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293/11
Kgsberg den
19 Jänner 65.

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Herzlich geliebtester Freund,

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Ihr Leinenzeug ist so gut wie möglich ausgetrocknet und wieder verwahrt

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und mein Kasten steht unter meinem Bett, wo ich so sanft wie auf einer

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Servietten
Ledertaschen
Pritsche schlafe. Von den
Serviett
en ist nichts nöthig gewesen etwas

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auseinander zu nehmen. Ich hoffe also daß kein Faden fehlen wird, ohngeachtet

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wir nicht alles genau abzählen können sondern nur dem Augenschein nach

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berechnen müßen. Einlage ist gleichfalls gehörig eingewickelt und eingepackt

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worden. Die Schlüßel hat mein Vater zu Ihrem Gelde gelegt und in seine

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Verwahrung genommen. Gott gebe, daß alles übrige so gut seinen Gang

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gehen mag als der Anfang gewesen. Wenn Sie noch nöthig finden uns etwas

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anzuvertrauen, so stehen wir Ihnen in allem zu Diensten.

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Gestern besuchte mich HE
Doctor
auf eine Viertelstunde voller

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Zufriedenheit über seinen Abschied und voller Unruhe das Ende mit der

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Schwiegermutter abzumachen zu der er heute mit seiner lieben Gemalin aufs Land

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gereist
bin
ist und in einigen Tagen wieder kommen wird, um auch zugl.

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HE. v Reibnitz
Woldemar Siegmund v. Reibnitz (1717–1774), Offizier
der Hochzeit des HE.
v Reibnitz
aus dem Wege zu gehen, die auf den Dienstag

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Pres. Tochter
von
Johann Friedrich Domhardt
mit des Pres. Tochter vollzogen werden wird. Er hat mir Ihren Brief in

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HE Rect. Tack
Johann Christoph Thack (gest. 1776), Rektor der Löbenichtschen Schule in Königsberg
Ansehung des HE
Rect. Tack
gelaßen und ich ließ sogl. denselben zu mir

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veniam
unterrichtsfrei
bitten, da die Schule ohnedem wegen des Krönungstags
veniam
hatte und

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Flußfiebers
„Febris catarrhalis, ein nachlaßendes Fieber, welches sich mit Flüssen auf der Brust vereinigt. Man macht einen Unterschied unter ein gutartigen [Catarrh] und bösartigem Flußfieber.“, vgl.
Krünitz
, Tl. 14, S. 420
ich wegen ms. Flußfiebers noch nicht recht ausgehen kann. Die Sache ist

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abgemacht, und ist auf ihn nichts zu rechnen. Ich bin mit der Erklärung dieses

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Mannes sehr zufrieden gewesen. Er dankt für das geneigte Andenken. Da er

S. 294
aber sein Auskommen hat, für keinen Erben zu sorgen und dem Ansehen zum

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Spott 10 Jahr älter ist als er aussieht, neml. über 50 und bereits so viel

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erfahren daß er zu neuen Versuchen keine Lust und kein Geschick mehr hat:

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so gestand er gleichwol daß ihm dieser Ruf einige Jahr früher sehr

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willkommen gewesen wäre. –

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HE
Lauson
besuchte mich eben jetzt und meldt mir die
Anecdot
e eines

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Gedichts
Johann Gotthelf Lindner
, „Denkmal auf die Allerhuldreichste Gegenwart Catharina II. zu Riga bey der Feyer des Krönungsfestes in einer Schulhandlung den 23. September 1764 errichtet“
hitzigen Gefechts das auf dem Rathhause wegen ihres Gedichts zwischen

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Liedert
Jakob Heinrich Liedert (1697–1776), Richter und Kommissionsrat
Str. Dullo
Stadtrat Daniel Dullo (geb. 1700), Stadtrat, Fabriken- und Polizei-Inspektor
Liedert,
als einem Verw. des
Pisanski
und Str.
Dullo
der seit dem Neuen

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Jahr wieder auszugehen angefangen, vorgefallen. Der erste hat vom

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Lohensteinschen
Daniel Kaspar v. Lohenstein (1635–1683)
Lohensteinschen
und der letzte vom Klopstockschen Geschmack geredt. Der erste hat

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Klopst. einen Narren gescholten und der letzte denjenigen der dies sagte für

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einen noch größeren. Um wieder auf uns. Materie zu kommen, da Ihnen

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also jetzt einer fehlt, so erlauben Sie mir Ihnen den rechten Mann

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vorzuschlagen oder mir wenigstens eine Erörterung von Ihnen auszubitten warum

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Prof. Willamovius
Johann Gottlieb Willamovius
Sie nicht an
Prof. Willamovius
in Thorn gedacht.

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Haben Sie diesen
Dithyramb
endichter nicht von Person hier gekannt und

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hat er nicht unter Ihre Zuhörer eine Stelle gehabt. Suchen Sie lieber aus

18
den hiesigen Gegenden einen zu versorgen als einen Hollsteiner. Wegen
Mag.

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Schlegel
hab ich Bedenklichkeiten ob ers annehmen wird und ohne

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Willam.
Johann Gottlieb Willamovius
Schwierigkeit kann.
Willam.
hat ohne Zweifel mehr
Specimina
sr. Geschicklichkeit und

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Fähigkeit aufzuweisen, und soll durch die Heyrath er. liebenswürdigen

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Person, die jedermann hoch schätzen soll sich den Haß der dortigen
Orthodoxie

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zugezogen haben, weil sie
reformirt
ist. Haben Sie niemals wenigstens im

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Briefwechsel mit ihm gestanden, oder einige Kentnis ss Characters gehabt.

25
Ich trau einem Thornschen
Prof.
wegen der republicanischen Ähnligkeit mit

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Riga immer mehr Lebensart und Klugheit zu als einem ehrl. Mann der ke.

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Colleg. Frid.
Collegium Fridericianum, Gymnasium in Königsberg
andere Bildung gehabt als das traurige
Colleg. Frid.
und außer seinen

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academischen MagisterGebühren wenig für sich aufzuweisen hat, auch se

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Vaterland im preuß.
Dialect
ziemlich zu lieben scheint. Finden Sie es für

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gut, daß er auf die Wahl kommt, so übernehm ich es mir, nach Thorn selbst

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zu schreiben, um ihn darüber zu
sondi
ren, da ich ohnedem eine Antwort auf

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einen verbindl. Gruß schuldig bin, den HE
Fischer
mir neulich unbekannter

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weise überbracht. Er ist wohl ein guter Freund unsers lieben Morungers,

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aber scheint eben kein Krikende noch Borowsky von ihm zu seyn. Ueberlegen

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Sie die Sache und erklären mir Ihre Meynung.

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Weil HE
Doct.
abgereist ist, so halt ich es noch für dienl. Sie zu beruhigen

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wegen Ihrer
Dilation
bis Ostern. Weil der ordentl. Weg Ihnen nur schwere

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Unkosten machen würde, so hat der Minister es auf sich genommen Sie selbst

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schriftlich darüber zu
informi
ren. Wo Sie noch nicht sein Wort erhalten

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haben, dürfen Sie also nichts besorgen und die Sache zwischen Ihnen ist so

4
abgemacht. Diese Nachricht hab ich aus des HE Bruders Munde, der Ihnen

5
fl.
Gulden, Goldmünze, hier aber vmtl. 1 polnischer Gulden, eine Silbermünze, entsprach 30 Groschen oder weniger.
glaubt dadurch 50 fl. erspart zu haben.

6
Meine Hauptsorge ist jetzt wegen Ihrer Wohnung. – Die Mama schickte

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heute zu mir und ließ mich sehr bitten Sie zu besuchen weil sie allerhand

8
Vorschläge wegen des Hauses hätte. Ohngeachtet ich wegen meiner

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Kränklichkeit und der elenden Witterung noch keine Lust hatte auszugehen, werd

10
ich mein Bestes thun Sie morgen zu sprechen. Was ich deshalb hören werde

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oder auch im stande bin währender Zeit abzumachen, werde mit nächster Post

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melden. Wüsten Sie jemanden, der hier diese Sorge auf sich nehmen könte,

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würde es beßer für Sie und für mich seyn. So bald Sie wegen des

14
Pichlauschen Hauses
Lucas Pichlau, Bürger für den polnischen Handel im Kneiphof in Königsberg
Pichlauschen Hauses Antwort erhalten, zeigen Sie mir solches an. Wenn Sie den

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jetzigen Eigenthümer davon kennen, vielleicht möchte er Ihnen eins

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verschaffen. Ein Kaufmann und hiesiger Bürger ist dazu geschickter wie ich. So

17
Rogallschen Hauses
Haus von Barbara Regina Rogall
bald ich die Erklärung wegen des Rogallschen Hauses gehört habe, bin gleich

18
still gestanden und habe es für unnöthig gehalten weiter zu gehen. Mein

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nächster Brief wird vielleicht Ihnen beßere Nachrichten melden können.

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Versäumen Sie aber um Gottes willen keine Zeit. Sie können nicht glauben wie

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groß die Verlegenheit hier wegen Miethe ist und wie theuer selbige jetzt

22
HE Zöpfel
vgl.
Zöpfel
Zuckerbecker Nuppenau
Heinrich Liborius Nuppenau
gestiegen. HE
Zöpfel
und der Zuckerbecker
Nuppenau
und mehr uns.

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Anverwandten wißen bis diese Stunde nicht wo sie bleiben sollen. Der letzte

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Schaden
Die von der Brandkatastrophe am 11. September 1764 zerstörten Häuser in Königsberg.
Schaden hat 1667 theils Familien theils Personen betroffen die untergebracht

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werden müßen und Kgsb. ist um
1
/
15
kleiner geworden.

26
HE
Doct
hat uns abermal jetzt ein
halbes
gantzes und kürzl. ein halbes

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Fäßchen
Caviar
geschickt. Der letzte ist
delicat
gewesen. HE Kanter hat mich

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auch mit einem bedacht. Wir haben uns alle daran erquickt und mehr als

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einmal Ihre Gesundheit getrunken. Ich werde Ihr Schuldner seyn und

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in secula seculorum
dt. von Ewigkeit zu Ewigkeit
bleiben. Gott vergelte Ihnen alle Ihre Freundschaft in
secula seculorum
Amen.

31
Die silbernen Leuchter hat HE
D.
auch richtig empfangen.

32
Wenn HE Kanter gesund wäre, der sich aber jetzt beßert so würde er uns

33
am Besten
assisti
ren können. Jetzt aber lohnt es nicht ihm das geringste

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zuzumuthen, da er eine junge Frau hat, ein hartes Lager aushalten müßen und

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mit sn. Angelegenheiten gnug zu thun findt, wenn er Lust zu Geschäften hat.

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Ich wollte auch nicht gern Sie zu Gegenverbindlichkeiten aussetzen. Gott wird

37
sorgen helfen und mit nächster Post mehr, weil ich morgen gute Nachrichten

S. 296
von der mütterl. Sorgfalt der Fr. Räthin erwarte. Auf Einlage warte noch

2
von ihr. Ich kann nicht mehr schreiben. Händigen Sie dies dem HE Herder

3
Dum tacet, clamat
vgl. lat. „cum tacent, clamant“; dt. „sie schreien es heraus, indem sie schweigen“ (
Cic.
Cat.
, 1,8,21)
ein mit einem:
Dum tacet, clamat
und mit einer herzl. Umarmung, die alles

4
in sich schliest, was ich weiß und auf dem Herzen habe.

5
Kommen Sie bald! Dies ist unser gemeinschaftlicher herzl. Wunsch.

6
Hamann.


7
Adresse mit rotem Lacksiegel (zwischen zwei Palmenzweigen zwei in

8
entgegengesetzter Richtung übereinander schwimmende Fische über einem

9
Netz, über den Fischen zwei Sterne, darüber
F I S
):

10
à Monsieur / Monsieur Lindner / Maitre de la Philosophie, Professeur /

11
ordinaire de la Poesie, Senateur de l’Aca- / demie de Königsberg et

12
Recteur du / College Cathedral de la Ville Imperiale de / et à /
Riga
. / fr.

13
Mummel
.


14
HE Commercienrath Böther
Samuel Bötticher, Kaufmann und Kommerzienrat in Königsberg
HE
Commercien
rath Böther läst heute eine junge Tochter auf das

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feyerlichste in sm. 63sten Jahr von
D. Arnold
taufen.

16
HE Stadtr. Hennings
Ernst Gottfried Hennings, Stadtrat in Königsberg
Rump
Georg Rump, im
Magistrat der Stadt Königsberg
HE Stadtr.
Hennings
hat die sehr vortheilhafte Stelle des
Rump
im

17
Magistrat bekommen und giebt diesen Monath Hochzeit mit einer Wittwe

18
Deglinger
Witwe in Königsberg
Degling
er.

19
M Weyman
vielleicht Marcus Weinmann, Kupferstecher
Commiss. Rath Rhode
Christian Friedrich Rhode, Assessor im Braukollegium
It.
M Weymann
mit des
Commiss.
Rath
Rhode
Frauen

20
SchwesterTochter, einem Kinde, das jüngst
confirmi
rt worden.

Provenienz

Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (120).

Bisherige Drucke

Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 321 f.

ZH II 293–296, Nr. 285.

Textkritische Anmerkungen

Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter Quellen verifiziert werden konnten.
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Lohensteinschen
]
Druckbogen 1940:
Lohein- | steinschen
; vmtl. Satzfehler am Zeilenübergang.