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140/16
Königsberg,
den
21. März 1762.
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Unter Ihrem Pettschaft (zweier Zeugen Aussage nach) habe ich gestern die
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Zuschrift eines Ungenannten erhalten, und nehme daher diesen Wink an, Sie
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zum Mediateur in
unserem
Spiele zu Hülfe zu rufen. Alle müßige Einfälle
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und Verbeugungen, die in Geschäften nichts als Schleichwaaren sind, bey
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Seite gesetzt – Sie sind doch der Verleger der Briefe die neueste Litteratur
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betreffend, und zugleich ein Mann, der die kleinen Angelegenheiten des
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Autorstandes näher kennt, als durch den bloßen Verlag
fremder
Werke. In dieser
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Absicht kann es Ihnen daher nicht gleichgültig seyn, daß man einen
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Unbekannten,
(ohne recht zu wissen, ob er Scherz versteht), unter der Hand zu Ihrem
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anwerben
vgl.
HKB 221 ( II 134/28 ), Hamann versucht die List, mit der Mendelssohn ihn verunsichern wollte, umzudrehen.
schätzbaren Journal
anwerben
will.
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Glückt es mir nicht, Ihr Vertrauen durch die Entdeckung dieser kleinen
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Verrätherey zu gewinnen, so werden Sie sich wenigstens gefallen lassen, als
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Unterhändler meiner Gegen-Erklärung, solche jenem Ungenannten
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mitzutheilen
, dessen Zuschrift ich unter Ihrem Pettschaft erhalten. Um mich also
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ohne Rückhalt Ihnen entdecken zu können, will ich weder eine üble Aufnahme
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noch einigen Mißbrauch meiner Gesinnungen besorgen.
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Ein wenig
Selbstliebe
und eine andere Leidenschaft, welche ein altes
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Lust und Liebe zum Dinge
… macht alle Mühe und Arbeit geringe.
Sprichwort
Lust und Liebe zum Dinge
nennt, würden vielleicht meiner
S. 141
Schwäche zu dieser Arbeit aufhelfen, mir die Unhinlänglichkeit meiner Kräfte
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einigermaßen ersetzen können. Die Lage meiner Umstände aber und das
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gegenwärtige
Ziel meiner Maßregeln untersagt mir jede Verpfändung
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meiner selbst, sie mag seyn, unter welchem Titel sie wolle, schlechterdings. Der
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Beweis davon besteht in einem Detail, mit dem ich sie verschonen muß.
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Um gleichwohl etwas anzuführen,
was zur Sache gehört
, so lebe ich als
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ein Fremdling im Gebiete der neuesten Litteratur, weil es mir auf meine
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alten Tage eingefallen ist, noch griechisch zu lesen und hebräisch
buchstabiren
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zu lernen. Das blinde Glück zur Rechten und der inoculirte Verstand zur
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Linken, machen mir meine jetzige Muße so kurz und so edel, daß ich mich
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fast nicht umsehen kann, sonder Verlust bereits eroberter und noch zu
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hoffender Vortheile. Ich übergehe alle Schwierigkeiten, die sich selbst zeigen, ohne
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gewiesen zu werden, auch solche, die sich selbst entwickeln müssen, ohne daß
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man ihre Zeitigung übereilen darf. So viel von der Unmöglichkeit,
Dienste
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zu nehmen
.
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Da es mir also
verboten
ist, eine
handelnde
Person vorzustellen, und
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Stehe auf, Nordwind!
Hld 4,16
damit der Ungenannte nicht umsonst gesagt haben möge: Stehe auf,
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Nordwind! so will ich andere Vorschläge thun, muß aber vorher die
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Nothwendigkeit eines Soufleurs unter
unserem
Himmelsstriche durch einige Gleichnisse
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noch wahrscheinlicher machen.
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Woher kommt es, daß Ihre schätzbaren Kunstrichter, die Amsterdam und
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Paris überrumpelt haben, meines Wissens noch gar keine Beute in
Preussen
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gemacht? Sollte man nicht denken, daß Alpengebirge, ja, daß zwischen uns
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Kluft befestigt
Lk 16,26
und euch eine große Kluft befestigt wäre? Sind wir nichts als Siberier?
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Pregel
Fluss in der Region Königsberg, heutiges Kaliningrad
oder denkt man von unserem Pregel, wie jener gewaltige Mann, der deutsch
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F…
vll. Frechheit; mit der biblischen Geschichte von Naaman (der sich wählerisch gibt zu den ihm angebotenen Möglichkeiten zur Heilung) im Hintergrund würde „deutsch“ soviel wie zornig, trotzig, vll. deutlich (worauf etymologisch zuweilen Bezug genommen wurde) bedeuten. Der Bezug Nicolais und der
Briefe die neueste Litteratur betreffend
zur Sprache der Literatur war in Mendelssohns Rezension (5.Tl., 1760, 98. Brief, S. 262) von
Friedrichs franz. Schriften
klar geworden, wo er bedauert, dass der König die deutsche Literatursprache nicht als vorbildliche befördert.
Amona und Pharpar
2 Kö 5,12
zu reden die F… hatte, und die Waßer
Amona
und Pharphar zu
Damaskon
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für besser ansah, denn alle Wasser in Israel? Vergeben Sie das kleine
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Brausen, mit dem mein Brief aus seinen Ufern tritt, um die Aufmerksamkeit
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Ihrer Briefsteller dadurch mehr
nordwärts
zu ziehen, da die Hofsprache zu
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St. P…
St. Petersburg. Im Januar 1762, nach dem Tod Zarin Elisabeths, folgte Peter III. auf den russischen Thron, der als Verehrer Friedrichs und der preußischen Kultur galt, womit erstens ein Ende des Krieges in Aussicht stand, zweitens eine Bevorzugung der deutschen Sprache gegenüber der von Elisabeth favorisierten französischen.
St. P… vielleicht
deutsch
seyn wird – auch die
figürliche
und
spruchreiche
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griechischen Erzbischofs
Vll. ist auf
Johannes Chrysostomus
angespielt, dessen Predigten in den 1750ern ins Deutsche übersetzt wurden, u.a. im Rahmen des Versuchs den Predigtstil zu reformieren: hin zu mehr rhetorischer Formung zum Zwecke der Beeindruckung der Kirchengemeinde.
Beredsamkeit des griechischen Erzbischofs –
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Froschmäusler
Froschmäusekrieg
Von Heldengedichten auf
Froschmäusler
zu kommen, so verdienen selbst
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die kleinen Herolde des Frühlings und
Friedens,
in jenem Sumpfe meiner
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Heimat, einige Achtsamkeit; nicht eben wegen ihres Gesanges, sondern
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natürlichen Geschichte
vll. Anspielung auf Mendelssohns Behauptung, die Beziehung zwischen ihnen sei experimenteller Art:
HKB 221 ( II 135/28 ) bisweilen wegen
Ihr
natürlichen
Geschichte, die Ihr Ungenannter auch zu lieben
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scheint. Ich weiß daher den Mangel an
preussischen
und
nordischen
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XI. Theilen und den zwei Bogen des XII.
Briefe die neueste Litteratur betreffend
Neuigkeiten, die Litteratur betreffend, in Ihren
XI.
Theilen und den zwei Bogen
S. 142
des
XII.
mit nichts sonst zu entschuldigen, als daß es den schätzbaren
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hyperboreischen
im hohen Norden gelegen
Verfassern an Kundschaft in unsern hyperboreischen Gegenden fehlen muß.
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Ob nicht mit der Zeit hiedurch einiger Nachtheil erfolgen könnte, und ob
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abwechselnde Aussichten den Lesern unangenehm seyn möchten, überlasse ich
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Ihrem eigenen Urtheile.
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Dieser Einleitung zufolge dürfte Ihnen mehr an einem Correspondenten
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Apelles bey der Leinwand
Apelles von Kolophon
, bei Plin.
nat.
35,36,85 ist anekdotisch überliefert, dass Apelles, hinter seinen Bildern versteckt, Urteilen der Betrachter gelauscht habe. Der Kritik eines Schusters an gemalten Schenkeln, habe er entgegengesetzt: Schuster bleib bei deinen Leisten.
hinter dem
Schirm
als an einem Apelles bey der
Leinwand
gelegen seyn,
8
und weil unser kalter Boden sich eben nicht überträgt, auch die kleinen Rollen
9
Ohrenbläser
Schmeichler
in der Litteratur
selten
sind, wo ein guter Acteur ohne einen
Ohrenbläser
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einige Ziegel
1 Mo 11,3
nicht füglich fortkommen kann, so würde es bloß auf einige
Ziegel
zum Bau
11
der neuesten Litteratur ankommen, die ich aus Liebe meines Vaterlandes mit
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jene heilige Einfalt
Jan Hus
soll auf dem Scheiterhaufen „O sancta simplicitas!“ gerufen haben, als Bauern noch mehr Holz herbeiholten.
eben dem Eifer liefern möchte, womit jene heilige Einfalt sich zum
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Scheiterhaufen eines Ketzers drängte.
Provenienz
Druck ZH nach Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 140–144. Das Original war ZH zufolge mglw. früher in der Staatsbibliothek zu Berlin; weder dort noch in den Krakauer Beständen ist es jedenfalls aufzufinden.
Bisherige Drucke
Friedrich Roth (Hg.): Hamann’s Schriften. 8 Bde. Berlin, Leipzig 1821–1843, III 140–144.
ZH II 140–142, Nr. 223.
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
Quellen verifiziert werden konnten.
140/16 |
Königsberg, ]
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Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH: Königsberg |
140/19 |
unserem ]
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Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH: unserm |
140/25 |
Unbekannten, ]
|
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH: Unbekannten |
140/30 |
mitzutheilen ]
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Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH: mitzuteilen |
141/8 |
buchstabiren ]
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Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH: buchstabieren |
141/19 |
unserem ]
|
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH: unserm |
141/26 |
Amona ]
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Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): Amana |
141/26 |
Damaskon |
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH: Damaskus |
141/33 |
Friedens, ]
|
Geändert nach dem Druck bei Roth; ZH: Friedens |
141/35 |
Ihr ]
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Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): ihr er |