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Grünhof den 13. März 756.
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Herzlich Geliebtester Freund, 
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Ich bin schon diese ganze Woche krank, jetzt aber Gott Lob mit der Hofnung 
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Brief
 nicht überliefert 
einer baldigen Beßerung. Ihren Brief empfieng in den schlimmsten Tagen 
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meines Zufalls v hat mich sehr aufgemuntert. Durch Gelegenheit habe leyder 
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Schildreuter
 vmtl. ein aufs Postwesen verpflichteter Cavallerist 
weder von Ihnen noch HE B. eine Zeile bekommen. Der Schildreuter ist so 
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dumm gewesen das was ihm HE B. abgegeben bey Dump zu vergeßen. Er 
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wird es jetzt selbst mitbringen können, oder der Postillon hat es heute. 
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Meine Krankheit fieng sich Sonntags an; sie hatte sich einige Tage vorher 
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schon durch einen verlornen Appetit v verstopften Leib angemeldt. Sonntags 
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Grieseln
 Schüttelfrost 
bekam aber Grieseln, Brechen in den Gliedern v fieberhaffte Zufälle ich legte 
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mich mit viel Unruhe nieder, zwang mich aber Montags zum Aufstehen hielt 
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mit genauer Noth biß auf den Abend aus. Dienstags stand wieder auf; 
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wurde aber von Kopfschmerzen v Hitze nach einer kleinen Frist zu Bett 
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niedergeworfen so sehr ich mich auch wehren mochte. Dieser Tag war für mich sehr 
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schwer. Ich war für mein Haupt besorgt, das mir zerplatzen wollte, ohne 
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Kegeln
 Zäpfchen 
Schweiß in der glühendesten Hitze, verstopft 
gegen alle
 trotz zwey Kegeln 
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von Seife. Wollten die Kegeln nichts helfen; so muste die Reyhe an den 
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Kugeln
 Pillen 
Kugeln kommen; die schafften mir Luft. Den andern Tag befand mich 
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leidlicher im Bett; so offt ich aus Noth aufstehen muste wandelten mir 
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Ohnmachten v Uebelkeiten an. Der Schlaf fand sich nicht, obgl. ich einige Nächte 
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schon so zugebracht hatte. Einige Viertelstunde, wo ein Traum den andern 
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vertrieb. Diese Nacht hab ich einige ganz gesunden v ruhigen Schlafes 
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genoßen. Dieser Umstand ließ mich immer auf einen Ausschlag argwohnen, der 
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hinterherkommen würde. Jetzt schreibe ich meine Schlaflosigkeit keiner 
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malignität
 sondern der Vollblütigkeit zu. 8 Tage nichts geeßen v getrunken 
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Habertum
 vmtl. Hafergrütze 
als Habertum und noch 8 Tage v 14 dieser 
Diät
 mit Gottes Hülfe bestimmt. 
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Coffée
 v Thee nicht sobald gekostet geschweige getrunken! Schälchen aus 
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Noth v keinen Wein als weißen und der gesund ist! Die Mäßigkeit soll mir 
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künfftig lieber als jemals seyn. Viel geseßen, zum Theil gearbeitet, dem 
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Appetit zu viel gefolgt unter dem großmüthigen Schein sich zu erqvicken und 
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mit dem Trost, daß es schmeckt v bekommt. Da sitzt der Grund meiner 
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Krankheit. Ich habe bisher keine Arzney in meinen Mund genommen v bin meiner 
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Genesung vielleicht nahe. Meinen Vorsatz will gewiß halten. Die Warnung 
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ist mir zu rechter Zeit geschehen. Wäre sie später gekommen so wäre das Uebel 
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von größerem Erfolg gewesen. Heute habe zum erstenmal lesen und mit 
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Gedanken schreiben können. Der HE. Bruder ist so gut gewesen v hat mich mit 
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Mitteln versorgt. Er setzte nichts als ein klein kalt Fieber zum voraus v hatte 
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se. Verordnungen darnach eingerichtet. Weil er sich aber hierinn geirrt; so 
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durfte nichts anrühren v es thut mir nicht leyd allen dienstfertigen 
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Qvacksalbereyen anderer widerstanden zu haben biß auf einen Umschlag für den 
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Kopf, der mir gute Dienste gethan. Außer meiner Verstopfung, die seit 
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vorgestern wieder da ist 
der HE
, bin ich vor nichts mehr besorgt; v dafür 
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erwarte ich heute Rath von HE Doktor, an den ich vor einige Stunden ein paar 
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Worte geschrieben. Er klagt nicht weniger über se. Gesundheit. Scorbutisch 
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Fieber pp. Gott helf ihm. 
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Ich dachte heute nicht so viel zu schreiben v glaubte mit Mühe ein paar 
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Zeilen an HE B. fertig zu machen. Die Gelegenheit bleibt noch eine 
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Viertelstunde hier. Ich will sehen wie weit ich komme. 
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Meine Eltern v Bruder grüßen alle herzlich mit Anwünschung vielfältigen 
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Seegens. Mein Vater nimmt vielen Theil an des HE D. Beßerung. Er ist 
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Friesel
 fiebriger Ausschlag 
selbst am Friesel hart krank gewesen v meine Mutter wieder am Blutspeyen. 
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Ja Ihren Brief habe gleich den andern Tag fortschicken können nach Mitau. 
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 Frau von 
Melchior Kade
 Mad. Kade
 ist mit einer jungen Tochter entbunden v die Fr Kriegsräthin 
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Potsdamer
 Friedrichs I. v. Preußen Potsdamer Garde der ‚Langen Kerls‘ 
von Wegner
 nicht ermittelt 
von Wegner hat einen Sohn so groß wie einen Potsdamer bekommen, 
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schreibt mir mein alter Vater. Ich theile Ihrem lieben Frauchen beyde 
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Nachrichten zu einer guten Nachahmung mit. Daß die älteste Jgfr. Hartungin 
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verlobt ist werde Ihnen schon gemeldt haben an einen Priester in Oberland oder 
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Marienburgschen. 
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Ich habe ihre Briefe nicht zur Hand v schreibe auf den Bett. Entschuldigen 
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Sie also wenn ich den ersten nicht gehörig beantworte v wenn ihnen meine 
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Buchstaben mehr Mühe als sonst machen. Sie erklären 
S
 sich in ihrem 
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Briefe wegen des einen Einwurfs, den ich Ihnen gemacht. Weil er schon 
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geschehen ist; so darf ich desto weniger Liebster Freund, Bedenken tragen, da sie 
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ihn selbst gut aufgenommen daß ich meine Zweifel über Ihre Erklärung 
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Ihnen mittheile. Ich habe eben das zu Ihrer Rechtfertigung mir selbst 
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gesagt, was Sie für sich sagen; und ich freue mich auch, daß ich mit Ihnen gleich 
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denke. 
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Erstlich, wenn sind Sie über diese Stelle erschrocken, da Sie si
ch
e 
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geschrieben hatten; so stand es bey Ihnen sie auszulaßen oder sich weitläuftiger 
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zu erklären. 2.) hab ich Ihnen gesagt von einer Zweydeutigkeit, die sie scheint 
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zu haben, aber wenn man sie beym Lichten besieht, nicht haben kann. Ihre 
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Worte sollen entweder sagen Peter der große hat alle Tugenden sr. Vorfahren 
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gehabt, nur nicht 
ihre
 Rauhigkeit: oder Peter hat alle sie gehabt, 
sie waren 
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bey ihm aber rauh
 er hatte aber den Fehler der Rauhigkeit. Ueber den Begrief 
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des Wortes 
asperitas
 v 
vitium
 bin ich mit ihnen vollkommen einig, außer daß 
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das letzte doch allemal füglicher 
notam
 oder 
suspicionem
 oder sonst hätte 
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heißen können. Die letzte Erklärung scheint mir allein richtig zu seyn; sie 
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schützen sich mit der ersten. Diese habe ich im Sinn gehabt aber sie ist mir 
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ungereimt vorgekommen; ich weiß nicht aus logischen oder grammatikalischen 
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Gründen. Belehren Sie mich liebster Freund über diese Kleinigkeit, die ich 
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Ihnen durch ein Exempel habe zu verstehen geben wollen, weil ich nicht Zeit 
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hatte die Sache selbst deutl. auszudrucken. Sie tadeln dies Exempel v folglich 
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sich selbst. Sie fragen mich ist Sparsamkeit ein Fehler und ich habe Sie fragen 
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wollen Ist 
asperitas
 eine Tugend? Es kommt darauf an. Kann es mit einer 
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richtigen Redekunst bestehen einen solchen Satz auszudrucken. 
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Peter hat alle Tugenden seiner Vorfahren geerbt, ihre Rauhigkeit 
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ausgenommen. 
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Kann ich einen Satz durch eine 
Species
 einschränken, die unter einem 
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genere
 gehört, das einem vorigen, von dem die Rede ist, gerade 
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wiederspricht? Kann ich sagen: 
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Titius hat alles Silberzeug geerbt, die alte Wäsche des N. ausgenommen. 
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Meubles
 Mobiliar 
Ungeachtet beyde unter dem allgemeinen Begrief der 
Meubles
 stehen können 
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und noch nicht so entgegengesetzt sind. Sie werden jetzt meinen Sinn 
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wenigstens beßer faßen. Ich will nur so viel sagen, daß es nicht 
ihre
 Rauhigkeit 
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heißen kann, 
wie sich ohne
 Noth und wieder den historischen Charakter dieses 
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Helden erklären wollen. Denn dies geht gar nicht an, weil alsdann unstreitig 
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Praeter me nil poteris
 dt. Neben mir wirst du nichts vermögen 
sine
 stehen müßte. 
Praeter me nil poteris
 sagt man nicht ohngeachtet diese 
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beide Wörter 
Synonima
 sind. Es kann also nichts anderes heißen, als was 
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wahr ist, daß Peter die Tugenden unendlich übertroffen sie aber in dem 
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Fehler der Rauhigkeit zu sehr nachgeahmt habe. Dies ist recht, es liegt alles 
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an einem geschwinden Ausdruck, der nicht allemal nach unserm Willen 
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geräth. Was ich dem 
Clima
 zuschreibe, kann fügl 
national
 genannt werden und 
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hierinn liegt kein Unterscheid ich habe das 
tellus
 eben so wie sie genommen. 
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Die Stelle Ihrer Rede bey Seite gesetzt, erörtern Sie mir doch die 
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Schwierigkeit die ich noch Ihnen v mir mache. Schicken Sie mir aber dabey noch ein 
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Exemplar
Lindner, 
 Gedächtnisfeier
Exemplar für meinen Bruder. 
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Ihre Anerbietung mir den Bernis zu verschaffen nehme mit vielem Dank 
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an v mit unendl. mehrerem den mir schon geschenkten 
Mandrin.
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An HE Petersen habe Ihrer Rechnung wegen geschrieben. Mit dem 
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Arvieux habe geglaubt HE. B. einen Gefallen zu thun. Es ist nur ein Exemplar 
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hier gewesen und sind einige fürtrefl. Stücke darinn 
e. g.
 der Mufti der 
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seinen Vater abprügeln läst, hat mich sehr gerührt. Ferner habe eine 
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Salamalec
Smollett, 
Williams Pickle
, Bd. 3, S. 166f.: „Tout ce qu’il y avoit de gens un peu comme il faut me vinrent faire leur salamalec“. 
HKB 60 ( I 148/3 ); vgl. 
Hamann, 
Kleeblatt
, N II S. 172/25–29.  
Auslegung von dem Worte 
Salamalec
 von ohngefehr darinn gefunden, deßen 
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Erklärung ich bisher umsonst gesucht v in ein paar gantz neuen Romans 
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gefunden. 
Tout ce qu’il y avoit de gens un peu comme il faut me
vinrent
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faire leur salamalec.
 Der Henker hatte es für ein türkisches Wort halten 
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soll.
 Die Franzosen werden die Gastfreyheit in ihrer Sprache bald zu weit 
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treiben. Wiewohl der Sultan als Bundesgenoße des Allerchristl. Königs 
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verdient einen Eingang mit seinen Höflichkeiten. 
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Buffon, 
Histoire Naturelle Générale et particulière
: wohl die dt. Übers., die 1750–1774 erschien, 1756 kam Bd. 3.1. 
Wenn ich jetzt den 1. Theil des Büffons bekommen könnte, darf ich auch 
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bey Ihnen, liebster Freund ein Vorwort einlegen. Wo nicht, kaum darf ich, 
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aber den ersten Theil von Saurins Betrachtungen möchte ich gern lesen über 
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die Bibel. Was meynen Sie. Schlagen Sie ab wenn Sie nicht wollen. Ich 
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bitte mir künfftig was leichters aus. Leben Sie wohl, Grüßen Sie Ihr 
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Frauchen tausendmal von mir. Wir erwarten hier den HE Regimentsfeldscheer mit 
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ersten. Grüßen Sie die HE Pastor Gericke v leben Sie vor allen recht gesund 
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und vergnügt, wenn beyde zusammen stehen können. Ich umarme Sie und 
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bin mit einer ewigen Freundschaft der Ihrige. 
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Hamann.
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Was macht HE Runz? Adieu. 
Provenienz
 Druck ZH nach den unpublizierten Druckbogen von 1940. Original verschollen. Letzter bekannter Aufbewahrungsort: Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg, Msc. 2552 [Roths Hamanniana], I 2 (20). 
Bisherige Drucke
 Walther Ziesemer: Unbekannte Hamannbriefe. In: Altpreußische Forschungen 18 (1941), 286–289.
 ZH I 159–162, Nr. 64. 
Textkritische Anmerkungen
Der Brieftext wurde anhand der überlieferten Quellen (vgl. Provenienz) kritisch
                geprüft. Notwendige Korrekturen gegenüber dem in ZH gedruckten Text wurden vorgenommen und sind
                vollständig annotiert. Die in den beiden Auflagen von ZH angehängten Korrekturvorschläge werden
                vollständig aufgelistet, werden aber nur dann im Text realisiert, sofern diese anhand überlieferter
                Quellen verifiziert werden konnten.
            | 160/21 | der HE |  Geändert nach Druckbogen (1940); ZH:  der  HE  Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):  lies der HE  Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):  der HE | 
| 161/37 | wie sich ohne] |  Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):  lies  sie  oder  Sie  statt  sich  Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): wie Sie ohne  conj. | 
| 162/20 | vinrent |  Druckbogen 1940 und ZH:  vivrent ; vmtl. Buchstabenvertauschung bei der Transkription.  Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):  lies vinrent  Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988):  vinrent | 
| 162/22 | soll.] |  Korrekturvorschlag ZH 1. Aufl. (1955):  lies  soll en  Korrekturvorschlag ZH 2. Aufl. (1988): soll en .  | 
