370
S. 1
Kgsberg den 27 Jänner 770

2
HöchstzuEhrender Herr und Freund,

3
HE.
Secretaire Kortum
giebt mir Anlaß zu gegenwärtigen Zeilen. Wir

4
sind in Curland genaue Freunde geworden und bisher geblieben.
S
ie
eine

5
Sprachkenntnis macht ihn wenigstens zum Bürger von halb Europa und

6
seiner Denkungsart nach ist er ein ziemlicher
Cosmopolit,
übrigens mehr ein

7
Freund der schönen Künste als Wißenschaften. Es wird blos übrigens auf

8
Sie ankommen, wie viel Sie seinen Ansprüchen auf Ihre Freundschaft

9
einräumen wollen. Da er seine Zufriedenheit dem äußerl. Glücke aufzuopfern

10
scheint: so wünsch ich daß er erstere in Berl. erreichen möchte, und zweifele

11
nicht daß Sie ohne Ihre Unbeqvemlichkeit so viel Sie können in Kleinigkeiten

12
dazu beytragen werden.

13
Sie sind so gütig gewesen mir den 2ten Theil der
antiquari
schen Briefe zu

14
übersenden. Ich habe mich geschämt, daß ich kaum Zeit übrig gehabt habe

15
selbige zu durchblättern und blos meinen Freunden hier ein Vergnügen damit

16
machen können, welches ich desto lieber in gegenwärtigem Fall meinem eignen

17
vorziehe, da ich mich nach meiner jetzigen Verfaßung kaum der Form

18
geschweige der Materie dieses Briefwechsels gewachsen fühle.

19
Unser deutsche Phädon scheint mich gantz vergeßen zu haben. Die Nachricht

20
von seinem Briefe an
Lavater
hat mich eine halbe Nacht wie Pilatus Weib

21
ich weiß nicht warum? schlaflos gemacht. Ich habe nicht ruhig seyn können

22
biß ich
Lavate
rs Zueignung in Augenschein
nehmen können
genommen.

23
Der deutsche
Bonnet
ist mir unerträgl. gewesen; der französische gefällt mir

24
beßer.
Lavat
er selbst aber
ein
wie Phaethon
zu seyn
der über den Flug

25
sr. Einbildungskraft den
Tramontane
zu verlieren scheint. Wir werden hier

26
wol einige Posttage noch auf HE. Mendelssohn Sendschreiben warten

27
müßen – Eine Verlegenheit von beiden Seiten scheint in einem solchen Fall

S. 2
unvermeidlich zu seyn, und eine aufrichtige Erklärung kommt mir so unmögl. vor

2
als ich selbige für nöthig und statthaft halte.
Hora ruit
– ich empfehle mich

3
Ihrem
freundschaftl.
Andenken bis zu mehrerer Muße und in Erwartung

4
einer
Palingenesie
meiner Fibern.

5
Hamann.


6
Von unserm
Torsi
sten habe seit sr. Einschiffung nicht eine Zeile Nachricht

7
erhalten. Er soll itzt in
Paris
seyn, ich wünschte daß er seinen
Cursum
bald

8
vollendet hätte.
M
Starck,
der einige äußerl. Ähnlichkeit mit ihm hat, thut

9
uns. Academie die Ehre an
Prof.
extraordr.
Lingu. orient.
zu werden. —
a Dio.


10
Adresse:

11
à Monsieur / Monsieur Nicolai / Marchand Libraire
très
celebre / à
Berlin
/

12
par ami


13
Erhalten-Vermerk von Nicolai auf dem Adressblatt:

14
1770. 14.
Febr Hamann.

Provenienz

Staatsbibliothek zu Berlin, Nachlass Friedrich Nicolai/I/30/Mappe 11, 9–10.

Bisherige Drucke

Otto Hoffmann: Hamann-Briefe aus Nicolais Nachlass. In: Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte I (1888), 124–125.

ZH III 1 f., Nr. 370.

Zusätze fremder Hand

2/14
Friedrich Nicolai

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
1/4
S
ie
eine
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
Seine
1/24
beßer.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
beßer
2/3
freundschaftl.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
freundschafftl.
2/8
M
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
M.
2/9
extraordr.
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
extraord.
2/11
très
]
Geändert nach der Handschrift; ZH:
tres
2/14
1770. […] Hamann.]
Hinzugefügt nach der Handschrift.