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142/14
5 März 1762
vmtl. ein Transkriptionsfehler in der Ausgabe Roths, vgl. textkritische Anmerkung.
Königsberg, den
5
März 1762.
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Αμὴν, ἀμὴν, λέγω ὑμῖν,
wenn das Waitzen-Korn unserer
Freundschaft
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nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es
allein
; wo es aber erstirbt,
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so bringt es viel Früchte. – Ihr Scheidebrief war also schon ausgefertigt,
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französischen Vers
ehe es Ihnen noch eingefallen seyn mag, mich durch einen französischen Vers
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jene Reden
darum zu ersuchen; auch jene
Reden
, auf welche Sie lauern, und deren
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Nachahmung mehr als die Rache einer Weibernadel verdiente – aber alles
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wider
und
unter
Ihre Erwartung, prophetischer Erfüllung gemäß.
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Mardochai und der böse Agagite
Mardochai war Jude, sein Gegenspieler Haman ein Agagite, vgl.
Est 8,3ff.
u.
Est 9,24f.
HKB 219 ( II 130/6 ),
HKB 221 ( II 134/19 ) Die güldenen Tage sind meines Glaubens noch nicht da, daß Mardochai
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und der böse
Agagite
sitzen, und sich einander zutrinken werden. Die güldenen
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Tage sind meines Glaubens noch nicht da, von welchen es heißt, daß in
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Triumphwagen des Bacchus
Der Triumphwagen, auf dem der Gott Bacchus in seine Heimatstadt Theben zurückkehrt, wurde von Panthern gezogen.
denselben die
Pardel
, welche den Triumphwagen des Bacchus ziehen,
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und die
Böcke
, die seine Weinberge verderben, ihr Lager miteinander
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theilen werden.
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Kein
Freygeborner
nimmt Dienste in einer
fremden
Rotte von
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Unbekannten
, die das Tageslicht scheuen, und den
פחד יצחק
an ihren Brüdern
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lästern. Soll mir nicht die Haut schauern, wenn ich B. R. K. drey Buchstaben
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Legionen
Mk 5,9
gegen einen oder keinen rechne, und wer sagt mir gut dafür, was für Legionen
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hinter diesen Masken stecken?
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Nicht einmal eine
Gießkanne
, damit ich nur etwas in der Hand hätte, im
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höchsten Nothfall. – Sagt Ihnen diese Gießkanne nicht, daß ich ein
S. 143
Küchengärtner und praktischer Naturforscher bin? Was halten wir uns mit unnützen
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Fragen auf?
3
Was Ihren
Fabullum
betrifft und seinen Abschied, den hätte ich wohl
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Schnupfen
Wohl mit der sprichwörtlichen Verwendung für Dummheit, Beschränktheit (weil man etwas nicht bemerkt, nicht riechen kann).
riechen können und sollen; doch der liebe
Schnupfen
, den der Pole dem
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Deutschen nicht gönnt, war ja Schuld daran. Jetzt heißt es anders:
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Ergo …
Hor.
carm.
1,24;5f.;10: „Andauernder Schlaf bedrängt Quintilius also? […] keinem beweinenswerter als dir, Vergil!“
Ergo Quintilium perpetuus sopor
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Urget? –
8
Nulli flebilior quam tibi, Virgili!
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Doch pflegt man Gelegenheit zu machen, wenn man nicht mehr buhlen
10
will, und belustigt sich mit Klatschen, wenn man des Reitens überdrüssig ist.
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Die
Nachsicht
, aus der Sie sich ein Verdienst machen, ist eben die
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Beleidigung, die
unerkannte Sünde
, die ich Ihnen nicht vergeben kann, noch
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vergeben will. Ich dringe darauf, mit dem Maße wieder gemessen zu werden,
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womit ich selbst messe, und brauche keines, als das ich finde. Ich gebe kein
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Quartier und nehme keines an.
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Principiis obsta
dt.: Wehret den Anfängen.
Behalten Sie ja die Regel:
Principiis obsta,
und handeln Sie nicht mehr
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nach kleinen Achtsamkeiten, sondern nach Grundsätzen. Ich habe diese Woche
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Iuvenilia
„Jugendwerke“, so sind damit die
Gelegenheitsgedichte
und das
Lateinische Exercitium
in den
Kreuzzügen
gemeint.
Gott Lob einen Strich unter meine
Iuvenilia
gezogen, und sehne mich von
19
Salomo
Salomo als Verfasser der biblischen Bücher
Sprüche
,
Prediger
,
Hohelied
und des
Buchs der Weisheit
.
der Bühne nach meiner Zelle. Unter allen Eitelkeiten, die Salomo begangen,
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weiß ich keine größere, als seine Schwachheit, Autor zu werden. Er hat uns
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Sechswochen
Kindbettzeit: Bezeichnung für die Wochen, die zwischen der Geburt eines Kindes und dem ersten Kirchenbesuch der Mutter verstreichen.
auch zur Lehre geschrieben. Doch wenn die Sechswochen vorbey sind, treibt
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auch eitel
Pred 2,1
man das Spiel oft ärger als vorher. Siehe, das ist auch eitel!
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Meine
Iuvenilia
mögen also aufhören. Ich habe zu viel, das ist genug
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eine Gans anfängt
Vgl.
Luther
,
Glosse auf das vermeinte kaiserliche Edikt
(1531; WA 30.3, S. 387/6 10): „S. Johannes Hus hat von mir geweissagt, da er aus dem gefengnis ynn behemerland schreib, Sie werden itzt eine gans braten (denn Hus heisst eine gans) Aber uber hundert iaren, werden sie einen schwanen singen hören, Den sollen sie leiden, Da solls auch bey bleiben, ob Gott wil“.
gethan. Was eine Gans anfängt, mag der Schwan vollenden. Wir müssen
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ohnedem aufhören, weil uns Gott Gränzen gesetzt hat, durch die Natur der
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Dinge selbst, oder durch Kleinigkeiten, dergleichen es so viel giebt, als Sand
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am Meere.
28
Wer sich daran
ärgert
, muß mich nicht lesen. Wer einen
beurtheilen
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Acker
1 Mo 3,17f.
will, muß ihn ganz hören. Ein Acker, der Disteln und Dornen trägt, ist ein
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wie David sagt
2 Sam 23,6f.
gut Feld für die Naturforscher. Wer sie aber ausjäten will, muß, wie David
31
sagt, eiserne Handschuhe und Instrumente haben.
32
Als Naturforscher wird man die ganze Geschichte meiner Autorschaft
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vom Most
Hi 32,19
Essig
Liv.,
ab urbe condita
21,37,2: Erhitzte Felsen wurden bei Hannibals Alpenüberquerung durch Essig mürbe gemacht.
übersehen können, vom Most, der Jungfrauen zeugt, bis zum Essig, der Alpen
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aufthaut, wie Livius lehrt.
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Da ich dieses ganze neue Jahr mein Griechisch und Arabisch kaum ansehen
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können, so fange ich gleich nach Ostern mein Tagewerk an, das Versäumte
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einzuholen, um den Sommer durch zu meiner Erholung alle Zerstreuungen,
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die sich anbieten werden, genießen zu können. Briefe zu lesen, ist eine
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Gemüths-Ermunterung für mich; im Antworten werde ich nicht so pünktlich
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sein
können
. Auf Fragen mag ich nicht gerne selbst warten, noch andere
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warten lassen.
Veränderte Einsortierung
Die Einsortierung wurde gegenüber ZH verändert, sie erfolgt chronologisch zwischen Brief Nr. 222 und 223.
Provenienz
Druck ZH nach Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 134–137; Datierung nach Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubliäumsausgabe, Bd. 11: Briefwechsel I. Bearb. von Bruno Strauss. Berlin 1932, 307–308 bzw. 490–492 (Anmerkungen). Original verschollen. Letzter Aufbewahrungsort unbekannt.
Bisherige Drucke
Abbt,
Freundschaftliche Correspondenz
, 83–87.
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 134–137.
Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubliäumsausgabe, Bd. 11: Briefwechsel I. Bearb. von Bruno Strauss. Berlin 1932, 307 f.
ZH II 142–144, Nr. 224.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
142/14 |
5 ]
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So die vmtl. falsche Datierung bei Roth. ZH vermutet, der Mendelssohn-Ausgabe folgend (vgl. Provenienz), den 21. oder 25. März 1762 als eigentliches Datum. Da der Brief eine Antwort auf HKB 221 ist und dieser am 20. März 1762 von Hamann empfangen wurde (vgl. HKB 223 [II 140/17f.]), ist der Terminus a quo der Niederschrift des Briefes der 20. März 1762. |
142/23 |
Agagite ]
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Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Agagite r |