Schriften und Philosophie haben mit so viel

19
Vergnügen gelesen, daß ich auch für Sie ein Exemplar gleich besorgt habe.

20
Besitzen Sie selbige wieder Vermuthen schon, so ist HE Pastor Ruprecht

21
gewiß ein Abnehmer.

22
Wie hält es Liebster Freund! mit Ihrer Anherokunft? – Wenn Sie mich

23
doch beschlichen! – Die dicken Wolken verziehen, wie es scheint, Gott gebe uns

24
alles, was uns gut und seelig ist.

25
Vom
Lowth
den zweyten Theil mit viel Gleichgiltigkeit und halben

26
Verdruß gelesen.

27
Diese Woche Gott Lob! meine Andacht gehabt und meinen Gast auch nach

28
Elbing
heute Elbląg
Elbing wieder zurück geschickt.

29
Noch geht nicht recht mit der Arbeit. Gedult! Mit der Zeit hoffe wieder

30
in den Gleis zu kommen.

31
D. Schultz
hat se Tochter an
D. Teske
verheyrathet, diese Woche Hochzeit

32
gegeben.

33
gemeinnützige Magazin
Neues gemeinnütziges Magazin
Klingstäds Abhandl.
Ein Vorabdruck als Teilübersetzung der
Mémoires sur les Samojedes et les Lappons
erschien unter dem Titel
Anmerkungen über die Samojeden
in:
Neues gemeinnütziges Magazin
, Bd. 4, 1761, S. 717–743.
HKB 233 ( II 168/35 )
Haben Sie das gemeinnützige Magazin? Klingstäds Abhandl. von den

34
Samojeden, die jetzt hier gedruckt wird, ist dort schon übersetzt.

35
Leben Sie wohl, Liebster Freund! Ich umarme Sie und Ihre liebe Hälfte

36
nach den herzlichsten Begrüßungen von meinem alten Vater, und ersterbe

37
Ihr treuer Freund
Hamann.



S. 494
Handschriftliche Anmerkung von Johann Gotthelf Lindner zu HKB 232 (163/36):

34
Rouss. Crocodil inter autores

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (84).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 158–160.

ZH II 163–165, Nr. 232.

Zusätze fremder Hand

494/34
Johann Gotthelf Lindner

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
164/30
Zeitungen
]
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH:
Zeitung
494/33
–34
Handschriftliche […] autores]
In ZH im Apparat.