221
134/15
Moliere …
In der ersten Szene von
Molière,
Le Misanthrope
sagt dies der Protagonist Alceste zu Philinte: „Ich, Ihr Freund? – Streichen Sie mich aus!“ Vgl. dazu zwei Äußerungen in Hamanns vorangegangenem Brief,
HKB 219 ( II 128/1 ) u.
HKB 219 ( II 129/20 ).
Moliere
16
Moi, votre Ami?
Raïes
cela de vos papiers!
17
Unser öffentlicher so wohl als Privatcharacter zeigt angebohrne
18
Abälard
Unter dem Pseudonym Abälardus Virbius erschien Hamanns
Beylage zum zehnten Theile der Briefe die Neueste Litteratur betreffend
. Der Name ist gewählt in Anspielung auf
Peter Abaelard
(1079–1142), dessen Liebesbeziehung zu seiner Schülerin Heloisa Vorbild für Rousseaus
Neue Heloise
war. Der Beiname Virbius (von lat. bis virum, dt. zweimal Mann) wird in
Verg.
Aen.
, 7,761–7,769 und
Ov.
met.
15,540–546 dem Hyppolit beigelegt, nachdem er, zunächst von Pferden zerrissen, durch die Heilkunst des Päons und die Liebe Dianas wieder zum Leben erweckt wurde. Abelaerd wurde zwar nicht zerrissen, auf Betreiben Fulberts aber kastriert. Vgl.
HKB 219 ( II 128/18 ) und
HKB 220 ( II 131/9 ).
Fulbert
Mendelssohn,
Fulberti Kulmii Antwort
. Mendelssohns Pseudonym spielt an auf Fulbert (1060–1142), den Kanonier von Paris, vor allem aber Onkel und Vormund der Heloisa, zu deren Hauslehrer er
Petrus Abaelardus
bestellt. Nachdem er dessen Verhältnis zu Heloisa gewahr wird, lässt er Abaelardus kastrieren. Kulm ist, Hamanns eigenem Verständnis nach (vgl.
HKB 219 ( II 127/30 )) zusammengesetzt aus Mendelssohns Kürzel in den
Literaturbriefen
K und den beiden Anfangsbuchstaben Lessings und Mendelssohns; vgl.
HKB 220 ( II 131/10 ). Die Anregung zur Entgegnung als Domherr Fulbert geht auf Hamann selbst zurück, vgl.
Hamann,
Chimärische Einfälle
, N II S. 165/1, ED S. 94f.
Gramschaft. Schriftsteller und Kunstrichter, Abälard und Fulbert,
Haman
und
19
Mardochai
Im Buch Esther wird u.a. beschrieben, wie Hamanns Namensvetter Haman seinen Widersacher, den Juden Mordechai, hängen lassen will (
Est 5,14
), weil er sich vor ihm nicht beugt (
Est 3,2
), schließlich aber selbst an jenem Galgen gehängt wird, den er für Mordechai hatte errichten lassen (
Est 7,10
).
ein hartnäckiger Mardochai.
20
Ώς οὐκ ἐστι …
Hom.
Il.
22,262–265: „Wie kein Bund die Löwen und Menschenkinder befreundet, / Auch nicht Wölf’ und Lämmer in Eintracht je sich gesellen; / Sondern bitterer Hass sie ewig trennt voneinander: / So ist nimmer für uns Vereinigung, oder ein Bündnis.“
Ὡς οὐκ ἐστι
λεουσι·
και ανδρασιν ὁρκια πιστα
21
Ὀυδε
λυκαι
τε και
ἁρνες
ὁμοφρονα θυμον ἐχουσιν
22
Αλλα κακα
φρ
ονεουσι
διαμπερες
ἀλληλοισιν
23
Ὡς οὐκ ἐστ’
ἐμε
και
σε
φιλημεναι
24
Die güldenen Tage sind meines Glaubens, noch nicht da, von welchen es
heißt;
25
ְוְגָ֤ר זְאֵב֙ עִם־כֶּ֔בֶשׂ וְנָמֵ֖ר עִם־גְּדִ֣י
Jes 11,6
: „Der Wolf wird bei dem Schaf und der Panther bei dem Zicklein liegen“.
וגר זאב עם כבש ונמר עם גדי
26
Herausgeber
Friedrich Nicolai
Der Herausgeber unserer Briefe ist ein listiger Parteygänger, der Sie
27
Freund nante um Ihnen das Feldgeschrey
abzuloken
. Nun sind sie gefangen,
28
oder müßen Dienste nehmen.
29
Ja ja! Dienste nehmen! Das ist das einzige Mittel zum
Freundschafts
30
Bündniß. Laßen Sie Sich in die Rolle unsers Rottmeisters einschreiben, und
31
gehen Sie mit auf Beute aus. Sie wißen die Grundmaxime der Freybeuter,
32
wer nicht mit uns ist …
Mt 12,30
Invalide
wer nicht mit uns ist, ist wieder uns. – Sie sind ein Invalide? – desto beßer?
33
nachhinken
Vmtl. spielt Mendelssohn auf die hinkende Göttin der Verblendung, Ate, an. Vgl. Hor.
carm.
3,2,31f.: „selten hat den vorauseilenden Verbrecher/ verlassen trotz lahmen Fußes die Strafe.“
Da wir die Strafen sind, die den Gelehrten Mißethätern nachhinken; so
34
Tanzmeister
schikt sich kein Tanzmeister in unsrer Rotte.
S. 135
Damit Sie aber Ihre Cammeraden nicht verkennen; so muß ich Ihnen zum
2
Brawe FABULLUS
Gotthold Ephraim Lessing
, der ab November 1760 im Dienst des Generalleutnants von Tauentzien stand. Brawe: lies Brave. Die Rede von den „glänzenden Wafen“ geht zurück auf „arma radiantia“ (
Verg.
Aen.
, 8,616).
voraus melden, daß der Brawe
FABULLUS
schon längst
abschied
genommen, und
3
seine glänzenden Wafen, weit von uns, im Staube Bürgerlicher Arbeiten
4
B.
Thomas Abbt
Satrape
Bezeichnung für einen Statthalter einer größeren Provinz im antiken Perserreich.
verrosten läßt. Die nunmehr die Ehre unsrer Fahne retten sind
B.
ein
Satrape
im
5
Despotischen Reiche des Apoll;
R.
ein freyer Bürger, von der
Eidgenoßenschaft
6
Diomed
Hom.
Il.
10,154ff.: „Aber der Held selbst/ Schlummerte, hingestreckt auf die Haut des geweideten Stieres;/ Auch war unter dem Haupt ein schimmernder Teppich gebreitet./ Nahend weckt’ ihn vom Schlaf der gerenische reisige Nestor“.
David
1 Sam 26,5–13
der Musen, und
K.,
den Sie, ein anderer Diomed oder David, im
Schlummer
7
überrascht, oder vielmehr beschlichen und entwafnet haben. Aber wenn Sie nach
8
Frieden
Furcht
erfolgtem
Frieden
zu uns kommen; So werfen Sie so wohl die Furcht, als
9
Asinio […] Pollio
Catull,
carmina
12,1–7. Mit Asinio ist vmtl.
Christian Ziegra
gemeint; mit Pollio vmtl.
Christoph August Bode
, vgl.
HKB 219 ( II 128/28 ).
Gießkanne
die Gießkanne weg. Jene würde dem
Asinio
geziemen, und
frater Pollio
mag
10
des schwachen Reises warten, das weder Früchte noch Blumen verspricht, und
11
nur die Neubegierde zu befriedigen, im Treibhause aufbehalten wird.
12
Athleten
Feighertzigkeit kleidet keinen Athleten: Recht! aber auch die gar zu achtsame
13
göttlich schöne Pflichten
vgl.
HKB 219 ( II 129/18 ). Aus
Gellerts
Gedicht
Reichtum und Ehre
; die Strophe: „Such’ solche Freuden auf, die still dein Herz beseelen / Und, wenn du sie gefühlt, dich nicht mit Reue quälen! / Dein Freund, dein Weib, dein Haus sind Welt genung für dich / Such sie durch Sorgfalt dir, durch Liebe zu verbinden, / und du wirst Ehr und Ruh in ihrer Liebe finden. / Ein jeder Freundschaftsdienst, ein jeder treuer Rath, / so klein die Welt ihn schätzt, ist eine große That. / Auch in der Dunkelheit giebts göttlich schöne Pflichten, / und unbemerkt sie thun, heißt mehr, als Held, verrichten.“
Schüchternheit, die uns zu Winkel kriechen, und
göttlich schöne Pflichten
14
nicht anders als in Dunkelheit ausüben lehrt, kleidet keinen
15
Schilde der Minerva scheuet die Eule…
Diese Symbolik war beliebt bei (Freimaurer-)Logen; über den aufklärerischen Impetus darin hatte sich Hamann bereits in den
Sokratischen Denkwürdigkeiten
lustig gemacht (N II S. 76/8f., ED S. 54).
Freygebohrnen
Unter dem Schilde der Minerva scheuet die Eule selbst des Tages Licht
16
nicht mehr. –
Eine
solche Schüchternheit ist es, mein Freund! die Ihre Muse
17
(halten Sie Ihrem Bruder in Appoll die Freymüthigkeit zu gute!) sehr oft
18
keichen
Räthsel keichen läßt, wo wir Bürger eines freyen Staats auf Demosthenische
19
zufälligen Bestimmungen
Reden lauren. – Die zufälligen Bestimmungen, meinen Sie, ersezen sich wie
20
das Unkraut von selbst. – Was ist Unkraut? Haben Sie den
21
Küchengärtner, oder den Naturforscher darum gefragt? Damit ich Sie in der stoltzen
22
Einbildung stöhre, als wären Sie mir noch unbekant, so mercken Sie sich
23
zufälligen Bekantschaft
, vgl. auch
Hamann,
Gedanken über meinen Lebenslauf
, S. 333.
meine Politik. In der kleinen Stunde unsrer zufälligen Bekantschaft habe ich
24
nicht nur ihr ruhiges Gesicht aufmerksam beschauet; sondern (weil die
25
Marsias
Marsyas fordert Apollo zum Wettkampf mit der Doppelflöte auf, den er verliert. Apollo hängt Marsyas zur Strafe an einen Baum, ihm wird bei lebendigem Leib die Haut abgezogen.
Leidenschaften den Menschen umbilden, wie ein Apoll wen er den Marsias schindet,
26
anders aussiehet, als wen er die Flöte bläst) Gelegenheit gesucht
27
auszuspähen, wie Sie sich in Gemüthsverwirrungen gebärden. Nicht umsonst wird
28
Ihnen der freundschaftliche erschütterungsstoß gegeben, womit ein
29
Naturforscher seinen Bruder grüßt. Ich wolte Sie in Furcht in Schrecken, und wen
30
die Gefahr vorüber ist, wieder froh sehen. Bey einem
zweiten
Besuche soll ein
31
socratischer Becher holdere Leidenschaften aus ihrer Brust loken. Leben Sie
32
wohl und verwahren Sie meine Erklärung, wo ich die Ihrige verwahre, in
petto.
33
Nicodemus
Friedrich Nicolai
Mein Freund
Nicodemus
hat mit mir nur eine Seele, und wir wißen nichts
34
von dem
Billet
-doux,
daß den Verf. eines kleinen dramatischen Versuches
35
Wolken
Hamann,
Wolken
beleidiget haben soll. Von den
Wolken
haben wir aus Nachsicht für den
36
Denkwürdigkeiten
Hamann,
Sokratische Denkwürdigkeiten
schätzbaren Verf. der
Denkwürdigkeiten
niemals ein Urtheil gefällt.
37
den
2
Merz
1762.
Provenienz
Staatsbibliothek zu Berlin, Lessing-Sammlung Nr. 1839: Eine zeitgenössische Abschrift von unbekannter Hand (Orginal verschollen; letzter Aufbewahrungsort unbekannt).
Bisherige Drucke
Abbt,
Freundschaftliche Correspondenz
, 80–83.
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 129–131.
Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften. Jubliäumsausgabe, Bd. 11: Briefwechsel I. Bearb. von Bruno Strauss. Stuttgart – Bad Cannstatt 1974, 299–301, 487 f. (Anmerkungen).
ZH II 134 f., Nr. 221.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
134/15 |
Moliere |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Moliere |
134/16 |
Raïes |
Geändert nach der Handschrift; ZH: Raïez |
134/20 |
λεουσι· ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: λεουσι |
134/21 |
ἁρνες ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: αρνες |
134/21 |
λυκαι ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: λυκοι |
134/22 |
φρ ονεουσι ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: φρονεουσι |
134/22 |
ἀλληλοισιν ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: αλληλοισιν |
134/23 |
σε ]
|
Geändert nach der zürcher Abschrift; ZH: τε |
134/23 |
ἐμε ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: εμε |
134/24 |
heißt; ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: heißt: |
134/27 |
abzuloken ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: abzulocken |
134/29 |
Freundschafts ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Freundschafts- |
135/2 |
abschied ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Abschied |
135/5 |
Eidgenoßenschaft ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Eidgenossenschaft |
135/16 |
Eine ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: Ein |
135/30 |
zweiten ]
|
Geändert nach der Handschrift; ZH: zweyten |