227
149/26
Königsberg, den
7 May 1762.
27
Geliebtester Freund,
28
Plan von Karschen Gedichten
Karsch,
Sammlungs-Plan
Wagner
Friedrich David Wagner
Der Plan von Karschen Gedichten, sagt Wagner, ist schon abgegangen.
29
Formeys Quinteßenz
welche Schrift von
Jean Henri Samuel Formey
, nicht ermittelt; vll. die 1762 erschienenen
Grundsätze der Sittenlehre
.
Von
Formeys Quint
eßenz
weiß nichts; machen Sie es lieber ein für allemal
30
ab,
was
daß ich vorher
ge
sehen
habe
mag. Was ich sende, davon bin
31
immer gewohnt das vornehmste zu melden. Ein paar Kleinigkeiten von
32
Sticoti
Antoine Jean Sticotti
Kochs ältesten Glauben
Koch,
Der allerälteste Glaube
Sticoti,
und Kochs ältesten Glauben habe letzt für Sie ausgesucht.
33
Schreiben des Friedens
Trescho,
Schreiben des Friedens
Hermes Ode an Cyrus nebst dem Schreiben des Friedens sind letzt vergeßen
34
worden, sollen mit nächsten beygelegt werden – Anmerkungen zum Gebrauch
S. 150
der Kunstrichter werden mit erster Post erwartet, und schon
annoti
rt; müßen
2
des beyliegenden
Die Formulierung legt nahe, dass Hamann Lindner zusammen mit vorliegendem Brief einen Entwurf seiner eigenen Schrift
Schriftsteller und Kunstrichter
zukommen lässt.
zum
beßeren Verstande des beyliegenden vorausgesetzt werden
.
3
Wegen des lettischen Wortes ist mir lieb, daß Sie gewiß sind. Weiter geht
4
Mst von Ihren Zusätzen
Vll. handelt es sich um ein Manuskript von Lindners
„Zusätze zum ersten Theile des Rigischen Katechismus“
.
mich diese Kleinigkeit nichts an. Das
Mst
von Ihren Zusätzen habe erhalten.
5
Dies
Werk
selbst durchzusehen; dazu fehlt es mir an Zeit. Die Correctur
6
denke noch zu bestreiten, und will
herzlich gern
übernehmen. Die lateinische
7
Schreibart wird vielleicht weg bleiben können, und Namen deutsch geschrieben
8
werden müßen. Canonisch, kanonisch. Apocryphisch mit k. Die Papistische oder
9
katholisch soll nicht:
römisch
dazu kommen? Ist die Ordnung nicht beßer, daß
10
heidnische zuerst,
jüdische
darauf und
türkische
(ob dieser Name recht ist,
11
weiß nicht) zuletzt folgt. Ob die
Griechische
unter den Kirchen nicht oben an
12
stehen
soll
könnte, aus eigentl. politischen v historischen Ursachen weiß nicht.
13
Ob man Kindern nicht die Ursache sagen kann, warum man
Testament
durch
14
Bund giebt. Ob der Begrif von Eingebung nicht zu hoch ist, der kanonische
15
v apokryphische zu unterscheiden. Bey der Etymologie der Worts zu bleiben
16
wäre leichter und richtiger, daß die jüdische und christliche Kirche zum Kanon
17
sie angenommen hat; die übrigen aber nicht dafür erkennt. Ich werde nichts
18
ändern, wenn also
Nachläßigkeiten
in der Schreibart bleiben sollten,
19
Flecken
: so bitt ich zum voraus um
Absolution
–
Muthwillige
werde nicht
20
begehen; sondern lieber den
Druck
aufhalten, biß ich Nachricht darüber einholen
21
kann, weil es nicht eilfertig seyn darf. Schmeichler, haben Sie
corrigi
rt
22
schmaücheln, soll schmäucheln heißen?
23
Die Eintheilung in grobe und subtile Abgötterey würde ich als eine bloße
24
Menschensatzung und Schuldistinction auslaßen, weil in Ansehung Gottes
25
alles Groß und alles Nichts ist; und durch diesen Unterscheid das Gebot seine
26
Kraft verliert, oder der Nachdruck immer auf das subtile fallen sollte, weil
27
Gott ein Geist
Joh 4,23
grobe Ehebrecherinn
Joh 8,3ff.
Gott ein Geist, ein
subtil
es Wesen ist; und unser Gesetzgeber eine grobe
28
das Liebäugeln
2 Mo 20,17
Ehebrecherinn loß sprach, hingegen das Liebäugeln zum wirkl. Ehebruch
auslegte
.
29
Sprüche hab ich nicht nachschlagen können; aber die Anführung einiger
30
Exempel ist mir schwer vorgekommen.
Ärtzte
beym fünften Geboth und
31
mit Fingern zeigen
Jes 58,9
Priester
beym eben demselben zu unterstreichen, heist mit Fingern zeigen.
32
5ten Geboth
Du sollst nicht töten. David schickt Urija in den Krieg.
6.ten
Du sollst nicht ehebrechen. David begeht Ehebruch mit Batseba.
Im 5ten Geboth wird
David
als ein Halter des Gesetzes, im 6.ten als ein
33
Uebertreter angeführt, oder als ein Mann der seine
Feinde
und die
Bathseba
34
liebte.
35
Einen keuschen Jüngling haben Sie in den kanonischen Büchern noch
36
keusche Frau
Vermutlich ist die Protagonistin des gleichnamigen Buches Susanna gemeint, vgl.
ZusDan 1,22f.
finden
können
, aber eine
keusche Frau
war nirgens als in den
37
Salomo
Pred 7,27ff.
apokryphischen
. So gieng es Salomo auch – –
S. 151
Der Unterscheid von
bewegl.
und
unbeweglichen
Gütern ist für Kinder
2
zu gelehrt und aus dem
Codex.
Abspannen für abspenstig machen oder
3
Ablocken, nicht beqveme Ausdrücke für Katechismusschüler.
Herodes
spannte
4
seines Bruders Weib ab. Ein gar zu sinnlicher
Tropus.
2. Abdringen oder
5
Vis et dolus
Gewalt und Vorsatz
abpochen. 3. Abwendig machen tavtologisch.
Vis et dolus
ist schon in den ersten
6
enthalten, und das letzte soll vermuthl. eine vermischte Art von beyden seyn.
7
So weit ich gelesen, wünschte ich liebster Freund, daß den Kinder ihr
8
Gedächtnis mehr mit den gewöhnl. Kunstwörtern der Stände pp verschont oder
9
die Begriffe davon beßer aufgeklärt, und ihnen erleichtert würden. Da jedes
10
Kind seine Bibel in der Hand hat; so könte auch die Anführung der Bücher
11
eben so beqvem daraus gelernt werden. Und mit Erlernung der Titel die
12
Institutiones
anzufangen, benimmt vielen die Lust ihren Innhalt einzusehen.
13
– – Ob Kinder viel oder wenig
Antworten
können, daran ist nicht so viel
14
gelegen, als daß Sie die einzige Frage
verstehen
:
Wer bist du?
15
Sagen Sie liebster Freund! ist mir nicht der Schnabel recht zum
16
Kunstrichter gewachsen? Wie wenig kennen Sie mich, wenn ich für das erschrecken
17
Iuuenilia
Hamann,
Kreuzzüge des Philologen
soll, was Sie mir noch bisher über meine
Iuuenilia
zu verstehen gegeben
18
haben. Das ist noch alles Kinderspiel in Vergleichung desjenigen, was ich mir
19
selbst in finstern Stunden vorpredige.
20
Ich dringe darauf, daß Sie biß auf den letzten Tropfen ihr Urtheil
21
abzapfen, damit ich die Nagelprobe so rein machen kann, wie man Treue und
22
Glauben an den Alten unsern lieben Vorfahren lobt – Aber sehen Sie
23
Pan
Griechischer Gott, Vorsteher der Nymphen. Abgedruckt auf dem Frontispiz sowohl in den
Kreuzzügen
als auch den
Essais à la Mosaique
.
doch den Pan, das allerliebste Gesicht recht an, und vergleichen Sie auf der
24
Goldwaage Zug für Zug: ob er nicht nach dem Leben getroffen. Ja, werden
25
c’est le Pere …
„Das ist dem Vater sehr ähnlich.“
Sie sagen,
c’est le Pere tout craché
– Nun, was wollen Sie mehr? die Rede
26
war ja von Nachahmen: so hab ich also gewonnen, und der Preiß gehört mir,
27
nach dem selbeigenen Urtheil meiner Feinde.
28
französisches Exercitium
Lindner meinte vielleicht, dass den
Kreuzzügen
ein französischer Text noch hätte beigefügt werden können, etwas wie das
Lateinische Exercitium
, das den frühen, gescheiterten Versuch Hamanns zu akademischer Ausbildung repräsentiert.
Ein französisches Exercitium war in dieser Sammlung nicht nöthig; was
29
Sie mir anführen, erkenne ich gar nicht für meine Arbeit und werde es auch
30
niemals dafür erkennen. Aber das mosaische Exercitium kommt gewiß vom
31
Philologen, der die Kreuzzüge geschrieben hat, und ist es nicht französisch?
32
Nun, was wollen Sie mehr.
33
Gleichwie der Magnet sich nach dem
Nordstern
richtet, und das
Eisen
an
34
sich zieht: also der Staatsmann nach dem Herrn, und zieht das Volk an;
35
also der Kunstrichter nach dem Autor, und zieht erst den Staub der Feile,
36
allmählich ein Gewicht von Lesern an sich v. s. w.
37
einerley
Phil 3,1
Daß ich immer einerley schreibe und die
Penelope
zu meinem
loco
S. 152
communi
mache, verdrüst
s
mich gar nicht, und der kluge Leser merkt den
2
Unterschied zwischen einerley und einerley. –
3
kleinen Streich
Angespielt ist wohl auf den Untertitel des
Lateinischen Exercitiums
, in den
Kreuzzügen
, N II S. 219, ED S. 221: „dem eiteln Wandel nach Väterlicher Weise gemäß, öffentlich aufgeführt worden von einem verlornen Sohne U.[nsrer] L.[ieben] F.[rau] Albertine“, womit die der Alma mater Königsberg gemeint ist; dazu gehört auch Zitat aus Hor.
carm.
1,1 auf der zweiten Seite: „me gelidum nemus Nympharumque leues cum Satyris chori Secernunt populo“ – „mich sondert der kühle Wald / ab vom Volke und leicht schwebender Nymphenchor / mit Satyrn gepaart“.
Weil ich der Mutter einen kleinen Streich zugedacht hatte, der ihr durch ein
4
klein Beyspiel an einem ihrer grösten Söhne am sinnlichsten seyn würde:
5
so vergeben Sie mir die kleine Bosheit, die ohnedem so zweydeutig ist, daß
6
ich sie im Fall der Noth immer auf mich selbst nehmen würde. Sie haben
7
sich aber bey dieser Kleinigkeit einen so sarkastischen Hieb erlaubt, den ich
8
nicht abschreiben, sondern vergeßen will.
9
aliena cornua fronti addita
Ov.
met.
3,139f.: „das unpassende Geweih auf seine Stirn verpflanzt“. Vgl.
Hamann,
Näschereyen
, N II S. 193/2, ED S. 158.
Larve des Keiths
Trescho,
Keith an den Weltweisen von Sanssouci
Die
aliena cornua fronti addita
sind nichts als die Larve des Keiths, die
10
Geck von Näscher
Trescho,
Näschereyen
der kleine Geck von Näscher sich unterstanden hat anzurühren. Und wenn er
11
mir fragen wollte: wie er in dieser Löwenhaut aussähe? so würde ich ihm
12
Fabel
Aisop. 188: „Ein Esel zog sich ein Löwenfell über und setzte überall die unvernünftigen Tiere in Angst und Schrecken. Als er dann einen Fuchs sah, versuchte er auch diesen zu erschrecken. Der Fuchs aber – er hatte nämlich zuvor seine Stimme gehört – sagte zu ihm: ‚Ja, sei dir darüber im Klaren, dass auch ich dich gefürchtet hätte, wenn ich nicht dein unverschämtes Geschrei gehört hätte.‘“
aus der Fabel antworten. Die Juden eyfern um ihre Religion, aber mit
13
Unverstand; doch der Kunstrichter schläft nicht, der das Verborgene ans
14
Licht bringen und den Rath der Herzen offenbaren wird.
15
Spruch LXXIII.
Vgl.
Hamann,
Aesthaetica
, N II S. 204/25, ED S. 184. Dort verweist Hamann auf Ps 73,21f., gibt in der Fußnote aber irrtümlich Ps 83,21f. („LXXXIII, 21.22“) an.
Ungeachtet meiner Aufmerksamkeit auf den Spruch
LXXIII.
ist ein X zu
16
hellenistische Briefe
Hamann,
Kleeblatt
viel eingeschlichen. – Die hellenistische Briefe sind nichts als Füllsteine.
17
Sie schreiben mir ein Geheimnis von einem gewißen Menschen, der einmal
18
etwas gelesen, und sein Urtheil sagte: „daß er nicht wiße, wo der Autor
19
oder der Leser zu Hause gehöre.“ Wollen Sie so gut seyn, und mir seine
20
Wohnung sagen; meine
addresse
soll ihm gleich zu Dienst stehen. Wenn er
21
kein Geograph ist, so wird er vermuthlich auch nicht wißen, in welcher
22
Tyburn-Road
; Richtplatz im Nordwesten Londons, den Hamann für seine
Glose Philippique
als fingierten Druckort wählte.
Hauptstadt der bewohnten Welt
Bedlam
und
Tyburn-Road
zu suchen sind. Ist
23
dieser Unbekannte ein Sprachmeister, der Kindern eine reine Ausrede
24
beybringen kann; so will ich der erste seyn, der seine
Collegia
besuchen will.
25
Wenn er das besitzt, das ich
suche
; so bitten Sie ihn daß er ein Werk der
26
Barmherzigkeit thut und mir zu Gefallen eine Kinderlehre schreibt. Sie
27
sagen, daß Sie Liebster Freund, mir im Vertrauen schreiben; können Sie
28
mir nicht seinen Namen im Vertrauen melden? Schämen Sie sich nicht, ihn
29
zu
bekennen
; wenn ich nicht argwohnen soll, daß Sie ihn mehr lieben als
30
mich, und meine Eyfersucht in
puncto
der Freundschaft und Vertraulichkeit
31
Düna
Fluss, der in Riga in die Ostsee mündet.
reitzen wollen. Das Waßer in der
Düna
geht mich jetzt weniger an, als das
32
Pregel
Fluss in der Region Königsberg, heutiges Kaliningrad.
Syrinx
Arkadische Nymphe, die von Pan verfolgt wird, Gaia verwandelt sie in Schilf, Pan erfindet die Hirtenflöte durch Zusammenbinden der Schilfrohre.
Waßer im Nilstrom; – und der Pregel hat auch seine Syrinx mit einer
33
Wanne, die ich eben nicht beschreiben mag, aber zum Bade des Pans recht
34
der erste Tag
Anspielung auf
Friedrich von Hagedorn
bzw. sein Gedicht „Der erste May“, das mit den Versen beginnt: „Der erste Tag im Monat May / Ist mir der glücklichste von allen.“ In
Schriftsteller und Kunstrichter
spielt Hamann ebenfalls mit diesem Topos im „Mährchen vom 1. May“ (N II S. 337f., ED S. 14–16).
gemacht ist. Ohne
Personali
en wäre der erste Tag im Monath May mir nicht
35
der glücklichste in diesem Jahr gewesen. Darinn bestehen eben meine
36
Autor-
Reali
en, und die Jungferschaft meines
Publici.
37
Gedichte
Hamann,
Gelegenheitsgedichte
Auf die Verbeßerung der Gedichte habe mehr Zeit gewandt, als sie
S. 153
Freundschaft
Vgl. die 2. Strophe des Gedichts
„Freundschaftlicher Gesang“
in
Hamann,
Kreuzzüge des Philologen
(N II S. 229/1, ED S. 236): „Wohlthätige Freundschaft träufelt mir, statt Polyhymnien, heute / Gelehrtes Schwärmen ins Herz, ins Ohr harmonisches Säuseln.“ Im Erstdruck von 1755 lautet der erste Vers: „Nicht Polyhymnie, nein! die Freundschaft güßt heut wohlthätig“.
vielleicht lohnen. In
Freundschaft
scheinen mir beyde Sylben lang zu seyn.
2
In dem ersten Abdruck war folgender
Dactylus
am Ende: gi͞eßt he͝ut w͝ohl |
3
Schaudern …
Vgl. die 4. Strophe des Gedichts
„Freundschaftlicher Gesang“
in
Hamann,
Kreuzzüge des Philologen
(N II S. 229/12, ED S. 236).
th͞äti͝g – Beym Schaudern hab ich den
sanftern Fall
verworfen, der Ihnen
4
gefallen. – de͝rnd
kurz
geht nicht an. Ein Gottschedianer wird diese harte
5
Construction
nicht ohne einen kleinen
Schaudern
verdauen können; und
6
eben darum wählte sie.
7
Druckfehler
Hamann,
Kreuzzüge des Philologen
, ED S. 256. Dort wird der zitierte zweite Vers „Nur um Verdienste […] Stolzes.–“ als Druckfehler markiert, an dessen Stelle zu setzen sei: „Zum eisernen Schmerz den Balsam philosophischen Kitzels.“ (in N II S. 229/23 als Emendation umgesetzt).
Vers
ebd. Str. 7, ED S. 238: „Die Weisheit schenket uns Freund! sokratisch-lächelnde Stirnen – / Nur um Verdienste besorgt, ohne Versuchung des Stolzes.– […]“ (In N II S. 229 nicht enthalten)
In dem hinten für einen
Druckfehler
erklärten Vers ist gar keine
Scansion
8
Nur | um Ver | dienst be | sorgt – | ohne Ver | suchung des | Stolzes.
9
Die
substitui
rte Stelle zielt auf eine vortrefliche
Anecdote
in
Platons
10
Phaedrus
Plat.
Phaidr.
60b–c: „Was für ein eigenes Ding, ihr Männer, ist es doch um das, was die Menschen angenehm nennen, wie wunderlich es sich verhält zu dem, was ihm entgegengesetzt zu sein scheint, dem Unangenehmen, daß nämlich beide zu gleicher Zeit zwar nie in dem Menschen sein wollen, doch aber, wenn einer dem einen nachgeht und es erlangt, er fast immer genötigt ist, auch das andere mitzunehmen, als ob sie zwei an einer Spitze zusammengeknüpft wären; und ich denke, wenn Äsopos dies bemerkt hätte, würde er eine Fabel daraus gemacht haben, daß Gott beide, da sie im Kriege begriffen sind, habe aussöhnen wollen und, weil er dies nicht gekonnt, sie an den Enden zusammengeknüpft habe, und deshalb nun, wenn jemand das eine hat, komme ihm das andere nach. So scheint es nun auch mir gegangen zu sein: weil ich von der Fessel in dem Schenkel vorher Schmerz hatte, so kommt mir nun die angenehme Empfindung hintennach.“
Phaedrus,
wo ich nicht irre. Da dem Sokrates die Ketten abgenommen werden,
11
vertreibt er sich den Schmerz durch ein sanftes Reiben, und stellt die feinsten
12
Betrachtungen über die Verwandschaft der Natur in den entferntesten
13
Dingen an, wie Lust und Unlust, Leben und Tod sind: daher freute ich mich,
14
als ich den Vers fand:
15
Zum eisernen Schmerz den Balsam philosophischen Kitzels.
16
Zobel oder
Vgl. die 7. Strophe des Gedichts
„Freundschaftlicher Gesang“
in:
Kreuzzüge
, N II S. 229/25, ED S. 238: „In unserm Scherzen und Ernst, sey jugendlicher Geschmack/ Der Zobel männlichfester Brust!“
Zobel oder
Goldfell
oder Hermelin waren die Ideen, die ich ausdrücken
17
wollte um das Zierlichste des Geschmacks mit dem Männlichen der Tugend
18
zu verbinden und zu paaren. Ob der
Zobel
bloß für das weibl. Geschlecht
19
ist, weiß nicht; hier bedeutet es einen
weichlichen
und zugleich
reichen
Putz;
20
der eine männlich feste Brust deckt, wie das Schaafsfell die reißende Wölfe.
21
jetzige Landesverbindungen
die Besetzung Preußens durch russische Truppen
Unsere jetzige Landesverbindungen brachten mich auf das Bild des
Zobels
,
22
unter dem der Leser nichts mehr denken darf als eine
Art des
köstliche
23
Art
des Schmuckes, der aus
Norden
gebracht wird.
24
Gelehrten Schwärmen
Vgl. 2. Strophe des Gedichts
„Freundschaftlicher Gesang“
in:
Kreuzzüge
, N II S. 229/2, ED S. 236: „Wohlthätige Freundschaft träufelt mir, statt Polyhymnien, heute / Gelehrtes Schwärmen ins Herz, ins Ohr harmonisches Säuseln.“
Warum red ich vom
Gelehrten Schwärmen
; wenn ich nicht einmal
25
dromedarische Sehnsucht
Vgl. ebd., 4. Strophe, N II S. 229/10, ED S. 237: „Wie lang ermüdest Du Freund, uns? – Vom starr wartenden Auge / Gar zu leichtgläubig getäuschet, in dromedarischer Sehnsucht, / Erscheint mir Deine Gestalt – Den ersten seegnenden Gruß / Zum voraus schaudernd ich empfind!–“
dromedarische
Sehnsucht sagen darf? Wenn ich nicht ein haarbreit weiter gehen
26
soll, als andere Zunftsbrüder; warum bin ich Autor worden? Wenn man
27
alles
sagt; so hat der
Leser
nichts zu thun. Wenn man alles recht schreiben
28
sollte; wovon soll denn der
Kunstrichter
leben?
29
Der Muse des Philologen ist ihre Niederkunft mit einem kabbalistischen
30
Knäblein so sauer worden, daß sie einer hebräischen Wehemutter, ich weiß
31
nicht was, für Gelübde that – und doch treibt sie das
ärger
Spiel ärger
32
Tage der Reinigung
3 Mo 12,1–8.
als vorhin. Kaum daß die Tage der Reinigung verfloßen sind; so legt ein
33
pet à vingt ongles
Französische Redewendung; wörtlich: Furz mit 20 Nägeln; Bezeichnung für ein neugeborenes Kind.
pet à vingt ongles
ein abermaliges Zeugnis ab, das ihren Namen nicht
34
wohlriechend machen wird. Weil geschehene Dinge nicht zu ändern sind; so
35
muß man die Welt reden laßen, und keine Zeit versäumen, das glühende
36
Eisen zu schmieden.
S. 154
Vielleicht kann ich noch zum zweyten mal mir den Ausspruch jenes
2
Nisi periissemus, periissemus
„Kommen wir um, so kommen wir um.“ Fehlerhaftes Zitat eines in
Plut.
mor.
185f.
Themistokles
zugeschriebenen Ausspruchs: „Als er viele Geschenke erhalten und schnell reich geworden war, sagte er zu seinen Kindern: ‚Ihr Kinder, wir würden zu Grunde gehen, wenn wir nicht schon zu Grunde gegangen wären.‘“
Griechen zueignen, der gesagt haben soll:
Nisi periissemus, periissemus.
Die
3
sicherste Art sein Leben zu erhalten besteht oft darinn, daß man es nicht achtet,
4
sondern freywillig in die Schanze schlägt.
5
Fahren Sie also nur, Geliebtester Freund, getrost mit Ihrer Kritik fort;
6
schonen Sie nicht – ich ersuche Sie darum. Ich wünsche das Ende davon zu
7
sehen. Was Sie bisher gesagt haben, ist blos ein
Praeludium.
Erst will ich
8
Sie ausreden laßen, ehe ich mich in eine förmliche Vertheidigung gegen Ihre
9
HauptAnklagen einlaßen mag.
10
Mit meinen gewöhnl. Arbeiten habe wieder Gott Lob! einen glückl.
11
Anfang gemacht, wiewol das Arabische diese Woche brach gelegen. Mit Platons
12
de republica
Plat.
rep.
Gesprächen
de republica
bin ich im 4 Buch, die ich nicht genug zu schmecken
13
ich sie genutzt habe
in den beiden Schriften
Schriftsteller und Kunstrichter
und
Leser und Kunstrichter
weiß; wie gut ich sie genutzt habe, sehen Sie selbst. Weiter bin ich nicht
14
gekommen. Es lebt alles in diesem Buch für mich; und ich thu fast nichts
15
mehr als unterstreichen. Des grösten Meisters in der Kriegskunst Anweisung
16
habe fast mit weinenden Augen gelesen – das ist ein practisch Buch für jeden
17
Reisebeschreibung
Loën,
Neue Sammlung der merkwürdigsten Reisegeschichten
Liebhaber. Mit der allgemeinen Reisebeschreibung bin fertig; sie ist ein deutsch
18
Original, ohne Plan; und zieml. entbehrl. für einen der die allgemeine
19
Exiles
Welches Werk von
Antoine-François Prévost d’Exiles
hier gemeint ist, ist nicht ermittelt; vll. die dt. Übers. von
Mémoires et Aventures d’un homme de qualité qui s’est retiré du monde
(1728), die gerade erschienen war als
Leben einer vornehmen Standesperson oder Begebenheiten des Marquis von *** welcher der Welt entsaget hat
(2 Bde., 1762).
Weltgeschichte hat. Das von
Exiles
übersetzte Werk ist mir bekannt und ganz
20
verschieden.
21
Burschers Auslegung
Burscher,
Erläuterung des Propheten Jeremiä
Burschers Auslegung über den Jeremias, die ich jetzt lese, ist ein sehr
22
mager und seichtes Buch für mich. Es thut mir leyd Ihnen daßelbe angewiesen
23
Crusius
Christian August Crusius
zu haben. Ich finde fast nichts darinn – – Was soll ich von Crusius halten?
24
Cansteinischen Amanueuensis
lat. amanuensis: Schreiber, Sekretär; hier vmtl. Anhänger von
Karl Hildebrandt Frh. v. Canstein
.
Bey Lindhammers, (eines Cansteinischen
Amanuensis
) Erklärung und
25
Anwendung der Apostelgeschichte wird mir auch die Zeit zieml. lang. Es ist ein
26
Foliant,
in dem ich nicht aus der Stelle kommen kann. Mehr
Treue
als
27
Fähigkeit; daher ich ihn auszuhalten gedenke. Hie und da find ich daß ich
28
Donat
Der Ausspruch „Pereant qui ante nos nostra dixerunt“ („Zum Teufel mit denen, die vor uns unsere Aussprüche getan haben!“) wird dem Grammatiker
Aelius Donatus
zugeschrieben.
ihn ausgeschrieben habe, ehe ich ihn kennen gelernt. So böse, wie
Donat,
bin
29
ich aber nicht, der alles Unglück den Alten wünschte, die uns das Wort aus
30
dem Munde nehmen. Ich glaube, es war
Donat,
der
über
bey einer Stelle
31
Terenz
Terenz
des
Terenz
fluchte; daß man nichts Neues sagen könnte, was nicht einer der
32
Alten schon im Sinn gehabt hätte.
33
Popowitsch
Popowitsch,
Untersuchungen vom Meere
Für Popowitsch danke nochmals; ich habe ihn aber bisher bloß ansehen
34
Alzaide
Sticotti,
Alzaide; tragédie
können. Die
Alzaide
gelesen, die auch von
Sticoti
scheint übersetzt zu seyn,
35
Jean Jacques
Rousseau
vgl. zu Sticottis Kritik bereits zuvor
HKB 222 ( II 138/3 ) und im nächsten Brief,
HKB 228 ( II 156/9 ).
oder nachgeahmt aus dem engl. Sein
Jean Jacques
behält kein gut Haar
36
in seinem Bart –
la nouvelle Heloise ne touchera jamais mon cœur
37
meprisable que de l’indignation qu’on eprouve à la vue d’une
dévergordée
,
S. 155
prude et non philosophe, couverte d’oripeau, paitrie de mensonges et de
2
Voltaire
Voltaire
contorsions et qui met, comme dit Mr. de Voltaire, le vice en action, et la
3
vertu en parole.
So drückt er sich in einem kleinen
Discours,
der nicht viel
4
werth ist, den
Littleton
auch mitnimmt und wenig Kenntnis in der engl.
5
Literatur
verräth, worinn er sich eine Stärke zutraut, weil er kürzl. aus
6
Engl. zurückkam. Das letzte Wort dieser kleinen Abhandl. ist:
Ah! Jean
7
Jaques!
8
Er entschuldigt
ebd. S. 73
Er entschuldigt die Verachtung, womit er den Bürger zu Genf allenthalben
9
aufsucht mit der
vehemence,
die man der Wahrheit schuldig ist, mit der
10
Pascal
Blaise Pascal
raison animée
des
St Evremond
und den
Sarcasmes
des
devot
en
Pascal.
11
Mit Beschuldigungen und Entschuldigungen kann man bald fertig werden.
12
Thorus
Lat. torus: Bett.
Thorus
und Schule macht Philosophen und Weltbürger. Für das
bon mot
13
dank ich Ihnen; es scheint mir wahrscheinl. zu seyn. Gott gebe Ihnen alles
14
Gute, liebster Freund! Vielleicht sehen wir uns noch einmal, zufrieden und
15
trunken, säbeln Gläser und singen
Theodic
een – Umarmen Sie Ihre liebe
16
Frau; ich verbleibe nach den herzlichsten Grüßen meines alten Vaters Ihr
17
treuer Freund und Diener
18
Hamann.
19
HE. Beaumont Perücken Magazin
Marchand,
lehrreiches Perüquen-Magazin
Ist ihnen mit des HE.
Beaumont
Perücken
Magazin
gedient; so melden
20
Sie sich. Die Figuren verdienen diese Kleinigkeit; die zur Bildung deutscher
21
Köpfe geschrieben ist.
22
Lauson
Johann Friedrich Lauson
Ein kleiner Kalender von 58. für HE Lauson; auch ein herzl. Gruß von
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Wolson
Johann Christoph Wolson
HE Wolson.
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Daubl.
Johann Christoph Daubler
Der Brief an
Daubl.
ist bestellt.
S. 494
Handschriftliche Anmerkungen von Johann Gotthelf Lindner:
4
Zu HKB 227 (II 150/31):
adde
Lehrer
uti Paulus Eph.
2. –
Dist. tempora.
5
Zu HKB 227 (II 151/2):
Von Menschen gilt abwendig machen
hoc in praecepto Luth.
6
Zu HKB 227 (II 152/29):
nicht sagen ob Rachsucht vielleicht Spleen und Humor.
7
Zu HKB 227 (II 154/9):
Der Mann ist nicht Gelehrter, sondern
homme sensé.
8
Zu HKB 227 (II 155/23):
großer Geist
o Pan! humor Spleen
Elender Mann! der seinen
9
Vorgänger wissend genießt
und sich versteckt und nachher nichts
10
davon hat.
Provenienz
Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (81).
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 146–153.
ZH II 149–155, Nr. 227.
Zusätze fremder Hand
494/4 |
Johann Gotthelf Lindner |
494/5 |
Johann Gotthelf Lindner |
494/6 |
Johann Gotthelf Lindner |
494/7 |
Johann Gotthelf Lindner |
494/8 –10
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Johann Gotthelf Lindner |
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
150/19 |
Flecken ]
|
Geändert nach Druckbogen 1940; ZH: Flekken |
154/37 |
dévergordée |
Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): dévergondée |
494/3 –10
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Handschriftliche […] hat.] |
In ZH im Apparat. |